Protocol of the Session on October 2, 2008

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Es sind sogar 300 Millionen €!)

müssen Sie schon Ross und Reiter nennen. Da müssen Sie sagen, wo und wem Sie dieses Geld wegnehmen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Unabhängig davon haben Sie den wichtigsten, den eigentlich entscheidenden Punkt völlig außer Acht gelassen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das machen die immer so!)

Allerdings.

Entscheidend für die Attraktivität und damit auch für die Annahme eines Kindergartens als Bildungseinrichtung ist die Qualität.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Genau!)

Entscheidend ist, dass frühkindliche Förderung im Kindergarten jedes Kind bestmöglich fördert und auf den Schulanfang vorbereitet. Dazu haben wir – davon sind wir überzeugt – die richtigen Weichen gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Sie haben sie vorhin selbst genannt: den Orientierungsplan für den Kindergarten, der ab dem Jahr 2009/2010 für alle verpflichtend ist; das Projekt „Schulreifes Kind“, das ab dem Jahr 2013 als flächendeckendes Programm jedes Kind im Land erreicht und optimal für den Einstieg in die Grundschule vorbereitet; die vorbildliche Verzahnung von Kindergarten und Grundschule und natürlich nicht zuletzt die flächendeckende Sprachförderung.

Deshalb bleiben wir dabei: Mit uns gibt es keine populis tischen Schnellschüsse. Wir sorgen nach wie vor mit solider Politik für Qualität. Deshalb wird es Sie auch nicht weiter wundern, dass wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Lösch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stärkung der frühkindlichen Bildung ist in der Tat ein Thema, das über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes mitentscheidet. Das wurde gestern auch angesprochen. Nur mit einer qualitativ guten, flächendeckenden Infrastruktur bei der Kleinkindbetreuung und bei der Kinderbetreuung wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer auch in Baden-Württemberg machbar sein.

Um Baden-Württemberg tatsächlich zum „Kinderland“ Nummer 1 zu machen, sind noch immense finanzielle Anstrengungen notwendig, um eine gut ausgebaute, fachlich gute Kinderbetreuung für alle Kinder in Baden-Württemberg zu bieten.

Ende Juni haben wir dieses Thema in einer Plenardebatte schon einmal diskutiert. Damals hat die Kollegin Wonnay vom „Dreiklang“ in der frühkindlichen Bildung gesprochen: mehr Plätze, bessere Qualität und Beitragsfreiheit.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr guter Klang!)

In der Tat haben wir in Baden-Württemberg noch zwei große Felder zu beackern: zum einen die Verbesserung der Rahmenbedingungen, um diese gute Qualität in den Kindergärten zu haben, und damit einhergehend den Ausbau der Ganztags angebote – da sind wir nämlich im Ländervergleich ganz schlecht –, und zum anderen den Ausbau des Angebots für die unter Dreijährigen.

Die inhaltlichen Punkte des Dreiklangs sind richtig; da gibt es Konsens. Aber keinen Konsens haben wir bei der Priorisierung dieser Punkte. In Anbetracht der finanziellen Belastungen des Landes, aber auch der Kommunen können wir nicht alles auf einmal machen. Da setzen wir als Grüne ganz klare Prioritäten. Erst kommen die Pflichtaufgaben, das heißt die Qualitätsverbesserungen in den Kindertageseinrichtungen, um den

Bildungsauftrag erfüllen zu können, und der Ausbau der Kleinkindbetreuung mit dem beabsichtigten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab 2013, und dann, für uns mittelfristig, die Beitragsfreiheit. Alles auf einmal ist nicht machbar.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Stefan Schef- fold CDU: Das sehen wir auch so!)

Das ist übrigens genau die Position, die unsere Partei vertritt: mittelfristig Kostenfreiheit anzustreben, beginnend jedoch mit dem ersten Kindergartenjahr. Im ersten Kindergartenjahr nämlich ist die Besucherquote ganz schlecht.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ja!)

Im dritten Kindergartenjahr liegt die Quote bei 97 %, aber im ersten Jahr liegt sie nur zwischen 50 und 60 %. Ich denke, wenn man da mit der Kostenfreiheit anfängt, ist dies ein Anreiz für noch mehr Eltern, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken.

Jetzt schauen wir uns einmal diese Qualitätsverbesserungen an, die noch ausstehen. Vorhin ist gesagt worden, die Weichen seien gestellt. Die Weichen sind vielleicht gestellt, aber nicht auf „to go“. Um den Orientierungsplan tatsächlich flächendeckend umzusetzen, brauchen wir in den Kindertageseinrichtungen andere Rahmenbedingungen. Wir brauchen dann andere Gruppengrößen, wir brauchen einen anderen Betreuungsschlüssel. Der Gemeindetag hat dies schon einmal ausgerechnet und 80 Millionen € dafür angesetzt, dass der Orientierungsplan mitsamt der Sprachförderung entsprechend umgesetzt werden kann.

Zum Betreuungsschlüssel: Das EU-Netzwerk sagt, dass wir mit unserem Betreuungsschlüssel von 1,5 Erzieherinnen pro Gruppe den frühkindlichen Bildungsauftrag nicht umsetzen können. Anzustreben sind zwei Erzieher bzw. Erzieherinnen pro Gruppe. Wenn wir diesen höheren Schlüssel anwenden wollen, fehlen in Baden-Württemberg 10 000 Erzieherinnen. Das kostet also richtig viel Geld. Dieses Geld muss erst einmal in die Qualität gesteckt werden.

(Beifall bei den Grünen)

Im Übrigen sind sich auch alle Expertinnen und Experten darin einig, dass ein schneller Ausbau bei den Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren erheblich zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

und übrigens auch zur Vermeidung von Kinderarmut.

(Abg. Andrea Krueger CDU: So ist es!)

Der Kindergarten ist nicht nur eine Bildungseinrichtung, sondern hat auch einen pädagogischen Auftrag, nämlich u. a. die Umsetzung von § 8 des Kinderschutzgesetzes: Schutz vor Kindesvernachlässigung.

Deshalb ist für uns der Einstieg in den beitragsfreien Kindergarten ein mittelfristiges Ziel, das erst dann anzustreben ist, wenn das Land seine Hausaufgaben erfüllt hat und in Quali

tät und in Ausbau investiert hat. Dasselbe gilt übrigens für die Kindergartenpflicht.

Der Ministerpräsident ist durch das Land gereist oder reist immer noch durch das Land

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Nein, nein! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er ist nicht im Urlaub! – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

und hat sein Lieblingsprojekt „Kindergartenpflicht“ vorgestellt. In der Plenardebatte vor acht Wochen haben wir gehört, dass im Augenblick geprüft wird, ob es verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist, ein Kindergartenpflichtjahr einzuführen. Mich würde schon einmal interessieren, wie diese verfassungsrechtlichen Prüfungen ausgegangen sind

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

und ob Ihr Ministerpräsident weiß, dass es hinsichtlich eines Kindergartenpflichtjahrs verfassungsrechtliche Schwierigkeiten gibt. Es wäre gut, wenn Sie ihm das sagen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das weiß er schon! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Genau! Das Projekt informiert den Ministerpräsidenten! – Abg. Ute Vogt SPD: Das nützt nichts!)

Das nützt wahrscheinlich nichts, ja.

Es gibt übrigens auch vonseiten der kommunalen Landesverbände nicht an erster Stelle die Forderung nach Beitragsfreiheit. Die Forderungen der kommunalen Landesverbände gehen in die Richtung von mehr quantitativen und qualitativen Verbesserungen. Das hat erst einmal Vorrang vor der Beitragsfreiheit. Qualität hat auch für uns Vorrang. Wir haben Verständnis für den Antrag der SPD, werden dem Antrag aber nicht zustimmen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das reicht nicht, Ver- ständnis zu haben! Das ist zu wenig! Dafür kann man sich nichts kaufen! – Gegenruf des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU)

Deswegen sage ich „Verständnis“. Wir werden dem also nicht zustimmen, lieber Kollege Schmiedel. Priorisierung heißt, dass man eins nach dem anderen macht. Für uns geht es zuerst um Qualität, bevor es um Beitragsfreiheit gehen kann.

(Abg. Ute Vogt SPD: Aktiver Einsatz! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Bei den Familien geht es knapp zu! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Die Beitragsfreiheit würde nicht dazu führen, dass alle Kinder auf einmal in den Kindergarten kommen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es, Frau Lösch!)

Da hat die Kollegin vorhin schon das Richtige gesagt: 97 % aller Kinder im Kindergartenalter besuchen jetzt den Kindergarten.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Dann und wann!)

Ich will einen guten Kindergarten. Ich will Ganztagsangebote. Und dann erst will ich einen beitragsfreien Kindergarten.