Die Leitlinie der Politik muss deswegen sein, die Standorte der Landesbanken nach Funktionen zu bündeln, strukturell zusammenzuführen und die Landesbanken auf tragfähige Geschäftsfelder zu beschränken, die dem öffentlichen Auftrag entsprechen und in der Realwirtschaft fußen. Die Politik muss aus dem operativen Geschäft der Standorte heraus, um sich in der von uns vorgeschlagenen Holding um die langfristige Orientierung, also um Nachhaltigkeit, zu kümmern. Das kommt aber nicht von allein, Herr Ministerpräsident, sondern verlangt politische Entschlossenheit zu einem Neuanfang jenseits der Kirchturmpolitik. Das Zögern muss ein Ende haben. Jetzt ist Zupacken angesagt.
Meine Damen und Herren, so wie uns die dramatische Finanzkrise zeigt, dass die Finanzmärkte ohne klare Regeln nicht nachhaltig sind, so ist es auch mit der Realwirtschaft, wenn sie sich nicht innerhalb klarer ökologischer Rahmenbedingungen bewegt.
Auch die Realwirtschaft wird mit gewaltigen sozialen und ökologischen Schäden abstürzen, wenn sie durch Raubbau auf Kosten unserer natürlichen Lebensgrundlagen wächst, wenn sie Klima- und Ökosysteme beschädigt statt nachhaltig erhält und wenn sie die Regeln der Nachhaltigkeit nicht beachtet.
Lassen Sie mich deswegen mit dem Blickpunkt auf „Nachhaltigkeit 2020“ etwas zum Thema „Langfristige Industriepolitik“ sagen, Herr Oettinger, das heißt in Baden-Württemberg, zum Thema „Automobil und Mobilität“.
Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat in der letzten Woche einen langfristigen Zielwert für den CO2-Ausstoß von 95 bis 110 g pro Kilometer bis zum Jahr 2020 beschlossen. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen sollen bis zum Jahr 2012 durch technische Verbesserungen auf 130 g pro Kilometer reduziert werden. Das haben Sie, Herr Minis terpräsident Oettinger, bis nach Bulgarien hinein bekämpft.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das müssen Sie erklären! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)
Konkrete Maßnahmen gibt es jetzt in Frankreich in Form einer Zulassungssteuer mit einem Bonus/Malus-System: Wer einen Wagen mit einem CO2-Ausstoß von über 200 g pro Kilometer anmeldet, muss 1 600 € Zulassungssteuer bezahlen, bei einem CO2-Ausstoß von über 250 g pro Kilometer sind es 2 600 €. Bei einem CO2-Ausstoß von 130 g pro Kilometer und weniger gibt es einen Bonus von 200 €. So etwas hätten wir von Ihnen, Herr Ministerpräsident, erwartet.
Sie waren bei Ihrer Regierungserklärung genau auf diesem Kurs. Sie haben damals im Jahr 2006 gesagt: „Unsere Autos verbrauchen zu viel Sprit. Das können wir uns als Exportland nicht leisten.“
Ein Jahr später sind Sie mit dieser Formulierung vor der Autolobby eingeknickt. Bei den Haushaltsberatungen im Februar 2007 haben Sie im Plenum erklärt:
Ich glaube, wer so Industriepolitik macht, sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Es ist doch klar: Wer im Jahr 2020 noch zu den führenden Automobilstandorten gehören will, wer die Arbeitsplätze in Untertürkheim nicht gefährden will, der muss Autos anbieten, die der internationalen Nachhaltigkeitsorientierung entsprechen, die das Europäische Parlament jetzt gegeben hat. Alles andere ist keine Win-win-Strategie für den Geldbeutel der Bürger und für das Klima, sondern eine Loselose-Strategie, eine Verluststrategie in ökologischer u n d ökonomischer Hinsicht. Das ist genau das, was Sie uns vor einem Jahr vorgebetet haben.
Herr Kollege Mappus, beschäftigen Sie sich also lieber einmal mit dem Zickzackkurs Ihres eigenen Ministerpräsidenten. Das wäre eigentlich angebracht. Schließlich gehören Sie zum Parlament und sollen die Regierung kontrollieren.
Jetzt fragt man sich natürlich: Warum kriegt Oettinger in dieser Frage keine klare Linie hin? Das liegt offenbar daran, dass er auch für Baden-Württemberg keine Idee nachhaltiger Mobilität hat. Anders ist nicht zu erklären, dass Sie an einem Projekt festhalten, dessen Mobilitätsnutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten steht; dieses Verhältnis ist grottenschlecht. Ich spreche von Stuttgart 21, das nach Ihren eigenen Zahlen – nicht nach unseren – für über 3 Milliarden € gebaut wird. Sie wollen also die Mobilität vergraben.
Offenbar hat selbst das Bundesverkehrsministerium erkannt – Herr Mappus, Sie haben das ja gerade beklagt –, wie schlecht die Kosten-Nutzen-Relation ist und welche enormen Kostenrisiken noch kommen, und hat die Verpflichtungsermächtigungen dafür deshalb erst einmal gar nicht in den Haushalt aufgenommen.
Jetzt war es so, Herr Ministerpräsident: Mit der Veröffentlichung der Vieregg-Rößler-Studie zu den Baukosten sind Sie und die Befürworter von Stuttgart 21 massiv in die Defensive geraten. Denn Vieregg-Rößler haben nach Auswertung der Planfeststellungsunterlagen und unter Ansatz vergleichbarer Projekte festgestellt, dass die geplanten Baukosten nicht bei 2,8 Milliarden € liegen, sondern sie haben mindestens 4,99 Milliarden € errechnet mit Baukostenrisiken, die bis zu 6,9 Milliarden € reichen.
Was haben Sie versucht? Sie haben versucht, die Gutachter in Misskredit zu bringen, was Ihnen allerdings nicht gelungen ist. Denn die konkreten Vorwürfe, die Sie erhoben hatten – sie hätten die Mehrwertsteuer nicht mit einbezogen –, konnten schnell widerlegt werden.
Natürlich kam für Sie erschwerend hinzu, dass ein ähnliches Gutachten von Vieregg-Rößler über das Transrapidprojekt in München mit den gleichen Argumenten wie Ihren – nur Polemik – von der Bayerischen Staatsregierung verrissen wurde,
und nur wenige Monate später musste sie auf dieses Transrapidprojekt mit Verweis auf die massiv gestiegenen Baukosten verzichten. Vieregg-Rößler hatten bei ihrer Baukostenschätzung mit einfachen Mitteln die tatsächlich zu erwartenden Kos ten nahezu perfekt getroffen. Das Projekt ging zu Boden, und kurze Zeit später die CSU mit ihm.
Immerhin mussten Sie dann in einer Sondersitzung des Kabinetts im Sommer zugeben, dass die genannten Baukosten von 2,8 Milliarden € dem Preisstand von 2004 entsprechen und seitdem nicht fortgeschrieben wurden.
Ein Wert wurde nicht genannt. Am 19. August räumten Sie dann einen inflationsbereinigten Betrag von 3,076 Milliarden € ein. Sie berücksichtigten dabei nach eigenen Angaben eine Preissteigerungsrate von 1,5 %. Das ist völlig unrealistisch, weil vergleichbare Projekte Kostensteigerungen von 50 % aufgewiesen haben.
Herr Schmiedel, ich frage einmal Sie: Wann wollen Sie eigentlich aussteigen? Wo ist Ihre Schmerzgrenze bei den Kos ten?
Liegt sie bei 3,5, bei 4 oder bei 4,5 Milliarden €? Mich würde wirklich interessieren, ob Sie es in Bezug auf die Sturheit mit dem Ministerpräsidenten aufnehmen wollen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Lachen der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Peter Hofelich SPD: Das ist eine Stilfrage! – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)
Wenn die Berechnungen des Gutachters nicht stimmen sollen, warum lag dann nicht innerhalb von drei Tagen ein schriftliches Papier von der Bahn oder der Landesregierung vor, das Punkt für Punkt widerlegt hätte, dass die Angaben in dem Gutachten falsch sind?
Völlige Fehlanzeige! Führen Sie endlich einen Dialog auch mit denen, die Ihnen in der Sache widersprechen, und schütteln Sie nicht nur Hände auf Heckenbeerenfesten.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Stefan Mappus CDU: Das ging doch schon einmal nach hin- ten los, Herr Kretschmann! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da trifft man den Bürger, Herr Kretsch- mann!)
Führen Sie endlich einen Dialog mit denen, die Ihnen auch in der Sache hart widersprechen, und reden Sie nicht nur mit den Jasagern, mit der Koalition der Willigen, die Sie landauf, landab eingesammelt haben, als ginge es um ein Benefizkonzert, bei dem natürlich jeder gern unterschreibt, ohne zu rechnen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Weil es Sinn macht! Weil das Land es braucht! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)