Protocol of the Session on October 1, 2008

Weil Sie kein nachhaltiges Mobilitätskonzept für Baden-Würt temberg haben.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Damit Herr Oelmay er schneller wegkommt aus Ulm!)

So ist es auch in einem ganz anderen Bereich der Wirtschaft. Ich bin der Überzeugung, dass wir ebenso wie eine Balance zwischen Markt und Politik für eine nachhaltige Ökonomie auch eine Balance zwischen globalisierter Wirtschaft und Regionalwirtschaft brauchen. Klar ist: Wir müssen international wettbewerbsfähig sein. Aber gleichzeitig gewinnen die Regionen an Stellenwert. Ich nenne als Beispiel: gesunde Ernährung. Die Menschen wollen wissen, was sie essen, wie es produziert wird,

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

unter welchen Bedingungen, unter welchen Umweltbedingungen, ob daran Kinderarbeit hängt, ob da Tiere gequält werden oder ob artgerechte Tierhaltung dahintersteckt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist in unserem Land alles geregelt!)

Das sind alles wichtige Entscheidungen, die die Menschen treffen. Hier hat die Landesregierung ganz eindeutig eine frühzeitige strategische Orientierung in Richtung Biolandbau verschlafen.

(Abg. Jörg Döpper CDU: Biolandbau! So ein Quatsch! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Heute sind wir bei Weitem nicht mehr in der Lage, die Nachfrage nach Produkten des Biolandbaus aus eigener Produktion zu decken. Kein Wunder: Wenn eine Landesregierung erst jahrelang dagegen redet und dann den Biolandbau in die Nische verbannen will, dann haben wir am Schluss natürlich zu wenig Bauern, die umstellen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zu wenig Leute, die das bezahlen können!)

Deswegen, Herr Ministerpräsident: Eine Strategie der Nachhaltigkeit braucht Weitsicht und politischen Mut,

(Zuruf des Abg. Jörg Döpper CDU)

braucht Klasse statt Masse. Sie braucht einen Verbraucherschutz, der das auch unterstützt. Man darf aber nicht, wie wir es heute wieder in der Zeitung lesen können und wie wir es in Stuttgart leider erleben müssen, den Verbraucherschutz und die Lebensmittelkontrollen weiter zurückfahren.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nicht nur die Biolandwirtschaft produziert ge- sund, auch die konventionelle produziert gesund!)

Herr Röhm, das in Ihrer Koalitionsvereinbarung angekündigte Konzept der Verzahnung von Landwirtschaft und Naturschutz existiert überhaupt nicht.

Zu einer Strategie für ein gentechnikfreies Baden-Württemberg kann sich die Landesregierung nicht durchringen. Ihr Landwirtschaftsminister eiert da genauso herum wie Seehofer, der gesagt hat: „In Bayern Gentechnik nein, aber sonst ist sie eigentlich ganz gut.“ Das ist genau das, was Sie hier auch machen:

(Beifall bei den Grünen)

Einmal reden Sie dagegen, lassen aber selbst Versuche auf landeseigenen Äckern, die der Förderung der Gentechnik dienen, zu. Das sind die merkwürdigen Botschaften, die Sie in einer Situation streuen, in der die Leute gentechnisch veränderte Lebensmittel überhaupt nicht wollen.

Den Erhalt unserer vielfältigen Kulturlandschaft erreichen wir nur durch deutliche Bevorzugung der Förderung regionaler Wirtschaftsketten. Das Thema Cluster ist nicht nur ein Thema für Hightech, es ist auch ein Thema für den ländlichen Raum.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt!)

Der Dreiklang Naturschutz, Landwirtschaft und Tourismus ist eines der nachhaltigen Standbeine für eine Politik des ländlichen Raums in Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau das machen wir! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die wissen gar nicht, wie das geht!)

Herr Ministerpräsident, dazu würde eigentlich eine Politik gut passen: Bei der Aussage „Flächenverbrauch netto null“ in Ihrer Regierungserklärung am Beginn dieser Legislaturperiode bin selbst ich als alter Realo zusammengezuckt. Denn nicht einmal ich hätte mich getraut, „netto null“ in unser Programm zu schreiben.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist aber doch Feigheit vor dem Feind!)

Das ist eine Aussage, die uns überrascht hat. Aber es war eben eine politische „Nullemission“,

(Beifall bei den Grünen)

aus der nichts folgte: keine Instrumente. Weder sind Sie dem gefolgt, was Ihnen der Nachhaltigkeitsbeirat vorgeschlagen hat, noch haben Sie etwas im Landesplanungsgesetz gemacht, um diese Aussage umzusetzen. Noch immer werden 10 ha Land täglich versiegelt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: 15!)

Eine Fläche von 15 Fußballfeldern wird plattgemacht, so platt wie die Glaubwürdigkeit des Ministerpräsidenten in dieser Frage.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich will noch ein weiteres Thema der industriepolitischen Nachhaltigkeit ansprechen, ein Thema, bei dem die Landespolitik noch viel direkter in der Pflicht ist als beim Auto.

Preisfrage: Was hat die Sprachförderung im Kindergarten mit dem Thema Fachkräftemangel zu tun? Antwort: Unsere Kindergartenkinder von heute sind unsere Fachkräfte von morgen – unter der Voraussetzung, dass sie Bildungsabschlüsse schaffen und die wachsenden Anforderungen der Berufsausbildung bewältigen.

(Zuruf von der CDU: Völlig richtig!)

Sprache ist der Schlüssel zur Bildung.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

51 % der Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch 22 % der Kinder aus teutonischen Stämmen wie Bajuwaren, Schwaben, Badener usw. haben im Alter von vier Jahren klare Sprach defizite. Das ist bekannt.

(Zuruf von der CDU: Woran liegt es?)

Aber statt mehr Schnelltests brauchen wir ein nachhaltiges Förderkonzept von Anfang an. Dazu ist der Orientierungsplan da. Er muss nur mit der entsprechenden Finanzierung umgesetzt werden, Herr Ministerpräsident.

In Baden-Württemberg fehlen bis zum Jahr 2030 nach heutigen Prognosen schätzungsweise 300 000 Facharbeiter. Dies ist ein riesiges Problem für die Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftsstandorts. Und weil Sprachförderung das Thema eines langes Horizonts ist, darf man sie eben nicht mit der befris teten Förderung durch die Landesstiftung finanzieren. Vielmehr muss dieses Thema über den Landeshaushalt, das heißt, nachhaltig, seriös und bedarfsgerecht finanziert werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wieso Sie ausgerechnet dieses wichtige Feld über solch einen windigen Nebenweg finanzieren wollen, was Sie ja bei der Einstellung zusätzlicher Lehrer an Gymnasien auch nicht machen, bleibt nun wirklich Ihr Geheimnis. Darauf wären Sie einmal eine Antwort schuldig.

Herr Ministerpräsident, Sie weisen auf gute Noten von Baden-Württemberg im Bildungsmonitor hin, aber Sie picken natürlich immer nur die Rosinen aus den Meldungen. Dort findet sich auch die Aussage, das Handlungsfeld „Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund oder aus einkommensschwachen Familien“ sei der Schwachpunkt Baden-Württembergs. Fast ein Drittel der jungen Menschen unter 18 Jahren in Baden-Württemberg haben einen Migrationshintergrund. Mit Blickpunkt auf „Qualifikation 2020“ ist das eine der entscheidenden Zielgruppen. 36 % der Bürgerinnen und Bürger zwischen 30 und 35 Jahren mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Wer von der Facharbeiterlücke spricht, muss diese Potenziale aktivieren. Bei der Landesregierung Fehlanzeige. Sie kürzt die Weiterbildungsposten im Haushalt laufend.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Die Alternative zu einer ausreichenden Qualifizierung ist jedoch Arbeitslosigkeit mit hohen Kosten für die öffentliche Hand.

Damit komme ich zum zentralen Thema, dem Thema Schule. Herr Ministerpräsident, machen Sie Bildungspolitik endlich zur Chefsache, aber in der richtigen Richtung! Geben Sie einmal eine Richtung vor, schalten Sie einmal von Defensive auf Offensive, geben Sie einfach einmal die Abwehrposition, in der Sie und die ganze CDU-Fraktion sich eingemauert haben, auf, und gehen Sie den Weg der Öffnung – ich sage: der Öffnung – des dreigliedrigen Schulsystems!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das werden Sie allerdings nur machen, wenn Sie endlich auch einmal Ihre sozialen Antennen ausfahren und wenn Ihnen klar

wird, dass in Zukunft nichts so stark das soziale Gesicht unserer Gesellschaft bestimmen wird wie Bildung und dass das Skandalöse am baden-württembergischen Schulsystem darin besteht, dass es sozial ungerecht ist und der Bildungsweg so stark wie kaum woanders davon abhängig ist, aus welchem Elternhaus und aus welchen ökonomischen Verhältnissen man kommt. Das ist ein klarer Verstoß gegen unsere Verfassung, und dafür müssen Sie sich endlich einmal sensibilisieren. Vorher werden Sie nämlich stur bleiben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der Weg ist ganz einfach: Lassen Sie dort, wo die Schulgemeinschaft, der Schulträger dies wünscht, solche neuen Schulmodelle zu, Schulen des längeren gemeinsamen Lernens, Schulen, in denen man einen mittleren Bildungsabschluss machen kann, Schulen, die getragen sind von Schulleitung, Lehrerschaft, Eltern, Bürgermeistern, der lokalen Bürgergesellschaft und der Wirtschaft.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Machen wir doch!)