(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Was ist denn nun mit dem Land? Sagen Sie doch einmal etwas zum Land! – Weitere Zurufe, u. a. des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE – Unruhe)
Der Ministerpräsident hat einen, wie ich meine, für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ganz entscheidenden Punkt angesprochen und hat etwas zu dem gesagt, was die meisten Bürger im Moment bewegt, was den Mittelstand bewegt, was die Bezieher von mittleren Einkommen bewegt. Das ist etwas, das aus meiner Sicht der Dinge – das sage ich ganz offen – auch die CDU in Berlin etwas mehr bewegen sollte, nämlich die Frage, was denn der Bürger, der tagtäglich arbeitet, am Ende eines Arbeitstags in seinem Geldbeutel vorfindet.
Ich glaube, dass ein großer Teil des Frustes in diesem Land daraus resultiert, dass wir einerseits zu viel über die Reichen und über die Hartz-IV-Empfänger,
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU: Bravo! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Und jetzt? – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Jetzt sind wir gespannt, wie Sie da die Kurve krie- gen! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Gut situiert, in bürgerlichen Verhältnissen!)
Sie werden nachher – zu Recht – anmerken, dass in Berlin ja die Große Koalition regiert; das ist richtig. – Noch schlimmer ist aber, dass diejenigen, die sich zur Mittelschicht zählen, in ihrem Geldbeutel, obwohl sie arbeiten, Jahr für Jahr weniger haben.
Wenn bei Elektroinstallateuren in Deutschland nach einer Einkommenserhöhung um 4 % der Steuersatz daraufhin in der Progression um durchschnittlich 22 % steigt, stimmt im Sys tem irgendetwas nicht mehr. Hier zu handeln ist Aufgabe der Bundesregierung in Berlin; in Ordnung.
Eine der entscheidenden Fragen ist natürlich: Wie entwickeln sich die Preise auf den Energiemärkten, und wie entwickeln sich die Energiepreise in Baden-Württemberg?
Meine Damen und Herren, ich bin kein Kernkraftfetischist, und ich habe Respekt vor den Menschen, die mittelfristig aus der Kernkraft aussteigen wollen. In Ordnung. Aber wer sich hier hinstellt und sagt: „Wir wollen keine Kernkraftwerke, wir wollen keine Kohlekraftwerke, der Strom kommt aus der Steckdose, und für den Preis ist die Landesregierung zuständig“, der handelt unsolide. Genau das ist Ihre Position: Sie sind gegen alles und für nichts, lieber Herr Kretschmann.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe der Abg. Franz Untersteller und Bärbl Mielich GRÜ- NE)
Sie sind gegen den Ausbau von Straßen, aber Sie sind komischerweise auch gegen den Ausbau von Schienen. Sie richten sich in Ihrem träumerischen Wolkenkuckucksheim redlich ein; Sie sind gegen alles und für nichts – nach dem Motto von Pippi Langstrumpf: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Das ist keine Politik für den Wirtschaftsstandort Nummer 1 der Bundesrepublik Deutschland, Herr Kretschmann.
Deshalb: Diese Koalition hat dieses Land in den letzten zweieinhalb Jahren gut und erfolgreich regiert. Wir wollen möglichst viel mit den Menschen in Kontakt sein. Wir wollen ihre Stimmungen aufnehmen. Wir wollen auch den Weg in die Zukunft weisen, aber wir wollen vor allem – siehe Bildungspolitik und anderes mehr –, dass das, was die Bürger als wichtig empfinden, politisch umgesetzt wird. Deshalb werden wir unsere Arbeit fortsetzen im Interesse eines starken, eines dynamischen und eines lebenswerten Baden-Württembergs und seiner Bürger.
Der Ministerpräsident hat die Ziele und die Richtung unserer Politik heute überzeugend präsentiert. Wir werden ihn weiterhin voll und ganz unterstützen, zum Wohle des Landes Baden-Württemberg.
(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Bravo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das war eine Rede aus einem Guss!)
Herr Präsident! Für alle, die schlecht geschlafen haben und sich nicht mehr so gut konzentrieren können, fasse ich meine Rede in einem Satz zusammen:
(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Stefan Mappus CDU: Bravo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ihnen hören wir gern zu!)
Meine Damen und Herren, wir haben alle in den letzten Wochen erlebt, wie die Finanzmärkte zu Boden gegangen sind und ein Trümmerfeld mit einem Schaden von 2 000 Milliarden € hinterlassen haben. Das entspricht – das muss man sich einmal vorstellen – der Größe des deutschen Bruttosozialprodukts. Die Arbeit eines Jahres von 80 Millionen Menschen wurde durch kurzfristige und maßlose Profitgier und Verantwortungslosigkeit zerstört – ein unvorstellbarer Schaden, nicht verursacht von Terroristen, sondern von feinen Herren in Nadelstreifen.
Wir spüren es schmerzhaft, nicht nur in den direkten Verlusten, sondern auch in den Auswirkungen auf die Investitionen und die Beschäftigung. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stürzte letzte Woche ab, wir stehen vielleicht vor einer rezessiven Entwicklung.
Jetzt sollte jedem klar sein, dass die Nachhaltigkeit der Finanzmärkte mehr Politik braucht und nicht weniger. Die Finanzmarktkrise – dies sei besonders an die Adresse der FDP gesagt – hat den Neoliberalismus unter sich begraben.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr richtig! – Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP: Jetzt aber!)
Es geht darum, die Finanzmärkte so zu regulieren, dass sie wieder der realen Wirtschaft dienen und nicht der grenzenlosen Spekulation.
Es geht darum, mit den Instrumenten der Finanzierung Arbeitsplätze und reale Wertschöpfung zu ermöglichen. Nur wenn die Finanzmärkte wieder in die reale Welt zurückkehren, werden sie auch eine nachhaltige Entwicklung nehmen können.
Ich will nochmals klar sagen: Wir Grünen sind keine Gegner der Marktwirtschaft. Wir sind aber der Auffassung, dass der Markt Leistung und nicht Spekulation belohnen und dabei den Menschen und dem Gemeinwohl dienen soll.
Dies erreichen wir nicht durch den Rückzug der Politik, wie es die Marktradikalen wollen. Dies erreichen wir durch eine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Nachhaltigkeit, die sich langfristig orientiert, und durch klare und wirksame Regeln, die die Politik dem Markt setzt.
Warum sind einige öffentlich-rechtliche Banken vor die Wand gefahren? Warum haben alle Landesbanken, auch unsere, immense Verluste aus dem Subprime-Crash? Die Verluste und offenen Bürgschaften der Landesbanken summieren sich inzwischen auf mehr als 20 Milliarden €. Das hat erst einmal gar nichts damit zu tun, dass es sich um öffentlich-rechtliche Banken handelt. Die Schweizer UBS, Lehman Brothers, die Hypo Real Estate und andere sind alles andere als Staatsbanken. Allerdings rufen jetzt die privaten Banken gern nach dem Staat, wenn es um Verluste und Risiken geht. Der Bund bürgt mit gut 30 Milliarden € für die Hypo Real Estate, eine Größenordnung, die unserem gesamten Landeshaushalt entspricht. Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste ist kein linker Spruch mehr, sondern leider unübersehbare Realität.
Dass einige Landesbanken in die Finanzkrise hineingezogen worden sind, hat sehr viel mit dem Versagen der Eigentümer, sprich einiger Landespolitiker, zu tun. Die meisten Landesbanken hatten nach dem Ende der Staatshaftung nämlich kein nachhaltiges Geschäftskonzept mehr, und die Politik als Träger, als Eigentümer – nicht die Politik als Staat – hat es versäumt, die Landschaft der öffentlich-rechtlichen Banken neu aufzustellen. Und sie versagt immer noch. Immer noch regiert die Kirchturmpolitik. Diese Abneigung gegen eine Bündelung der Landesbanken hat den Steuerzahler Milliarden gekostet, und jeden Tag werden es mehr.
Die Leitlinie der Politik muss deswegen sein, die Standorte der Landesbanken nach Funktionen zu bündeln, strukturell zusammenzuführen und die Landesbanken auf tragfähige Geschäftsfelder zu beschränken, die dem öffentlichen Auftrag entsprechen und in der Realwirtschaft fußen. Die Politik muss aus dem operativen Geschäft der Standorte heraus, um sich in der von uns vorgeschlagenen Holding um die langfristige Orientierung, also um Nachhaltigkeit, zu kümmern. Das kommt aber nicht von allein, Herr Ministerpräsident, sondern verlangt politische Entschlossenheit zu einem Neuanfang jenseits der Kirchturmpolitik. Das Zögern muss ein Ende haben. Jetzt ist Zupacken angesagt.