Protocol of the Session on June 5, 2008

Sie haben die Lage richtig geschildert. Die Verbraucher ärgern sich über diese sogenannten Cold Calls. Ihnen bleibt bislang nur die Möglichkeit, zivilrechtlich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Anrufer geltend zu machen. Das ist mit erheblichem Aufwand verbunden, und sie müssen selbst tätig werden. Das ist jedoch deshalb schwierig – Sie haben es gesagt –, weil die Anrufer bisher ihre Telefonnummern unterdrückt haben – was rechtswidrig war. Anrufer dürfen am Telefon nur dann Verträge abschließen, wenn sich die Angerufenen vorher damit einverstanden erklärt haben, angerufen zu werden. Das ist die Rechtslage.

Seit Langem gibt es parteiübergreifend Bemühungen, diesen Missbrauch abzustellen. Nun gibt es seit einer Woche, seit Ende Mai, einen parteiübergreifenden Konsens, wie man dem begegnen will. Sie haben es richtig gesagt: Bei Werbeanrufen darf die Telefonnummer künftig nicht mehr unterdrückt werden. Das ist wohl das Wichtigste, weil dies dem Angerufenen die Möglichkeit gibt, den Anrufer zu identifizieren. Vorgesehen ist ein Bußgeld von 50 000 €, und es wird klarstellend erneut darauf hingewiesen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Werbeanrufen zuvor ausdrücklich zugestimmt haben müssen.

Nun brüsten Sie sich, das alles sei noch nicht genug.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Genau!)

Jetzt hören Sie genau zu, was man jetzt tun will. Ich weiß, die CDU will seit Langem – und wir wollten das auch –, dass Verträge, die am Telefon abgeschlossen werden, anschließend schriftlich bestätigt werden müssen. Das brauchen Sie nicht in der zweiten Runde zu erzählen; das wissen wir alle.

(Heiterkeit bei der SPD und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Jetzt ist die ganze Stra- tegie hin!)

Nun haben wir einen Dissens zwischen Verbraucherschützern und Justizvertretern. Auch Justizministerin Zypries hat sich dagegen gewandt, genauso im Übrigen auch die CDU-Länderminister der Justiz. Es wundert mich schon, dass Sie, wenn

Sie sich dann in der zweiten Runde hier hinstellen wollen, Ihre eigenen Justizminister nicht von Ihrer Initiative überzeugen konnten.

Warum lehnen die Justizminister das ab? Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es den Grundsatz der Formfreiheit bei Abschluss von Verträgen. Wollte man dies ändern, würde man das ganze Rechtssystem im Handel auf den Kopf stellen. Wie sollte man unlauteren von lauterem Telefonhandel trennen? Es ist ja nicht so, dass Handel über Telefon überhaupt nicht oder nur unlauter stattfände, sondern er ist üblich. Auch gilt ein mündlich abgeschlossener Kaufvertrag als bindend. Soll das künftig jetzt alles schriftlich erfolgen?

In dem neuen Übereinkommen, das jetzt in Gesetzesform gegossen wird, begegnet man diesem Problem der unlauteren Kaufabschlüsse mit einer Ausweitung des Widerrufsrechts. Bei Zeitschriftenabonnements, Wett- und Lotteriedienstleis tungen sowie telefonisch abgeschlossenen Verträgen wird ein Widerrufsrecht neu eingeführt.

Im Falle eines Anbieterwechsels, z. B. bei Telekommunikation oder Energie, ist die Textform mit Verbraucherunterschrift für die Kündigung des alten Vertrags notwendig. Der neue Anbieter muss dem alten Anbieter eine Kündigung vorlegen, bevor z. B. ein Telefonanschluss auf einen neuen Anbieter umgestellt werden kann. Damit wird das unbemerkte Unterschieben von Verträgen quasi unmöglich.

Im Falle einer bloßen Vertragsänderung, z. B. bei Tarifwechsel, und bei gänzlich neuen Verträgen erhalten die Verbraucherinnen und Verbraucher zukünftig ein umfassendes Widerrufsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch. Danach müssen die Anbieter die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Vertragskonditionen und die Widerrufsmöglichkeit schriftlich aufklären.

Bei Widerruf wird der Vertrag grundsätzlich rückwirkend aufgelöst. Erhalten die Verbraucherinnen und Verbraucher keine Widerrufsbelehrung, gilt das Widerrufsrecht zeitlich unbeschränkt. Ansonsten steht ihnen dieses Recht zwei bzw. vier Wochen lang zu.

Die Beweislast für den Zugang der Widerrufsbelehrung trägt der Anbieter. Auch insofern sind die Verbraucher künftig entlastet. Bei fristgerechtem Widerruf müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher für die bis dahin geleistete Dienstleis tung nicht zahlen. Zahlungspflicht entsteht nur dann, wenn sie zuvor auf diese Rechtslage hingewiesen wurden und einer Ausführung der Dienstleistung vor Ende der Widerrufsfrist ausdrücklich zugestimmt haben. Die Beweislast auch dafür trägt das Unternehmen. Wir haben also eine Beweislastumkehr.

Dieses umfassende Widerrufsrecht ist, so denken wir, für die Verbraucher genauso praktikabel wie Ihre Forderung, im Anschluss an einen telefonischen Abschluss alles schriftlich zu fixieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe noch Herrn Minister Hauk im Ohr, der gestern sagte: Unsere Verbraucher sind mündig; sie werden das begreifen; und selbst jene, die das nicht begreifen, werden wir „mitnehmen“ – das war sozusagen der gestrige O-Ton.

Ich kann übrigens auch verstehen, dass diese Debatte von ges tern auf heute verlegt wurde. Denn Herr Hauk hielt es nicht mehr für so wichtig, jetzt selbst Stellung zu nehmen, weil die Schlacht, wie gesagt, geschlagen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Pix.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Leere des Plenarsaals lässt leider tief blicken. Das Interesse scheint nicht allzu groß zu sein.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Qualität vor Quantität!)

Woran das wohl liegen mag, darüber kann man natürlich trefflich rätseln. Auch meine Fraktion und ich kamen ins Grübeln, warum die CDU ausgerechnet dieses Thema für eine Aktuelle Debatte ausgewählt hat, zumal es sich um ein bundespolitisches Thema handelt und, wie Kollegin Kipfer schon gesagt hat, eigentlich nur noch die Dissenslosigkeit festzustellen ist. Man fragt sich natürlich schon: Was soll das Ganze?

Um das besser zu verstehen, muss man in die Tiefen der Politik eindringen. Dann kommt man ziemlich schnell auf die Idee: Vielleicht hat sich die CDU vorgestellt, damit ihrem Verbraucherschutz- und Agrarminister etwas Gutes zu tun, der ja in den letzten Jahren nicht immer unbedingt durch besondere Qualifikationen aufgefallen ist. Ich möchte auf die aktuellen agrarpolitischen Themen verweisen, die er auch mitzuverantworten hat. Eines davon hat uns gestern in einer Aktuellen Debatte beschäftigt, nämlich das Bienensterben. Es gibt zurzeit auch noch ein anderes großes agrarpolitisches Thema, das die Verbraucherinnen und Verbraucher genauso bewegt wie die Erzeuger, nämlich die Milchaffäre. Man kann jedes Mal feststellen, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg nicht unbedingt nur glänzt, und diese Debatte soll möglicherweise dazu dienen, sich diesen Glanz zurückzuholen – auch wenn man bisherigen Ratschlägen, gerade auch meiner Fraktion, nicht unbedingt gefolgt ist, etwa dem Rat, sich um das Problem der Internetabzocke zu bemühen, was ein mindestens genauso gravierendes Thema wäre.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Jetzt hat man endlich einmal etwas getan, nämlich das bisschen, was man hier tun kann. Allerdings hätte der Verbraucherschutzminister und Vorsitzende der Verbraucherschutzministerkonferenz viel mehr Möglichkeiten gehabt, bei diesem Problem einzugreifen, und zwar dadurch, dass er dem Bundesverbraucherschutzminister – der zugegebenermaßen nicht der CDU angehört –,

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

der bislang ebenfalls nicht durch besondere Aktivitäten geglänzt hat, ein bisschen auf die Sprünge hätte helfen können. Deswegen halte ich es für durchaus berechtigt, hier ein solch weitreichendes Thema zu behandeln.

Die Abwesenheit des Ministers allerdings kann ich mir nur dadurch erklären,

(Minister Ernst Pfister: Die Staatssekretärin ist da! Entschuldigung!)

dass er vielleicht einen noch wichtigeren Termin wahrnehmen muss. Immerhin hat er seine Staatssekretärin hierher geschickt, die natürlich die Interessen des Landes und die der Verbraucherinnen und der Verbraucher hier mitvertreten wird.

Frau Staatssekretärin, ich möchte Ihnen die Bitte mit auf den Weg geben, dem Herrn Minister auszurichten, dass sich die Fraktion GRÜNE außerordentlich stark über die Bundesratsinitiative freut, die er angestoßen hat, weil er damit ein Thema aufgegriffen hat, das auch uns sehr drängt. Wir finden großen Gefallen daran und hoffen auch, dass das zu den gewünschten Erfolgen führen wird. Die baden-württembergi schen Verbraucherinnen und Verbraucher fühlen sich nämlich nicht nur durch die rechtlich fragwürdigen Verträge belästigt, sondern empfinden diese in, so sage ich einmal, fast schon terroristischer Art und Weise vorgenommenen Anrufe als ausgesprochen starke Störung ihrer Privatsphäre.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist eigentlich das Hauptproblem. Das andere sind Nebenerscheinungen, die sich aber auch lösen lassen müssen. Über die hierzu gemachten unterschiedlichen Lösungsvorschläge können wir nachher noch reden.

Allerdings ist seit gestern ein neues Problem aufgetreten: Der Herr Minister hat in der Debatte über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln zu verstehen gegeben, dass sich die baden-württembergischen Verbraucherinnen und Verbraucher gerade dadurch auszeichnen, dass sie mit wesentlich mehr Intelligenz ausgestattet sind als der Rest der bundesrepublikanischen Bevölkerung. Hier tut sich ein kleiner Zwiespalt auf. Warum ist man dann der Meinung, dass sich baden-württembergische Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrer ureigenen Intelligenz nicht gegen solche Dinge wehren können? Hier scheint sich der Herr Minister einen Fauxpas erlaubt zu haben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wissen schon, wovon Sie reden?)

Er nutzt die Erkenntnis, dass es hier durchaus schützenswerte Interessen gibt, stellt sich nun schützend vor Verbraucherinnen und Verbraucher und hat damit – wie praktisch! – ein eigenes Korrektiv.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Haben Sie die Tagesordnung verwechselt?)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Chef.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, dass wir uns bei einer Aktuellen Debatte in diesem Haus kaum je so einig waren wie heute. Ich sehe das sehr positiv; denn das ist wirklich nicht immer so.

Die Einigkeit wird vor allem aus zwei Dingen ersichtlich. Ers tens: Wir sind uns in dem Ziel einig, die Verbraucher zu schützen. Zweitens: Wir sind mit dieser Gesetzesinitiative auf ei

nem guten Weg, die Verbraucher entsprechend vor diesen unlauteren Telefonwerbungen zu schützen.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Von welchen sprechen Sie denn?)

Verbraucherschutz ist nämlich Hilfe zur Selbsthilfe. Denn nur, wer Informationen hat und diese versteht, kann selbst kluge Entscheidungen treffen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Der mündige Verbraucher ist das Leitbild für die liberale Verbraucherpolitik in Baden-Württemberg. Wir, die FDP/DVPFraktion, wollen ihn zu einem gleichwertigen Marktpartner machen und vor allem die Schlagworte Fairness, Transparenz und – ganz wichtig – Vertrauen mit Leben erfüllen. Selbstbewusste Verbraucher können mit ihren Entscheidungen das Marktgeschehen und damit unsere Wirtschaftspolitik entsprechend beeinflussen.

Das coolste Handy mit einem blinkenden Display-Logo, den passenden Klingelton für 4,99 €, teure Turnschuhe, billige Fast-Food-Snacks und der Drang, dabei sein zu müssen – Kinder und Jugendliche stehen mehr denn je im Fokus der Wirtschaft.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Was hat das mit Telefon- werbung zu tun?)

Vermehrt kommt es in letzter Zeit zu Fällen, in denen nach einem unerwünschten Anruf den Angerufenen Waren und Dienstleistungen in Rechnung gestellt werden, die sie so nie bestellt haben. Vor allem Jugendliche, Bürger mit Migrationshintergrund und Senioren sind betroffen. Wie Kollege Kübler vorhin zutreffend sagte, hat sicherlich jeder von uns schon einmal negative Erfahrungen mit solchen Anrufen gemacht. Ich zähle mich selbst noch nicht zu den Seniorinnen, bin aber auch schon Leidtragende von solchen Anrufen gewesen.