Protocol of the Session on June 5, 2008

Zunächst einmal begrüße ich, dass Sie die Anfrage gestellt haben, zeigt das doch, dass das Hohe Haus Interesse an diesem Thema hat. Das spiegelt auch wider, dass die Bevölkerung Verständnis für die Bauern hat. Die Gesellschaft für Konsum

forschung hat festgestellt, dass 88 % der Bevölkerung Verständnis dafür haben, dass die Bauern auf ihr Problem hinweisen.

Zu Ihrer ersten Frage hinsichtlich der momentanen Situation ist festzustellen: Ein erster Erfolg ist – das konnten wir ges tern Abend hören –, dass der Discounter Lidl nach Verhandlungen mit dem Bauernverband die Anzahlungspreise für Milch um 10 Cent je Liter erhöht hat und bei Butter für 250 g zukünftig 20 Cent mehr geben will. Ich habe mich über die Mittagszeit im Ministerium noch einmal über die aktuelle Fortentwicklung informiert. Da ist zu lesen: Edeka wird nachziehen. Die Rewe-Gruppe wird ähnliche Abschlüsse tätigen. Auch Aldi Süd und Tengelmann haben signalisiert, dass man „zu Potte kommt“. – Das zur aktuellen Situation.

Der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, BDM, Herr Schaber, hat verlautbart: „Ich denke, dass wir nicht mehr allzu lange mit dem Lieferstreik weitermachen.“ Das war jetzt von der Front, wenn ich das so ausdrücken darf, zu hören.

Als erste Molkerei – das können wir heute auch schon in der Presse lesen – hat die bayerische Molkerei Berchtesgadener Land gestern angekündigt, dass rückwirkend ab dem 1. Juni der Milchauszahlungspreis auf die vom Bund der Milchviehhalter geforderten 43 Cent erhöht wird, wobei man sagen darf – das haben Sie vielleicht auch schon verfolgt –, dass die Berchtesgadener Molkerei noch nie zu geringe Auszahlungen hatte.

Generell ist aber darauf zu achten, dass durch solche Aktionen längerfristig die bestehenden Marktgesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft gesetzt werden. Das kann jeder, der etwas von Markt versteht, nachvollziehen.

Zu Ihrer zweiten Frage hinsichtlich der Auswirkungen des Lieferboykotts auf die Wirtschaftlichkeit der Molkereien ist Folgendes anzumerken:

Detaillierte Angaben über die Auswirkungen sind erst möglich, wenn genaue Daten über die Dauer und den Umfang des Lieferboykotts vorliegen. Wir haben jetzt den zehnten Tag, wenn ich richtig gerechnet habe. Ganz allgemein gilt, dass deutlich verringerte Anlieferungsmengen negative Folgen für die Auslastung der Molkereien haben – das kann man sich unschwer vorstellen – und dass sich in der Folge natürlich die Produktionskosten der Molkereien erhöhen werden.

Darüber hinaus stelle ich fest: Verringerte Anlieferungsmengen führen weiter zu Problemen hinsichtlich der Einhaltung von Lieferverpflichtungen mit dem Einzelhandel. Möglicherweise gibt es da die eine oder andere Konventionalstrafe. Das wurde schon zart angekündigt. Die Molkereien sind zwar bemüht, die Versorgung des Handels mit Frischprodukten durch Einschränkung der Produktion länger haltbarer Produkte sicherzustellen, indem sie einfach umswitchen. Der Lebensmitteleinzelhandel hat aber in Einzelfällen bereits heimische Milchfrischprodukte durch Produkte aus Norddeutschland und aus nordeuropäischen Staaten ersetzt. Auch das ist Fakt.

Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass diese Konkurrenten auch nach Beendigung des Lieferboykotts den erzielten Marktzugang verteidigen wollen. Die Rückgewinnung verloren gegangener Kunden wird sicherlich nicht einfach sein und im

Einzelfall vielleicht nur über Preiszugeständnisse möglich sein. Dann wiederum sind wir in der alten Spirale.

Durch die Blockade der Molkereien wurde die An- und Auslieferung von Milch und Milchprodukten teils massiv behindert. Sie kennen die entsprechenden Fernsehbilder und die Berichterstattung in den Zeitungen. Auch der Geschäftsbetrieb wurde massiv behindert. Einzelne Molkereien haben Schadensersatzansprüche gegen die Verursacher angekündigt. Man wird abwarten müssen, ob diese Ankündigungen realisiert werden. Der Milchindustrieverband bezifferte gestern den Schaden, der dadurch entstanden ist, dass nicht geliefert wurde, dass die Produktionsanlagen nicht ausgelastet wurden, auf bislang über 50 Millionen €.

Zusätzlich merke ich noch an: Die Molkereien im Land sind größtenteils genossenschaftlich organisiert. Sie befinden sich somit im Eigentum der Milcherzeuger. Mit Blockadeaktionen fügen die Milcherzeuger also ihren eigenen Molkereiunternehmen und den damit verbundenen landwirtschaftlichen Betrieben auch einen wirtschaftlichen Schaden zu. Aber diesen hat man in Kauf genommen, weil man Blockadeaktionen nur als letztes Mittel gesehen hat.

Ich denke, eine solche Maßnahme ist schon etwas ganz Außergewöhnliches. Ich komme aus der Landwirtschaft und weiß: Bauern sind eigentlich geduldig. Wenn sie zu einem solchen Mittel greifen, dann heißt das etwas.

Zusatzfrage, Frau Abg. Berroth.

Frau Staatssekretärin, die Verbraucher wären ja zum großen Teil bereit, mehr für Milch zu zahlen. Auch haben einzelne Einzelhandelsbetriebe jetzt erklärt, dass sie den Preis für Milch erhöhen. Kann denn sichergestellt werden, dass der höhere Auszahlungspreis tatsächlich auch bei den Bauern ankommt? Denn da besteht ja gar keine direkte Verbindung. Wird das Ministerium entsprechende Schritte unternehmen?

Zweitens interessiert mich noch, inwieweit dieser Markt ein funktionsfähiger Markt ist. Wenn man einen Boykott als letz tes Mittel ansieht und Verhandlungen eben nicht möglich sind, spricht das meines Erachtens nicht unbedingt für einen voll funktionierenden Markt.

Ich glaube, die zuletzt getroffene Aussage ist nicht zu bestreiten. Wir haben natürlich ein unglaubliches Ungleichgewicht. Wir haben eine Menge von Anbietern – es handelt sich um 65 Molkereien –, und wir haben vier, fünf große Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen. Da spielt sich im Prinzip das ab, was wir heute Vormittag bei der Debatte zum Thema Energiepreise gehört haben. Auf die Dauer wird der Milchmarkt mit Blockade und mit Boykott wahrscheinlich nicht zu beeinflussen sein. Es ist ein Markt, auf den die Landwirte geschickt werden. Wichtig ist, dass sich die Landwirte im europäischen Kontext, im globalen Markt bei ihrer Produktion selbst wettbewerbsfähig aufstellen und dass sie vor allem auch darüber nachdenken, wie sie die nachgeordnete Verarbeitungsebene bündeln.

Was die Frage angeht, in welchem Umfang der höhere Auszahlungspreis bei den Bauern ankommt: Das ist eine Sache, die zwischen den Beteiligten vertraglich ausgehandelt wird.

In der Wirtschaft ist es Usus, dass die Vertragspartner auf die Einhaltung des Vertrags drängen.

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abg. Dr. Bullinger.

Frau Staatssekretärin, mir geht es um das passive und das aktive Verhalten des Bundeskartellministers, von Wirtschaftsminister Glos.

Frage 1: Wie beurteilt die Landesregierung die derzeitigen Ermittlungen des Bundeskartellamts gegen den Bund der Milchviehhalter, und mit welchen möglichen Folgen rechnet sie für die Landwirte, die dort organisiert sind?

Frage 2 – vor allem zum passiven Verhalten des Bundeskartellministers –: Wie beurteilt die Landesregierung die Untätigkeit des Bundeskartellministers in Bezug auf die Absprachen des Oligopols, der Großen der Branche, die sich am Montag darauf verständigten, die Preise für Milch und Milchprodukte bundesweit zu erhöhen? Hier sehe ich ganz krasse Unterschiede bei der Handhabung durch die zuständige Bundesbehörde. Dazu hätte ich gern eine Antwort.

Ich möchte ganz einfach feststellen, dass mir die Diskussion, die jetzt von Ihnen eröffnet wurde, ähnlich vorkommt wie die Diskussion heute Morgen, als Ihr Kollege Wirtschaftsminister Pfister hier im Ring war. Letztlich beobachten wir auf politischer Ebene eine relative Machtlosigkeit. Man kann vielleicht Solidaritätsadressen abgeben. Aber das Kartellamt ist ja letztlich über die Politik erhaben und muss sich eben an Vorgaben des Kartellrechts orientieren. Das ist eine juristische Angelegenheit.

Ich nehme Ihre Fragen jedoch gern mit und werde Ihnen, wenn es darüber detaillierte Erkenntnisse gibt, eine schriftliche Antwort zukommen lassen. – Das ist jetzt eine erste Replik, die ich aufgrund meiner marktwirtschaftlichen Kenntnisse einmal so formuliert habe.

Zusatzfrage, Herr Abg. Dr. Murschel.

Frau Staatssekretärin, Sie sagten, die Milchbauern sollten wettbewerbsfähiger werden und sich im Markt aufstellen, weil das der zielführende Weg sei. Hier setzt meine Frage an. Wenn man jetzt insbesondere an das Auslaufen der Milchquote denkt, also über diesen tagesaktuellen Streik hinaus weiterdenkt, frage ich: Wie sollen sich in benachteiligten Gebieten – etwa in Bergregionen – die Milchbauern wettbewerbsfähig aufstellen? Wird dabei an einen Wettbewerb innerhalb Baden-Württembergs, innerhalb Deutschlands oder innerhalb der EU gedacht? Was gedenkt die Landesregierung zu tun, um dies gegebenenfalls auch zu steuern, damit die Betriebe hier überleben können?

Danke, Herr Abg. Dr. Murschel. Ich halte das für eine sehr wesentliche Frage für die baden-württembergische Agrarpolitik. Denn wir haben es von der Topografie und von der Größe der Betriebe her nicht ganz so leicht wie andere Regionen in Deutschland, die große Betriebe haben und die mit der Futterbeschaffung keine großen Probleme haben. Deswegen hat sich unser Minister auch stets dafür eingesetzt, dass es nach Auslaufen der Milchquote von der europäischen Seite ein Begleitprogramm gibt,

das eine weiche Landung vor allem in diesen Berggebieten, in benachteiligten Gebieten garantiert.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, wie wir denn die Landwirte dort auch mit Programmen – die ja ihre Rechtfertigung brauchen; sei es Biodiversität, sei es Klimawandel oder seien es andere Herausforderungen – begleiten können. Es ist ja auch so, dass der Health Check jetzt einige Möglichkeiten gibt. Da, denke ich, kann sich Baden-Württemberg nicht mit anderen Ländern vergleichen. Da braucht es eine ganz konkrete Antwort, ein Anschlussprogramm.

Zusatzfrage des Herrn Abg. Zeller.

Frau Staatssekretärin, unterstützt die Landesregierung den Boykott der Milchbauern? Wenn ja, auf welche Weise? Wenn nein, weshalb nicht?

Es ist nicht Aufgabe der Politik, Partei zu ergreifen. Wir haben uns so positioniert, dass wir sagen: Wir haben Verständnis für die Haltung der streikenden Bauern. Aber es ist rechtlich außerordentlich schwierig, hier Partei zu ergreifen. Unsere Position ist: Wir haben Verständnis und lassen die beiden Akteure miteinander diesen Streit ausfechten.

Weitere Zusatzfrage, Herr Abg. Haas.

Frau Staatssekretärin, wie beurteilt die Landesregierung die Äußerung von Herrn Sonnleitner, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbands, man solle die kleinen Molkereien verschwinden lassen?

Wie bitte?

Er sagte, die kleineren Molkereien sollten vom Markt verschwinden, damit ein größerer Verbund der Molkereien gegenüber den großen Lebensmittelketten stärker auftreten könnte.

Meine zweite Frage: Wenn diese Empfehlung auf den Markt durchschlagen würde, wie beurteilen Sie z. B. dann die Möglichkeiten, die Breisgaumilch als kleine Molkerei zu erhalten?

Ich habe ja vorhin schon angedeutet, dass die Realität es erfordern wird, dass viele Molkereien ihre Größe auf den Prüfstand stellen. Denn tatsächlich muss jede Molkerei einen ganzen Apparat vorhalten. Das sehe ich übrigens nicht nur bei Molkereien so, sondern auch bei Weingärtnergenossenschaften, bei Winzergenossenschaften, die sich alle – diejenigen, die Verantwortung tragen – fragen sollten: Sind unsere Auszahlungspreise noch attraktiv? Da die Molkereien zum Großteil genossenschaftlich organisiert sind, bin ich sicher, dass die Landwirte, die dort ehrenamtlich Verantwortung tragen, dies auch sehr kritisch wahrnehmen werden.

Nicht jede Molkerei muss ihre Vertriebsleute haben, die im Land umherschwirren und versuchen, Verträge einzusammeln. Nicht jede Molkerei muss ihre eigene Entwicklungsabteilung für laktosefreie Produkte oder irgendwelche neuen Joghurts haben. Das werden sie jedoch selbst feststellen; da hat sich

die Politik nicht einzumischen. Ich sage Ihnen: Wir haben uns in der EU über Jahrzehnte hinweg zu sehr in den Markt eingemischt,

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

woraus viele Verzerrungen resultierten. Man kann darüber diskutieren, aber die Frage „Was wäre, wenn?“ ist in der Geschichte nicht statthaft. Ich denke, wir sollten die Entwicklung dort begleiten, wo wir gefordert sind – wie es vorhin von Herrn Dr. Murschel angefragt wurde. Aber ansonsten wird sich dieser Prozess in den nächsten Monaten sicherlich beschleunigen. Ob Herr Sonnleitner das jetzt kommentiert oder nicht: Es wird passieren.

Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Abg. Rüeck.

Frau Staatssekretärin, hat die Landesregierung Kenntnis darüber, dass es seit den Protestaktionen der Milcherzeuger zur Lieferung größerer Milchmengen aus osteuropäischen Ländern nach Baden-Württemberg gekommen ist, speziell aus Tschechien und der Slowakei?

Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich gleich die zweite Frage stellen darf.

Bitte.

Danke. – Frau Staatssekretärin, hat die Landesregierung Kenntnis darüber, ob es zu Nötigungen der Protestanten gegenüber Milchlieferanten gekommen ist?

(Abg. Ingo Rust SPD: Protestierenden! – Weitere Zu- rufe von der SPD, u. a. der Abg. Katrin Altpeter)

Die erste Frage nach den Milchlieferungen möchte ich mit Ja beantworten.