Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bürokratieabbau ist für die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg seit Jahren ein ganz wichtiges politisches Ziel,
vor allem dann, wenn es um den Abbau – die Kollegin Sitzmann hat ja eigentlich darauf hingewiesen – unnützer bürokratischer Regelungen und Maßnahmen geht.
Nur: Dies ist oft sehr viel schwieriger, als man sich dies landläufig vorstellt, und vor allem sehr viel schwieriger als das, was man – ich sage es jetzt auf Badisch – „schnell rausschwätzt“. Einerseits ist ein gesundes Maß an Bürokratie die Grundlage für ein funktionierendes Staatssystem. Andererseits haben wir in unserer heutigen Gesellschaft einen Stau von Regulierungen, Verordnungen, Vorschriften und Gesetzen, die die Menschen misstrauisch machen gegenüber staatlich notwendigen Regelungen oder die die Menschen resignieren lassen vor unnötigem Zeitaufwand und vor dem Umstand, Dinge einhalten zu müssen, die der gesunde Menschenverstand als unnütz empfindet.
Zufällig hat mich am Wochenende ein Arzt angesprochen und mir von einem neuen Problem berichtet. Bei einem Rentenantrag für einen Patienten hat bisher die LVA als zuständige Stelle entschieden, ob der Antrag genehmigt wird. Das kann ich mit meinem gesunden Menschenverstand nachvollziehen. Nicht nachvollziehen kann ich, dass es neuerdings ein Formblatt gibt, mit dem der Arzt den Antrag befürworten muss. Erst dann kann er den Antrag ausfüllen.
Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Vorgang, der nicht mehr unter das fällt, was mit dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar ist. Dies ist auch ein sehr schlimmer Umstand, und zwar deshalb, weil erstens bei den Bürgern das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates, das Notwendige zu regeln, schwindet, und weil zweitens der Staat von seinen Bürgern Dinge verlangt, die unnötig viel Zeit und Geld verschlingen – Zeit und Geld, die man besser hätte anlegen können.
Halten wir also fest: Bürokratie ist ein Wirtschafts- und Inves titionshemmnis. Noch provokativer gesagt: Unnötige Büro
Dabei ist sehr realistisch zu trennen: Was können wir hier in Baden-Württemberg direkt bewegen, weil es sich um landespolitische Zuständigkeiten handelt, und wo haben wir nur beschränkten Einfluss, weil der Bund bzw. die europäische Ebene zuständig ist?
Wir halten es deshalb für richtig, dass die Landesregierung schon vor Jahren einen Beauftragten für Bürokratieabbau als Koordinator für die Verwaltungsinstitutionen und – noch viel wichtiger – als Ansprechpartner für alle, die Vorschläge oder Anliegen haben, installiert hat.
Die Stellungnahme des Staatsministeriums zu dem Antrag der Grünen zeigt, dass dabei schon sehr viel erreicht wurde. Auch die CDU-Landtagsfraktion hat eine Arbeitsgruppe für Entbürokratisierung eingerichtet.
Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Deregulierungswünschen von Verbänden, Institutionen, aber auch von Einzelnen, die an sie herangetragen wurden – allerdings mit dem Schwerpunkt auf Maßnahmen, die eine landespolitische Ursache haben. Ebenso überprüfen wir neue Verordnungen und Gesetze auf unnötige bürokratische Belastungen und arbeiten so natürlich auch etwas im Stillen.
Ziel ist, die Belastungen der Bürger und der öffentlichen Stellen durch Landesvorschriften so gering wie möglich zu halten. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass der Hauptteil bürokratischer Belastungen auf die EU zurückgeht. Es war deshalb richtig, hier im Landtag einen Europaausschuss zu installieren,
weil viele Verordnungen und Gesetze, die auf europäischer Ebene zustande kommen sollen, früher unserer Kontrolle unterliegen müssen. So haben wir über den Bundesrat früher Einfluss auf deren Umsetzung als bisher. Nur: All dies nützt nichts, wenn manche glauben, europäische Regeln noch übertrumpfen zu müssen, wie wir dies in Zeiten der rot-grünen Koalition im Bund erlebt haben.
Ich hatte eingangs auf die ungünstigen Auswirkungen unnötiger Bürokratie auf die Wirtschaft hingewiesen. Bürokratiekosten sind Kosten, die wir für vermeidbar halten. Wenig Bürokratie und schnelle Verwaltungsabläufe sind in der heutigen Zeit auch Standortfaktoren für Wirtschaftsansiedlungen oder für den Fortbestand von wirtschaftlichen Betrieben. Deshalb macht sich die CDU in Baden-Württemberg für den Bürokratieabbau auf allen Ebenen stark, tut dies aber auch in der Verantwortung, dass die Bürger nicht in einer Überbürokratisie
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Tho- mas Blenke und Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)
Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen stechen in ein Wespennest, aber mit einer ziemlich langen Stange, über die sie noch einen dicken Handschuh gezogen haben. So gibt es keine chirurgische Aktion, sondern nur eine lauwarme Aufforderung, Bürokratieabbau ernster zu nehmen, ein Standardkos tenmodell zur Bewertung von Vorschriften zu verwenden – schön – und einen neuen Normenkontrollrat einzusetzen – wunderbar –, der sogar das Parlament beraten soll. Das werden wir dann befolgen, und zwar genauso, wie wir so eifrig die Empfehlungen des Rechnungshofs schon immer befolgt haben! Dennoch wollen wir die Grünen nicht entmutigen.
Jetzt liegt die Latte hoch, mein lieber Kollege. Für unsere Zeit ist ja, Herr Kollege Kretschmann, eine unaufhörliche Bürokratiekritik sowie ein genussvolles Aufspießen absonderlichster Vorschriften typisch, und dabei wächst und wächst die Bürokratie. Die Bürokratie, so scheint es, leistet sich eine bürokratiekritische Folklore als Begleitmusik.
Die Stellungnahme der Landesregierung zu dem Antrag ist selbst ein schönes Beispiel dafür. Die Stelle des Ombudsmanns, im Staatsministerium angesiedelt, war lange vakant. Man wusste nicht, was er eigentlich tun sollte und wann er wieder kommt, und jetzt ist er ins Innenministerium abgestuft.
Darüber hinaus wird die Landesregierung – ich zitiere – „ohne Zeitdruck die Einrichtung eines Normenkontrollgremiums prüfen“. Da haben wir es wieder einmal.
Wenn Sie Kostproben der landläufigen bürokratiekritischen Rhetorik suchen, lesen Sie die Anlage zu der Stellungnahme der Landesregierung: Wühlmäuse darf bekämpfen, wer die notwendige Sachkunde besitzt. Für Jäger und Gärtner wird das unterstellt, andere haben einen Nachweis der Sachkunde zu liefern. Jetzt soll der Nachweis durch ein Fachgespräch mit der zuständigen Behörde erfolgen. Für die Nutzung von Dienstfahrzeugen gab es einen detaillierten Erlass mit der Vorschrift, dass der Fahrzeugführer seine Fahrerlaubnis nachzuweisen hat. Jetzt gilt: Er muss selbst wissen, ob er einen Führerschein hat.
Wollte eine Gemeinde ein Feuerwehrfahrzeug anschaffen, hatte sie nachzuweisen, dass sie auch eine Garage dafür hat.
Der Nachweis wird ihr nun erlassen. Wer ein Zeltlager veranstalten wollte, musste sich im Hinblick auf lebensmittel- und seuchenhygienische Vorschriften schulen lassen. Jetzt wird er durch ein Merkblatt darauf hingewiesen.
Als ich früher für den CVJM Zeltlager veranstaltet habe, wusste ich von dieser Vorschrift, gottlob, überhaupt nichts. Das läuft alles ins Leere.
Im Umweltbereich gab und gibt es viele detaillierte Formblätter. Diese werden neuerdings, wie es in der Stellungnahme der Regierung heißt, online zur Verfügung gestellt und können heruntergeladen werden. Donnerwetter!
Die Liste hat fast, Herr Kollege Kluck, literarische Qualität. Auf jeden Fall ist sie eine gute Stoffsammlung für Büttenreden. Dokumentiert sind 45 erfolgreiche Beispiele, die seit 2004 zusammenkamen – 45 Beispiele seit 2004 – und vom Ombudsmann aufgegriffen wurden. Selbst wenn wir jedes Jahr 600 Vorschriften abbauen würden, kommen jedes Jahr über 2 000 neu dazu. Die Echternacher Springprozession – zwei Schritte vor und einer zurück – ist dagegen eine Fortschrittsmaschine. Hier machen wir einen Schritt vor und drei Schritte zurück.
Die Liste der Landesregierung erfasst ein wenig barockes Gekräusel an Bürokratie. Wer die Absurditätsschwelle für Vorschriften aber so hoch legt, kommt nie an den Kern des Problems. Das wäre, als wenn der Besen einer Kehrmaschine bei der Stadtreinigung mannshoch eingestellt würde. Dann käme man nie in die richtigen Ecken.
Ein glänzendes Beispiel ist auch die sogenannte Verwaltungsreform. Dabei wurden Sonder- und Fachbehörden unter die Dächer von Regierungspräsidien und Landratsämtern verlagert – eine Mobilität von Schreibtischen. Dabei wurde praktisch keine Vorschrift abgebaut. Praktische Menschen hingegen nutzen einen Umzug, um ihr Gerümpel loszuwerden. Hier musste alles mit!
Wo steckt der eigentliche Kern des Problems, meine Damen und Herren? Ich möchte einmal eine politische Tabuzone ansprechen: das staatliche Förderwesen. Will die Regierung gute Dinge tun, dann sucht sie, wo sie etwas fördern kann. So ist eine Wucherung von Finanzbeihilfen, Fördertatbeständen und Klientelismus geschaffen worden, die kaum zu überschauen ist. Der Rechnungshof rügt zwar immer öfter: „Förderungen laufen leer“, „Mitnahmeeffekte“, aber das bleibt folgenlos.
Wem der Staat finanziell hilft, der bekommt ein Gut billiger, als es eigentlich ist, sozusagen ein Schnäppchen. Darüber freut er sich natürlich. Und was tun wir Politiker lieber, als Menschen eine Freude machen? Das gilt besonders deshalb, weil wir so oft gescholten werden. Aber die Ware kostet natürlich trotzdem ihren vollen Preis, und die Differenz muss jemand bezahlen. Die Politik reicht die Last nur weiter.
Ich will hier einmal den bürokratischen Effekt benennen. Die gesamte Förderverwaltung ist alles anders als eine körperlose Segenspenderin. Es geht nicht nur um komplizierte Antragstellungen, vorausgehende Förderberatungen, Antragsprüfungen der Behörde – nach Ablehnungen gegebenenfalls mehrfach –, Bewilligungen – meist mit besonderen Auflagen, die auch etwas kosten –, spätere Verwendungsnachweise und Prüfungen durch die Behörde. Das alles ist nur die Oberfläche. Rechtlich einwandfrei – –