konsequent genutzt hat, wo diese im Interesse der betroffenen Jugendlichen und der Wirtschaft in Baden-Württemberg lie
Frau Kollegin, Sie haben gesagt – ich habe mitgeschrieben –: Die Betriebe wollen Mitarbeiter mit betrieblichen Kenntnissen haben.
Mit praktischen Kenntnissen. Tatsache ist aber, dass die Betriebe und deren Verbände darüber klagen,
dass ihre Auszubildenden zu wenig theoretische Fähigkeiten haben. Bedeutet das nicht automatisch, dass Lehrlinge mehr schulische Ausbildung als Vorbereitung oder in der Lehre haben müssen, um dann diese betriebliche Ausbildung überhaupt machen zu können? Brauchen sie nicht mehr schulische Ausbildung?
(Abg. Alfred Winkler SPD: Nein? – Abg. Dr. Fried- rich Bullinger FDP/DVP: Nicht mehr, sondern bes- sere Ausbildung!)
Die Jugendlichen stehen in einem Ausbildungsbetrieb und machen eine Ausbildung. Bei einer Verschulung der Ausbildung würden wesentliche Elemente fehlen.
Sehen Sie sich einmal in Werkstätten um. In einem Betrieb ist man auf dem modernsten Stand. Eine Schule kann diesen Stand über Jahre hinweg niemals so halten wie ein Betrieb. Deswegen braucht man die Praxisnähe.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal ist es ja besser, man hört sich erst einmal an, was an Argumenten kommt.
Ich muss Ihnen sagen, Frau Schütz, ich war ganz überrascht, dass Sie jetzt gesprochen haben. Denn ich erlebe jetzt, dass zum Bereich der beruflichen Bildung und zu all diesen Themen immer wieder jemand anders von Ihnen redet.
Zunächst muss man sagen: Wie ambitioniert, wie engagiert die Landesregierung dieses Thema behandelt, sieht man daran, dass Sie zwei Jahre gebraucht haben, um die gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass Sie überhaupt eine Verordnung erlassen können.
Man hätte noch sagen können: Sie bereiten das gut vor; dazu braucht man Zeit, damit hier wirklich etwas Großes entstehen kann. Das hätte ich verstehen können. Aber als ich dann – Herr Drautz, Sie reden ja wahrscheinlich nachher – diese Verordnung gelesen habe, habe ich gedacht: Ich falle vom Glauben ab.
Da steht drin: Für den Besuch der einjährigen Berufsfachschule soll eine Anrechnungspflicht bestehen. Das haben wir im Prinzip heute schon. Wir wissen, der Besuch einjähriger Berufsfachschulen wird in der Regel nur mit Vorverträgen genehmigt. Das heißt, alle Jugendlichen, die da hineingehen, können das eigentlich nur, wenn sie einen Vorvertrag bei einem Betrieb haben.
Das Handwerk nutzt das übrigens sehr intensiv, weil die Betriebe sagen: „Wir sparen uns ein Ausbildungsjahr. Die Jugendlichen haben das in den Ausbildungswerkstätten mit einem berufspraktischen Teil im ersten Jahr an der Berufsfachschule vernünftig gelernt, und wir können sie direkt auf der Baustelle einsetzen.“ Warum auch nicht, wenn man nicht ideologisch verbrämt ist, wie es die IHK in diesem Fall oft ist?
Der zweite Punkt: Sie haben auch noch in die Verordnung geschrieben, der Besuch einer zweijährigen Berufsfachschule sei dafür geeignet – „geeignet“ ist ein schöner Ausdruck –, auf die Ausbildungszeiten angerechnet zu werden. Die Jugendlichen absolvieren zwei Ausbildungsjahre. Die haben die gleichen Ausbildungsinhalte, auch was die praktische Ausbildung im ersten Ausbildungsjahr angeht. Das ist „geeignet“, sagen Sie, und da kann der Betrieb die Ausbildungszeit anerkennen oder auch nicht. Das ist genau das Gleiche.
Wir haben diese Situation in Baden-Württemberg schon seit sehr vielen Jahren. Ich muss Ihnen sagen: Durch die Berufsfachschulen wird hier in Baden-Württemberg eine sehr gute Ausbildung gemacht. Darum beneiden uns, denke ich, auch manche anderen Bundesländer. Aber ich frage Sie: Warum geht man nicht hin und sagt: „Diese Ausbildung hat diesen Wert, und wir wollen sie auch nicht unter Wert verkaufen“? Der Jugendliche – darüber muss man natürlich ernsthaft mit den Kammern reden – muss den Anspruch erhalten, dass ihm die Ausbildungszeit um ein Jahr verkürzt wird.
Das ist das, was wir brauchen. Ich denke, Sie wissen nicht, welche Dimension das Ganze eigentlich hat. Nur 47 % der Hauptschulabgänger schaffen es überhaupt, anschließend direkt in eine berufliche Ausbildung zu gehen. Von 46 000 sind das gut 21 000. Was machen die? Sie gehen in eine Berufsfachschule oder in ein Berufsvorbereitungsjahr. Was geschieht danach mit ihnen? Von denen, die die zweijährige Berufsfachschule besucht haben, geht anschließend ein großer Teil ins Berufskolleg. Sie durchlaufen die ganzen schulischen Ausbildungsgänge. Jetzt können Sie sagen: „Gut, dann sind sie schon weg von der Straße.“ Das ist auch ein Argument. Aber was passiert wirklich mit ihnen?
Sie kommen heute schließlich – Herr Kaufmann hat das gesagt – im Schnitt mit 19,3 Jahren in eine berufliche Ausbildung. Hier debattieren wir über G 8. Da sagt man: „Die jungen Leute müssen früher mit dem Studium beginnen.“ Aber offensichtlich spielt es keine Rolle, wie lange junge Menschen heute in irgendwelche Maßnahmen gedrückt werden, bis sie überhaupt eine Chance haben, eine berufliche Ausbildung machen zu können. Das zeigt auch die Wertigkeit der beruflichen Ausbildung in der gesellschaftlichen Diskussion.
Der große gesellschaftliche Fortschritt war die Einführung der Schulpflicht. Heute brauchen wir ein Recht eines jungen Menschen, auch eine qualifizierte berufliche Ausbildung zu absolvieren. Dafür haben wir als Staat zu sorgen. Diese Ausbildung muss auch in angemessenen Zeiten erfolgen. Wir dürfen diese Politik, wie sie hier weiter betrieben werden soll, so nicht weiterführen. Herr Drautz, Sie werden ja nachher qualifiziert darauf eingehen.
Sie haben gesagt, mit dieser Anrechnungsverordnung könne die Gesamtausbildungszeit junger Menschen verkürzt und ein rascher Berufseinstieg ermöglicht werden. Sie machen aber in diesem Bereich nichts. Sie beklagen, dass Sie zu wenig Handlungskompetenzen hätten. Aber wenn Sie solche Kompetenzen einmal haben, dann machen Sie nichts. Das ist wirklich traurig, muss ich Ihnen sagen. Sie lassen die jungen Leute mit ihren ganzen Problemen letztlich allein. Das ist die große Tragik in dieser ganzen Angelegenheit.
Ich möchte mich jetzt gar nicht auf die Diskussion einlassen, in der Sie über eine vollschulische Ausbildung gesprochen haben. Da stimme ich mit Ihnen überein. Das sehe ich auch kritisch. Aber dass Sie nicht bereit sind, das Berufskolleg zu reformieren, in dem 55 000 Jugendliche sind, und dafür zu sorgen, dass ihnen wenigstens ein Jahr auf eine berufliche Ausbildung angerechnet wird, und dass Sie nicht bereit sind, da
für zu sorgen, dass die immerhin 65 000 jungen Menschen, die in der zweijährigen Berufsfachschule sind, einen Anspruch darauf haben, ein Jahr Ausbildungszeitverkürzung zu bekommen, ist ein Armutszeugnis in unserer heutigen Gesellschaft.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon im vergan genen Jahr ausführlich über das Berufsbildungsreformgesetz debattiert. Einige Kollegen, insbesondere von der Opposition, haben ja schon Vorfreude darauf geäußert, dass der Herr Staatssekretär anschließend die Dinge noch einmal klarrückt. Ich kann mich voll hinter das stellen, was er in der Diskussion im vergangenen Jahr gesagt hat. Wir haben ja sowohl im Ausschuss als auch dann hier im Plenum im Einzelnen über die Verästelungen dieses Gesetzes diskutiert.