Es ist zu einfach, zu sagen, in Finnland und jetzt neuerdings in Südtirol, Herr Kretschmann, klappe es, weil es eine Einheitsschulstruktur gebe. Wenn man aber fragt, warum es in Frankreich oder in anderen Bundesländern nicht klappt, dann kommen Sie immer nur und sagen, das liege an allem anderen, aber nicht an der Schulstruktur.
Wir dürfen doch nicht auf die Schulstruktur, sondern müssen auf die Qualität in unseren Schulen schauen, egal, in welcher Schulstruktur.
Auch Sie, Herr Schmiedel, haben in der Debatte den Eindruck erweckt, als wären die CDU und die FDP/DVP jetzt in der Regierungsverantwortung die Einzigen, die meinten, dass wir in der Schulstruktur der gegliederten Schularten in Baden-Würt temberg Erfolge für die Schülerinnen und Schüler erreichten.
In jeder Debatte, in jeder Stellungnahme zu Ihren Anträgen schreiben wir Ihnen einen anderen Wissenschaftler ins Stammbuch, der dem gerade nicht Rechnung trägt. In den Stellungnahmen zu Ihren Anträgen hat das Kultusministerium auf Herrn Dr. Köller, Direktor des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, hingewiesen, der in der Enquetekommission der Hamburger Bürgerschaft „Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung“ ausgeführt hat, dass die Schulstruktur nicht die entscheidende Variable für den Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler sei. Die Professoren Weinert und Helmke haben festgestellt, dass sich ab der vierten Jahrgangsstufe die individuelle Leistungsfähigkeit im Vergleich zur gleichaltrigen Bezugsgruppe bei der Mehrzahl der Schüler nur noch unwesentlich ändere. Das alles steht in den Stellungnahmen zu den Anträgen, die Sie von der SPD und von den Grünen mit diesem Tagesordnungspunkt haben aufrufen lassen.
Sie erzählen hier, wir wären weit von der Spitze entfernt, Herr Schmiedel. Lesen Sie einmal die Berichte, die im letzten Jahr zu PISA und zu IGLU abgegeben worden sind und über die
wir hier auch schon debattiert haben, wo Sie zuhören konnten. Deutschland ist bei IGLU in der Grundschule international an der Spitze angekommen.
So lautet die Aussage der Bildungsforscher. Wir haben als einziges Land bei PISA eine Aufwärtsentwicklung in der Veränderung der Schule. Wir erreichen doch auf dem Weg zu moderner Schule etwas. Jetzt kommen Sie mit dem Vorwurf: Jeder x-Beliebige – so haben Sie es genannt – würde besser handeln. Ja, wer sind denn x-Beliebige?
Der Realschullehrerverband hat 5 700 Unterschriften vorgelegt, die genau das Gegenteil dessen sagen, belegen und fordern, was Sie hier als modern und als alleiniges Instrument der Bildungspolitik darstellen.
Ja, das sind diejenigen, die Sorge haben, dass das Arbeiten in der Realschule und die Situation für ihre Kinder in der Realschule schwieriger werden. Sie würden mit Ihrem Bildungskonzept, mit der sechsjährigen Grundschule zunächst einmal eine dreijährige Hauptschule, eine vierjährige Realschule und G 6 – ein sechsjähriges Gymnasium – schaffen. Das wären alles Veränderungen, die nicht nur die Kinder in der Hauptschule, sondern alle Kinder in Baden-Württemberg beträfen, die alle zusammen auf einem guten Weg in ihrer Schullaufbahn sind. Wenn Sie die Einheitsschule schaffen, dann passiert genau das: Erfolgreiche Schulkonzepte zur Förderung der Schülerinnen und Schüler werden abgeschafft.
Ich komme gleich darauf, Herr Kretschmann, weil wir dann genau an dem Punkt sind, der Ihnen so wichtig war und uns auch wichtig ist, nämlich der individuellen Förderung.
Individuelle Förderung, Herr Kretschmann, ist ein Anliegen, das in homogenen Gruppen – wie Sie es formulieren –, die es aber in den drei Schularten in Baden-Württemberg überhaupt nicht gibt, genauso eine Rolle spielen muss wie bei heterogenen Gruppen in einem Einheitsschulsystem. Diese individuelle Förderung, die der traditionellen Unterrichtskultur in Deutschland insgesamt nicht unbedingt entspricht, müssen wir vorantreiben. Die treiben wir auch voran, und zwar damit, dass wir über die Evaluation Schulentwicklungsprozesse anstoßen.
Es ist aber schon sehr mutig, zu sagen: Wir bemängeln, dass es nicht genug individuelle Förderung in unseren Schulen gibt, und jetzt provozieren wir, dass es individuelle Förderung geben muss, indem wir alle Schülerinnen und Schüler zusammenwerfen, sodass dann die Lehrer gar nicht anders handeln können, als individuell zu fördern. Das ist doch ein Experimentieren mit Kindern, ob es klappt oder nicht.
Das ist doch mutig als Aussage, aber so mutig, dass man damit schon ein großes Risiko verbinden muss.
Es klappt in der Grundschule bis Klasse 4, aber es klappt in den gegliederten Schulformen mit der leistungsbezogenen Förderung anschließend sehr viel besser als in Gesamtschulen, wie die Ergebnisse in Baden-Württemberg zeigen. Sonst hätten wir in unserem Land auch nicht die niedrigste Zahl an Schulabgängern ohne Schulabschluss.
Wir haben nicht die Absicht, die individuelle Förderung dadurch herbeizuführen, dass wir zwanghaft und mit der Brechstange Ihrem Einheitsschulmodell folgen. Wir wollen die einzelnen Schularten im gegliederten Schulsystem aufrechterhalten.
Diese Schularten werden auch in dem Konzept aufrechterhalten, Herr Kretschmann, das der Kultusminister als inhaltliche Ausgestaltung der Kooperationsverbünde vorgeschlagen hat. Es sind weiterhin Haupt- und Realschulen, die in Kooperationsverbünden zusammengefasst werden, in denen Schülerinnen und Schüler in Niveaukursen oder durch Zusatzunterricht über den gemeinsamen Unterricht hinaus in unterschiedlicher Form ihrem Leistungsstand entsprechend unterstützt werden. Diese Linie verfolgen wir weiterhin, und damit haben wir auch Erfolg in unserer Bildungspolitik.
Als letzten Punkt will ich G 8 ansprechen. Sie, Herr Kretschmann, haben davon gesprochen, dass die Diagnose- und Vergleichsarbeiten die wahren Stoffpläne seien. Ich habe lange überlegt, ob ich sage, dass neben Schmiedel auch Kretschmann nichts von Bildungspolitik versteht. Das ist jetzt der Punkt, an dem ich Ihnen sagen muss: Da sind Sie völlig schiefgewickelt. Denn Diagnose- und Vergleichsarbeiten sind gerade nicht darauf angelegt, Stoffinhalte abzufragen, sondern darauf, Kompetenzen zu ermitteln.
In den Diagnose- und Vergleichsarbeiten wird genau dieser neue Ansatz der Bildungspläne verfolgt, nämlich Kompetenzen in der Fachinhaltsvermittlung zu erwerben, die weit über den Fachinhalt hinausgehen. Diese Arbeiten als wahre Stoffpläne zu beschreiben zeigt, dass Sie davon nicht viel verstanden haben.
Wir haben im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern G 8 in unserem Land überhaupt nicht über Nacht eingeführt,
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Abg. Katrin Altpeter SPD: Nein! – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)
sondern wir haben das vorbereitet: seit 1991 an vier Schulen, seit 1999 mit G-8-Zügen, bei denen übrigens der Wunsch be
standen hat, dass diese Züge immer weiter ausgebaut werden. Zum Schuljahr 2004/2005 haben wir beginnend mit dem fünften Schuljahr aufwachsend das achtjährige Gymnasium eingeführt.
Zum Vergleich dazu: In Bayern war bei der Landtagswahl im Herbst 2003 noch gar keine Rede davon, dass es in Bayern flächendeckend ein achtjähriges Gymnasium geben solle. Nicht einmal ein Jahr später wurde es zeitgleich mit BadenWürttemberg 2004/2005 eingeführt. Das ist eine rasche Einführung von G 8 – aber nicht der Prozess, den wir in BadenWürttemberg hinter uns haben.
Wir haben diese Einführung auch mit einer Bildungsplanreform verbunden und haben genau die Bildungspläne erarbeiten lassen, die den Freiraum und die Möglichkeit schaffen, nicht mehr auf den Lerninhalt zu schauen, sondern auf die Kompetenz, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht erwerben. Genau diese Bildungsplanreform haben wir zeitgleich umgesetzt.
Selbstverständlich ist das kein Prozess, bei dem Sie auf einen Knopf drücken und sich die Schulwirklichkeit von heute auf morgen verändert – so wünschenswert dies auch wäre. Natürlich müssen mit einem so weit gehenden Instrumentarium, wie es mit dieser Umstellung verbunden ist, weitere Erfahrungen gesammelt werden. Sie werden derzeit in jedem Schuljahr neu gemacht.
Wir sind offen für Veränderungen, die dieser Prozess notwendigerweise mit sich bringt. Deshalb haben wir im Sommer 2006 Veränderungen bei der Fremdspracheneinführung vorgenommen. Deshalb haben wir die Stundengestaltung verändert. Und selbstverständlich schauen wir auch auf die Fachinhalte, die gelehrt werden, und darauf, wie die Bildungspläne angewendet werden.
Deshalb gibt es runde Tische, die der Kultusminister eingesetzt hat. Selbstverständlich werden wir anhand der Ergebnisse der runden Tische die Bildungspläne weiter überprüfen. Dazu bedarf es keiner Anträge von Ihrer Seite, die uns hierzu auffordern. Wir stehen für eine konsequente Linie, für eine gute Bildungspolitik zum Nutzen unserer Schülerinnen und Schüler. Dazu brauchen wir nicht Ihre Anträge, nicht Ihre Debatten und auch nicht Ihre langen Ausführungen heute Morgen,
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal einen kleinen Gruß an die hoch geschätzte Opposition.
Sie, meine Damen und Herren, machen eine halbherzige Bildungspolitik. Sie bleiben nämlich auf halbem Weg stehen. Hier in Stuttgart spucken Sie, mit Verlaub, große Töne. Hier sagen Sie, Sie wollten die Hauptschule abschaffen, die Realschule abschaffen, das Gymnasium abschaffen und eine integrierte Gemeinschaftsschule einführen. Je näher an der Basis Ihre Kollegen jedoch Ihre Bildungspolitik vertreten, desto differenzierter hört sich das an.