Ich sage es noch einmal: Es kommt darauf an, dass Sie Ihre Hausaufgaben im Land Baden-Württemberg erfüllen. Eine Sicherheitspolitik im Land, die nicht gewillt ist, den eingeleiteten Personalabbau jetzt und nicht erst Ende des Jahres 2008 zu stoppen,
die nicht gewillt ist, den erforderlichen Nachwuchs im Land tatsächlich einzustellen, die nicht bereit ist, der zunehmenden Arbeitsbelastung, die unsere Polizei zu tragen hat, Rechnung zu tragen, und die nicht bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich eine große Zahl der Beamten im mittleren Dienst zwischenzeitlich als Lokführer innerhalb des mittleren Diens tes fühlen, weil die Personalausgaben gesenkt werden und weil auch sie keine Beförderungschance haben, trägt nicht dazu bei, die Sicherheit im Land zu erhöhen.
Eine Landesregierung, meine Damen und Herren, die sehenden Auges hinzunehmen scheint, dass in wenigen Jahren
gar kein Nachwuchs mehr rekrutiert werden kann, weil es ihn auf dem Markt dann nicht mehr gibt, und die nicht zur Kenntnis nimmt, dass Baden-Württemberg die drittniedrigste Polizeidichte aller Flächenländer in Deutschland hat, und nicht zur Kenntnis nimmt, dass wir eine Polizeistärke in der Nacht von 1 : 40 000 quer über das Land haben, erfüllt nicht einmal Ihren eigenen Anspruch, den Sie selbst an die Sicherheitspolitik stellen.
Welche Beamten und Beamtinnen sollen eigentlich die gewünschten gesetzlichen Möglichkeiten, die Sie haben wollen, letztendlich auch umsetzen, wenn Sie nicht einmal bereit sind, jetzt Geld in Technik und Ausstattung zu stecken, die die Polizei dringend braucht?
Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt deshalb die Gelegenheit, bereits beim Nachtrag 2007/2008 die Weichen zu stellen, die die Polizei im Land braucht, nämlich die Weichen für mehr Personal, um die Sicherheit in unserem Land insgesamt zu verbessern.
Ich sage Ihnen – dies sollten Sie zur Kenntnis nehmen –: Eine Polizei, die unzufrieden ist – unsere Polizei im Land ist unzufrieden –, eine Polizei, in der es tatsächlich brodelt, kann nicht dazu beitragen, die Sicherheit im Land zu erhöhen.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Norbert Zeller SPD: Dazu muss der Innenmi- nister noch etwas sagen!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Innenminister, ich attestiere Ihnen ja, dass Sie nicht so ein Scharfmacher sind wie viele andere in Ihrer Partei. Sie sind kein Schäuble auf Landesebene. Sie haben in vielem eine differenzierte Wahrnehmung, liefern auch differenzierte Ansätze.
(Heiterkeit des Abg. Stefan Mappus CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber Sie sind der Ströbe- le auf Landesebene!)
Aber an einem Punkt – das war am Schluss Ihrer Rede heute – ist es mit den Gemeinsamkeiten vorbei, nämlich wenn Sie sagen: Wer der Polizei vertraut, der gibt ihr auch die Onlinedurchsuchungen; nur der, der der Polizei grundsätzlich misstraut, verweigert ihr das. Das halte ich schlicht und einfach für eine Unverschämtheit. Das weise ich auch mit allem Nachdruck zurück.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Reinhold Gall SPD: Wolf im Schafspelz! – Abg. Hans Georg Junginger SPD: Unverschämtheit!)
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil wir der Polizei vertrauen, weil wir wissen, dass sie rechtsstaatlich, verfassungssicher, kompetent und gut ausgebildet arbeitet, genau deshalb vertrauen wir darauf, dass das Instrumentarium, welches wir haben, ausreicht und erfolgreich ist und nicht beliebig, grundlos und rechtfertigungslos erweitert werden muss. Das ist der entscheidende Punkt. Aber Sie werden uns nicht den Schuh
anziehen, wir wären sowieso gegen die Polizei und das wäre unser eigentliches Motiv. Das muss in diesem Hause völlig klar sein.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Stefan Mappus CDU: Aber Ihre Bundesregierung wollte die Onlinedurch- suchung!)
Sie stehen unter Druck, und Sie handeln nur unter Druck. Am 25. Oktober werden Sie und die Bürgerinnen und Bürger des Landes ganz öffentlich hier in Stuttgart sehen, wie groß der Unmut bei der baden-württembergischen Polizei über ihre derzeitige Situation ist. Dann wird es eine große Demonstration geben, die das bis in den letzten Winkel des Landes deutlich machen wird.
Deshalb handeln Sie ja jetzt ganz schnell. Sonst hätten Sie gar nichts getan. Sie hätten weder die Erwirtschaftung der Effizienzrendite gestoppt, noch würden Sie über einen Einstellungskorridor nachdenken. Sie tun das auf Druck und machen wahrscheinlich nur das Allernotwendigste.
Es gibt aber tatsächlich Handlungsbedarf. Die Polizei – Zitat Innenminister – ist am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Die Aktion vom 4. September ist nicht beliebig reproduzierbar. Das alles ist richtig. Da liegt der Kern Ihrer Aufgaben zuguns ten der inneren Sicherheit unseres Landes. In allernächster Zeit heißt das, dass die Defizite in der Ausstattung unserer Polizei aufgearbeitet werden müssen, vor allem im personellen Bereich.
Das funktioniert mit dem Stopp der Vorgabe der Effizienzrendite. Wir werden zusätzlich einen Einstellungskorridor für junge Polizeianwärterinnen und -anwärter brauchen, auch im Hinblick auf die Altersentwicklung und die Tatsache, dass bis zum Jahr 2020 25 % der heutigen Polizistinnen und Polizisten nicht mehr im Dienst sein werden.
Handeln Sie, Herr Minister! Dann tun Sie etwas Gutes für die innere Sicherheit und werden sich eines Tages keine kritischen Fragen seitens der Polizei und seitens der Bevölkerung mehr vorlegen lassen müssen.
Zurück zum Thema insgesamt. Es ist ein sehr ernstes Thema. Was wir Ihnen vorhalten, Herr Blenke und Herr Rech, sind nicht einzelne Maßnahmen wie eine Videoüberwachung oder das Thema Onlinedurchsuchung für sich betrachtet. Aus der Komplexität dessen, was Sie wollen, wird ein politisches Konzept deutlich. Dieses politische Konzept ist es, was in dieser Republik und in diesem Bundesland zu Recht kritisch hinterfragt und strittig diskutiert wird. Sie wollen die Sicherheitsarchitektur dieses Landes umbauen – Schritt für Schritt, aber mit klarem Ziel.
Am Ende dieses Umbaus steht etwas, was wir den Präventionsstaat nennen: Ein Staat, der mit Sicherheitsmaßnahmen aufgerüstet ist, weil er wie ein Frühwarnsystem gegenüber allen erdenklichen Risiken dieser globalisierten Welt funktionieren soll. In diesem System und in seiner Logik wird das Freiheitsrecht der einzelnen Bürgerin und des einzelnen Bürgers notwendigerweise nach und nach immer mehr auf der Strecke bleiben.
(Abg. Stefan Mappus CDU: Blödsinn! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Wodurch denn? Nennen Sie ein Beispiel! Das ist ein Quatsch!)
(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nennen Sie doch ein Beispiel für Ihre Verdäch- tigungen! – Weitere Zurufe von der CDU)
Da haben wir tatsächlich scharfe Gegensätze. Wir schlagen uns auf die Seite der Freiheit und der Bürgerrechte.
Jede Woche trägt er neue Verunsicherung in die Bevölkerung. Es ist ein ganzes Arsenal. Die Summe des Arsenals, meine Damen und Herren, ergibt eine neue Totalität.
Diese Totalität macht es aus, nicht die einzelne Maßnahme. Es ist die Summe dessen, was Sie für diese Republik fordern: eine neue Dimension von Überwachung und Verlust von Freiheit. Dazu sagen wir eindeutig Nein, meine Damen und Her ren.
Ihre Erfassungsnetze werden doch immer dichter. Die Privatsphäre schrumpft immer mehr. Das ist der Kern des Problems.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wodurch? – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Zur Sache! – Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)
Diese Politik ist in der Tat maßlos. Sie dient nicht der inneren Sicherheit, sondern macht unsicher im Sinne des Verlustes persönlicher Freiheit. Das – um zum Schluss zu kommen – wäre ein später Triumph des islamistischen Terrorismus.
Dieser islamistische Terrorismus zielt im Kern darauf ab, unser freiheitliches, weltoffenes Gesellschaftssystem zu beseitigen.
Ihre Maßnahmen – immer mehr Überwachung, immer weniger Freiheit – wären letztendlich eine späte Bestätigung dieses Ziels und dieses Ansinnens.
Lassen Sie uns deshalb die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wahren. Sicherheitspolitik mit Augenmaß: Ja. Ihre Sicherheitspolitik: Nein.