Protocol of the Session on May 23, 2007

Dabei gibt es in der Tat eine wachsende Zahl von Unternehmen, deren Leitung keine eigenen Nachkommen hat oder bei denen die Nachkommen die Nachfolge nicht antreten wollen. Gerade viele kleine Unternehmen wie Handwerksbetriebe, Büros und Praxen von Freiberuflern haben heute teilweise größte Mühe, geeignete Nachfolger zu finden. Diese Unternehmen sind jedoch die breite Basis des Unternehmertums bei uns im Land. Das betrifft nicht nur die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt; diese Unternehmen bergen auch wichtige Assets und Wirtschaftsgüter in unserem Land.

Die Fragestellung ist jedoch keineswegs rein demografischer Natur. Eine solche Betrachtung wäre viel zu oberflächlich. Dabei ist es im Allgemeinen leichter, in ein bestehendes Unternehmen einzutreten, als ein eigenes Unternehmen zu gründen und dieses dann auch zu festigen. Früher waren die Fragen ja eher: Wer von den Söhnen – es waren ja eher die Söhne als die Töchter – soll, kann, darf das Unternehmen leiten? Wann endlich lässt der Alte los? Diese Fragen stellen sich heute wahrscheinlich am ehesten noch in der Politik.

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Das ist immer noch das Thema!)

Das ist heute hauptsächlich noch in der Politik so, Frau Kollegin Netzhammer. Wir leben möglicherweise in einer Zeit, in der es interessanter ist, Politiker zu sein als Unternehmer. Das ist bedenklich. Hat man je gehört, dass man für politische Ämter oder hohe Ministerialämter händeringend nach Nachfolgern sucht? Bis jetzt noch nicht.

(Heiterkeit)

Aber für Unternehmen stellt sich diese Frage in zunehmendem Maß. Unternehmensnachfolge ist tatsächlich heutzutage fast eine Kunst. Jeder, der die Szene des Mittelstands auf der örtlichen Ebene intensiv beobachtet, weiß das: Es vergehen oft viele Jahre, bis diese Kunst zu einem Ergebnis führt. Oft führt sie auch nicht zu einem Ergebnis und gefährdet die Unternehmen. Häufig müssen die Alten viel länger in der Unternehmensverantwortung bleiben, als sie wollen.

Gleich, ob man die Dinge an der Basis, vor allem unseres industriellen Mittelstands, verfolgt oder ob man die Wirtschaftsstatistik und wissenschaftliche Befunde heranzieht, die Kernfrage, Herr Kollege Theurer – das zeigt sich immer deutlicher –, ist, wie eine Gesellschaft Selbstständigkeit, Gründergeist und Unternehmertum schätzt und bewertet. Darum geht es letzten Endes.

(Beifall bei der SPD)

Dafür gibt es Gründe. Damit hängt zusammen, wie sich eine Gesellschaft zu Neuerungen und auch zu abweichenden Ideen verhält. Von den zwei Partien, die man braucht, um eine Unternehmensnachfolge hinzubekommen – ein Unternehmen, das einen Nachfolger sucht, und einen Nachfolger, der dafür bereitsteht –, bildet heute nicht mehr das Unternehmen den kritischen Teil, nämlich die knappe Ressource, sondern heute ist die Bereitschaft, Unternehmer zu werden, die knappe Ressource in unserer Gesellschaft geworden. Das ist das Problem. Menschen, die bereit sind und den Biss haben, das Wagnis einer Unternehmensübernahme oder einer Nachfolge in der Familie oder einer Gründung zu übernehmen, sind seltener geworden. Dieser zweite Teil ist das Problem.

Da kommt man mit Sonntagsreden nicht viel weiter, auch nicht mit allgemeinen Formeln und dem Hinweis auf all das, was wir schon getan haben. Das ist in der Tat ein Problem gerade bei uns im Land.

Es gibt übrigens ausgezeichnete Quellen und eine gute Datenbasis. Ich gehe davon aus, dass sie dem Ministerium bekannt sind. So gibt es z. B. seit fast zehn Jahren den Global Entrepreneurship Monitor. Das ist das Allerbeste, was man hierzu an Daten zur Verfügung hat. Es erstreckt sich über 42 Länder. Dazu will ich ein paar Bemerkungen machen.

Initiiert von der London Business School gibt es in jedem dieser 42 Länder Stützpunkte. In Deutschland ist das die Universität Hannover. Das dort gesammelte Material liefert jährlich die gründlichsten Daten über die Unternehmensnachfolge, über Gründungen und Übernahmen. Demnach gibt es in Deutschland nur halb so viele Menschen wie im Durchschnitt dieser 42 Länder, die konkret die Nachfolge, Gründung oder Übernahme eines Unternehmens beabsichtigen. Deutschland liegt hier auf Platz 37 von 42 Ländern.

Fragt man die Gründer oder Übernehmer nach ihren Motiven, dann geben in Deutschland drei von zehn Gründern eine defensive Antwort, z. B. Furcht vor drohender Arbeitslosigkeit. Da sind die ganzen Ich-AGs bis 2005 mitgezählt. Die Gründer in Deutschland geben viel weniger positive Motive an als Gründer in anderen Ländern. Bei uns geben sie doppelt so viele defensive Antworten wie im Durchschnitt dieser 42 Länder. Entsprechend weniger nennen auch ein offensives Motiv wie „Ich will selbstständig sein und nichts anderes“.

Die andere Frage, ob Angst vor dem Scheitern ein Hin derungsgrund für Selbstständigkeit sein kann, bejahen in Deutschland 37 %. Das ist der Spitzenwert in all diesen 42 Ländern. Das Alter derer, die sich in Deutschland selbstständig machen, beträgt im Durchschnitt 43 Jahre. Das ist ebenfalls ein Spitzenwert. Wir sehen also, dass das Problem tiefer liegt und dass wir das in unserem Land vielleicht auch mit anderen Mitteln angehen müssen.

Ich werde im zweiten Durchgang noch etwas dazu sagen. Dann werde ich auch etwas zu den Instrumenten sagen, die die Landesregierung dafür bereitgestellt hat. Diese halten wir für erheblich verbesserungsbedürftig. Sie sind schon lange nicht mehr zeitgemäß. Deswegen wird unser Land auch in diesem Bereich, wie in vielen anderen, besser werden müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Sitzmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben gerade schon einige Worte über die wirtschaftliche Situation in Baden-Württemberg gehört, die zu unser aller Zufriedenheit gut ist. Das wirtschaftliche Wachstum hat sich stabilisiert, die Aussichten sind positiv, die Rückwirkung auf die Beschäftigtenzahl wird endlich deutlich: Die Zahl der Beschäftigten steigt. Insofern haben wir eine positive Ausgangslage.

Wir konnten heute aber in den „Stuttgarter Nachrichten“ und in der „Stuttgarter Zeitung“ lesen, dass jetzt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft veröffentlicht worden ist, die darstellt, welches die großen Trends sind, mit denen die Wirtschaft hier in Baden-Württemberg und damit auch die Landespolitik umzugehen hat und die es zu bewältigen gilt: Globalisierung, Dienstleistung, Wissensintensivierung. Von unserer Seite fügen wir als ganz wichtigen Trend noch den Klimawandel hinzu. Das heißt, auch wenn sich die Situation im Moment positiv darstellt, ist nicht die Zeit, um sich auf den Erfolgen auszuruhen. Wir müssen vielmehr weiter daran arbeiten, um die Rahmenbedingungen und die Ausgangssituation der Wirtschaft hier im Land zu verbessern.

Einer der wichtigen Punkte, die hier angeführt werden – da kann ich auch an die Rede meines Kollegen Boris Palmer zu Beginn des heutigen Plenartags anschließen –, lautet: BadenWürttemberg braucht mehr Akademiker und Akademikerinnen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Naturwis- senschaftler! Ingenieure!)

Hier hat die Landesregierung eine ganz entscheidende Aufgabe. Da haben Sie noch darzulegen, wie Sie das denn konkret umsetzen wollen.

(Beifall bei den Grünen)

Es sind einige Punkte angesprochen worden, von denen ich jetzt das aufgreifen will, was in Baden-Württemberg entscheidend ist. Dem Land ist natürlich daran gelegen, den Unternehmen, die zur Übergabe, zur Nachfolge anstehen, Unterstützung zu leisten. Das geschieht mit einigen Initiativen, die im Internet umfangreich dargestellt sind, z. B. mit der Initiative für Existenzgründungen und Unternehmensnachfolge. Die ifex ist hier genannt worden. Zu dem Zwölfpunkteprogramm der ifex gehören auch die Finanzierungshilfen, die hier schon angesprochen worden sind. Da wird insbesondere GuW, Gründungs- und Wachstumsfinanzierung, angesprochen, was sowohl für Gründer und Gründerinnen als auch bei der Nachfolge entscheidend ist.

Hier möchten wir noch einmal auf die Beratende Äußerung des Rechnungshofs vom Dezember vergangenen Jahres hinweisen, der festgestellt hat, dass die Gründungs- und Wachstumsförderung, wie sie derzeit in Baden-Württemberg betrieben wird, dringend auf den Prüfstand muss,

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

denn – so der Rechnungshof – die zu breite Streuung der Förderdarlehen begünstigt Mitnahmeeffekte. Die meisten Exis

tenzgründungen, -festigungen und -übernahmen hätten auch ohne staatliche Förderung stattgefunden. Deshalb ist es ganz klar, dass die Ziele der Wirtschaftsförderung deutlicher herausgearbeitet werden müssen.

Meine Vorrednerin und mein Vorredner haben betont, dass es gerade um kleine und echte Mittelständler geht. Deshalb fordern wir ganz klar eine Begrenzung dieser Gründungs- und Wachstumsförderung auf kleine und mittlere Unternehmen und damit auch eine Begrenzung auf diejenigen, die bis zu 50 Millionen € Umsatz pro Jahr oder 43 Millionen € Bilanzsumme haben. Für diese KMU müssen diese Finanzhilfen bereitgestellt werden, und zwar so, dass es eben nicht zu Mitnahmeeffekten kommt, sondern eine tatsächliche Unterstützung angeboten wird. Der Herr Wirtschaftsminister, der ja sicherlich gleich dazu Stellung beziehen wird, hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Auftrag des Rechnungshofs, wie er dann auch von den zuständigen Ausschüssen in einer Beschlussempfehlung verabschiedet worden ist, umgesetzt wird.

Insgesamt haben wir auch andere kritische Töne zu verzeichnen. Im letzten Jahr gab es eine Studie im Auftrag des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hier im Land das Klima für Unternehmensgründer dramatisch verschlechtert habe. BadenWürttemberg stehe bei den Länderrankings auf dem vorletzten Platz.

Auch der Bundesverband der Selbständigen hat im Februar dieses Jahres eine Umfrage durchgeführt; danach erhält die CDU-FDP/DVP-Landesregierung lediglich die Note 3,3. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Zufriedenheit mit der Landespolitik umso mehr sinkt, je kleiner die Unternehmen sind. Auch hier gibt es dringenden Handlungsbedarf. Dazu mehr in der zweiten Runde.

Danke.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Wirtschaftsminister Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regelung der Unternehmensnachfolge ist für Baden-Württemberg in der Tat eine sehr große Herausforderung. Man muss sich vor Augen führen – ich will das noch einmal kurz zusammenfassen –, dass allein in Baden-Württemberg in den nächsten fünf Jahren rund 60 000 Unternehmen vor der Frage stehen: Wie geht es mit dem Unternehmen weiter? Wird der Sohnemann oder die Tochter es übernehmen oder nicht übernehmen?

Für Baden-Württemberg bedeutet das, je nachdem, ob die Übernahme funktioniert oder nicht funktioniert, dass es dabei um 600 000 Arbeitsplätze geht! Bei 600 000 Arbeitsplätzen wird die Dimension dieses Themas schon klar.

Eines kommt hinzu: Noch vor fünf Jahren haben bei etwa 75 % aller Übernahmen Sohn oder Tochter das Unternehmen übernommen. Dieser Anteil ist heute auf unter 45 % zurückgegangen. Das heißt, wir brauchen in der Zukunft zunehmend externe Lösungen. Dass aber externe Lösungen komplizierter und oft schwieriger sind als interne Lösungen über Sohn oder

Tochter, das leuchtet ein. Weil dies so ist und weil es um 600 000 Arbeitsplätze geht, ist das ein Thema für die Landespolitik, dessen Bedeutung überhaupt nicht zu unterschätzen ist.

Übrigens, meine Damen und Herren, selbst wenn es gelingen würde, durch andere Lösungen – ich sage jetzt einmal: durch große Kapitalgesellschaften, die dann hereinkommen – diese Firmen zu übernehmen und vielleicht auch die Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, würde das für Baden-Württemberg einen erheblichen Verlust an Wirtschaftsidentität bedeuten. Denn bei diesen Unternehmen, die zur Übernahme anstehen, handelt es sich durch die Bank um kleine, mittlere, mittelständische Unternehmen, um familiengestützte Unternehmen, die für Baden-Württemberg sehr wichtig sind. Selbst wenn diese übernommen und die Arbeitsplätze gesichert werden würden, wäre dies für dieses Land ein erheblicher Verlust an Wirtschaftsidentität.

Aus all diesen Gründen war es völlig richtig, dass wir gehandelt und das bereits erwähnte Zwölfpunkteprogramm auf den Weg gebracht haben. Ich will das hier gar nicht mehr im Einzelnen darstellen. Ich will nur einen Punkt herausgreifen, den im Grunde alle Redner betont haben und den auch ich noch einmal betonen will: Es geht in der Tat darum, dass wir auch in Baden-Württemberg einen neuen Anlauf für eine aktive Gründerkultur im Lande Baden-Württemberg machen müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich darf eine Umfrage zitieren, die vor einiger Zeit veröffentlicht worden ist. Da wurden Fachhochschüler und Fachhochschulabsolventen gefragt: Was würdest du am liebsten nach deiner Ausbildung machen? Darauf haben mehr als 60 % geantwortet: Am liebsten würde ich zum Staat gehen.

Dazu kann ich nur sagen: Das wird nicht funktionieren. Der Staat ist zu fett geworden; er muss abspecken, das wissen wir alle. Außerdem: Nicht der Staat soll wachsen, sondern die Wirtschaft soll wachsen. Deshalb ist es notwendig, in die Köpfe der jungen Leute ein höheres Maß an Begeisterung zu bringen, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Diese Gründerkultur muss deutlich gemacht werden, deutlicher als in der Vergangenheit. Daran arbeiten wir. Das gilt sowohl für Existenzgründungen als auch für Übernahmen.

Natürlich geht es da um Geld. Natürlich geht es auch um finanzielle Unterstützung. Wir wissen aus den Gesprächen, die wir führen, dass oft eine schwache Eigenkapitalbasis eines der ganz großen Probleme ist. Natürlich haben wir ein Instrumentarium, mit dem wir darauf reagieren können: durch zinsgünstige Kredite, durch stille Beteiligungen, durch Bürgschaftsprogramme über unsere Bürgschaftsbank, über unsere Mittelständische Beteiligungsgesellschaft, über die L-Bank. Sie alle kennen die Instrumente. Die stehen in Hülle und Fülle zur Verfügung.

Allein im Jahr 2005 haben wir mit diesen Programmen rund 1 500 Übernahmen erfolgreich begleitet. Das alles findet ja statt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wo ist dann das Pro- blem?)

Das Problem, Herr Kollege, besteht darin, dass eine Eigenkapitalschwäche natürlich durch solche Maßnahmen gemildert werden kann. Aber das beste Programm, Eigenkapital zu bilden, also Eigenkapitalschwächen zu mildern, abzubauen, besteht darin, diesen kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Gewinne zu machen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD – Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Das hat die SPD noch nie verstanden!)

Das ist eben das, was Kollege Dr. Rülke vorhin als die „Abteilung Berlin“ angesprochen hatte. Wir hier im Land haben unsere Hausaufgaben gemacht, übrigens weit über das hinaus, was ich jetzt gesagt habe.

Ich will noch ergänzend darauf hinweisen: Wenn wir davon sprechen, dass wir eine neue Gründerkultur wollen, dann müssen wir im Grunde sehr früh bei den Jungen ansetzen. Ich sage: Wir müssen bereits in der Schule ansetzen.