Protocol of the Session on April 26, 2007

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 24. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Dr. Bullinger und Kübler erteilt.

Krank gemeldet ist Herr Abg. Jägel.

Aus dienstlichen Gründen haben sich entschuldigt Herr Minister Stratthaus, Herr Minister Professor Dr. Reinhart und – heute Nachmittag – Frau Ministerin Dr. Stolz sowie Herr Minister Rech.

Dienstlich verhindert ist Herr Minister Professor Dr. Frankenberg.

Meine Damen und Herren, mit tiefer Erschütterung haben wir zur Kenntnis genommen, dass gestern in Heilbronn eine 22jährige Polizeibeamtin erschossen worden ist. Ihr 24-jähriger Kollege wurde lebensgefährlich verletzt. Der Verlauf und die Hintergründe dieser schrecklichen Tat liegen bislang im Dunkeln.

Die beiden Bereitschaftspolizisten waren im Rahmen des Programms „Sichere City“ im Einsatz. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen der getöteten Polizeibeamtin. Unsere Gedanken sind bei dem verletzten Polizeibeamten, dem wir eine baldige, vollständige Genesung wünschen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Chancen für Handwerk und Mittelstand aus Baden-Württemberg im europäischen Markt – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten: je fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und je fünf Minuten für die Sprecher in der zweiten Runde. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an diesen vorgegebenen Zeitrahmen zu halten.

Das Wort erteile ich Frau Abg. Fauser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Handwerk und Kleinunternehmen sind der Lebensnerv unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft.“ Diese Aussage von Günter Verheugen kann man nur nachdrücklich unterstützen. Die Kleinunternehmen stellen bei uns in Europa die meisten Arbeitsplätze und die meisten Ausbildungsplät

ze. Es ist erfreulich, dass die Europäische Kommission bei ihrer Tagung in Stuttgart als zentrales Thema das Motto wählte: „Chancen und Herausforderungen für das Handwerk und Kleinunternehmen im Europäischen Binnenmarkt“.

90 % aller Unternehmen, meine Damen und Herren, haben weniger als zehn Mitarbeiter. Diese Unternehmen werden nun von der Europäischen Kommission verstärkt in den Fokus genommen. In Deutschland beschäftigen wir im Handwerk fünf Millionen Mitarbeiter, davon sind 10 % Auszubildende. Wir haben dank dem Handwerk das Glück, im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit statistisch hervorragend dazustehen. Alle europäischen Länder haben im Vergleich zu uns eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosenquote.

Ein Umsatz von fast 500 Milliarden € ist ein Ausweis für die Leistungsstärke des Handwerks. Auch in Baden-Württemberg bilden die Handwerksbetriebe ein Drittel aller jungen Menschen aus. Ein leistungsfähiges Handwerk und innovative Kleinunternehmer sind ein Transmissionsriemen und tragen zur Flexibilität unserer Wirtschaft erheblich bei. Das Handwerk ist die Grundvoraussetzung für einen Großteil unseres Maschinenbaus und die Patente, die wir hier im Land haben. Viele junge Leute, die einst einmal Werkzeugmacher gelernt haben, sind später als Unternehmer bekannt geworden.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Darüber hinaus hat das Handwerk in wesentlichem Maß zur Schaffung der hervorragenden Marke „Made in Germany“ beigetragen. „Made in Germany“ ist glücklicherweise noch heute für uns alle ein Exportschlager. Wir müssen darauf achten, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für uns hat ein leistungsfähiges Handwerk oberste Priorität. Deshalb hoffen wir, dass das duale Ausbildungssystem in ganz Europa ein Exportschlager wird und dass es nicht abgeschafft, sondern erweitert wird.

Bevor ich auf die vielfältigen Anregungen eingehe, die von dieser Konferenz der Europäischen Kommission ausgehen sollen, möchte ich einige Punkte nennen, die unabdingbar sind, um das Handwerk bei uns auch in Zukunft zu stützen.

Wie Sie alle wissen, ist Deutschland ein überaus teurer Standort. Wir belasten darüber hinaus die Unternehmen überproportional mit Kosten und mit Bürokratie: von den Berufsgenossenschaften über die Insolvenzumlage, das Mutterschaftsgeld bis hin zum Behindertengeld. Das mag alles seine Rich

tigkeit haben, aber im internationalen, im europäischen Wettbewerb müssen wir dafür sorgen, dass wir unsere Unternehmen nicht mehr belasten, als es andere Länder mit ihren Unternehmen tun.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wie Sie alle wissen, hat das Handwerk pro Jahr und Mitarbeiter ungefähr 4 000 € an Bürokratiekosten zu zahlen, während sich die Bürokratiekosten pro Mitarbeiter bei Großunternehmen sehr stark nivellieren. Wie Sie alle wissen, müssen zum Teil bis zu 900 Abfallsorten deklariert werden, und wer sich das neue HACCP-Vorschriftenwerk zur Hygiene im Hotellerie- und Gastronomiegewerbe angeschaut hat, weiß, dass dies kaum zu verarbeiten ist.

Darüber hinaus ist die Höhe der Mehrwertsteuer in Europa sehr uneinheitlich, aber auf jeden Fall für das Handwerk in Baden-Württemberg zu hoch. Gerade im direkten Vergleich mit Frankreich müsste hier eine Änderung stattfinden. Wir brauchen für lohnintensive Bereiche in jedem Fall einen anderen Mehrwertsteuersatz, als wir ihn bisher haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich möchte in diesem Zusammenhang jetzt gar nicht über das Antidiskriminierungsgesetz sprechen, das gerade für kleinere Unternehmen einen weiteren schwierigen Bürokratiebaustein darstellt.

Wir müssen – und da hat Bundeswirtschaftsminister Glos auf jeden Fall recht – die Steuerreform in manchen Bereichen noch einmal überdenken, weil sie gerade kleinere Unternehmen bei Thesaurierungsrückstellungen bzw. bei Abschreibungen überproportional benachteiligt. Die kleinen Unternehmen – Handwerk und Mittelstand – zahlen im Grunde einen Großteil der Steuerentlastung, die die großen und starken Unternehmen erhalten. Dies müssen wir nochmals überdenken. Auf Handwerkskammerseite ist man deshalb der Auffassung, dass ganz dringend etwas passieren muss.

Darüber hinaus müssen wir darauf achten, dass im europäischen Rahmen die Meister- und Gesellenprüfung im Handwerk entsprechend anerkannt wird. Aber dies werde ich in der zweiten Runde noch ausführen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Stefan Scheffold und Dr. Klaus Schüle CDU – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfis terer.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird es noch bes- ser! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Jetzt kommt der Werkzeugmacher!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Unser Reichtum sind nicht die Mundwerker, sondern die Handwerker.

Dieses Zitat stammt von dem CDU-Politiker Dregger, der damit sagte, wie wichtig das Handwerk für uns ist.

Ohne die Handwerker, die auch Kopfwerker sind, würde unser Land Baden-Württemberg nie so gut dastehen, wie es heute dasteht. Ich kann dies aus eigener Erfahrung sagen; ich bin selbst Handwerksmeister – Feinmechanikermeister – und weiß daher, was im Handwerksbereich entsprechend abgeht.

Ich mache sehr viele Betriebsbesichtigungen, und ich schaue mir sehr viele Einrichtungen an, um genau die Erfahrungen zu sammeln, die man braucht, um zu wissen, was die Handwerker beschäftigt. Demzufolge kämpfe ich auch immer wieder sehr stark dafür, dass sich auch die Handwerksmeister entsprechend weiterqualifizieren können. Das war auch der Grund dafür, dass wir hier im Landtag vor einiger Zeit das Hochschulstudium für Meister ermöglicht haben – ein wichtiger Bereich.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Europa und das Handwerk stehen in sehr langer Tradition zusammen. Wir wissen genau, was das heute heißt. Früher gab es Handwerker auf Wanderschaft. Genau das ist der Grund, warum auch heute wiederum viele Handwerker in andere Länder gehen müssen, um Erfahrungen zu sammeln. Das ist nicht immer einfach, aber notwendig. Handwerker sammeln ihre Erfahrungen heutzutage in ganz Europa, und das bietet unserem Mittelstand viele Chancen. Aber dazu muss man sich auch dementsprechend informieren und muss in andere Länder gehen.

Ein weiterer Punkt ist das bereits angesprochene Thema der weltweiten bzw. europaweiten Anerkennung der Berufsabschlüsse.

Ein Thema, das uns sehr beschäftigt, ist das Thema Bürokratie. Dieses Stichwort wird immer wieder genannt. Es ist leicht, darüber zu reden, aber schwer, hier etwas zu ändern. Aus diesem Grunde war es wichtig, in Baden-Württemberg dieses Thema aufzugreifen und zu sagen: „Man muss hier etwas tun.“ Dem kommt man auch nach. Alwin Münchmeyer hat einmal gesagt:

Das Vaterunser hat 56 Wörter, die zehn Gebote haben 297. Aber eine Verordnung der EG-Kommission über den Import von Karamellen und Karamellprodukten zieht sich über 26 911 Wörter hin.

Wer dies hört und weiß, kann sich vorstellen, dass der Bürokratie entgegengewirkt werden muss. In Baden-Württemberg gibt es aus diesem Grunde das Pilotprojekt „Bürokratiekostenmessung“, das Staatssekretär Böhmler bei uns bearbeitet. Damit kann man genau messen, welche Belastungen die Bürokratie verursacht. Wir haben aus diesem Grund Gesetzesvorhaben überarbeiten müssen, um genau da die Handwerksmeis ter, die Handwerksbetriebe zu entlasten. Das Land BadenWürttemberg schneidet aus diesem Grunde sehr gut ab, was die bürokratische Belastung der Betriebe angeht. Aber mittlerweile werden 95 % der Informationspflichten vom Bund und von der EU verursacht. Demzufolge müssen auch im Bund oder in der EU entsprechende Änderungen herbeigeführt werden.

Mittlerweile gibt es in der EU 1 200 Beratungsgremien. Das zeigt, dass hier eine völlig unüberschaubare Situation gegeben ist, die geändert werden muss.

Der Europäische Binnenmarkt ist mittlerweile einer der größten Wirtschaftsräume und Arbeitsmärkte der Welt mit enorm vielen Chancen und Möglichkeiten. Aus diesem Grund sagen wir immer wieder: Das Land Baden-Württemberg wie auch die CDU Baden-Württemberg sind Partner des Handwerks, wenn es darum geht, Unterstützung zu leisten. Wir tun alles dafür, dass mittelständischen Betrieben geholfen wird, und zwar auf unbürokratische Art und Weise.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Der Mittelstand und das Handwerk müssen sich in keiner Weise verstecken. Unsere Handwerker haben eine hervorragende Ausbildung, und bei uns müssen Qualität und Leistung stimmen. Dazu trägt vielfach der Meisterbrief bei. Ihn gilt es zu erhalten, gerade in der EU. Denn unser großes Know-how ist unsere große Chance. Die optimale Ausbildung und die Möglichkeiten, verzahnt zu denken, sind dabei ganz wichtige Kriterien.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Auch die EU hat mittlerweile gemerkt, dass nicht die Großkonzerne in den Fokus zu nehmen sind, sondern die Kleinbetriebe – die Kleinbetriebe, die Beständigkeit bieten, die ihre Arbeitnehmer auch in schwierigen Zeiten halten und nicht ihre Arbeitsplätze verlagern, weil ihnen die Bilanz und der Aktienkurs wichtiger sind. Es geht um die Arbeitskräfte, es geht darum, dass gute Arbeitskräfte bei uns die Grundlage darstellen für ein enormes Wirtschaftswachstum, für eine gute Ausbildung und für die Sicherung der Arbeitsplätze und der Einkommen in Baden-Württemberg.

Vielen Dank.