Protocol of the Session on March 14, 2007

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Klenk, es geht weder um die Zwangseinweisung aller Babys in Krippen, noch wollen wir den Eltern die Kinder wegnehmen. Es geht auch nicht um einen Angriff auf die Familien, es geht um eine Unterstützung, die wir Familien zukünftig geben wollen, damit tatsächlich das entsteht, von dem Sie vorhin behauptet haben, dass wir es schon hätten. Wir haben noch keine Wahlfreiheit für Frauen und Männer. Denn wenn es die Angebote nicht gibt, kann man auch nicht auswählen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ministerpräsident Oettinger hat in einer seiner Regierungserklärungen gesagt: Die Kleinkindbetreuung ist die Messlatte dafür, wie kinder- und familienfreundlich Baden-Württemberg tatsächlich ist. Noch ist das Land Baden-Württemberg weit davon entfernt, ein ausreichendes, flächendeckendes und hochwertiges Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren anzubieten. Die Zahl der Betreuungsplätze für Kleinkinder ist zwar in den letzten vier Jahren um 60 % gestiegen,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Na so was!)

aber auf einem sehr niedrigen Niveau, Kollege Kluck. So haben wir jetzt gerade für rund 25 000 Kinder ein Betreuungs angebot. Das sind 8,7 %.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat einen Bedarfskorridor von 15 bis 30 % errechnet. Die Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts, die auch für Ba

den-Württemberg gilt, hat eine Befragung bei den Eltern in Baden-Württemberg gemacht, nach der sich immerhin 30 % der Eltern für ihre Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze wünschen. Deshalb sagen wir in Baden-Württemberg, dass wir bis 2010 im Durchschnitt für jedes vierte Kind einen Betreuungsplatz für dringend notwendig halten. Das heißt, wir brauchen 50 000 zusätzliche Plätze.

Es ist natürlich klar, dass es unterschiedliche regionale Bedarfe gibt. Es ist klar, dass der Bedarf in Stuttgart ca. 45 % beträgt und es in ländlichen Kreisen eher einen Bedarf von 10 bis 15 % geben wird. Aber wir brauchen im Ganzen ca. 50 000 Plätze, was einer landesweiten durchschnittlichen Quote von 25 % entsprechen würde.

Wir setzen auf eine Familienpolitik, die sich nicht an Ideologien orientiert, sondern an Realitäten, die da heißen: Ohne eine verlässliche Kleinkindbetreuung ist es schlecht bestellt um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ist es auch sehr schlecht bestellt um das „Kinderland“ Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns, dass diese Erkenntnis nun auch in großen Teilen der CDU und auch in Teilen der katholischen Kirche wächst. So zitiere ich jetzt nicht den Bischof Mixa, sondern Hans Joachim Meyer, den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:

Der Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder ab drei Jahren ist überfällig und dringend notwendig. Eltern haben nur dann echte Wahlfreiheit, wenn für ihre Kinder solche Angebote erreichbar und in ausreichender Anzahl vorhanden sind.

Das, Kollege Klenk, zum Thema, die Eltern selbst entscheiden zu lassen.

Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die Politik der rot-grünen Bundesregierung in diesem Punkt fortführt und sogar noch über das Tagesbetreuungsausbaugesetz hinausgeht und sagt, dass bis zum Jahr 2013 für jedes dritte Kind eine Kleinkindbetreuung angeboten werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Tagesbetreuungsausbaugesetz, das TAG, hat ja auch in Baden-Württemberg bewirkt, dass Kommunen und Land ihre Anstrengungen ver stärkt haben, die Kleinkindbetreuung auszubauen. Da sieht man einmal wieder, dass nur unter stärkstem Druck die schöns ten Diamanten entstehen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und Abgeord- neten der SPD)

Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist nicht, ob wir die Kleinkindbetreuung ausbauen, sondern ist, unter welchen Rahmenbedingungen die Kommunen den Ausbau bewerkstelligen sollen und wie viele zusätzliche Plätze wir brauchen. Der Ministerpräsident will eine Verdoppelung der Zahl der Plätze bis zum Jahr 2010, also eine Betreuungsquote von 18 %, die Bundesfamilienministerin will bis zum Jahr 2013 die Zahl der Betreuungsplätze verdreifachen, es soll 750 000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige geben.

Wir meinen dazu, dass das längst überfällig ist. Denn ohne einen raschen Ausbau der Kleinkindbetreuung läuft doch Ihr Elterngeld ins Leere. Väter und Mütter können eben nicht nach 14 Monaten Elternzeit einfach so in den Beruf zurückkehren, wenn sie keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder haben. Deshalb fordern wir Grünen seit Langem auch einen Rechtsanspruch für Kinder ab einem Jahr.

Natürlich kann das Land, Kollege Klenk, diesen Rechtsanspruch einführen, aber natürlich kann auch der Bund diesen Rechtsanspruch formulieren. Auch nach der Föderalismusreform sind das TAG und das Kinder- und Jugendhilfegesetz auf Bundesebene noch wirksam. Voraussetzung ist natürlich, dass sich der Bund an den Kosten beteiligt. Wer Vorschläge macht und Forderungen aufstellt, muss auch sagen, wie es zu bezahlen ist. Da stimme ich dem Ministerpräsidenten Rüttgers aus NRW voll zu, aber auch Friedbert Pflüger, der ja ebenfalls nicht Mitglied unserer Partei ist, der davor warnt, die Finanzierungsfrage zum Vorwand zu nehmen, um die Sache zu kippen.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht sein, dass wir die Kommunen mit dieser Riesenaufgabe im Regen stehen lassen. Im Augenblick beteiligt sich das Land nur mit 10 % an den Betriebskosten bei der Kleinkindbetreuung, im Gegensatz zur 30-prozentigen Beteiligung bei den über Dreijährigen. Dafür gibt es keinen Grund. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, sich zukünftig auch mit 30 % an den Betriebskosten für die Kleinkindbetreuung zu beteiligen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Der Rednerin wird das Ende ihrer Redezeit ange- zeigt.)

Ich kommen zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns hier in Baden-Württemberg gemeinsam darüber streiten, wie wir den Ausbau der Kleinbetreuung am besten hinbekommen, wie viele Angebote es zu welchem Preis und in welcher Qualität geben muss. Lassen Sie uns den Impuls vom Bund als eine Initiative aufnehmen, die wir dankend annehmen, aber lassen Sie uns nicht darüber streiten, ob der Ausbau der Kleinkindbetreuung ein Angriff auf die Familie ist oder nicht.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Handeln statt reden“ ist das Thema. Diese Koalition und die von ihr getragene Regierung haben gehandelt. Man darf doch, wenn man in einer Tabelle – vergleichbar mit der Fußballbundesliga – von einem Abstiegsplatz in Sachen Kinderbetreuungsangebote unter den Ländern auf einen guten Mittelfeldplatz mit Tendenz nach oben gekommen ist, diese Tatsache auch einmal freudig feststellen. Deswegen glaube ich, dass das, was Frau Stolz gestern der Öffentlichkeit vorgestellt hat, ein greifbarer Beweis dafür ist, dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln,

(Beifall bei der FDP/DVP)

und dass wir das, was wir zur Förderung insbesondere von Betreuungsangeboten für unter Dreijährige zugesagt haben – das ist im Haushalt nachlesbar –, auch konkret mit Haushaltsmitteln unterlegt haben. Daher kann man sagen: Wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch.

Wir müssen, wenn wir im Interesse der Eltern und der Kinder weiter nach oben kommen wollen, selbstverständlich darüber reden, wie wir das schaffen. An vorderster Stelle steht dabei das Reden mit den Kommunen, die das vor Ort umsetzen müssen.

Die Frage lautet auch: Über wen reden wir eigentlich? Ich will Ihnen das einmal sagen. Wir reden natürlich über die Kinder. Warum entscheiden sich aber immer weniger junge Menschen, den Wunsch, Kinder zu haben, zu realisieren? Ich behaupte bei der ganzen Thematik „Demografische Entwicklung“: Das hat auch etwas mit Bewusstseinsbildung zu tun. Ich habe immer auch ein bisschen ein Problem mit dem Thema „Bedarfsgerechtigkeit“. Denn wenn ich einfach abfrage, wie viele Plätze wir statistisch gesehen in den nächsten drei Jahren möglicherweise brauchen werden,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wie viele sind denn erwerbstätig?)

dann wird beispielsweise völlig ausgeblendet, dass ein Mädchen, das noch in der Schule – also weit weg von der beruflichen und der Familienphase – ist, mit Sicherheit in seinem ganzen Bewusstsein – das gilt übrigens nicht nur für die Mädchen, sondern auch für die Jungen – registriert: Wie ist später das Umfeld bei der Berufswahl für mich, auch bei der Frage, wie ich Familie und Beruf künftig vereinbaren kann? Deshalb glaube ich, dass man nicht einfach Bedarfszahlen statistisch prognostizieren sollte, die alles über einen Kamm scheren.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

In der Tat herrschen Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und Ballungsräumen. Wenn man Wahlfreiheit will, muss man natürlich vermehrt Angebote schaffen. In der Medizin wird immer von der Angebotsinduktion gesprochen: Je mehr es von etwas gibt, umso mehr wird es wahrgenommen. Dort wird das kritisiert. Aber in diesem Fall – da sind wir uns einig – brauchen wir die Angebotsinduktion, damit wir möglichst viele Chancen bieten.

Das erreicht man jedoch nicht dadurch, dass man immer nur die Zahl der Krippenplätze heranzieht. Es gibt die unterschiedlichsten Formen. Wir sind ja stolz darauf, dass wir es gerade im ländlichen Raum über Tageselternbetreuung kostengünstig schaffen, eine sehr flexible Kinderbetreuung anzubieten. Die ermöglicht übrigens im doppelten Sinn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: nämlich sowohl der Familie, die das Kind in die Tagesbetreuung gibt, als auch der Familie, die das Kind aufnimmt, weil die Frau gleichzeitig ihre eigene Familie betreut und ihre Kinder erzieht und ihren Beruf als Tagesmutter ausüben kann.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Daher ist das für uns ein ganz wichtiges Thema.

Man muss selbstverständlich weiter über die Finanzierung reden. Dass wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen, ist völlig klar.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Dann machen Sie es doch! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Redet nicht nur, sondern macht es!)

In einem muss ich dem Kollegen Klenk recht geben. So wie beim TAG kann es nicht gehen, dass man sagt: Ihr sollt für 20 % der Kinder Betreuungsplätze schaffen, dafür bekommt ihr Entlastung bei Hartz IV – die nie gekommen ist.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Pseudogeld!)

So will ich das bitte schön nicht haben. Wir sollten nichts zerreden, aber künftig schon klare Verantwortlichkeiten, auch finanzielle Verantwortlichkeiten benennen.

Da stehe ich nicht an zu sagen: Der Bund hat für mich in allererster Linie die Pflicht, über Steuer- und Transferrecht das Existenzminimum bzw. eine gute Existenz für Familien zu gewährleisten. Das ist Bundesaufgabe. Ich bin nach wie vor der Meinung – da stimme ich übrigens mit dem Kollegen Mappus sehr überein –, dass der innerhalb der CDU – Modell Merz – diskutierte Freibetrag von 8 000 € – bei uns war es Solms, der hat 7 500 € vorgesehen; wahrscheinlich hätten wir uns in der Mitte getroffen, wenn es eine Koalition gegeben hätte –,

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

eine ideale Familienförderung in steuerrechtlicher Hinsicht gewesen wäre.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Wir sollten nicht immer nur auf die Betreuungsseite schauen; beides muss sein.

Wenn man z. B. nach Frankreich schaut, sieht man, dass sich das französische Steuersystem gerade dadurch auszeichnet, dass man mit drei oder mehr Kindern praktisch so gut wie keine Steuern mehr zahlt. Darüber nachzudenken lohnt sich, aber das können wir hier nicht entscheiden. Wir können jedoch gemeinsam versuchen, etwas in dieser Richtung zu bewegen.

Wenn der Bund weiterhin einen Anspruch schafft, dann muss dabei natürlich das Konnexitätsprinzip gelten – aber bitte schön nicht wieder, indem man sich irgendein Modell zusammenstrickt, in dem man womöglich die Investitionen fördert, aber die Personalkosten außen vor bleiben, sodass die dann von anderen getragen werden müssen. Nein, das muss dann unbürokratisch ohne eine Normierung von oben in der Weise gestaltet werden, dass die Kommunen zusammen mit dem Land das Geld hierfür zur Verfügung haben.

Diese Aufgabe haben die Kommunen im Übrigen nicht erst seit diesen Debatten erkannt, sondern sie versuchen schon immer, Betreuungsplätze real vor Ort anzubieten und Angebote bedarfsgerecht auszuweiten. Dafür gibt es viele positive Beispiele. Deswegen lohnt es sich, gemeinsam mit den Kommunen darüber zu reden,