Protocol of the Session on December 6, 2006

(Beifall bei der CDU)

Die Große Anfrage hat im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, sehr interessante Erkenntnisse gebracht, z. B. beim Thema Personalquote. Im Jahr 2001 haben wir eine Pflegekraft auf 2,64 Heimbewohner gehabt; im Jahr 2005 hatten wir eine Pflegekraft auf 2,48 Heimbewohner. Wenn Sie diese Veränderung umrechnen, dann ergibt sich, dass eine Pflegekraft für einen zu Pflegenden am Tag heute eineinhalb Stunden mehr Zeit hat als noch vor fünf Jahren. Ich glaube, das muss man auch sehen. Es sind die Heime selbst, die die Pflegekräfte einstellen, und es muss klar sein: Wenn wir mehr Pflegekräfte wollen, bedeutet das natürlich, dass unsere Heime teurer werden. Wir müssen aber unsere Heime bezahlbar halten. Ich glaube, das ist in dieser Situation ganz wichtig.

So uninteressant kann das Thema Pflege übrigens nicht sein, denn wie wir inzwischen wissen, steigt die Zahl der Auszubildenden in den Pflegeberufen wieder an. Alleine im letzten Jahr gab es 300 junge Pflegekräfte mehr in der Altenpflege als vorher. Sie wissen, dass wir vor zwei Jahren miteinander die Ausbildungsumlage beschlossen haben. Wir bekommen junge, gut ausgebildete Leute – da bin ich wieder beim Thema Fixierung –, die bereits in ihrer Ausbildung lernen, wie man mit den Anforderungen in der Gerontopflege und mit gerontopsychiatrischen Fällen umgeht.

Wenn ich ein Altenheim besuche – und ich besuche viele Altenheime, Frau Mielich –, dann bekomme ich zwei Sachen gesagt. Erstens: Wir haben nicht mehr die Bewohner, wie wir sie noch vor zehn Jahren hatten. Die klassischen Altenheime gibt es so gut wie nicht mehr; wir haben Altenpflegeheime. Die Patienten kommen im Durchschnitt mit 85 Jahren in ein Pflegeheim und sind im Durchschnitt dann

noch zwei Jahre in diesem Pflegeheim, bevor sie sterben. Das sind völlig andere Voraussetzungen als vor zehn Jahren.

Zweitens wird mir in jedem Pflegeheim gesagt – Statistiken belegen das auch –, dass inzwischen 60 % der Heimbewohner in den Pflegeheimen demente Patienten sind. Bei den dementen Patienten – Sie sind vom Fach, Sie müssten das wissen – ist natürlich eine ganz andere Pflegesituation notwendig als noch vor zehn Jahren. Die Fortbildungen gehen darauf ein, die Erstausbildungen gehen darauf ein, und die Träger selbst haben ein Interesse.

Jetzt will ich zum Thema Heimrecht kommen. Wir haben ein Heimrecht, das wir in Baden-Württemberg umsetzen sollen und wollen. Hier gilt aber: Gründlichkeit vor Geschwindigkeit. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir im Heimrecht durchaus das Thema Fixierung aufnehmen. Wir haben eine Heimaufsicht, wir haben inzwischen Heimfürsprecher, und wir haben einen Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Die laufen nicht nur in den Heimen herum und schauen Akten an, sondern die schauen sich die zu Pflegenden an. Würde es Missstände in dem von Ihnen angesprochenen Bereich geben, glaube ich, dass wir von diesen Missständen längst wüssten. Die Landesregierung informiert sich regelmäßig. Es gibt unangekündigte Pflegebesuche. Mir ist nicht bekannt, dass es bei diesem Thema auch nur den Hauch eines Problems geben würde. Sie haben hier etwas dargestellt, was in Baden-Württemberg nicht der Realität entspricht.

Ich bitte Sie noch einmal herzlich darum, sich gut zu überlegen, wie wir mit diesem Thema umgehen. Eine künstliche Skandalisierung schadet dem Pflegeberuf, schadet den Bewohnern, schadet den Heimen und schadet letztendlich auch der Landespolitik; denn die Menschen hier im Land haben es nicht verdient, dass man ihnen hier nicht die Wahrheit sagt. Ich glaube, wir können noch einiges machen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe der Abg. Boris Pal- mer und Bärbl Mielich GRÜNE)

Frau Mielich, wenn ich dann noch lese, man könne das Problem möglicherweise durch den Einsatz Ehrenamtlicher beseitigen, dann muss ich Ihnen sagen: Wenn ich eine ehrenamtliche Kraft hinzuziehe, um Fixierungen nicht machen zu müssen, dann müsste ich jemanden 24 Stunden am Tag neben einen dementen Menschen setzen. Zeigen Sie mir ehrenamtliche Kräfte, die imstande sind, diese Leistung zu vollbringen; zeigen Sie mir ehrenamtliche Kräfte, die eine gerontopsychiatrische Ausbildung haben, dann können wir uns wieder darüber unterhalten. Aber einen Skandal in Sachen Fixierung gibt es in Baden-Württemberg nicht.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Altpeter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her

ren! Wenn wir die Pflege in die Mitte der Gesellschaft rücken wollen – und das muss angesichts der demografischen Entwicklung in diesem Land und angesichts der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen jetzt und in der Zukunft unser aller Anliegen sein –, dann braucht die Pflege vor allem eines: Sie braucht eine gute Öffentlichkeit. Was sie aber nicht braucht, ist, dass man sich an Skandalreportagen anhängt, seien sie in Buchform oder in Form einer Fernsehsendung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Ganz klar möchte ich an dieser Stelle aber auch sagen: Wenn es Missstände gibt, dann müssen sie benannt werden und dann müssen sie auch – je nach Zuständigkeit – sowohl aufseiten des Landes als auch aufseiten der Träger oder der Kommunen behoben werden. Dafür haben wir im Land die Heimaufsicht. Wir wissen, dass wir bei der Heimaufsicht bei Weitem noch nicht so gut aufgestellt sind, wie wir es angesichts der wachsenden Aufgaben, die auf die Heimaufsicht im Lande zukommen, und auch angesichts der Herausforderungen sein sollten. Insofern muss es uns ein Anliegen sein – und dies erwarten wir auch ausdrücklich von einem neuen Heimrecht –, dass zukünftig die Zusammenarbeit zwischen dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und den Heimaufsichten im Land verbessert wird, damit gemeinsam an einem Strang gezogen werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Da, wie Frau Mielich gesagt hat, wenig konkrete Zahlen über die Fixierungen im Land vorliegen, könnten wir uns durchaus auch vorstellen, dass wir in Zukunft über die Heimaufsicht die Zahl der Fixierungen abfragen und dass diese Zahl dann in den landesweiten Heimaufsichtsbericht eingeht, den wir hier auch zu beraten haben. Wenn wir dann feststellen, dass sich die Zahlen tatsächlich den von Ihnen, Frau Mielich, genannten annähern, wird es, glaube ich, auch dringend Zeit, tätig zu werden. Aber ich halte es für notwendig, erst einmal konkrete Zahlen zu erheben, und ich halte die Heimaufsicht für das hierfür geeignete Gremium; denn in den Heimaufsichten haben wir mittlerweile auch Pflegekräfte, die in puncto Pflegequalität einiges zum Thema beitragen können.

In der Großen Anfrage wurde ja nicht nur nach den Fixierungen gefragt, sondern vor allem und in erster Linie nach Pflegequalität. Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen, dass die Pflegequalität nicht nur an der Anzahl der Fixierungen festzumachen ist,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr rich- tig!)

sondern auch an anderen Qualitätsmerkmalen. Ein wesentliches Qualitätsmerkmal ist die Ausstattung mit Personal in den Pflegeheimen und da vor allem mit qualifiziertem, professionellem Pflegepersonal.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Ich fand es ganz interessant, in der Beantwortung der Großen Anfrage zu lesen, dass dort, wo die Fachkraftquote –

sie liegt im Durchschnitt bei über 50 % – erfüllt oder übererfüllt ist, in aller Regel auch weniger Fixierungen vorkommen und die Pflegequalität besser ist. Ich finde das insofern ganz interessant, weil noch in der vergangenen Legislaturperiode die Landesregierung – und sie hat sich in ihrer Zusammensetzung ja nur unwesentlich verändert – in einer Bundesratsinitiative die Absenkung der Fachkraftquote auf 30 % gefordert hat.

Wenn wir aber sehen, dass in den Pflegeheimen umso qualifizierter gearbeitet wird, je höher die Fachkraftquote ist, und wenn wir wissen, dass wir ein Interesse daran haben müssen, den Bewohnerinnen und Bewohnern eine qualitativ hochwertige Pflege anbieten zu können, dann verbietet sich eigentlich für die Zukunft jegliche Forderung, jeglicher Schrei nach Absenkung der Fachkraftquote.

(Beifall bei der SPD)

Eines ist sicher: Wir haben es in Zukunft in der Pflege noch mit vielen Herausforderungen zu tun. Das Heimrecht wird ein erster Maßstab dessen sein, wie im Land Baden-Württemberg mit der Zukunft der Pflege umgegangen wird. An diesen Punkten wird sich die Landesregierung auch messen lassen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP/DVPFraktion erhält Herr Abg. Dr. Noll das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Mielich, ich hätten Ihnen ein besseres Entree in die sozialpolitische Debatte dieses Landes gewünscht. Sie sind ja neu im Sozialausschuss. Aber wenn Sie eine Große Anfrage zu der anspruchsvollen Thematik „Maßstäbe und Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Pflege in Baden-Württemberg“ stellen, was aufhorchen lässt und was eine berechtigte Große Anfrage ist, und man sich dann rein quantitativ anschaut, was Ihr Maßstab für Pflegequalität ist, stellt man fest, dass es das Ausmaß von Fixierungen ist.

Das ist schon sehr stark reduziert, und man kann es noch weiter quantifizieren. Von den Fragen beziehen sich nämlich drei Fragen auf die Personalsituation in baden-württembergischen Pflegeeinrichtungen, 15 Fragen im weitesten Sinne auf die Fixierung und drei Fragen, die Sie aber auch noch mit Fixierungen in Zusammenhang bringen, auf das bürgerschaftliche Engagement. Das heißt, Sie betrachten das ganze Thema „Qualität in der Pflege“ eigentlich nur unter einem einzigen Gesuchtspunkt, der sicherlich wichtig ist. Es liegt schon der Verdacht nahe, dass Sie mit einem emotional besetzten Thema einfach schnell in die Schlagzeilen kommen wollten. Jedenfalls werden Sie dem Anspruch des Titels mit Ihrer Großen Anfrage überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Im Übrigen bin ich mit dem Kollegen Hoffmann der Meinung, dass Sie genau das, was Sie vielleicht erreichen wollten, nicht erreichen. Wenn wir Qualität in der Pflege wollen, geht es zunächst einmal um die Menschen in den Pflegeeinrichtungen, und zwar um die Menschen, die die Qualität liefern sollen.

Da ist eine der Antworten der Landesregierung bezeichnend:

Aus Sicht des DRK werde die (psychische) Belastung für Pflegekräfte und deren Leistungen zusätzlich durch ein schlechtes Image von Beruf und Einrichtungen sowie durch eine wenig hilfreiche negative Berichterstattung über Einzelfälle verstärkt.

Frau Mielich, ich muss leider auch die Große Anfrage in Ihren Versuch einbeziehen, solche Einzelfälle hochzuziehen. Das ist genau das, was diejenigen, die einen Pflegeberuf ausüben, wirklich nicht brauchen können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Es gibt dennoch ein paar interessante Ansatzpunkte, die aus der Antwort der Landesregierung hervorgehen. Ein Punkt betrifft z. B. das statistische Material, die von Ihnen geforderten Statistiken bezüglich dieser Fixierungen. Auch bei diesen Prozentzahlen vermitteln Sie den Eindruck, es ginge von dem Umstand, dass die Station abgeschlossen sein muss, damit sie niemand verlassen kann, bis hin zur körpernahen Fixierung. Das ist natürlich auch unredlich.

Bei der ReduFix-Studie weisen die Autoren selbst darauf hin: Sie betrifft Einrichtungen, in denen fast ausschließlich Schwerdemenzkranke waren, für die die Fixierung nicht zur Entlastung des Personals, sondern zum Schutz der zu Pflegenden vorgenommen wird.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau das sagen sie nicht! Genau diesen Zusammenhang stellen die nicht her!)

Das sollte man schon sehr, sehr stark in den Vordergrund stellen.

In der Statistik auf Seite 4 der vorliegenden Drucksache ist die Personalentwicklung in den Einrichtungen von 2001 bis 2005 aufgeschlüsselt. Da ist vor allem die zweite Tabelle von großem Interesse. Im Bereich „Leitung und Verwaltung“ hat der Personalbestand von 2001 bis 2005 um 25 %, im Bereich „Pflege und Betreuung“ – also bei den eigentlich Pflegenden – um 6 %

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Der Rest ist Verwal- tung! Genau!)

und im Bereich „Hauswirtschaft und Technik“ um 25 % zugenommen. Jetzt müssen wir in der Politik, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg, schon einmal fragen: Ist das aus Jux und Tollerei geschehen? Nein. Vielmehr sind die Einrichtungen mit immer mehr Bürokratie, Verwaltungsaufgaben usw. überschüttet worden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Also, das erklärt sich mit Bürokratie allein nicht, Herr Kollege! So einfach kann man es sich nicht machen! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Zuhören, Frau Kollegin Haußmann!)

Da wird endlich einmal deutlich, was das Hauptproblem insbesondere auch für die Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, ist: Sie werden immer mehr mit Dingen drangsa

liert, die nun wirklich nichts mit der Qualität der Pflege der Menschen in diesen Einrichtungen zu tun haben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das wird hier erstmals ganz, ganz deutlich. Ich danke Ihnen, dass Sie dies einmal abgefragt haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Es ist kein Grund, Pflege zu vernachlässigen, wenn man den Wasser- kopf in der Verwaltung erhöht!)