Lassen Sie mich noch auf einen anderen Aspekt eingehen: Es geht um den Stellenwert von Innovation. Meine Damen und Herren, Frau Sitzmann, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass wir dieses Prädikat, bei der Umsetzung von Wissen besonders schnell zu sein, besonders gut zu sein, bekommen haben, und sich gleichzeitig vor Augen führen, dass – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – 95 % aller Unternehmen in Baden-Württemberg weniger als 50 Beschäftigte haben und 99 % aller Unternehmen in Baden-Württemberg weniger als 500 Beschäftigte haben, werden Sie daraus natürlich ohne Weiteres schließen können: Das besondere Markenzeichen gerade der mittelständischen Wirtschaft – das sind ja alles mittelständische Betriebe – ist genau diese Innovationsfähigkeit und diese Innovationskraft.
Das müssen Sie sich vor Augen halten. Deshalb ist die zweite Konsequenz aus dieser Debatte: Es ist schön, wenn wir jeden Tag miteinander das Hohelied auf den Mittelstand singen.
Aber wir sollten das nicht nur am Sonntag tun, sondern auch von Montag bis Samstag. Wir sollten uns überlegen, meine Damen und Herren, dass es noch eine ganze Reihe
Eigenkapitalquote der mittelständischen Wirtschaft: In den USA beträgt die Eigenkapitalquote bei den Unternehmen 43 %, der europäische Durchschnitt bei der Eigenkapitalquote liegt bei 33 %, und in Baden-Württemberg liegt der Durchschnitt eher bei 13 % als bei 15 %. Das heißt, eines der ganz großen Probleme ist die Eigenkapitalsituation. Diese muss verbessert werden, wenn auch in der Zukunft noch die Investitionen zur Umsetzung dieser Innovationen getätigt werden sollen.
Da tut man von Landesseite aus über die L-Bank, über die Banken eine ganze Menge. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass eines nicht in Ordnung ist. Das ist die Rolle der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Meine Damen und Herren, wenn der Chef der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Württemberg
öffentlich erklärt, dass 10 bis 15 % aller Angestellten der Volksbanken in Württemberg für nichts anderes verwendet werden, als um Auflagen der Bankenaufsicht erfüllen zu können, dann ist das eine Tatsache, die meines Erachtens nur noch mit dem Stichwort „Gängelei“ umschrieben werden kann.
Der Kollege Wolf kennt als Chef des Verwaltungsrats der Tuttlinger Sparkasse die Zahlen. Wenn mir die Mitarbeiter der dortigen Sparkasse – das ist nicht die größte in BadenWürttemberg – sagen, dass die Tuttlinger Sparkasse jedes Jahr 2,5 Millionen € für nichts anderes aufwenden muss, als Auflagen der Bankenaufsicht zu erfüllen, dann ist für mich das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich halte das für eine Gängelei und fordere die Bankenaufsicht auf, dafür zu sorgen, dass unsere Mittelstandsfinanzierer Kreissparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken in der Zukunft wieder das tun können, was ihre Aufgabe ist, nämlich Kredite zu geben, damit die mittelständische Wirtschaft finanzieren und investieren kann.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Peter Hofelich SPD: Wollten Sie nicht etwas zum Eigenkapital sagen?)
Wir haben heute bereits über die Unternehmensteuerreform diskutiert. Der große Nachteil der Unternehmensteuerreform, die jetzt verabschiedet werden soll, ist, dass es eben keine Strukturreform ist. Dies wäre allerdings notwendig
gewesen. Denn wir haben nach wie vor das komplizierteste Steuersystem der Welt. 70 % der gesamten Steuerliteratur weltweit sind in deutscher Sprache abgefasst. 70 %! Es hat ja eine Untersuchung gegeben, bei der die Frage gestellt worden ist, wer das komplizierteste Steuersystem hat, und das Ergebnis war: die Bundesrepublik Deutschland. Leider hat sich daran durch die Unternehmensteuerreform nicht viel geändert.
Es hat sich ein zweiter Fehler eingeschlichen. Ich bin ja einverstanden, wenn die großen Kapitalgesellschaften, die Körperschaftsteuer zahlen müssen, jetzt entlastet werden. Okay. Dagegen ist nichts zu sagen. Ich kann aber nicht sehen, dass die mittelständischen Firmen, also diejenigen, die Einkommensteuer zahlen, die Personengesellschaften – und das sind in Baden-Württemberg immerhin 85 % aller Unternehmen – durch diese Steuerreform eine Entlastung erfahren hätten. Deshalb stelle ich fest: Es ist gut, wenn wir positiv über den Mittelstand reden, aber wenn wir den Mittelstand stärken wollen, dann können wir es uns nicht erlauben, dass die mittelständische Wirtschaft bei einer groß angekündigten Steuerreform im Grunde den Tisch herunterfällt, meine Damen und Herren.
Jetzt möchte ich noch ein positives Beispiel nennen, auch bezogen auf die Regierung in Berlin: Ich bin sehr froh darüber, dass man wenigstens in der Frage der Erbschaftsteuer zu einer Entscheidung gekommen ist. Meine Damen und Herren, Kollegin Fauser hat das Thema angesprochen: Es sind nicht nur 45 000, sondern in den nächsten fünf Jahren rund 60 000 Betriebe, die in Baden-Württemberg vor der Frage stehen, wie es in Zukunft weitergeht, weil der Seniorchef in den Ruhestand gegangen ist und noch nicht klar ist, ob Sohnemann, Tochter oder wer auch immer das Unternehmen übernimmt.
Das ist eine ganz, ganz schwierige Frage, bei der es letzten Endes um 600 000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg – haben oder nicht haben – geht. 600 000 Arbeitsplätze haben oder nicht haben! Das heißt, wir müssen wirklich alles tun, damit für diese Unternehmen – 60 000 an der Zahl – in den nächsten fünf Jahren eine Unternehmerregelung gefunden wird.
Deshalb hat das Wirtschaftsministerium einen Zwölfpunkteplan entwickelt, der beinhaltet, dass wir nicht nur qualifizierte Beratung anbieten und nicht nur im Bildungsbereich entsprechende Fitmachungsprogramme haben, sondern auch mit finanziellen Mitteln tatsächlich helfen, dass diese Betriebe in der Zukunft wieder besetzt werden können.
Meine Damen und Herren, wenn jetzt auch noch die Bundesregierung sagt – was ich sehr begrüße –, dass wir jungen Leuten, die diesen Sprung in die Selbstständigkeit wagen, gewissermaßen die Erbschaftsteuer erlassen, wenn sie zehn Jahre erfolgreich auf dem Markt sind, dann ist auch das etwas sehr Positives. Ich finde, wir alle sollten uns auch im Sinne einer neuen Unternehmerkultur in Baden-Württemberg vor allem darauf konzentrieren, dass wir jungen Menschen den Sprung in die Selbstständigkeit nicht erschweren, sondern erleichtern, meine Damen und Herren.
Wenn wir diesen Weg beschreiten – ich fasse zusammen: erstens eine stringente Technologiepolitik mit der Fähigkeit, sie auch in Produkte umzusetzen, zweitens eine mittelstandsorientierte Politik, die aber auch diesen Namen verdient haben muss, was beispielsweise die Steuerpolitik angeht, und drittens eine neue Politik für mehr Lust an der Selbstständigkeit –, dann sind – das glaube ich sagen zu können – wichtige Maßnahmen eingeleitet worden, die dazu führen können, dass das Land Baden-Württemberg nicht nur heute, sondern auch im Jahr 2020 an der Spitze steht.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 2 ist damit beendet.
Aktuelle Debatte – Nach dem CDU-Landesparteitag – Wird die Landesdrogenpolitik von Ideologie oder wissenschaftlich belegten Fakten bestimmt? – beantragt von der Fraktion der SPD
Als Redezeiten sind wiederum fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde vorgesehen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben viele Erfahrungsberichte von Wissenschaftlern zur Heroinstudie gehört. Gestatten Sie mir, dass ich zu Beginn dieser Aktuellen Debatte aus zwei Briefen von zwei jungen Männern zitiere, die an dieser Studie teilgenommen haben.
Ein ehemaliger Patient der AWO-Ambulanz in Karlsruhe, der 20 Jahre lang heroinabhängig war und nun seit sechs Monaten drogenfrei lebt, schreibt über seine Erfahrungen:
Durch das Projekt zur heroingestützten Behandlung war es für mich zum ersten Mal möglich, mich zu besinnen und meine Ausstiegswünsche zu verwirklichen.
So wie dieser Patient sind bereits einige Teilnehmer der Heroinstudie in Karlsruhe erfolgreich den Weg aus der Abhängigkeit gegangen.
Ich wog nur 48 Kilo bei einer Größe von 1,70 m. Mein Körper war übersät von kleinen Abszessen, und ich kam gerade aus dem Krankenhaus, wo man mir einen tennisballgroßen Abszess aus dem Oberschenkel schnitt. Meine Adern waren durch das verdreckte Straßenheroin so verstopft, dass es meist Stunden dauerte, um mir einen Schuss zu setzen. Außerdem litt ich unter starken Depressionen mit mehreren Selbstmordversuchen. Das tägliche Geldmachen und Drogenorganisieren machte mich krank. Mindestens zweimal im Jahr versuchte ich, im Krankenhaus von meiner Sucht loszukommen. Nach der Einstellung auf das Medikament konnte ich mich auf meine beruflichen Pläne kon
zentrieren. Zuerst besuchte ich einige Kurse an der Volkshochschule, wo ich den Umgang mit Computern erlernte.
Ich komme zur Integration in die Familie, die auch bei diesem Probanden sehr erfolgreich angegangen werden konnte.
Auch baute ich den Kontakt zur Familie wieder auf, der auf das Minimum reduziert war. Sie hatte meine Drogensucht in allen schlimmen Situationen miterlebt. Ich wurde wieder zu Geburtstagen und zu Weihnachtsfeiern eingeladen, was ein tolles Gefühl war, wieder im Kreis meiner Familie zu sein.
Er bekam dann eine berufliche Perspektive. Mittlerweile ist er fest im Berufsleben. Der Brief endet mit dem Abschnitt:
Alles, was ich erreicht habe, habe ich dieser Herointherapie zu verdanken. Ohne das Medikament würde ich jetzt noch einsam in meiner Wohnung sitzen, zusätzlich Straßenheroin spritzen und nicht am Leben teilnehmen. Ich bitte die Damen und Herren, die über meine weitere Zukunft entscheiden, dies alles zu berücksichtigen.