Protocol of the Session on November 25, 2010

Der Aufschwung zeigt aber jetzt wieder deutlich ein Problem, das vor der Krise schon bestanden hat, nämlich den Fachkräf temangel. Die Auftragsbücher sind voll. Aber es ist im Mo ment schwierig, geeignete Fachkräfte zu finden. Medienbe richte zeigen – Sie haben es auch schon angesprochen –, dass 65 bis 70 % der Unternehmen derzeit Schwierigkeiten haben, solche Stellen zu besetzen. Es wird vorausgesagt, dass diese Schwierigkeiten in Zukunft über alle Qualifikationsniveaus hinweg weiter ansteigen werden.

Nach dem Branchenverband VDI fehlen derzeit 9 200 quali fizierte Ingenieure – und das im Land der Tüftler, Techniker und Denker. Diese Problematik drückt sich aber auch bereits in anderen Branchen aus, etwa in der IT-Branche, in der Ge sundheitsbranche und im Pflegebereich.

Wenn der Mangel an geeigneten Fachkräften kein neues Wachstumshindernis werden soll, dann brauchen wir neue Ide en im Hinblick auf Zuwanderung und Integration als wichti ge Bausteine, damit wir aus dieser Krise kommen.

Ein Grund für den Fachkräftemangel ist der demografische Wandel. Dieser ist schon seit Längerem bekannt. Ein weite rer Grund – das ist ein oftmals unterschätzter Faktor – ist die Auswanderung von Fachkräften. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Gründe sind bessere Karrierechan cen, gute Aussichten auf höhere Löhne, niedrigere Steuern, aber auch die Mobilität in einer globalisierten Welt, die nie einseitig funktionieren kann, sondern nur beidseitig funktio niert.

Was folgern wir daraus? Deutschland konkurriert in einer glo balisierten Welt mit anderen Ländern um Arbeitskräfte. Des wegen gilt es, unsere Arbeitsangebote gleichermaßen aktuell und attraktiv für inländische wie für ausländische Fachkräfte zu machen.

Die Zuwanderung und die Qualifizierung und Integration von Fachkräften in den Arbeitsmarkt wird zu einem wichtigen Standortfaktor jeder Stadt und jedes Landes.

Allerdings müssen wir uns auch darüber im Klaren sein: Die Zuwanderung kann eine Qualifizierung und Integration von ausländischen Arbeitskräften, die bereits im Land sind, kei neswegs ersetzen.

Zur Bewältigung des Fachkräftemangels durch Ressourcen von Arbeitskräften, die unserem Land zur Verfügung stehen, müssen mehrere Ansatzpunkte verfolgt werden. Die Forde rung nach Aus- und Weiterbildung dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Richtig!)

Aber wir müssen auch die Steigerung der Zahl der Absolven ten in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen fokussie ren.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es!)

Wir brauchen ein gezieltes Fachkräftemarketing. Gerade un ser Standort Baden-Württemberg kann mit seinem interessan ten Arbeitsmarkt und seinen Lebensbedingungen punkten. Wir brauchen Maßnahmen zur Bewältigung des Drop-out-Syn droms, also der Tatsache, dass Ingenieurinnen und Ingenieu re sowie andere Fachkräfte ausfallen, etwa wegen der Eltern zeit oder Pflegezeiten. Diese Ausfallzeiten gilt es deutlich zu reduzieren. Ebenso sollten wir Arbeitsmodelle finden, mit de nen wir erreichen, dass uns ältere Fachkräfte länger am Ar beitsmarkt erhalten bleiben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es!)

All diese Maßnahmen werden aber nicht ausreichen. Darüber hinaus benötigen wir eine an den Erfordernissen des Arbeits markts ausgerichtete Zuwanderung.

In meinem Antrag vom September 2010 bin ich speziell der Frage nachgegangen, inwieweit Baden-Württemberg auf die interkulturelle Bewegung am Arbeitsmarkt vorbereitet ist und

welche unterstützenden Hilfestellungen zur Förderung der In tegration von sogenannten Expatriates bereits bestehen. Ge genwärtig erfolgt die Betreuung und Unterstützung dieser Ex patriates in der Regel durch die Unternehmen. Dies sind zu meist Großunternehmen. Zukünftig wird dieses Thema aber verstärkt auch kleine und mittlere Unternehmen tangieren.

Im Hochschulbereich wird einiges geleistet. Es gibt die Wel come Center und die Dual Career Center, die als Leuchtturm projekte gelten können. Sie geben umfangreiche Informatio nen und Hilfestellungen insbesondere im außerfachlichen Be reich. Manche Städte kann man dabei wirklich als Vorbild be zeichnen, etwa die Stadt Stuttgart, die mit dem Stuttgarter Mo dell einen innovativen und effizienten Arbeitgeberservice bie tet und die Abwicklung der Aufenthalts- und Arbeitsgenehmi gungen direkt über die Ausländerbehörde ermöglicht.

Die gezielte Anwerbung und Integration von ausländischen Wissenschaftlern und Arbeitskräften nimmt eine zentrale Rol le im Wettbewerb ein. Wir brauchen das Know-how, das sie aus ihren Standorten mitbringen. Wir können und wollen da rauf nicht verzichten.

Dies allein wird aber nicht ausreichen. Wir brauchen die In tegration von ausländischen Facharbeitskräften. Eine Abschot tung unseres Arbeitsmarkts wird nicht dazu führen, dass die Zahl der Arbeitslosen am heimischen Arbeitsmarkt sinkt.

Für ganz bedeutend und dringlich halte ich derzeit, dass wir das Verfahren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufs- und Studienabschlüssen beschleunigen. Zuwanderer oder Deutsche, die im Ausland ihre Abschlüsse erworben ha ben, müssen hierzulande oft sehr lange auf Bescheide warten, die Auskunft darüber geben, was ihre Zeugnisse hier wert sind. Dies betrifft heute etwa 300 000 qualifizierte Arbeits kräfte. Wenn also die russische Wissenschaftlerin jahrelang nichts anderes tun kann, als auf dem Wochenmarkt Gemüse zu verkaufen, dann geht uns ihr Potenzial verloren.

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch unsere europäischen Partnerländer einen großen Fachkräftemangel haben. Wir soll ten verhindern, dass diese qualifizierten und gut ausgebilde ten Menschen abwandern.

Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Initiative unserer Bun desbildungsministerin Annette Schavan, die hierzu gegenwär tig einen Gesetzentwurf vorbereitet, um einen Anspruch auf die Bewertung von im Ausland erworbenen Berufsqualifika tionen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, zu schaffen. Zugewanderten Mitarbeitern und ihren Familien den Berufs start möglichst leicht, einfach und positiv zu gestalten, das muss unser Ziel sein. Wenn Menschen von Anfang an gut be treut und integriert sind, dann fühlen sie sich wohl, verlassen unser Land nicht und können sich ihrer Arbeit widmen.

Lassen Sie uns also den genauen Bedarf an qualifizierter Zu wanderung ermitteln. Die neuen Spielregeln zur Zuwande rung von qualifizierten Arbeitskräften müssen festgelegt wer den. Außerdem müssen neue Brücken geschlagen werden. Un sere Willkommenskultur sollte „Gastfreundschaft“ heißen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Prewo.

Herr Präsident, verehrte Kol leginnen und Kollegen! Baden-Württemberg droht nicht ein Fachkräftemangel, vor allem ein Ingenieurmangel; dieser ist längst da. Es droht uns allerdings, dass der Mangel immer grö ßer wird.

Der Innovationsrat stellte unlängst fest, dass bereits im Jahr 2008 in Baden-Württemberg 17 500 Ingenieure fehlten und die Lücke nun ständig größer wird. Die Zahl der vor der Ren te stehenden Ingenieure, die sich im letzten Jahrzehnt ihres Arbeitslebens befinden, ist bereits größer als die Zahl der un ter 40-jährigen Ingenieure. Jedes Jahr scheiden mehr Ingeni eure aus, als von den Hochschulen hinzukommen.

Jetzt entdeckt man die Zuwanderung von Ausländern als Heil mittel. Das Thema ist aber komplexer. Zunächst einmal ist das kein einfaches Heilmittel. Es stellt sich sogar die Frage, in welchem Maß diese Möglichkeit überhaupt besteht. Manche stellen die Frage noch immer mit dem Unterton: „Wollen wir sie reinlassen?“ Wir tun so, als stünden die qualifizierten Fach kräfte vor unseren Grenzen Schlange.

Der Innovationsrat benennt das Problem dagegen zutreffend: Es bedarf – ich zitiere – „einer höheren Attraktivität von Ba den-Württemberg für qualifizierte Zuwanderer“. Dies gehört zu einer ehrlichen Diskussion schlicht dazu. Wir haben in Ba den-Württemberg nämlich nicht die Situation, dass wir eine ohnehin schon starke Zuwanderung nur noch ein wenig aus steuern müssten – so, als müssten wir das Tor für die Fach kräfte, die zu uns kommen wollen, nur noch ein bisschen wei ter öffnen. Die Wahrheit ist vielmehr, dass gar nicht so viele warten. Wir müssen in der Tat selbst attraktiver werden.

Das Statistische Landesamt unterstellte noch im Jahr 2007 ei nen Saldo zwischen Zu- und Abwanderung von insgesamt ge rade einmal 17 000 Personen pro Jahr – als untere, konserva tive Variante. Tatsächlich war dieser Saldo damals schon viel geringer. Im Jahr 2009 betrug die Differenz zwischen Einwan derern und Auswanderern gerade noch 3 000 Personen. Im mer mehr Deutsche wandern aus. Raten Sie einmal, zu wel cher Gruppe die Fachkräfte dabei vornehmlich gehören.

Man sieht den Trend auch in den Ländern, in die diese Men schen dann in großer Zahl abwandern – der Schweiz, Italien, Österreich, Großbritannien. Im letzten Jahr sind sogar mehr Menschen in die Türkei ausgewandert als von dort zugewan dert. Die Länder, aus denen die Zuwanderer nach Deutsch land in der Hauptsache kommen, sind inzwischen Rumänien, Afghanistan, die Ukraine und Russland – das alles ist nach zulesen.

Das Wirtschaftsministerium hat die Motive der Abwandern den übrigens im Jahr 2008 untersuchen lassen.

Fazit: Schon seit 2001 haben wir in unserem Land einen Ne gativsaldo von Fachkräften. Auch die Zahl von Ausländern, etwa aus Ländern wie China oder Indien, die an unseren Hochschulen studieren, nimmt ab. Es sind ohnehin nur weni ge, aber auch deren Zahl ist in letzter Zeit rückläufig.

Kurzum: Es reicht nicht, die Pforte für Fachkräfte aus dem Ausland einfach weiter aufzumachen. Wir müssen mehr tun.

Was die derzeit geltende Einkommensschwelle von 66 000 € betrifft, so sind es in den letzten Jahren gerade einmal 100 Per sonen gewesen, die ein solches Einkommen erzielen konnten. Diese Menschen sind hauptsächlich von großen Unternehmen aus dem Ausland nach Deutschland geholt worden. Ihre Zahl ist verschwindend gering. Die Einkommensschwelle ist im Grunde nur ein dummes, bürokratisches Hindernis und nichts anderes.

Das Problem ist aber noch vielschichtiger. Wir tun auch nicht genug für unseren eigenen Nachwuchs, für unser Fachkräfte potenzial. Vor Kurzem erklärte der Chefökonom des schwe dischen Arbeitgeberverbands, es sei eine großartige Leistung der langjährigen sozialdemokratischen Regierung seines Lan des gewesen, konsequent die Chancen der Frauen am Arbeits markt zu verbessern, und zwar durch gute, flächendeckende Kinderbetreuungsangebote. Die Früchte dieser Politik erntet Schweden heute. Dort hat der Fachkräftemangel nicht solche Ausmaße wie bei uns.

In Schweden arbeiten Frauen bereits in gleichem Umfang wie Männer. Manche haben dies früher für familienfeindlich ge halten. Tatsache ist, dass die Frauen in Schweden im Durch schnitt zwei Kinder haben. In Baden-Württemberg liegt die se Zahl unter 1,4 Kindern pro Frau. Hierauf hat übrigens Frau Meister-Scheufelen bereits im Jahr 2004 im Statistischen Jahr buch hingewiesen.

Der Innovationsrat weist sehr deutlich und tadelnd auf die Rückstände bei uns hin. Während die Frauen in Schweden oder in Frankreich im Durchschnitt 35 Stunden pro Woche ar beiten, sind es in Baden-Württemberg nur 29 Stunden – noch weniger als im deutschen Durchschnitt, wohlgemerkt. Nach dem neuen McKinsey-Gutachten gibt es – auch dies zitiere ich wörtlich – „einen klaren Zusammenhang zwischen dem Anteil der Ganztagsbetreuung und dem Arbeitsvolumen von Frauen“. Hier wird also ein klarer Zusammenhang festgestellt.

(Beifall bei der SPD)

Hätten wir hier schwedische Verhältnisse, meine Damen und Herren, dann hätten wir ein Äquivalent von zusätzlich 400 000 berufstätigen Frauen. Weil die jungen Frauen überwiegend gut ausgebildet sind, würde es sich dabei zum großen Teil um qualifizierte oder hoch qualifizierte Fachkräfte handeln.

Wir sehen also, dass wir selbst mehr tun müssen und auch mehr tun können.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Sitz mann.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! Die Frage „Wie bekämpfen wir den Fach kräftemangel?“ ist komplex. Zum einen geht es um das The ma Bildung: Wie können wir unsere Kinder und jungen Men schen so bilden und qualifizieren, dass sie gut ausgebildet ins Berufsleben starten? Wie können wir dafür sorgen, dass Wei terbildung und lebenslanges Lernen für alle Menschen zu ei ner wichtigen Aufgabe und Motivation werden? Wie können wir auch die Potenziale von Frauen, von Älteren und von Mi grantinnen und Migranten besser nutzen?

Über das Thema „Chancengleichheit im Bildungssystem“ – Kollege Rülke hat es gerade angesprochen – haben wir schon gestern gesprochen. Nach wie vor haben Kinder aus Famili en mit Migrationshintergrund eben nicht die gleichen Chan cen. Da erwarten wir von Ihnen, auch von den Kollegen und Kolleginnen der FDP/DVP, dass Sie nicht nur Fensterreden halten, sondern sich als Regierungsfraktion endlich dafür ein setzen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Machen wir doch!)

Darauf warten wir bis heute vergeblich.

(Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP: Stimmt doch gar nicht!)

Beim Thema „Potenziale nutzen“ – Herr Kollege Prewo hat gerade von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gespro chen – geht es aber auch darum, dass wir endlich Berufs- und Bildungsabschlüsse von Menschen, die hier leben, ihre Ab schlüsse aber im Ausland gemacht haben, besser anerkennen. Es geht darum, dass wir der Abwanderung entgegenwirken