Protocol of the Session on November 24, 2010

weil das, was Wilhelm von Humboldt einmal gesagt hat, wo nach Bildung Sprache ist, umgekehrt Sprache die Vorausset zung für Bildung ist, für uns das zentrale Moment unserer Bil dungspolitik darstellt.

Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! – Zu ruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Mentrup.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! „Bildungspolitische Strategie zur Stärkung des Fachkräftenachwuchses“ lautet das Thema dieser Aktuellen Debatte, die von der CDU beantragt wurde. Ehrlich gesagt, Frau Krueger: Mir ist bisher noch immer nicht klar, was wir heute eigentlich an Neuem diskutieren, außer dass Sie hier in sehr wohlgesetzten Worten einen großen Teil des Auftrags der Enquetekommission „Fit fürs Leben“ referiert haben, wofür ich Ihnen noch einmal außerordentlich dankbar bin.

Aber das zeigt schon das Dilemma auf: Das Parlament hat die Einsetzung einer Enquetekommission beschlossen. Sie wer den in drei Wochen vor der Presse den Abschlussbericht vor stellen. Jetzt zwingt Ihre Fraktion Sie, drei Wochen vorher hier eine bildungspolitische Grundsatzdiskussion anzufangen, die etwas mit dem Fachkräftenachwuchs zu tun hat. Eigent lich können Sie aber keine Lösungen anbieten, denn das wol len wir ja in drei Wochen gemeinsam tun.

Mir ist also im Moment noch immer nicht klar, was das hier jetzt soll. Mir drängt sich die Vermutung auf: Sie – die CDU oder die Regierung – fühlen sich von der Enquetekommissi on „Fit fürs Leben“ schon so getrieben, dass Sie versuchen wollen, die Themen und den einen oder anderen Inhalt vor wegzunehmen, damit das Ganze dann mit Ihnen nach Hause geht. Wenn dies der Effekt wäre, wäre das ganz in Ordnung, denn dann wird diese Enquetekommission offensichtlich doch etwas bewirken können.

Schauen wir uns einmal die konkreten Dinge an, die wir seit gestern wissen. Da gab es einen großen Auftritt vor der Pres se. Herr Ministerpräsident, Frau Kultusministerin Schick und Herr Wirtschaftsminister Pfister schlugen ein Maßnahmenpa ket vor, das auf den Fachkräftebedarf reagiert und damit die Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs sichert. Dieses Maß nahmenpaket – Sie haben zu Recht gesagt, es gehe um zusätz lich 400 000 bis 500 000 besser qualifizierte Arbeitskräfte – beinhaltet 100 zusätzliche Klassen für die beruflichen Gym nasien, und fünf Poolstunden dürfen in Zukunft am G 8 an ders verwendet werden als bisher. Das wird u. a. vom Wirt schaftsminister verkündet mit der Aussage: „Das Maßnah menpaket reagiert auf den Fachkräftebedarf und sichert damit die Zukunftsfähigkeit.“

Das ist von den Forderungen her sicher alles völlig in Ord nung. Nur: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie bis zur Landtagswahl damit durchkommen, das Thema Fachkräfte bedarf mit diesen beiden Forderungen abfrühstücken zu wol len. Insofern sollten Sie, Frau Krueger, vielleicht in der zwei ten Runde das eine oder andere Inhaltliche dazupacken. Sonst ist es, wie ich finde, eine eher blamable Geschichte, dem Fach kräftebedarf mit 100 zusätzlichen Klassen und fünf verändert einsetzbaren Poolstunden begegnen zu wollen.

(Beifall bei der SPD)

Zu der Forderung hinsichtlich der beruflichen Gymnasien, Frau Ministerin und Frau Krueger, können wir nur sagen: Herzlich willkommen im Klub und guten Morgen! Man braucht sich nur die Diskussionen zu vergegenwärtigen, die

wir uns hier am 5. Mai 2010 geliefert haben. Damals hat die SPD aufgrund der Erkenntnis, dass wir zu wenig Klassen im beruflichen Gymnasialbereich haben, einen Rechtsanspruch und einen damit verbundenen Ausbau der beruflichen Gym nasien in die Diskussion gebracht. Da gab es zwei interessan te Gegenargumente. Ihr Gegenargument, Frau Krueger, war, das könnten wir uns im Moment gar nicht leisten, wir könn ten nicht rechnen, wir seien völlig unseriös.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Das stimmt ja auch!)

Das Gegenargument der Frau Kultusministerin war, das brauchten wir gar nicht. Ich zitiere das einmal, weil das wirk lich witzig ist. Die Frau Ministerin sagte, wir sollten doch von dieser Zahlenbetrachtung wegkommen, aus der wir ableiten, dass wir einen höheren Bedarf haben. Sie sagte dann wörtlich:

… verlassen Sie doch endlich Ihre rein quantitativ-plan wirtschaftlich definierte Diskussionsebene.

Zu dem von uns vorgetragenen Bedarf sagte sie:

Nicht jeder, der sich irgendwo für irgendetwas bewirbt, will am Ende auch dorthin.

Ich stelle fest: Sie haben jetzt verstanden, dass diejenigen, die sich bewerben, doch dort hinwollen und dass Sie mit diesen platten Abwehrmechanismen nicht mehr klarkommen, son dern jetzt endlich das tun müssen, was Grüne und SPD hier schon seit Jahren fordern, nämlich für das berufliche Gymna sium, das Sie Realschülern als Alternative zum G 8 verspre chen, endlich dieselben Zugangsbedingungen schaffen – und zwar erst einmal rein quantitativ – wie für das allgemeinbil dende Gymnasium, das jenen mit einer Grundschulempfeh lung zum Gymnasium sowieso offensteht. Insofern tragen wir diese Forderung gern mit. Darüber freuen wir uns. Wir hätten das gern schon ein bisschen früher gehabt.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Aber das Leben ist kein Wunschkonzert!)

Bei allen anderen Themen, die man jetzt ansprechen könnte, bin ich ganz gespannt, ob wir ein bisschen mehr „Butter bei die Fische“ bekommen oder ob wir uns heute darauf zurück ziehen, Frau Krueger, uns einfach noch einmal den Auftrag der aktuellen Enquetekommission gegenseitig zu erklären – was sicherlich auch niemandem schadet.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Lehmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Krueger, sehr passend ist Ihr Spruch: „Es darf nicht sein: sprachlos, bildungslos, arbeitslos.“ Das stimmt. Nur: Welche Analyse werden wir ansetzen, und wel che Maßnahmen werden wir ergreifen? Stimmt es, was Sie gesagt haben, dass Baden-Württemberg im Prinzip eigentlich gut aufgestellt ist?

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ja!)

Ich glaube, wir werden in der Debatte nicht weiterkommen, wenn wir nur über den Bundesländervergleich diskutieren. Denn, Frau Krueger und Frau Schick, das Entscheidende bei PISA ist nicht, wie wir im Ranking der Bundesländer liegen, sondern das Entscheidende ist, dass auch in Baden-Württem berg ein Fünftel aller 15-Jährigen nur auf dem Niveau der Grundschule rechnen und schreiben können und einfache Tex te nicht verstehen können. Das ist es. Wenn es in anderen Bun desländern 25 % sind, ist das natürlich dramatisch.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Wer sagt das?)

Aber es gibt auch hier ein Problem. Uns hilft diese Debatte überhaupt nicht weiter, wenn wir das ignorieren.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Das ignoriert ja auch niemand!)

Bundesweit hat ein Akademikerkind eine 4,5-mal so große Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu bekommen und aufs Gymnasium zu gehen, während der Faktor in BadenWürttemberg bei 6,5 liegt. Da müssen wir in Baden-Württem berg doch sagen, dass da etwas nicht stimmt.

(Abg. Werner Raab CDU: Wollen Sie weniger Kin der im Gymnasium haben?)

Wir brauchen hier also doch offensichtlich Reformen.

Ein entscheidender Punkt in der ganzen Debatte ist dann nicht bloß das allgemeine Bildungssystem, sondern auch die Fra ge, wie es mit den jungen Leuten nach der Schulzeit weiter geht. Wir können uns trefflich über das dreigliedrige Schul system streiten. Aber die Frage ist auch: Was passiert danach?

Von den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss münden nur ca. 40 % in eine duale Ausbildung. Alle anderen, die eine be rufliche Ausbildung machen wollen, gehen in ein Übergangs system oder in ein Schulberufssystem. Bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss sind es sogar 50 %, die in ein Über gangssystem gehen. Wir wissen genau, was dann passiert. Le diglich ein Drittel der jungen Leute, die an berufsvorbereiten den Maßnahmen an den beruflichen Schulen teilnehmen, kom men hinterher auch wirklich in die duale Ausbildung. Das Land sagt: „Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Agentur für Ar beit, übernimm!“ So läuft das ab. Diese jungen Leute gehen nachher in berufsvorbereitende Maßnahmen der Agentur für Arbeit.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Davon wiederum schafft es nur ein Drittel wirklich, in die du ale Ausbildung zu kommen.

Da frage ich Sie: Was machen wir in diesen Punkten? Wir ha ben uns in diesem System eingerichtet. Das geht natürlich so nicht weiter. Wir brauchen berufsvorbereitende Maßnahmen nicht erst dann, wenn die jungen Leute auf der Straße stehen, sondern wir müssen früher in der Schule anfangen und dort das System verändern.

(Abg. Peter Hauk CDU: Genau, in der Werkrealschu le!)

Das ist der falsche Ansatz.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Was ist denn Ihr Sys tem? Erklären Sie es doch einmal!)

Ich möchte jetzt meinen Beitrag in der ersten Runde beenden und mir erst einmal anhören, was Sie dazu zu sagen haben. Ich werde in der zweiten Runde eine Reihe konkreter Punkte hierzu auflisten.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Ohne Ausbildungsreife keine guten Fachkräfte – oder positiv formuliert: Nur wenn wir unsere jun gen Menschen durch unsere Schulpolitik wirklich ausbil dungsreif machen, werden wir in Zukunft auch gute Fachkräf te haben.

Die größten Defizite der jungen Menschen, die in einen Be ruf gehen wollen – das ist ein Trend, der sich in den letzten 15 Jahren leider kontinuierlich ständig verstärkt hat –, beste hen im Bereich des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks vermögens. Es fehlt häufig auch an elementaren Rechenfähig keiten. Das gilt nicht nur für Hauptschüler oder Realschüler, sondern für Schüler aller Schularten.

Angesichts dieses Befunds hat die Landesregierung in dieser Legislaturperiode reagiert. Wir haben vielfältigste Maßnah men quer durch alle Schularten auf den Weg gebracht. Ich bin sicher, dass Frau Kultusministerin Dr. Schick nachher noch näher darauf eingehen wird. Angesichts der begrenzten Rede zeit möchte ich mich auf den frühkindlichen Bereich be schränken.

Gerade der frühkindliche Bereich ist aus unserer Sicht essen ziell für die Bildungsbiografien unserer Kinder, weil wir hier noch etwas verändern und beeinflussen können. So haben wir hierfür verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, auch auf Drängen der FDP/DVP, auch von Minister Professor Goll – er schaut mich gerade an –, etwa indem wir – um nur eine Maßnahme zu nennen – die neue Einschulungsuntersuchung vorgezogen haben. Das heißt, die Kinder werden jetzt bereits zwei Jahre vor dem Schuleintritt untersucht. Wir haben da durch die Möglichkeit, bei Defiziten in die Förderung zu ge hen, vor allem in die Sprachförderung. Unser Ziel ist es, je des Kind in unserem Land, das in die Schule kommt, schul reif zu machen. Diese Kinder müssen vor allem ausreichend Deutsch sprechen.

Aber, meine Damen und Herren – das möchte ich an diesem Punkt noch einmal betonen –, es kann uns nicht genügen, dass Sprachförderung nur im letzten Kindergartenjahr stattfindet. Das ist zu wenig. Wir brauchen mehr Sprachförderung. Sie muss gleich nach der Einschulungsuntersuchung einsetzen, wenn dies nötig ist. Wir müssen aus unserer Sicht hierfür auch die nötigen Mittel bereitstellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Ein Blick noch auf den Orientierungsplan. Er wird in Zukunft die unverzichtbare Grundlage der Arbeit in unseren Kinder tagesstätten sein. Wir alle wollen, dass alle Elemente dieses Orientierungsplans wirklich umgesetzt werden können, auch in der Fläche.

Ein erster Schritt ist getan. In einer gemeinsamen Anstren gung von Kommunen und Land haben wir den Mindestper sonalschlüssel erhöht, um diesen Orientierungsplan wirklich umsetzen zu können. Auch das erfordert weitere Anstrengun gen. Es kann nur ein erster Schritt sein. Diesen Weg müssen wir weitergehen, wenn wir die frühkindliche Bildung und Er ziehung wirklich ernst nehmen.