Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Mi nisteriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Le bensmittelimitate – Täuschung der Verbraucher durch fehlende oder mangelhafte Deklarationsverpflichtungen – Drucksache 14/4882
Meine Damen und Herren, die Fraktionen sind übereingekom men, keine Aussprache zu führen und die Reden zu Protokoll zu geben. (Siehe Erklärungen zu Protokoll am Schluss des Ta gesordnungspunkts.)
Der Antrag Drucksache 14/4882 kann insgesamt für erledigt erklärt werden. – Sie stimmen dem zu. Es ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Wissen Sie, was Sie heute schon gegessen haben? Sind Sie sich dessen wirklich sicher? Ich behaupte, beim derzeiti gen Stand der Dinge ist ein sicheres Bewusstsein über unse re Nahrungsmittel fast unmöglich. Das müssen wir dringend und endlich ändern.
Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem der Begriff „Le bensmittel“ völlig neu definiert wird. Die meinem Antrag zu grunde liegenden bekannten letztjährigen Schlagworte „Ana logkäse“ und „Formschinken“ sind sicher nur der Anfang. Vielmehr rollt eine Technisierungswelle auf uns zu, die Ver braucherinnen und Verbraucher immer stärker davon abhän gig machen wird, über exakte Deklarationen zu wissen, was sich auf ihren Tellern befindet.
Der „Klebeschinken“: Dieses Produkt entsteht durch den Zu satz von Enzymen zu rohen Fleischfetzen, wodurch die Fleischfetzen miteinander verklebt werden. Für Verbrauche rinnen und Verbraucher ist mit bloßem Auge kaum zu erken nen, ob es sich beim sogenannten Lachsschinken vor ihnen um ein hochwertiges Originalprodukt oder ein derart behan deltes Konstrukt aus billigen Fleischfetzen handelt.
Eine andere Entwicklung, an der die Lebensmittelindustrie mit Nachdruck forscht, ist die sogenannte In-vitro-Erzeugung von Fleisch. Hier wird aus tierischen Stammzellen Muskel gewebe erzeugt, das später als Grundlage von Fastfoodpro dukten wie Burgern, Chicken Nuggets etc. verwertet werden soll.
Der Mensch hat eine Wahlfreiheit, zu essen, was er oder sie möchte. Aber wir haben in der Politik die Pflicht, den Verbrau cherinnen und Verbrauchern die für ihre Entscheidung nöti gen sicheren Daten zu liefern.
Genau hier jedoch verschlafen die Entscheider auf Bundes- und Landesebene die Entwicklungen, und die Belange der Le bensmittelindustrie gehen weiterhin vor die berechtigten In teressen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
So hat sich das Verbraucherinformationsgesetz als stumpfes Schwert erwiesen. Die Nährwertampelkennzeichnung wurde mit Macht und auch mit Ihrer Unterstützung, sehr geehrter Herr Hauk und Herr Köberle, niedergestimmt, und aus den großen Ankündigungen des Herrn Hauk während der Analog käseskandale sind auch in der Amtszeit von Herrn Köberle keine relevanten Folgen entstanden.
Transparenz und klare Deklaration von Behandlungswegen und Inhaltsstoffen sind weiterhin ungewünscht, da sie die Ab satzchancen einer hoch technisierten Lebensmittelindustrie, die Masse vor Klasse setzt, verringern würde. Nicht umsonst sitzen in der zentralen Richtlinienkommission für die Defini tion von Lebensmitteln ausreichend Vertreter der großen Le bensmittelindustriebetriebe.
Denn genau dort liegt einer der zentralen Ansatzpunkte: Le bensmittel ist das, was von dieser Kommission als solches be zeichnet wird. In den Begrifflichkeiten verstecken sich jedoch weiterhin zu viele Ansatzpunkte für weite Dehnbarkeiten und Auslegemöglichkeiten, die vom normalen Verbraucherver stand nicht adäquat nachvollzogen werden können. Hier müs sen dringend Nachbesserungen vorgenommen werden.
Doch es ist nicht ausreichend, den Schwarzen Peter – bei Pe ter Hauk war das noch ein richtig gutes Wortspiel – regelmä ßig nach Berlin und Brüssel zu schieben. Die Landesregie rung muss vor Ort Maßnahmen ergreifen, um die Verbraucher
zu schützen und die Qualitätsbemühungen in den verantwor tungsbewusst produzierenden Lebensmittelbetrieben nicht zu hintertreiben.
Dazu zählt in erster Linie die wirksame und nachhaltige Kon trolle der Kennzeichnungspflichten. Hier musste nach der un nötigen Zerschlagung des gut funktionierenden Wirtschafts kontrolldienstes erst unter großem Einsatz von Mitteln und Zeit Sachverstand über Ausbildungsgänge nachgezogen wer den, die erst allmählich in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.
Auch die tatsächliche Mittelverwendung der für die Lebens mittelkontrolle vorgesehenen finanziellen Mittel ist nicht durchgängig in diesem Bereich erfolgt.
Damit sind schon die Voraussetzungen für eine wirksame Kontrolle mehr als fragwürdig. Da wundert es nicht, dass Transparenz und Kommunikation der Kontrollergebnisse wei terhin auf sich warten lassen. Am Beispiel „Klebeschinken“ frage ich Sie, Herr Köberle: Wo sind die für Juni versproche nen Untersuchungsergebnisse, die Kontrollen hinsichtlich des verbotenen Klebeenzyms Thrombin zeigen und Deklarations pflichtverletzungen nachweisen? Reichen Ihnen die hohen Be anstandungsquoten aus dem Jahr 2008 und den Vorjahren in Höhe von bis zu 67 % nicht aus? Und warum werden landes- und bundesweit weiterhin wirksame Systeme der Kontroll nachweise wie z. B. Smileys in der Gastronomie oder klare Kennzeichnungen von Verstößen im Internet weiterhin nicht durchgeführt, sondern verhindert und schlechtgeredet?
Wer Gift, Gen und Gammel schützt, anstatt die schwarzen Schafe klar zu benennen, bricht dem Gourmetland BadenWürttemberg das Löwengenick und schadet den „sauberen“ Produzenten wie auch dem qualitätssuchenden Verbraucher. Dann brauchen wir aber keine Feinschmeckerlandoffensiven und keine Ernährungsaufklärung, sondern sollten lieber gleich in die Gesundheitskosten investieren, die uns ein mangelhaf ter Verbraucherschutz auf lange Sicht hin liefert.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Der Antrag zum Thema Lebensmittelimitate ist vom Juli 2009 und deshalb nicht mehr ganz aktu ell. Inzwischen ist hier vieles geschehen.
Meine Damen und Herren, im Wettbewerb der Supermärkte geht es darum, immer billigere Lebensmittel anzubieten. Das Verlangen, den Konkurrenten mit Dumpingpreisen zu unter bieten, ist groß, und dieses Unterbieten erfolgt oft auch auf Kosten der Qualität. Deshalb gilt überall: Genau hinschauen, genau auszeichnen!
Es darf nicht sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht das gewünschte Produkt, sondern eine Mogelpackung in ihrem Einkaufskorb haben. Irreführende und täuschende Aufmachungen sind nicht zu akzeptieren. Ich erinnere an Kä se- und Schinkenimitate oder auch an bildliche Darstellungen von Früchten oder Gewürzen auf den Verpackungen, selbst wenn die Produkte nur künstliche Aromen enthalten. Meine Damen und Herren, diese irreführenden Produktangaben dür fen nicht sein.
Wie sieht die aktuelle Kennzeichnung aus? Bei verpackten, im Einzelhandel angebotenen Nahrungsmitteln erfolgt die der zeitige Deklaration von Imitaten meist nur im Zutatenver zeichnis, dies jedoch mit abstrakten Begriffen wie „Lebens mittelzubereitung unter Verwendung von Milcheiweiß und Pflanzenfett“. Durch solche abstrakten Angaben steigt die Ge fahr, dass Imitate von Verbraucherinnen und Verbrauchern nur noch bedingt erkannt werden.
Daher ist es dringend erforderlich, dass Lebensmittelimitate für den Verbraucher deutlich zu erkennen sind. Überhaupt ist Kennzeichnung wichtiger denn je; denn nur Transparenz schafft Vertrauen und gibt den Verbraucherinnen und Verbrau chern Orientierung.
Die Verbraucherpolitik der CDU-Fraktion und der Landesre gierung orientiert sich am Leitbild des mündigen Verbrau chers. Die Verbraucher müssen gut informiert sein, damit sie selbstständig entscheiden können. Denn klar ist: Nur wer In formationen hat und diese auch versteht, kann selbst kluge Kaufentscheidungen treffen.
Daher hat Baden-Württemberg schon im Juli 2009 eine Bun desratsinitiative gestartet. Diese Initiative will eine klare, gut sichtbare und verständliche Kennzeichnung von Imitaten. Ebenso wird die Bundesregierung darin aufgefordert, bei der EU für dieses Ziel einzutreten. Das ist inzwischen geschehen. Es hat dazu geführt, dass bei der Erarbeitung der neuen Le bensmittelinformationsverordnung eine bessere Kennzeich nung von Lebensmittelimitaten in diese Verordnung aufge nommen wird.
Erstens: Etikette müssen lesbar sein. Sie dürfen nicht in der kleinsten Schrift auf der Verpackung verschwinden.
Drittens: Schinken- und Käseimitate müssen klar als das er kennbar sein, was sie sind. Der Verbraucher muss bei allen Lebensmitteln – auch den offen angebotenen – erkennen, was er angeboten bekommt und was er kauft.
Meine Damen und Herren, eines ist klar: Die Überwachung und Kontrolle von Lebensmitteln läuft bei der amtlichen Le bensmittelüberwachung. Dabei sind wir in Baden-Württem berg gut aufgestellt. Denn es ist sicher kein Zufall: „Schum melschinken“, Analogkäse oder Melamin in Kinderbonbons aus China wurden in erster Linie von der baden-württember gischen Lebensmittelüberwachung aufgedeckt.
Wir haben eine staatliche Lebensmittelkontrolle von höchster Kompetenz. Die Zahl der Kontrolleure wird bis 2010 beträcht lich aufgestockt.
Die Lebensmittelkontrolle in Baden-Württemberg hat ein bei spielhaftes, risikoorientiertes Vorgehen zum gezielten Aufspü ren von Missständen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ba den-Württemberg läuft auch da den Entwicklungen nicht hin terher. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir sind gut aufge stellt, und unser Verbraucherschutzminister Köberle ist in Ber lin und Brüssel erfolgreich.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Wo Käse draufsteht, muss auch Käse drin sein. Der Verbraucher hat einen Anspruch darauf. Denn: Wer Käse nachmacht oder verfälscht oder nachgemachten oder verfälschten Käse als echt in den Verkehr bringt, ist – wenn Sie so wollen – ein „Falsch käser“ und unterscheidet sich zwar graduell, aber nicht prin zipiell von einem Falschmünzer – er unterscheidet sich wohl im Geruch, aber wohl nicht einmal im Gewinn. Vor beiden müssen der Verbraucher und der Verkehr geschützt werden.
Die Stellungnahme der Regierung zu dem Antrag räumt zum Teil erhebliche Verstöße ein, nämlich bis zu über 50 %. Die Regierung räumt auch ein:
Die derzeit geltenden Kennzeichnungsvorschriften rei chen nicht aus, um eine klare, gut sichtbare und leicht verständliche Kennzeichnung von Imitaten und ihre Ab grenzung vom Original zu gewährleisten.
Sie erkennt, dass Imitate künftig „direkt in Verbindung mit der in Bezug genommenen Verkehrsbezeichnung auf der Schauseite der Verpackung kenntlich gemacht werden“ müs sen.
So richtig und wichtig die angesprochene Bundesratsinitiati ve mit dem Zweck, auf europäischer Ebene für transparente und strengere Regelungen bei der Kennzeichnung von Le bensmittelimitaten zu sorgen, ist, so wenig genügt es, den Splitter im Auge des großen Bruders EU zu sehen und den Balken mangelnder Kontrolle bzw. Kontrolleure im eigenen Auge auszublenden.
Denn am Ende der Stellungnahme, bei den Kontrollen und Kontrolleuren, wird es dürr. Das ist kein Wunder, denn die Landesregierung musste unlängst zwar einen entsprechenden Personalmangel einräumen, will aber trotzdem nichts dage gen tun.
Die Landesregierung selbst hat in ihrer Antwort auf einen SPD-Antrag dargelegt, dass die Verwaltungsbehörden „in ei ner Erhebung aus dem Jahr 2008 einen Bedarf von ca. 350 Le bensmittelkontrolleuren“ festgestellt hätten. Einschließlich der bis zum Jahresende hinzukommenden 66 Stellen sind je doch nur 288 Stellen besetzt, also 62 zu wenig. Konkret heißt das, dass in fast jedem Landkreis noch immer mindestens ein weiterer Kontrolleur fehlt.
Diese Unterbesetzung ist noch immer Folge der Verwaltungs reform, mit der vor einigen Jahren der Wirtschaftskontroll dienst zerschlagen wurde und die Lebensmittelkontrolle bei den Landkreisen neu aufgebaut werden musste. Die ehemali gen WKD-Beamten sind nach und nach wieder in den Poli zeidienst zurückgekehrt, wo sie nun, ungeachtet ihrer guten Qualifikation als Lebensmittelkontrolleure, wieder den Ver kehr überwachen und typische Polizeiaufgaben wahrnehmen müssen.
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass BadenWürttemberg im Verbraucherschutzindex der Bundesländer auf den unrühmlichen zehnten Platz abgerutscht ist. Dieser Abstieg liegt nicht zuletzt an der mangelhaften, weil unterbe setzten Lebensmittelkontrolle im Land.
Darum: Legen Sie einen Plan, ein Konzept für eine Aufsto ckung vor. Denn ein möglicher Lebensmittelskandal aufgrund mangelnder Kontrolle wäre nicht nur ein Skandal auf dem Rü cken der Verbraucher, sondern auch ein Skandal der Regie rung.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bereits darauf hingewie sen worden, dass seit Juli des letzten Jahres, seit der Initiati ve der Grünen, in puncto Deklaration von Lebensmittelimita ten viel geschehen ist.
Ich kann an dieser Stelle für die FDP/DVP-Landtagsfraktion erklären – dem wird wohl auch niemand in diesem Haus wi dersprechen –, dass falsche Deklarationen und Etiketten schwindel im Lebensmittelbereich und damit eine Täuschung des Verbrauchers von uns nicht geduldet werden. Deshalb be inhaltet auch unsere Koalitionsvereinbarung auf Bundesebe ne ausdrücklich eine schärfere Vorgehensweise bei solchen Verstößen. Analog dazu haben wir in Baden-Württemberg ei ne gleichlautende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht.
Die Position Baden-Württembergs hat sich zwischenzeitlich über den Bund hinaus auch bei der EU durchgesetzt. So hat die EU die Lebensmittelinformationsverordnung neu gestal tet und vor allem im Bereich der Lebensmittelimitate klare Kennzeichnungsvorgaben gesetzt.