Protocol of the Session on October 6, 2010

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da hat er schon recht!)

und das ist die einzige Koalition, die Stuttgart 21 abbla sen würde.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig! Wo er recht hat, hat er recht! – Abg. Thomas Knapp SPD: Guter Mann, der Herr Schmiedel!)

Deshalb frage ich Sie, Herr Kollege Kretschmann, offen und ehrlich: Wie wollen Sie denn ein anderes Projekt demokra tisch legitimiert umsetzen?

(Zurufe: Auf der Straße!)

Auf all diese Fragen geben Sie Ihren Gegnern keine Antwort, und Ihre Befürworter leiten Sie in die Irre. Das ist der ganz entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist ei ne Straße ins Nichts! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das soll er einmal im Schlossgarten erzählen!)

Deshalb, lieber Herr Kollege Kretschmann, haben Sie auch ein gerüttelt Maß Anteil daran

(Abg. Jörg Döpper CDU: So ist es!)

und haben auch dazu beigetragen, dass Stimmungen eskaliert sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: So ist es! Verantwortungslos!)

Dass Sie nicht gewaltbereit sind, das nehme ich Ihnen und all Ihren Kollegen sofort ab; das ist gar kein Thema. Aber dass Sie nicht füglich auf Ihre Mitstreiter einwirken, dass Sie Ih ren Mitstreitern als politischer Arm des Widerstands nicht klar sagen, was geht und was nicht geht, das nehme ich Ihnen übel. Das ist ein Beitrag dazu, dass die Eskalation zu diesem Punkt geführt hat, den wir am vergangenen Wochenende erlebt ha ben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Jörg Döpper CDU: Bravo! – Abg. Tho mas Blenke CDU: Und das von einer Friedenspar tei!)

Ich sage es noch einmal: Sie haben sich in der Vergangenheit immer als konstruktiv und als bereit für die Regierungsver antwortung gezeigt nach dem Motto, Sie könnten jederzeit die Regierung übernehmen. Aber die Alternative zu Stuttgart 21 haben Sie offengelassen, Herr Kretschmann. Ich frage Sie: Sollen wir wirklich einfach stehen bleiben? Sollen wir ein fach da stehen bleiben, wo wir jetzt sind? Sollen wir zunächst einmal in Schadensersatz investieren, obwohl wir schon eine Lösung haben? Sollen wir das wirklich machen?

Können Sie den Baden-Württembergern erklären – ich will jetzt gar nicht auf die Höhe eingehen; ob es 1 Milliarde €, 1,5 Milliarden € oder 2 Milliarden € Schadensersatz sind, steht im Moment noch nicht fest –, dass sie Geld für etwas zahlen sollen und dafür am Ende nichts erhalten? Nichts!

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das kann man nicht er klären! – Abg. Albrecht Fischer CDU: Das ist uner klärbar!)

Hinzu kommt, dass in der Folgezeit irgendwann einmal Kos ten auf sie zukämen, die dann vermutlich viel, viel höher sein werden, als sie heute sind. Antworten auf solche Fragen, Herr Kollege Kretschmann, bleiben Sie nicht nur in diesem Haus schuldig, sondern die bleiben Sie auch Ihren Befürwortern so wie den Gegnern schuldig, die bleiben Sie den Bürgern Ba den-Württembergs insgesamt schuldig.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schmid.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Dem zukünftigen stellvertretenden Ministerpräsidenten!)

Herr Präsident, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! Ministerpräsident Mappus hat in seiner Regierungserklärung vieles und Richtiges zu Stuttgart 21 gesagt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Er hat aber wenig dazu gesagt, wie er das Land aus der Sack gasse herausholen will, in der es steckt. Sosehr ich seine Aus führungen dazu teile, weshalb Stuttgart 21 und die Neu baustrecke Ulm–Wendlingen unerlässlich für die Verkehrsin frastruktur sind, sosehr bedaure ich es, dass er diese Rede erst jetzt gehalten hat, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Denn die bröckelnde Akzeptanz für Stuttgart 21 hat ganz viel damit zu tun, dass der Oberbürgermeister dieser Stadt, dass die Landesregierung in Gestalt des damaligen Verkehrsminis ters Rech und dass der damalige Fraktionsvorsitzende sowie der damalige Ministerpräsident Oettinger es jahrelang ver säumt haben, Überzeugungsarbeit für dieses wichtige Infra strukturvorhaben zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt werden all diese Argumente auf wenig fruchtbaren Bo den fallen. Denn es geht schon lange nicht mehr um das Ja oder Nein zu Stuttgart 21,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie sind doch über zeugt davon!)

sondern es geht darum, dass sich diese Sachauseinanderset zungen zu einer tiefen Vertrauenskrise ausgeweitet haben, die das demokratische Miteinander in unserem Land einer schwe ren Belastungsprobe aussetzt.

Ich sage Ihnen: Sie haben heute, auch durch Ihre Wortwahl, versucht, Mäßigung einkehren zu lassen. Aber mit den Wor ten, die Sie in den letzten Wochen gebraucht haben – mit Ih rer Äußerung, es sei der Fehdehandschuh hingeworfen wor den –,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Von wem denn?)

haben Sie bewusst auf Konfrontation gesetzt und das Klima angeheizt, Herr Mappus. Jetzt sehen Sie das Ergebnis.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Wir sind Besseres von Ihnen gewohnt!)

Sie haben aus wahltaktischen Motiven auf Eskalation und Konfrontation gesetzt, und Sie haben damit dem Ruf des Lan des schweren Schaden zugefügt. Schauen Sie sich einmal an, welche Bilder aus Stuttgart, aus Baden-Württemberg in die Welt hinaus gesendet worden sind.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Und daran ist Herr Map pus schuld?)

Vor allem haben Sie ganz nebenbei dem Projekt Stuttgart 21 einen Bärendienst erwiesen. Denn eines ist klar: In dieser Si tuation kann man ein solches Großprojekt nicht mit Wasser werfern und Pfefferspray durchknüppeln, meine sehr verehr ten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Sie haben heute auch überhaupt nicht deutlich gemacht, wie Sie sich eine politische Lösung für diese schwere Belastungs probe unserer demokratischen Gesellschaft vorstellen. Sie scheinen überhaupt noch nicht begriffen zu haben, dass sich politische Führung jetzt darin zeigt, dass man Menschen nicht weiter auseinandertreibt, sondern sie zusammenführt.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage noch einmal: Politik ist die Kunst, Konflikte fried lich zu lösen, Brücken zu bauen. Wenn Sie sagen: „Schienen führen Menschen zusammen“, dann ist das richtig. Aber Po litik muss ebenfalls Menschen zusammenführen, Herr Map pus.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Das machen wir doch auch!)

Wenn ich mir aber anschaue, in welch einem Zustand nicht nur die Stadt Stuttgart, sondern das gesamte Land ist, dann se he ich, dass die Gesellschaft gespalten ist. Die nationale und internationale Öffentlichkeit reibt sich die Augen angesichts der Frage, weshalb sich ein Bahnhofsprojekt so auswirken kann, dass Mitbürgerinnen und Mitbürger zu Zehntausenden friedlich auf die Straße gehen.

Der Riss geht inzwischen quer durch Familien. Kanzlerin Merkel spricht sich machtvoll wiederholt für S 21 aus, ihre Cousine hingegen hat sich in Stuttgart als Parkschützerin ein getragen.

(Zuruf von der CDU: Wer ist das?)

Wir laufen Gefahr, dass die Auseinandersetzung um S 21 zum Grundton wird, der bei allen anderen politischen Diskussio nen, bei allen anderen Themen mitschwingt. In Stuttgart ist dieser Zustand längst erreicht, in dem alte Rechnungen begli chen und immer neue aufgemacht werden, in dem Dauerstreit das Prinzip ist und nicht mehr das Wohl der Stadt in der ers ten Reihe steht. Wir erleben gerade, wie sich dieses Grund muster, das fein säuberlich nach Gut und Böse sortiert, ins Land ausbreitet. Wenn wir nicht aufmerksam und konsequent sind und genau auf die Ursachen dieser Entwicklung achten, dann ist auch das Land insgesamt auf diesem Weg in eine tie fe Spaltung nicht aufzuhalten. Ich sage Ihnen: Manche Töne, sowohl von den Gegnern wie von den Befürwortern des Pro jekts, sind in dieser Debatte nicht dazu angetan, den Weg der Vernunft zu gehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Diskussion über Stuttgart 21 weist aber viel tiefer, näm lich dahin, dass es ein abgrundtiefes Misstrauen gegen das Handeln der Politik gibt. Mit diesem Misstrauen ist die Poli tik, sind wir Politiker im Kern getroffen. Denn die Politik lebt davon, dass die Menschen vertrauen und nicht misstrauen. Ge

rade für uns Abgeordnete gilt aber, dass die Menschen uns das Mandat in der Erwartung geben, dass wir uns nach bestem Wissen und Gewissen um ihr Wohl und Wehe kümmern. Sie geben uns einen Vertrauensvorschuss.

Wenn aber statt Vertrauen Misstrauen herrscht, wenn von vornherein der gute Wille, das Ringen um Argumente abge sprochen wird, wenn die Befürworter dieses Projekts mit dem unsäglichen Prädikat „Lügenpack“ beschimpft werden,

(Abg. Jörg Döpper CDU: Genau!)

wenn Gegner des Projekts dem Ministerpräsidenten vorwer fen, er wolle Blut sehen, dann steht mehr auf dem Spiel als die Auseinandersetzung um diesen Bahnhof.