Ich bin gespannt, wie Sie nachher abstimmen; wir geben Ihnen die Gelegenheit dazu, dies namentlich zu tun.
Herr Kollege Palmer, stimmen Sie mir zu, dass das Land Regionalisierungsmittel in einer Höhe von genau 102 Millionen € einsetzt? Wenn man dies auf acht Jahre umrechnet, dann sind das 12,7 Millionen € pro Jahr bei einem Gesamtvolumen von 700 Millionen €, die das Land vom Bund überlassen bekommt. Das ist meine erste Frage.
Meine zweite Frage: Wenn Sie dann noch die GVFG-Mittel in Höhe von 256 Millionen € dazurechnen, dann ergibt sich eine Summe von 32 Millionen € pro Jahr bei ähnlicher Struktur. Dann sind dies lediglich 358 Millionen € und keine 500 Millionen €. Sie müssen das auf acht Jahre herunterbrechen, dann stellen sich diese angeblich gigantischen Zahlen schon ganz anders dar.
Herr Kollege Drexler, da stimme ich Ihnen nicht zu. Die 102 Millionen € sind bereits ausgegeben worden, ohne dass eine erkennbare Gegenleistung dafür entstanden wäre. Sie haben die Mittel nach § 8 Abs. 2 BSchWAG nicht mit eingerechnet. Die könnten natürlich ebenso an anderer Stelle ausgegeben werden. Die Summe aller Nahverkehrsinvestitionen für Stuttgart 21 – das können Sie nachher schriftlich von der Landesregierung bekommen – beträgt ziemlich exakt 500 Millionen €.
Die Finanzierungsleistung, die Sie erbracht haben, um jetzt Zusatzkosten von 200 Millionen € für das Projekt zu finanzieren, bringen Sie dadurch auf, dass der Flughafen 100 Millionen € zusätzlich einsetzt. Das ist nichts anderes als Landesgeld und Geld der Stadt Stuttgart, denn der Flughafen Stuttgart gehört uns; wir haben noch nie einen Euro Dividende gesehen. Wenn wir ihn verkaufen, ist er 100 Millionen € weniger wert, weil das Geld herausgezogen worden ist. Das ist also nichts anderes als eine Umwegfinanzierung, die uns öffentliches Geld kostet.
In der aktuellen Stellungnahme der Landesregierung zum Antrag Drucksache 14/299 wird ausgeführt, dass bei Aufgabe des Hauptbahnhofs 150 Millionen € an Investitionen für Ersatz-, Abstell- und Reparaturbahnhöfen an anderen Stellen im Land notwendig sind. Diese sind nicht finanziert, und sie sind auf die Kosten des Tunnelbahnhofs anzurechnen.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Da steckt doch auch die Deutsche Bahn Geld rein! Diese Zahlen verschweigen Sie! – Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)
Zur Wirtschaftlichkeitsberechnung: Herr Oettinger, Sie haben vor vier Wochen bereits erzählt, die Wirtschaftlichkeitsberechnung gebe Rückenwind. Sie schreiben aber auch – ich nehme an, Ihr Ministerium schreibt das richtig –, dass
diese Berechnung gar nicht vorliegt. Zumindest steht in Drucksache 14/299, die Wirtschaftlichkeitsberechnung liege nicht vor, sie müsse weiter diskutiert werden. Wie kann sie denn dann Rückenwind geben? Blasen Sie da selber in die Segel, oder wie funktioniert das? Das finde ich nun schon sehr bemerkenswert.
Wir haben nach meinen Informationen in der Wirtschaftlichkeitsberechnung derzeit eine Deckungslücke von 300 Millionen €. Das heißt, es geht um 1 Milliarde € versteckte Kosten, die Sie noch nicht finanziert haben. Dabei ist das Anhydritrisiko noch nicht berücksichtigt. Genau derselbe Baugrund wie beim Engelbergtunnel – der kostet uns, wie Sie wissen, irrsinniges Geld – ist nämlich auch im Stuttgarter Talkessel vorhanden, und Sie behaupten: „Das haben wir alles im Griff!“ Sie haben hier aber ein Risiko.
Ich komme zum Schluss. – Wir verlangen von Ihnen, dass Sie zumindest ehrlich sind und alle Fakten vor der Entscheidung auf den Tisch legen. Am 23. Oktober kann diese Entscheidung nicht fallen, weil Sie die wesentlichen finanziellen Faktoren immer noch nicht – auch nicht in Landtagsdrucksachen – mit Bestimmtheit beantworten können. Legen Sie uns die Gesamtkosten des Projekts vor, und zerren Sie uns nicht in eine irrsinnige Milliardeninvestition, die nur als ganzes Projekt nach über zehn Jahren tatsächlich dann Wirkung erzeugt, aber wo möglicherweise auf halber Strecke festgestellt wird: Wir brauchen noch einmal einen Nachschlag von 500 Millionen oder 1 Milliarde €. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal den Fraktionen von CDU, SPD und FDP/DVP danken für diesen Entschließungsantrag und für die große Einmütigkeit und Nachdrücklichkeit, die hinter diesem Antrag stehen.
Die Entschließung zeigt, dass für uns neben allen Alltagsscharmützeln und Nebenkriegsschauplätzen, die uns manchmal allzu viel Kraft und Zeit kosten, das übergeordnete Thema, nämlich die Zukunft unseres Landes, ganz obenan steht und am allerwichtigsten ist. Stuttgart 21 und Ulm– Wendlingen sind die Big Points der Landespolitik.
Wir haben heute die einmalige Chance, diese Projekte zu verwirklichen. Herr Kollege Palmer, diese Chance kommt unter Umständen – da bin ich mir sogar ziemlich sicher –, wenn wir sie jetzt nicht ergreifen, nie mehr.
Das ginge zulasten der Zukunftsfähigkeit unseres Landes Baden-Württemberg. Wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht werden, wenn wir uns diese Chance jetzt aus der Hand nehmen ließen.
Es wurde nicht zu Unrecht von Babylonischer Gefangenschaft gesprochen. Ich will darüber nicht resümieren, aber Tatsache ist: Jetzt haben wir in Berlin eine Konstellation, die Große Koalition, die den großen Befreiungsschlag ermöglicht. Diesen sollten wir jetzt gerade in dieser Frage auch tun.
(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Befreiungs- schläge sind super! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Gesundheitsreform, Mehrwertsteuer!)
Herr Kollege Palmer, der Dampf, mit dem Sie hier plaudern und mit dem Sie schon seit Jahren, zumindest seit Monaten durch die Lande ziehen, hat ja einen gewissen Unterhaltungswert.
Mit diesem Dampf könnte man die erste Dampflok – „Adler“ hieß die, glaube ich – zwischen Nürnberg und Fürth jahrelang betreiben. Aber das bringt uns nicht weiter. Erschrocken bin ich schon darüber, dass ausgerechnet die Schienenpartei, die Partei der Grünen, bei diesem Thema gewaltig entgleist ist – inhaltlich und argumentativ.
Herr Kollege Palmer, es erschreckt mich des Weiteren, dass Sie seit Monaten durch die Lande ziehen und Streckenstilllegungen herbeireden,
(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig! – Abg. Dr. Christoph Palmer CDU: Die gar niemand vornimmt!)
Ich fürchte, Sie haben die Krawatte dabei, um sich an den Schienen hinter dem Prellbock festzuzurren. Das hilft uns nicht weiter. Sie werden sehr schnell feststellen, dass uns dieses Gleis nicht weiterführt, schon gar nicht in die Zukunft. Beklagen Sie nicht Streckenstilllegungen, und versuchen Sie nicht, an dieser Baustelle das ganze Land lahmzulegen.
Ich zitiere den Kollegen Walter, der gesagt hat – der sagt auch gelegentlich etwas Richtiges –: „Der technische Fortschritt wartet nicht darauf, bis der Letzte in diesem Haus aufgewacht ist.“ Wohl wahr! Herr Kollege Walter, reden Sie mit dem Kollegen Palmer.
Meine Damen und Herren, Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm gehen in die Zielgerade. Noch in diesem Monat soll die Grundsatzentscheidung über die Re
alisierung dieser Projekte fallen. Wir alle wissen um die Bedeutung; ich muss es nicht weiter ausführen. Die Stichworte sind genannt worden, es ist jedem präsent, worum es geht: Anbindung Flughafen, Anbindung Messe, die Verkehrsinfrastruktur, die Einbindung des gesamten Landes in das europäische Schienennetz – da müssen wir wirklich im europäischen Kontext reden. All das führt dazu, dass die Europäische Union, der zuständige Europäische Kommissar Fördergelder in nicht geringer Höhe in Aussicht stellt, und zwar für beides, weil er beides ebenso wie wir als Einheit sieht.