Protocol of the Session on June 1, 2005

(Abg. Drexler SPD: Die Beteiligung ist nicht gut!)

Es ist schon bedauerlich, zu diesem Tagesordnungspunkt so wenige Kolleginnen und Kollegen begrüßen zu können.

(Abg. Rückert CDU: Ja, das stimmt! – Minister Rech: Die Jugendlichen sind da! – Abg. Stickel- berger SPD: Die Jungen sind da! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Danke! – Zuruf des Abg. Pauli CDU)

Ich habe auch in öffentlichen Diskussionen immer wieder den Eindruck gewonnen, dass Jugendliche nur unter ganz bestimmten Koordinaten wahrgenommen werden – momentan in allererster Linie als Wirtschaftsfaktor: „Humankapital“, das „aufzubereiten“ sei, habe ich vor einigen Wochen

hier in diesem Saal von Professor Miegel gehört. In einer solchen Philosophie – Humankapital, das aufbereitet werden muss – haben eigenständige Rechte von Kindern und Jugendlichen kaum Platz, sie sind eher störend, zumindest aber untergeordnet.

(Abg. Pauli CDU: Das kann man nicht so pauschal sagen!)

Deswegen geht es in unserem Gesetzentwurf um Rechte, in diesem Fall um Beteiligungsrechte für Jugendliche. Es geht erstens um differenziertere und verbindlichere Formen von kommunalpolitischer Partizipation. Zweitens geht es um eine Stärkung der Rechte von Jugendgemeinderäten. Drittens geht es um eine Absenkung der Altersgrenze bei Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre.

In vielen Gemeinden wird schon jetzt mit unterschiedlichen Partizipationsformen experimentiert. Jugendgemeinderäte sind eine Form davon. Ihre Verankerung in § 41 a der Gemeindeordnung begrüße ich ausdrücklich. Auch andere Formen machen Sinn: Jugendhearings, Jugendforen, Befragungen oder Zukunftswerkstätten.

Wer unterschiedliche Jugendliche in unterschiedlichen Jugendszenen ansprechen will, der braucht vielgestaltige Angebote. Aber Vielfalt darf nicht zur Beliebigkeit führen, und sie darf nicht abhängen vom Wohlwollen der gerade politisch Regierenden. Aus diesem Grund wollen wir mehr Verbindlichkeit durch eine Verankerung von Sollvorschriften in der Gemeindeordnung.

(Abg. Schebesta CDU: „Muss“ steht hier!)

Bei der Stärkung der Rechte von Jugendgemeinderäten geht es darum, diese Gremien näher an den wirklichen Gemeinderat heranzubringen. Genau dies ist auch die Bitte des Dachverbands der Jugendgemeinderäte.

(Abg. Pauli CDU: Kann man auch so machen!)

Ich finde, die nehmen repräsentative Demokratie wirklich ernst. Wir sollten froh darüber sein, meine Damen und Herren, wenn diese politisch engagierten, in Jugendgemeinderäten organisierten Jugendlichen auch im jeweiligen Gemeinderat ein Rederecht und ein Antragsrecht einfordern wollen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Pauli CDU: Bei mir immer! Das ist bei mir selbstver- ständlich!)

Dies wollen wir mit dem Gesetzentwurf ermöglichen und verbindlich regeln.

(Abg. Pauli CDU: Das ist doch selbstverständlich! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aus- nahmen bestätigen die Regel!)

Es ist möglich, aber nicht unbedingt durchsetzbar. – Ich hoffe, dass zumindest dahin gehend Einigkeit in diesem Hause herbeizuführen ist.

Nun zur Wahlrechtsänderung: Was soll man einem 16-Jährigen sagen, der wählen will, aber noch nicht wählen darf?

(Abg. Schebesta CDU: Dass er noch nicht volljäh- rig ist!)

Welche Begründungen gibt es, ihm das Wahlrecht vorzuenthalten? Ich fange anders an. Man könnte zum Beispiel sagen: Lieber Jugendlicher, du bist noch nicht reif genug, um politische Entscheidungen zu treffen.

(Abg. Schebesta CDU: Du bist noch nicht volljäh- rig!)

Das ist okay. Dieser Auffassung kann man sein. Woran aber, bitte schön, misst man dann bei Erwachsenen die politische Entscheidungsfähigkeit? Viele Erwachsene kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Bundesrat und Bundestag. Ich bin mir ganz sicher, dass nur eine Minderheit das baden-württembergische Wahlrecht halbwegs fehlerfrei erklären kann.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Hier im Haus! Eine Minderheit hier im Haus!)

Es gibt keine „richtigen“ und „falschen“ Gründe beim Wählen. Jeder macht das auf seine Art. Deswegen sage ich Ihnen: Aus entwicklungspsychologischer und pädagogischer Sicht gibt es überhaupt keinen Grund, politische Unreife ganz besonders bei Jugendlichen zu suchen und sie deswegen von politischer Beteiligung und vom Wahlrecht auszuschließen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Sche- besta CDU: Aber vom passiven Wahlrecht schon, oder wie?)

Dieser Ansicht ist auch der Autor der letzten Shell-Jugendstudie, Professor Hurrelmann. Er bescheinigt in seiner Studie 16- und 17-Jährigen politisches Interesse und Entscheidungsfähigkeit. Hurrelmann plädiert deswegen nachhaltig für eine Absenkung des Wahlalters. Er kann sich sogar eine Absenkung auf 14 Jahre vorstellen – ebenso wie auch der Landesjugendring in Baden-Württemberg.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Bei den Wahlen zu Kirchengemeinderäten gilt die Altersgrenze von 16 Jahren schon lange. Die Tendenz in der Diskussion geht eher Richtung 14 Jahre.

Aber, könnte man einwenden, Jugendliche in diesem Alter sind doch viel zu stark beeinflussbar. Das stimmt in der Tat. Die Befürchtung unangemessener Beeinflussung ist real. Sie besteht aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in Religion. Sie betrifft auch nicht nur Jugendliche, sondern beispielsweise auch alte Menschen. Auch Wahlkampf ist eine Form der gewollten Beeinflussung, die der Meinungsbildung dienen soll – Missbrauch nicht ausgeschlossen. Manchmal, meine Damen und Herren, muss man eben auch etwas wagen, um Fortschritte zu erzielen. Auch das Frauenwahlrecht musste gegen die Widerstände derer erkämpft werden, die glaubten, Frauen seien nicht reif für politische Entscheidungen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Ministers Rech)

Versuchen wir es mit einer weiteren Argumentation. Herr Schebesta hat dieses Argument ja schon als Zwischenruf eingebracht. Man könnte sagen: Lieber Jugendlicher, du bist nicht volljährig. Es geht nicht nur um Rechte, es geht auch um Pflichten, und du, Jugendlicher, sagst ja selbst, dass du eigentlich noch gar nicht so weit bist.

Wie ist die Realität? Jugendliche bekommen schon früh Rechte und Teilverantwortung. Sie werden mit 14 Jahren religionsmündig.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Sie übernehmen Verantwortung für Schullaufbahn und Berufswahl. Mit 16 Jahren wird ihnen die Ehefähigkeit und die Eidesfähigkeit zugesprochen, und – das ist das für mich wichtigste Argument – sie wachsen doch stufenweise hinein in demokratische Strukturen. Ein junger Mensch, der 16 Jahre lang in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, im kommunalen Umfeld, in der Jugendarbeit, in der Ausbildung ermuntert wurde, eigene Bedürfnisse zu artikulieren und auf die Bedürfnisse anderer zu achten, ein junger Mensch, der 16 Jahre lang immer wieder die Chance erhalten hat, sein soziales Umfeld mit zu gestalten, der muss doch geradezu darauf brennen, auch Einfluss auf das parlamentarische System der Erwachsenen nehmen zu können.

Das ist zugegebenermaßen nicht durchgängig der Fall. Aber dies ist kein entwicklungspsychologisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem. Leider durchlaufen unsere Kinder und Jugendlichen nur sehr partiell eine konsequente Sozialisation des Demokratie-Lernens und des DemokratieLebens,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist richtig, ja!)

mit kindgerechten Beteiligungsprojekten zum Beispiel bei der Spielplatzplanung, mit echter Mitbestimmung in der Schule, mit einem früh beginnenden Gemeinschaftskundeunterricht, mit vielfältigen und verbindlichen Formen von Partizipation im kommunalen Bereich und mit konkreten Rechten von Jugendgemeinderäten.

Deswegen, meine Damen und Herren, glaube ich, wir haben hier eine Bringschuld. Dabei bin ich mir völlig im Klaren: Die Herabsetzung des Wahlalters ist kein Allheilmittel, keine Wunderdroge für eine optimale politische Beteiligung von Jugendlichen, aber sie ist eine Chance. Zusammen mit der verbindlicheren Form kommunalpolitischer Beteiligung und der Aufwertung von Rechten für Jugendgemeinderäte wird daraus ein klares Signal, ein Signal gegen ein von vielen Jugendlichen gefürchtetes Methusalemkomplott und ein Signal für mehr Demokratie.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Schebesta.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will wie der Kollege Bayer ebenfalls beginnen mit den Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendlichen in § 41 a der Gemeindeordnung. Da kann ich nur sagen: Liebe Kollegen von der SPD, guten Morgen! Es war

die Initiative der CDU-Landtagsfraktion, die Jugendgemeinderäte vor zehn Jahren in die Gemeindeordnung einzubringen.

(Lachen bei der SPD und den Grünen)

Das war die politische Antwort auf die Gründungszeit vieler Jugendgemeinderäte.

(Glocke des Präsidenten)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

(Abg. Dr. Caroli SPD: Jetzt wird er gleich entzau- bert!)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass das nicht vor zehn Jahren, sondern in der letzten Legislaturperiode war, und ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Enquetekommission als auch die SPD-Fraktion und die Grünen als auch das Forum Kinder- und Jugendpolitik der freien Träger großen Wert darauf gelegt haben, dass die Jugendgemeinderäte sehr konkrete Rechte bekommen? Diese haben Sie ihnen verweigert.

(Beifall bei der SPD)