Stephan Braun
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Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, wäre vor Jahren so nicht denkbar gewesen. Heute ist er notwendig – leider.
Wir wissen, die globale Sicherheitslage hat sich gewandelt. Extremistische, terroristische Bedrohungen haben ein neues Gesicht bekommen, und das nicht erst seit dem 11. September 2001. Doch seit diesem Datum gilt mehr als zuvor der Satz von Thomas Jefferson: „Der Preis der Freiheit ist die ewige Wachsamkeit.“ Wir nehmen das sehr ernst. Es gilt, Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Instrumentarien auszustatten. Die amtierende Bundesregierung hat dies getan – ich denke, in vorbildlicher Art und Weise. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz war die schnelle und zielführende Reaktion auf die neue Dimension des internationalen Terrorismus.
Herr Minister, Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf den Willen zur Umsetzung dieser Vorgaben gezeigt. Das erkennen wir an, und wir tragen diesen Entwurf mit.
Sie haben auch zu Recht darauf hingewiesen, dass Strukturen und Strategien des internationalen Terrorismus nicht statisch sind. Aber genau deshalb war eine schnelle Umsetzung des G-10-Gesetzes und des Terrorismusbekämpfungsgesetzes notwendig. Sie haben dafür dreieinhalb Jahre gebraucht. Andere Bundesländer waren da schneller. Die Umsetzung hier in Baden-Württemberg kommt spät, sehr spät.
Nun zum Änderungsantrag der Grünen, Herr Kollege Oelmayer. Ich kann ja verstehen, dass der eine oder andere Bedenken hat, wenn Behörden neue Möglichkeiten gegeben werden, Daten zu sammeln, zu speichern, auszutauschen. Wir nehmen diese Bedenken ernst. Ich denke, wir sind uns auch völlig einig, dass wir als Politikerinnen und Politiker die Aufgabe, ja die Pflicht haben, äußerst vorsichtig zu sein, wenn es um Eingriffe in die Rechte der Menschen und in ihre Privatsphäre geht. Das muss auch in Zeiten der Gefahr gelten; das ist völlig unstrittig. Aber wenn Sie argumentieren, dass der Rechtsstaat nicht auf Kosten der Freiheit geschützt werden dürfe, die ihn ausmache, dann klingt das beeindruckender, als es in Wahrheit ist.
Denn was heißt das? Ich will einmal Ihre Beispiele aufgreifen. Sie kritisieren, das Gesetz räume zu weit reichende Möglichkeiten ein, Daten weiterzugeben und auszutauschen – zum Beispiel zwischen Behörden und anderen zentralen Stellen –, die zum Gegenstand terroristischer und extremistischer Bestrebungen werden können. Sie meinen, es sei unnötig, Sicherheitsdienste, Banken und Universitäten vor einer möglichen terroristischen Unterwanderung zu schützen. Aber Universitäten bieten Zugang zu terroristisch relevantem Know-how. Mohammed Atta studierte in Hamburg, ebenso Motassadeq. Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall war.
Dass Banken für die Finanzströme des internationalen Terrorismus Schlüsselfunktionen haben können, haben wir inzwischen gelernt. Selbstverständlich können auch Sicherheitsdienste Zugang zu potenziellen Anschlagszielen bieten.
Sie kritisieren, dass die Altersgrenze zur Speicherung personenbezogener Daten in Dateien von 16 Jahren auf 14 Jahre herabgesetzt werden soll, wobei die Speicherung in Akten bei Personen ab 14 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen schon jetzt möglich ist. Wir meinen, wir müssen die Realitäten anerkennen. Wenn der Rechtsextremismus, wenn der militante Islamismus die Jugend entdeckt haben – und das haben sie –, wenn sich der Kreis der Tatverdächtigen und der Täter verjüngt – und das ist der Fall –, können wir nicht einfach zusehen. Dann müssen wir auch darauf reagieren – nicht nur, aber auch in dem Rahmen, den dieses Gesetz vorgibt. Das ist das eine, den Behörden bessere Instrumente in die Hand zu geben. Das tun wir mit diesem Gesetz.
Das andere aber ist, was flankierend zu geschehen hat. Ich sage es noch einmal, auch wenn es schon in der ersten Lesung manche nicht so gerne gehört haben: Wir springen mit
all unseren Anstrengungen für die innere Sicherheit zu kurz, wenn wir bei diesem Thema immer nur an die direkte Gefahrenabwehr denken, immer nur daran, neue Gesetze zu schaffen und Polizei und/oder Verfassungsschutz zu stärken.
Dies allein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird nicht reichen, um den Extremismus und den Terrorismus langfristig an der Wurzel zu packen. Ich spreche weniger Sie an, Kollege Rech, sondern vielmehr die Gesamtheit Ihrer Koalition. All das, was wir tun, auch hier zusammen tun, bleibt ein geradezu hilfloser Versuch, wenn es nicht gelingt, die Aufklärungsarbeit zu verstärken, die geistige Auseinandersetzung mit der anderen Seite zu suchen und die Demokratieerziehung in unseren Schulen voranzubringen, wenn es nicht gelingt, den Austausch zwischen den Religionen und Kulturen in unserem Land weiter voranzutreiben, jungen Menschen wirklich Lebensperspektiven zu bieten und die Integration wirklich voranzubringen.
Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang: Der Ausstieg des Landes aus der Förderung der Schulsozialarbeit war ein schwerer Fehler,
und was sich in der Sprachförderung tut, ist ein Trauerspiel.
Mit Ihrem Hinweis aus der ersten Lesung, Terroristen seien unerwünscht und wollten sich nicht integrieren, machen Sie es sich zu leicht. Richtig ist: Integrationsangebote können Terroristen nicht bekehren – das ist völlig klar –, aber sie leisten einen wesentlichen, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, wenn es darum geht, die Entstehung von Extremismus als Nährboden von Terrorismus anzugehen und ihr zu begegnen.
Die Linie der SPD-Fraktion ist klar. Wir wollen ein Höchstmaß an Sicherheit bei der Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze. Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Wir fordern Sie aber auf, es nicht dabei zu belassen, sondern endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen, das konsequent das einschließt, was ich Ihnen an flankierenden Maßnahmen zumindest skizziert habe. Und dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie nicht noch einmal dreieinhalb Jahre brauchen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der traurigen Aktualität ein Wort vorweg: Die jüngsten Anschläge zeigen wieder einmal: Auch eine noch so gute Gesetzgebung kann Terror nicht mit hundertprozentiger Sicherheit verhindern.
Daran werden auch erweiterte Rechte für den Verfassungsschutz leider nichts ändern. Dennoch sind sie nötig.
Was also ist zu diesem Gesetzentwurf zu sagen?
Das Positive vorweg: Es ist weitgehend eine brave Umsetzung des G-10-Gesetzes und des Terrorismusbekämpfungs
gesetzes der SPD-geführten Bundesregierung. Über Details werden wir noch reden.
Auffallend ist vor allem die Genese dieses Entwurfs: Am 26. Januar 2001, also vor mehr als vier Jahren, hatten wir dieses Thema erstmals auf der Tagesordnung des Gremiums nach Artikel 10 GG. Damals hatten Sie versprochen, noch im Herbst des Jahres 2001 einen Entwurf vorzulegen. Dann kam das, was keiner von uns auf der Rechnung hatte: die Anschläge vom 11. September 2001. Otto Schily hat umgehend das Terrorismusbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht, Sie wollten es in das Landesverfassungsschutzgesetz einarbeiten. Das war ein richtiger Ansatz.
Doch jetzt kommt der Unterschied: Der Bund machte Tempo, das Terrorismusbekämpfungsgesetz konnte bereits im Januar 2002 in Kraft treten. Vorbildlich! Sie dagegen haben auf einmal die Langsamkeit entdeckt: Dreieinhalb Jahre, zwei Innenminister und zwei Ministerpräsidenten haben Sie gebraucht, bis Sie endlich einen Entwurf zur ersten Lesung eingebracht haben, dreieinhalb Jahre, in denen der Terrorismus nichts von seinem Bedrohungspotenzial eingebüßt hat.
Erst vor kurzem haben der Ministerpräsident und der Innenminister wieder erklärt – ich zitiere –:
Die Sicherheitsbehörden … brauchen die rechtlichen und materiellen Instrumente, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen.
Richtig! Aber warum brauchen Sie dann dreieinhalb Jahre? Sie sind zusammen mit Sachsen-Anhalt einsames Schlusslicht. Das zeugt nicht von großem innenpolitischem Interesse, nicht von großem Engagement und auch nicht von großer Kompetenz.
Zweitens: Ihnen fehlt auch die Orientierung, der klare Kurs, den Ihre Spitzenkandidatin so gern für sich in Anspruch nehmen würde. Nach dem 11. September haben Sie mit unserer Unterstützung neue Stellen bei Verfassungsschutz und Polizei eingerichtet – das war gut und richtig so –, aber just in dem Augenblick, in dem die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt, in dem sich die Menschen wieder anderen Themen zuwenden, haben Sie die Stellen als „künftig wegfallend“ gekennzeichnet, einen Teil davon bereits abgebaut und Gelder gestrichen. Ich will Ihnen jetzt nicht vorwerfen, die Menschen bewusst getäuscht und hinters Licht geführt zu haben,
aber dass Sie einen Schlingerkurs fahren, dass Sie offensichtlich keine Orientierung haben und dass dieses Hü und Hott fehlende Ernsthaftigkeit und fahrlässige Unentschlossenheit verrät, wird Ihnen, denke ich, auch der Gutmütigste attestieren müssen.
Drittens: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz und das Landesverfassungsschutzgesetz richten sich gegen alle Spielarten extremistischer Bedrohung, auch wenn derzeit der
gewaltbereite Islamismus im Vordergrund der Diskussion steht. Ich denke, wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Muslime Gewalt und erst recht Terrorismus ablehnt. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass sie alle glühende Verfechter unseres Grundgesetzes wären. Das Versprechen von Freiheit und Demokratie sehen viele von ihnen durch den Irak-Krieg, durch Guantanamo und durch Abu Ghraib diskreditiert. Gleichzeitig haben viele von ihnen den Eindruck, hier im Westen einem erhöhten sozialen und gesellschaftlichen Druck ausgesetzt zu sein und für die Taten einiger weniger in kollektive Verantwortung genommen zu werden.
Junge Muslime erleben einerseits einen zerrütteten Zustand großer Teile der islamischen Welt, andererseits fühlen sie sich hier im Westen in ihrer neuen Heimat, auch wenn es in der dritten Generation ist, von der Mehrheitsbevölkerung häufig nicht angenommen. Dies ist eine ausgesprochen prekäre Situation.
Gefragt wäre deshalb begleitend ein groß angelegter interkultureller und auch interreligiöser Dialog mit aktivem Zuhören und aktivem Werben für die Werte, die uns hier verbinden. Ressortmäßig wäre so etwas dem Kultusministerium zugeordnet. Aber da ist Fehlanzeige.
Das Gleiche gilt natürlich auch für die großen Integrationsprojekte, beispielsweise die Sprachförderung. Das ist ein einziges Drama. Aus der Schulsozialarbeit ist man ausgestiegen. Die Gemeinschaftskunde bei der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern wurde gestrichen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es ist ein Trauerspiel. Ich sage Ihnen: Das Schlimmste, was Sie machen können, ist, dass Sie junge Menschen in prekären Situationen, in prekären Lebenssituationen allein lassen.
Andere, auch extreme Gruppen, werben um sie. Das kann uns nicht recht sein.
Deshalb mein Appell: Kommen Sie endlich in die Gänge! Beziehen Sie die Bildungs- und die Sozialpolitik mit ein! Finden Sie endlich zu einer Linie, und lernen Sie, dass Ernsthaftigkeit auch ein zügiges Arbeiten verlangt! Wozu Otto Schily, wozu Ute Vogt dreieinhalb Monate brauchten, dazu brauchen Sie dreieinhalb Jahre, zwei Innenminister und zwei Ministerpräsidenten. Guten Morgen und herzlichen Glückwunsch zum Meister aller Schlafmützen!
Herr Minister, Sie haben gerade die Landeszentrale für politische Bildung so gelobt. Ist Ihnen bekannt, dass der Dachverband der Jugendgemeinderäte, der von dieser Landeszentrale begleitet und gefördert wird, genau das fordert, was wir in diesem Gesetzentwurf für die Rechte der Jugendgemeinderäte vorsehen?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass das nicht vor zehn Jahren, sondern in der letzten Legislaturperiode war, und ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Enquetekommission als auch die SPD-Fraktion und die Grünen als auch das Forum Kinder- und Jugendpolitik der freien Träger großen Wert darauf gelegt haben, dass die Jugendgemeinderäte sehr konkrete Rechte bekommen? Diese haben Sie ihnen verweigert.
Nein, eine andere.
Herr Kleinmann, wenn Sie darauf abheben, dass Sie den Gemeinden nichts vorschreiben wollen, keine Vorschriften machen wollen und deshalb die Kannvorschrift für die Jugendgemeinderäte wollen, warum haben Sie sich dann geweigert, die anderen Partizipationsformen mit aufzunehmen?
Herr Kollege, könnte es sein, dass es zu einem Missverständnis gekommen ist? Ich kenne keinen einzigen Parlamentarier in diesem Haus, der etwas dagegen hätte, dass sich Vereine und Musikschulen in Gesamtschulen,
nein, in Ganztagsschulen engagieren. Ich weiß aber sehr wohl, dass man die Ganztagsschulen nicht allein auf das Engagement der Musikschulen und Vereine bauen lassen kann, sondern dass man da etwas mehr braucht.
Herr Kollege, das hat – –
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir können das Tempo noch weiter toppen. Bei diesem Gesetz handelt es sich um das Ausführungsgesetz eines Bundesgesetzes. Ich empfehle Ihnen namens sämtlicher Fraktionen und des Ständigen Ausschusses die Zustimmung zu diesem Gesetz unter Berücksichtigung der in der Beschlussvorlage genannten beiden kleinen Änderungen.