Protocol of the Session on April 20, 2005

Der nächste Kritikpunkt betrifft das eingeschränkte Klagerecht der Verbände. Das Verbandsklagerecht ist nach § 12 des Gesetzentwurfs auf einen einzigen Tatbestand – Verstoß gegen das Recht hör- und sprachbehinderter Menschen auf Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen –, also § 8 Abs. 3, beschränkt. Das sollte erweitert werden.

Der dritte Punkt betrifft die Berufung eines Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen. Wenn Ihnen das Thema wirklich so wichtig ist, sollte sich das auch im Gesetz niederschlagen. Dann dürfte bei einem Beauftragten der Landesregierung nicht nur eine Kannregelung stehen, sondern dann sollte das eine verbindliche Regelung sein.

Zusätzlich sollte eine Berichtspflicht dieses Landesbeauftragten geregelt werden. Wir diskutieren heute erst zum dritten Mal über die Behindertenpolitik:

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist nicht das letz- te Mal!)

das erste Mal bei der Einbringung des Gesetzentwurfs, heute zum zweiten Mal. Dann haben wir noch über Behindertenpolitik im Europäischen Jahr der Behinderten diskutiert. Das war dann aber auch schon alles! Von daher finde ich eine Pflicht, zweimal in jeder Legislaturperiode einen Bericht zu erstatten, wirklich nicht übertrieben. Ich finde es auch der Wichtigkeit dieses Themas angemessen. Von daher verstehe ich überhaupt nicht, wieso Sie sich dagegen wehren.

Fazit: Der Entwurf der Landesregierung bleibt hinter den möglichen Ausgestaltungen, die auch das Bundesgesetz vorgegeben hat, zurück und erfüllt somit den Anspruch, den Sie auch im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben, nämlich die Integration behinderter Menschen mit aller Kraft voranzubringen, nicht. Das ist leider nur ein Gesetzentwurf mit gedrosselter Kraft und angezogener Handbremse.

(Die Rednerin muss zum wiederholten Mal husten.)

Jetzt versagt meine Stimme.

Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Sozialministerin Gönner.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Dieser Landtag kann es sich nicht einmal leisten, jedem Abgeordneten ein Glas Wasser hinzustellen! Nicht einmal Was- ser, obwohl ich das schon fünfmal angemahnt ha- be!)

Herr Kollege – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: So arm! – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU: Das Glas ist doch ge- rade bei Ihnen im Gebrauch!)

(Stellv. Präsident Birzele)

Herr Kollege Kretschmann – Entschuldigung, Frau Ministerin –, auf Wunsch erhält jede Rednerin und jeder Redner ein Glas Wasser. Frau Kollegin Lösch war gerade schon mit ihrer Rede zu Ende. Im Übrigen hat sie die Redezeit überschritten.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Muss man immer erst husten, bis man Wasser kriegt? – Heiterkeit)

Herr Kollege Kretschmann, Sie erinnern sich vielleicht, dass im Präsidium einvernehmlich ausdrücklich festgehalten wurde, dass der Redner bzw. die Rednerin den Wunsch nach einem Glas Wasser rechtzeitig signalisieren soll.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Bei dieser Sitzung war ich nicht dabei; sonst wäre das nicht eingetre- ten!)

Bitte schön, Frau Ministerin, Sie erhalten das Wort.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich beruhigt haben in der Frage, wann wer Wasser erhält

(Heiterkeit)

und von wem es gereicht wird, bitte ich Sie, der Frau Ministerin Gehör zu schenken.

Ich bitte auch, der Frau Ministerin gleich ein Glas Wasser zu reichen, damit es nicht zu irgendwelchen Zwischenfällen kommt.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Ein großes Wasser!)

Bitte schön, Frau Ministerin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben zahlreiche engagierte Beiträge zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung gehört. Zum Schluss war der Beitrag sogar so engagiert, dass die Stimme versagte.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Der Präsident hat bereits gesagt, ich würde ein Glas Wasser bekommen. Aber herzlichen Dank, dass Sie sich solche Sorgen um mich machen.

(Abg. Capezzuto SPD: Nicht dass sie das verges- sen!)

Lassen Sie mich vorab eines feststellen: Unabhängig von unserem Dissens über die Ausgestaltung einzelner Punkte des Gesetzes sollten wir uns alle einig sein, dass von dem von uns vorgelegten Landesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen eine bedeutende Signalwirkung ausgeht. Artikel 1 des Landes-Behindertengleichstellungsgesetzes enthält wesentliche Bestimmungen.

Für mich ist dabei sehr wichtig, dass wir zu einem Bewusstseinswandel in der Gesellschaft kommen: Behinderte Menschen gehören in unsere Mitte. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um dies zu ermöglichen. Ein bedeutender Baustein ist das heute zu beratende Gesetz. Es enthält wichtige Vorschriften für das Verhältnis zwischen Bürger und

Verwaltung – sei es das Benachteiligungsverbot, seien es die Bestimmungen zur Gebärdensprache oder zum barrierefreien Internet. Dieses Gesetz weist den Weg und setzt ein Zeichen – ein Zeichen, dass wir die Menschen mit Behinderungen und ihre berechtigten Anliegen ins Visier genommen haben und ihre Rechte stärken wollen.

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition – Herr Staiger, Frau Lösch –, haben erwartungsgemäß an dem Gesetzentwurf Kritik geübt. Ich sage „erwartungsgemäß“, weil wir als Landesregierung selbstverständlich wissen, dass es in der Diskussion weiter gehende Forderungen gibt. Wir haben jedoch abzuwägen und das Wünschenswerte vom Notwendigen abzugrenzen, um realisierbare Kompromisse zu finden.

Insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen wir bei der Schaffung neuer Ansprüche größte Sorgfalt walten lassen. In Zukunft werden in Baden-Württemberg immer weniger arbeitende Menschen für immer mehr leistungsberechtigte Personen aufkommen müssen, sei es im Bereich der Renten und Pensionen, im Bereich der Hilfen für Menschen mit Behinderungen oder im allgemeinen Schuldendienst. Auch Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, betonen dies in regelmäßigen Abständen.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die Überalterung unserer Gesellschaft führt zu einem immer höheren Anteil der Menschen mit Behinderung an der Gesamtbevölkerung. Wer sich auskennt, weiß, dass nur die wenigsten Behinderungen von Geburt an vorliegen. Freilich sind dies dann häufig auch die schwersten Fälle.

Weil wir unsere Gesamtverantwortung für die Zukunftsfähigkeit des Landes sehen, beinhaltet unser Gesetzentwurf weniger formale Ansprüche, die Kostenfolgen nach sich ziehen. Er zielt viel mehr als andere Gleichstellungsgesetze darauf ab, dazu beizutragen, dass wir uns alle unserer gesellschaftlichen Verantwortung für behinderte Menschen bewusst werden und ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft unterstützen.

Ein weiteres Augenmerk haben wir auf die Vermeidung unnötiger Bürokratie gerichtet. Deshalb haben wir weder eine eigene Organisation für das Amt des Behindertenbeauftragten noch einen Behindertenbeirat oder gar regelmäßige Berichtspflichten vorgesehen. Wir können nicht auf der einen Seite zu Recht immer mehr Bürokratie abbauen wollen und auf der anderen Seite neue schaffen.

(Abg. Schneider CDU: Sehr gut!)

Dies gilt insbesondere für die Vorschläge im Zusammenhang mit dem Amt einer Behindertenbeauftragten der Landesregierung. Ihre Ideen entsprechen dem Muster: für jede Aufgabe ein neues Amt. Das kennen wir hinreichend. Angesichts der problematischen Haushaltslage muss es uns heute um eine Verschlankung in der Staatsorganisation und um die Nutzung von Synergien gehen. Warum sollten wir also nicht das Amt der Sozialministerin mit dem der Behindertenbeauftragten vereinbaren?

(Beifall der Abg. Schneider CDU und Beate Fauser FDP/DVP)

(Ministerin Tanja Gönner)

Bei uns wurde noch keine Bürgerin und kein Bürger abgewiesen. Die Bürgernähe ist vorhanden. Wir haben uns um jedes Anliegen mit großem Engagement gekümmert.

Daneben kann es nicht von Schaden sein, wenn man die nötige Sachkunde hat, um vorschnelle und nicht finanzierbare Forderungen erst gar nicht in den öffentlichen Raum zu stellen. Solche Forderungen mögen zwar auf die Zustimmung der Behindertenverbände stoßen, laufen jedoch in Ermangelung von Umsetzungsmöglichkeiten ins Leere. Ergebnis: das Wecken falscher Hoffnungen und damit Erzeugung vermeidbarer Enttäuschungen.

Noch ein Stichwort zu den Behindertenbeiräten. Wir benötigen kein institutionalisiertes Forum für Gespräche. Mit mir kann man unbürokratisch in Kontakt treten. Bedenken Sie auch eines: Jede Organisation ist in der Lage, Bürokratie zu erzeugen. Ziel der Landesregierung ist es jedoch, Bürokratie energisch abzubauen. Wir brauchen Luft zum Atmen und keine einengenden Fesseln. Deshalb heben wir auch keine neuen Strukturen aus der Taufe, die nicht zwingend erforderlich sind. Es wäre ja paradox: Einerseits setzen wir uns insbesondere auf Bundesebene dafür ein, bestehende Gremien auf ihre Verzichtbarkeit zu überprüfen, andererseits würden wir damit munter neue Gremien schaffen.

In diesen Bereich fügt sich in gewisser Weise auch das Verbandsklagerecht ein, das Sie, Frau Lösch, angesprochen haben; im Gesetzentwurf heißt es: Klagerecht. Wir sehen das reine Verbandsklagerecht als zweischneidiges Schwert: Einerseits kann es dazu dienen, Missstände anzuprangern und zu beheben. Aber dafür haben wir bereits die Regelung in § 11; denn wenn sich ein behinderter Mensch in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt, kann ihn bei Gericht ein Verband vertreten. Bei einem abstrakten Recht für die Verbände, ohne dass es eine konkrete Beeinträchtigung gegeben hat, sehen wir grundsätzlich eine Missbrauchsgefahr zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit. Hier kann ohne oder sogar gegen den Willen des Bürgers geklagt werden.

Wir wollen dieses Instrument insoweit dennoch erproben. Es ist bekanntermaßen ein großes Anliegen der Behindertenverbände. Zur konkreten Durchsetzung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern haben wir in Gestalt der Prozessstandschaft in § 11 – ich wiederhole es – ein hervorragendes und grundsätzlich ausreichendes Instrument.

Zum Schluss will ich noch auf einen von Ihrer Seite genannten Punkt eingehen, nämlich die Einbeziehung der Kommunen in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Lassen Sie mich vorwegnehmen: Die Landratsämter sind als untere staatliche Behörden in den Geltungsbereich einbezogen. Das Benachteiligungsverbot und die Bestimmungen zur Gestaltung des Schriftverkehrs gelten auch den Kommunen gegenüber. Wir haben aus unterschiedlichen Gründen von einer vollen Einbeziehung der Kommunen abgesehen.

Dies betrifft insbesondere den Bereich der kommunalen Behindertenbeauftragten. An erster Stelle stehen die Vorschriften der Landesverfassung. Würden wir Beauftragte vorschreiben, hätte das Land die Kosten zu tragen. Sie alle wissen, dass wir die hierzu erforderlichen Mittel nicht haben. Auch Sie, meine Damen und Herren der Opposition,

haben sie nicht. Ich appelliere aber an die Kommunen, freiwillig Behindertenbeauftragte zu bestellen; sie sind eine Bereicherung.