Aber ich will ernsthaft fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, dass manchmal die Tendenz besteht, dass dann, wenn in einer Verwaltung ein Beauftragter für bestimmte Bereiche vorhanden ist, ein Sachbearbeiter sagt, wenn etwas konkret bei ihm landet: „Das geht mich nichts an. Wenden Sie sich an den Beauftragten.“ Das ist gerade kontraproduktiv gegenüber dem Umstand, dass in allen Bereichen der Verwaltung des öffentlichen Lebens diese Aufgabe selbstverständlich ernst genommen werden muss.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch konkret Rückmeldung geben. Sie haben im Zuge der Beratungen der Verwaltungsstrukturreform massiv Befürchtungen geschürt, wonach sich die Dezentralisierung, sprich das Übertragen der Aufgabe der Eingliederungshilfe an die Landkreise, zum Schaden der Betroffenen auswirke.
Nun hören wir aus allen Bereichen in Gesprächen, dass genau das, was wir erhofft und erwartet haben, eingetreten ist, dass nämlich die Frage, wie man selbst ganz konkret vor Ort mit den Ansprüchen der Menschen mit Behinderungen umgeht, sehr, sehr ernst genommen wird. Es werden zwar nicht unbedingt zwingend Beauftragte eingesetzt, aber fast überall Arbeitskreise gegründet, an denen alle beteiligt sind, und zwar auch die Selbsthilfeverbände. Das halte ich für zentral wichtig.
Denn sie sind Experten in eigener Sache, sie können den Paradigmenwechsel, der damit verbunden ist, begleiten.
So sagen wir: Nicht nach oben abschieben, sondern konkret vor Ort sagen: Ja, wir wollen gemeinsam mit den Betroffenen neue Lösungen umsetzen, die da lauten: Wir wollen den Menschen mit Behinderungen tatsächlich mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Ich nenne das Beispiel des persönlichen Budgets. Nicht der Träger bestimmt mit seinem Angebot, was der Mensch mit Behinderung zu nehmen hat.
Vielmehr ist er selbst der Souverän, der Leistungen sozusagen einkauft. Damit geht dies alles ein Stück weit in die richtige Richtung des Paradigmenwechsels – weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit wird eben doch immer beim Geld bzw. bei Haushaltsberatungen konkret. Deswegen wiederhole ich das einfach: Das war auch einer der Hintergründe dafür, dass die FDP/DVPFraktion massiv dafür gekämpft hat, dass die Förderung der Selbsthilfeverbände auf dem bisherigen Niveau erhalten bleibt. Denn wenn man sie finanziell nicht mehr so stellt, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen können, nützen alle Behindertenbeauftragten nichts. Vielmehr wird es da konkret.
Übrigens wird es beim Geld überhaupt konkret. Denn es nützt nichts, gesetzliche Ansprüche zu formulieren, aber in der Realität die Finanzierung aus dem Auge zu verlieren. Wir alle wissen, dass wir angesichts der steigenden finanziellen Anforderungen in der Eingliederungshilfe, die demografisch bedingt sind, zu neuen Finanzierungsverteilungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen müssen. Es kann nicht sein, dass dies alles zulasten der Kommunen geht, sondern wir müssen auf Bundesebene gemeinsam und ernsthaft über das Thema Teilhabegeld und damit die Stärkung der Souveränität der Menschen mit Behinderungen diskutieren. Am liebsten hätten wir das als Anspruch integriert in das Bürgergeld, um nicht wieder einen Sondertopf zu eröffnen. Letztendlich wird die zentrale Frage aber lauten, wie wir mit diesen Finanzierungen umgehen: ob wir die Kommunen allein lassen oder ob wir bereit sind, auf Bundesebene tatsächlich ein neues Leistungsrecht zu etablieren.
Letzte Bemerkung: Weil ich dieses Gesetz trotz allem nur als einen Schritt auf einem langen Weg sehe und weil, wie Herr Kollege Klenk gesagt hat, auch wir uns an mancher Stelle natürlich etwas mehr gewünscht hätten, sind wir durchaus bereit, zu verfolgen, wie man zum Beispiel in den Landkreisen damit umgeht: ob solche Arbeitskreise tatsächlich etabliert werden und ob die Selbsthilfeverbände integriert werden. Dann können wir ein Resümee ziehen und entscheiden, ob vielleicht doch gesetzliche Nachbesserungen notwendig sind.
Aber lassen Sie uns jetzt doch bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, das positive Signal geben, dass wir es ernst meinen – und nicht nur in Sonntagsreden davon sprechen – mit der Verwirklichung einer gleichberechtigten Teilhabe am öffentlichen Leben und einem freien, selbstbestimmten Leben einer zunehmenden Zahl von Menschen mit Behinderungen in diesem Land. Lassen Sie uns dieses positive Signal – bei allen Mängeln, die Sie möglicherweise erkennen – nicht schlechtreden. Deswegen wollen wir dieses Signal hier und heute durch Zustimmung zu dem Gesetzentwurf bekräftigen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter Lesung den Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Menschen mit
Behinderungen – leider in unveränderter Fassung. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung auch nicht zustimmen.
Wir haben heute noch einen Änderungsantrag eingebracht, um den Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen nochmals die Gelegenheit zu geben, den Gesetzentwurf zu verbessern. Das wäre für Sie ein kleiner Schritt; es wäre ein großer Schritt für die Menschen mit Behinderungen.
Wenn es denn so wäre, dass „in der Ruhe die Kraft liegt“, dann wäre es ja gut. Aber dieser Gesetzentwurf zeigt leider, dass darin nicht viel Kraft liegt, sondern bloß ein „Kräftle“.
Sie haben drei Jahre lang gebraucht, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Das Bundesgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen trat bereits am 1. Mai 2002 in Kraft. Dieses Bundesgesetz hat einen Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderungen eingeleitet. Nun wollen Sie heute einen Gesetzentwurf verabschieden, der weit hinter den Erwartungen der Menschen mit Behinderungen zurückbleibt.
Er bleibt übrigens auch weit hinter den Gesetzen anderer Bundesländer zurück. So sind die Gesetze von Bayern, des Saarlands und von Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen um einiges weitreichender als der vorliegende Gesetzentwurf, obwohl sich diese Länder nicht so viel Zeit gelassen haben.
Schade, dass Baden-Württemberg jetzt nur eine kleine Lösung vorlegt. Nach drei Jahren Beratungszeit hätte ich mir da einen größeren Wurf versprochen, nicht nur eine Minimallösung. Ich finde, Sie haben damit eine Gelegenheit verpasst.
Ich hätte mir vor allem eines versprochen: dass Sie das Thema „Teilhabe und Mitbestimmung“ nicht nur verbal in Ihren Reden aufgreifen – sei es in Mittwochsreden oder in Sonntagsreden –, sondern dass Sie es auch in die Praxis umsetzen, zum Beispiel in Form einer öffentlichen Anhörung der betroffenen Verbände im Sozialausschuss, wie es eingefordert wurde. Schon bei der ersten Lesung und im Sozialausschuss haben Sie dies mit dem Argument abgelehnt, keine Verzögerung mehr zu wollen.
Herr Kollege Klenk hat vorhin wiederholt, dass man keine Verzögerung mehr wolle. Sie haben die Anhörung mit diesem Argument abgelehnt.
Ich finde, das ist angesichts der drei Jahre, Kollege Haas, die wir auf diesen Gesetzentwurf gewartet haben, eine lächerliche Argumentation.
Damit signalisieren Sie, ob Sie das jetzt wollen oder nicht, dass Sie die Anliegen der Menschen mit Behinderungen nicht ernst nehmen.
Dass ein Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderungen trotz angespannter Haushaltslage möglich ist, Kollege Noll, zeigen beispielsweise die Gleichstellungsgesetze von Bayern und des Saarlands, die sowohl bei den grundsätzlichen Regelungen als auch bei der Anpassung einzelner Landesgesetze mutiger und zielgerichteter sind. Der baden-württembergische Entwurf erweckt den Eindruck, dass es ihm in erster Linie um Kostenneutralität geht und erst in zweiter Linie um die tatsächliche Gleichstellung von behinderten Menschen.
Erstens: Die kommunale Ebene wird, wenn es um die Konkretisierung geht, außen vor gelassen, obwohl durch die Verwaltungsreform viele Zuständigkeiten auf die kommunale Ebene verlagert wurden.
In § 8 und in § 10 werden die Kommunen explizit ignoriert, wenn es um das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache geht.
Des Weiteren hätten wir uns analog den Gesetzen in Bayern und im Saarland kommunale Behindertenbeauftragte gewünscht, die Gemeinden in Fragen der Behindertenpolitik beraten.
Wir haben ein paar, das weiß ich. – Dies müssen keineswegs hauptamtlich Beschäftigte sein, sondern das können auch Ehrenamtliche sein. Das haben wir auch bei der ersten Lesung so gesagt. Das heißt, wir brauchen in der Behindertenarbeit erfahrene Personen, die dafür Sorge tragen, dass die Interessen der Menschen mit Behinderungen Gehör finden. Man braucht nämlich irgendjemanden, der die Arbeitskreise einrichtet, Kollege Noll. Arbeitskreise fallen nicht vom Himmel.
Wir brauchen Personen – und das sind eben kommunale Behindertenbeauftragte –, die sich darum kümmern, die zusammenführen und vernetzen.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein! Das ist die Ver- waltung selber, die das schon überall macht! Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!)
Der nächste Kritikpunkt betrifft das eingeschränkte Klagerecht der Verbände. Das Verbandsklagerecht ist nach § 12 des Gesetzentwurfs auf einen einzigen Tatbestand – Verstoß gegen das Recht hör- und sprachbehinderter Menschen auf Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen –, also § 8 Abs. 3, beschränkt. Das sollte erweitert werden.