Protocol of the Session on April 20, 2005

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:45 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE – Gesetz zur Änderung der Landesverfassung – Drucksache 13/4070

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – Drucksache 13/4198

Berichterstatter: Abg. Herrmann

Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Das Wort erhält Herr Abg. Herrmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Beratung im Finanzausschuss über den Gesetzentwurf und insbesondere die sehr grundsätzlichen Ausführungen von Ihnen, Herr Kollege Kretschmann, haben im Vergleich zur ersten Lesung eigentlich nichts Neues erbracht und haben uns auch nicht überzeugt. Es gibt zur Haushaltspolitik zahlreiche Bestimmungen in Gesetzen und Verordnungen. Allerdings sind auch viele Ausnahmen möglich, die auch gemacht werden. Gerade das Beispiel Schweiz zeigt, dass die Schuldenbremse zwar in der Verfassung steht, dass sie aber durch zahlreiche Ausnahmetatbestände faktisch außer Kraft gesetzt ist.

Herr Schmid, Sie haben in der ersten Lesung und im Finanzausschuss einige Vorschläge gemacht, die durchaus diskussionswürdig sind.

(Abg. Fischer SPD: Macht er immer!)

Allerdings muss man sich auch überlegen, wenn man zum Beispiel die Verschuldung nur in dem Maß steigen lässt, wie das Bruttoinlandsprodukt steigt, ob sich das nicht ins Gegenteil dessen verkehrt, was eigentlich gemeint ist. Wenn wir ein sinkendes oder ein nur gering steigendes Bruttoinlandsprodukt haben, haben wir auch geringere Steuereinnahmen und dürften dann nach Ihrem Vorschlag auch nur eine geringere Neuverschuldung haben. Aber genau in dieser Zeit wäre es nach dem Prinzip des antizyklischen Verhaltens notwendig, Investitionen zu tätigen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Bei einem steigenden

Bruttoinlandsprodukt, bei dem es höhere Steuereinnahmen gibt und deshalb eine höhere Verschuldung nicht zwingend sein müsste, könnte man nach Ihrem Vorschlag eine höhere Verschuldung machen. Also manche Ihrer Überlegungen sind durchaus diskutabel, doch muss man, wie gesagt, aufpassen, dass sie sich nicht ins Gegenteil verkehren.

Uns ist wichtiger, dass der politische Wille hier im Haus da ist, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das merken Sie doch jetzt seit 30 Jahren, dass er nicht da ist!)

Ja, aber, Herr Kretschmann, schauen Sie sich einmal die Zahlen an. Wir hatten im Jahr 1995 eine Nettokreditaufnahme von umgerechnet fast 1,5 Milliarden €. Wir hatten 1999 500 Millionen €, also deutlich weniger, und waren dem Ziel sehr nahe gekommen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir haben jetzt wieder rund 2 Milliarden € Nettokreditaufnahme, aber auch 1 Milliarde € weniger Steuereinnahmen, als wir vor fünf Jahren hatten. Wenn man die Zahlungen im Länderfinanzausgleich noch berücksichtigt, deren Höhe auch sehr schwankend ist, zeigt sich, dass wir einfach sehr stark auch von der Einnahmesituation abhängig sind. Ich habe in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir wollen für die Zukunft konkret Steuermehreinnahmen inflationsbereinigt zur Senkung der Nettoneuverschuldung verwenden und, soweit das politisch möglich ist – leider klappt es eben nicht immer –, neue ausgabenintensive Maßnahmen nur dann tätigen, wenn an anderer Stelle im Haushalt entsprechende Mittel gestrichen werden.

Das Grundanliegen der Grünen ist an sich richtig, aber den Weg, über eine Verfassungsbestimmung diesem Grundanliegen, weniger Schulden zu machen, näher zu kommen, halten wir für falsch, zumindest so lange, wie wir keinen ausgeglichenen Haushalt haben. Wenn wir dieses Ziel eines ausgeglichenen Haushalts erreicht haben – ich hoffe, dass das in den nächsten zehn Jahren tatsächlich erfolgt, wenn die Steuereinnahmen wieder besser fließen –, dann ist, weil man dann bei der Nettoneuverschuldung beim Stand null anfängt, über eine Verfassungsbestimmung, wie sie von Ihnen vorgeschlagen worden ist, durchaus nachzudenken. Aber heute können wir Ihrem Vorschlag nicht zustimmen.

(Beifall der Abg. Hauk und Hitzler CDU sowie der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schmid.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Grünen beschreibt in blumigen Worten das richtige Ziel. Wir haben uns sowohl in der ersten Lesung als auch in der Finanzausschussdebatte einig gezeigt in dem Ziel, dass die Verschuldung so nicht weiterbetrieben werden kann. Dies bleibt in der Umsetzung schwierig.

In der Finanzausschussberatung konnten einige Gesichtspunkte inhaltlicher Natur vertieft werden. Die Grünen haben die Detailkritik nicht widerlegen können, sodass unter dem Strich übrig bleibt: Wir müssen gemeinsam überlegen, wie Verfassungsgrenzen habhafter gemacht werden können. Wir sind hierbei noch am „Tasten“.

Der Vorschlag der Grünen beinhaltet das Problem, dass er unklar formuliert ist und über mehrjährige Tilgungspläne zu viele Ausfluchtmöglichkeiten übrig lässt. Wir brauchen handhabbare, klare Vorgaben, die auf die jährliche Verschuldung eingehen.

Wir haben den Vorschlag ins Spiel gebracht, der Schuldenstand möge prozentual nicht stärker steigen als das BIP. Dies beinhaltet auch Problempunkte, zumal wir bei jeder Verfassungsgrenze die Frage antizyklischen Verhaltens berücksichtigen müssen. Man könnte beispielsweise diese Schuldenstandsquote mit der Frage von Investitionen koppeln, sodass in rezessiven Phasen eine Verschuldung zur Finanzierung von Investitionen, aber nur von Investitionen und nicht noch darüber hinaus zu einer Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zugelassen würde. Eine solche Kombination wäre denkbar.

Den Schuldenstand im Verhältnis zur Wertschöpfung des Landes nicht weiter ansteigen zu lassen entspricht genau dem Ziel, das die OECD in ihrem Konzept zur fiskalpolitischen Nachhaltigkeit formuliert hat. Die OECD hat formuliert: Unter Einbeziehung der impliziten Staatsverschuldung muss der Schuldenstand in Relation zum BIP konstant bleiben. Erste Berechnungen des ZEW zeigen: Bezogen auf Land und Kommunen, müssten die Ausgaben in BadenWürttemberg um rund 7 % zurückgefahren werden, um dieses Ziel zu erreichen.

Das ist nur eine erste Annäherung, die verfeinert werden müsste. Aber der Vorteil dieses OECD-Konzepts ist, dass eine versteckte Staatsverschuldung wie Pensionszahlungen berücksichtigt wird. Das ist in dem Konzept der Grünen nicht berücksichtigt. Ein weiterer Vorteil ist, dass dies eine jährliche Verschuldungsgrenze ist, die keine Ausflucht in mehrjährige Tilgungspläne zulässt. Das ist also ein Element der Diskussion, das weiterverfolgt werden sollte.

Wichtig war mir von Anfang an, darzulegen, dass Verfassungsvorgaben als solche wenig helfen, wenn keine verfahrensmäßigen Sicherungen greifen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Das Haushaltsverfassungsrecht ist zu weiten Teilen politisches Recht und wird oft dehnbar ausgelegt. Daher brauchen wir zusätzliche Sicherungen, um die Verschuldung einzudämmen – Sicherungen auch im Verfahren der Aufstellung von Haushalten. Das haben die Grünen in ihrem Entwurf auch nicht vorgesehen.

Unser Finanzausschussvorsitzender, Herbert Moser, hat verschiedentlich angeregt, ab einer bestimmten Grenze für die Schuldenaufnahme die Notwendigkeit qualifizierter Mehrheiten im Landtag vorzusehen, sodass also nicht die Regierungsmehrheit allein diese Verschuldung beschließen kann. Das wäre ein Ansatz.

Weitere Vorschläge zielen darauf ab, unabhängige Institutionen einzuschalten, wenn es darum geht, eine Verschuldung zu beschließen. Dadurch würde es zur Pflicht, Gutachten von Institutionen einzuholen – auf Landesebene könnte man an den Landesrechnungshof denken, auf Bundesebene könnte man an den Sachverständigenrat oder an die Bundesbank denken –, bevor bestimmte Verschuldungsgrenzen überschritten werden können. Diese verfahrensmäßigen Absicherungen sind zentral, weil die Verfassung, vor allem die Haushaltsverfassung davon lebt, dass sie im politischen Prozess handhabbar eingesetzt wird und dass dann gegebenenfalls auch zeitnah geklagt werden kann, um verfassungswidrige Haushalte zu kippen.

Ferner hat die FDP/DVP-Fraktion zu Recht darauf hingewiesen – dieses Argument geht auf das Thema „implizite Staatsverschuldung“ ein –, dass wir noch keine Vermögensbilanz haben, obwohl die Verfassung eine Vermögensbilanz vorsieht und es Methoden gibt, eine solche einzuführen; trotz NSI ist das nicht gelungen. Auch dies ist ein Beitrag zur Bewusstseinsschärfung beim Thema Verschuldung. Daher müssen wir den Gesetzentwurf der Grünen zum jetzigen Zeitpunkt leider ablehnen. Aber das ist nicht das Ende der Debatte.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Kleinmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die mittelfristige Nachhaltigkeitsplanung, die dieser Gesetzentwurf postuliert, Herr Kollege Kretschmann, wird in ihren Einnahmeansätzen genauso von einer Projektion der wirtschaftlichen Entwicklung der nächsten Jahre abhängen, wie dies bisher bei den großen Steuerschätzungen und mittelfristigen Finanzplanungen der Fall ist.

Unser Problem war ja nicht in erster Linie, dass wir die Ausgaben nicht steuern und begrenzen können, sondern dass die Einnahmen seit dem Jahr 2000 weit unter den jeweiligen Ansätzen der Mai- und Novemberschätzungen liegen, weil die wirtschaftliche Entwicklung außerordentlich negativ verlaufen ist. Und unser daraus folgendes zweites Problem ist, dass wir die Ausgaben in der Tat nicht rasch genug an die gesunkenen Einnahmeerwartungen angepasst haben. Ein vereinfachtes Beispiel, das ich schon einmal gebracht habe, soll dies belegen:

Bei einem Nettosteueraufkommen von 16 Milliarden €, aus dem der Zuschussbedarf der jeweiligen Ressorts abgedeckt werden muss, und einer Nettokreditneuaufnahme von 2 Milliarden € dauert es vier Jahre, um zu einem ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung zu kommen, falls – jetzt kommen die Bedingungen – erstens das Nettosteueraufkommen kontinuierlich um 4 % wächst – was derzeit nicht der Fall ist – und zweitens das Ausgabenwachstum – genauer: der jeweilige zusätzliche Bedarf der Ressorts – strikt auf 1 % beschränkt bleibt. Bei einem auf 2 % reduzierten Anstieg des Nettosteueraufkommens wächst dieses innerhalb von sechs Jahren von 16 auf 18 Milliarden €. Sie könnten also einen ausgeglichenen Haushalt – denn um diesen geht es – ohne Nettokreditaufnahme innerhalb dieses

Zeitraums nur dann erreichen, wenn das Ausgabenwachstum konstant bei null bliebe.

Aber nun kennen wir Finanzpolitiker die spezifischen Probleme, die mit der Belastung des Haushalts insbesondere durch steigende Pensionsausgaben und durch eine ansteigende Zinsbelastung verbunden sind. Wir wissen, wie viel im Landeshaushalt zur Begrenzung der Personalausgaben getan werden muss, um diese zusätzlichen Belastungen auffangen zu können. Herr Kollege Kretschmann, wir haben das im Rahmen der Haushaltsberatungen wiederholt angesprochen.

Diese Probleme müssen wir lösen. Aber wir lösen sie nicht mit einem Papier, das mit freundlichen und gut klingenden Formulierungen daherkommt, reale Ansätze aber nicht enthält. Ich plädiere stattdessen dafür – Herr Kollege Schmid hat schon darauf hingewiesen –, dass wir uns ernsthaft damit befassen, die Haushaltswirtschaft des Landes so umzugestalten, dass wir über den Vermögensstatus des Landes einen vollständigen Überblick haben, dass wir genau wissen, welchem Vermögen wie viele Schulden auf der anderen Seite gegenüberstehen, dass wir darüber hinaus die in die Zukunft verlagerten Belastungen und den Werteverzehr im Haushalt erfassen und dass wir mit Rückstellungen und Abschreibungen arbeiten, um auch hier Ehrlichkeit zu schaffen, was zum Beispiel die ständig steigenden Versorgungsausgaben und die Aufwendungen zum Erhalt der Vermögenswerte betrifft.

Diese Gesichtspunkte sprechen deutlich für die Anwendung kaufmännischer Methoden bei der Haushaltsaufstellung und -bewirtschaftung; ich glaube, darin sind wir uns einig. Ganz zentral dabei ist die jährliche Aufstellung einer Vermögensrechnung, einer Bilanz, die ausweist, welches Vermögen vorhanden ist, das dann auch für die Gestaltung der Zukunft genutzt werden kann, und welche Verpflichtungen bestehen, die das Land jetzt und in Zukunft einzulösen hat.

Das wäre, wie ich meine, ein wesentlicher Schritt hin zu einer Generationenbilanz, anhand derer die langfristige Tragfähigkeit öffentlicher Haushalte – auch unserer öffentlichen Haushalte hier in Baden-Württemberg – besser und ganz anders beurteilt werden könnte, als dies heute der Fall ist.

Für die Kreditobergrenze der Verfassung würde dies in der Praxis bedeuten, dass Investitionsfördermaßnahmen des Landes, die beim Land selbst keine Werte schaffen, in die Berechnung der Kreditobergrenze nicht mehr einbezogen werden und dass der Betrag der Bruttoinvestitionen um die Summe der im Haushaltsjahr entstehenden Wertverluste und natürlich um den Wert der veräußerten Vermögen zu reduzieren ist.

Lassen Sie uns diese Diskussion führen. Herr Kollege Schmid, ich stimme Ihnen da zu: Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Aber die Diskussion führt, wenn wir in diese Richtung miteinander diskutieren, weiter als eine Diskussion über Absichtserklärungen, die letztendlich doch keine Lösungswege enthalten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Döpper CDU: Tosender Beifall!)

Hättest du die Rede gern gehalten?