Auf dem Weg dahin muss man zwei Versuchungen widerstehen. Die eine Versuchung ist, die Arbeitslosen gegen die Zuwanderer auszuspielen. Manchmal habe ich auch den Eindruck, aus der SPD ähnliche Töne zu hören
wie die, Qualifizierung gehe vor Zuwanderung. Auch das hat Herr Teufel betont. Ich meine, man muss die Devise verändern. Qualifizierung hat unbestritten eine hohe Priorität, aber Qualifizierung und Zuwanderung gehören zusammen – sonst verkennt man die Dramatik des demographischen Wandels, der sich abzeichnet.
Ich sehe eine zweite Gefahr, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen: das Ausspielen des „nützlichen Zuwanderers“ gegen den Flüchtling. Auch das ist in der Regierungserklärung von Herrn Teufel ausführlich dargestellt worden. Man kann die Bereitschaft, die Tür für den Migranten aus wirtschaftlichen Gründen zu öffnen, nicht daran binden, dass man zuvor die Tür möglichst effektiv verrammelt vor Flüchtlingen, die hierher kommen wollen. Diese Verquickung wird nicht in die Zukunft führen, sondern das ist eine Sackgasse.
Nun noch einmal zu Ihnen von der FDP/DVP: Ich höre Ihre Töne heute Morgen sehr gerne. Aber die Liberalität, die Sie heute Morgen zur Schau gestellt haben, hat keinen Niederschlag in der Koalitionsvereinbarung gefunden und findet auch keinen Niederschlag in dem, wie Sie ansonsten agieren.
Dafür ein Beispiel: Das Land Baden-Württemberg hat sich im Bundesrat an der Blockade der erleichterten Einbürgerung von Kindern beteiligt. Wer ist leichter in die Gesellschaft zu integrieren als ausländische Kinder, die hier geboren sind?
Genauso unglaubwürdig finde ich Ihre Äußerung, der Familiennachzug von Kindern sollte auf Kinder bis zum Alter von sechs Jahren begrenzt werden.
Sie können mir doch nicht weismachen, dass 18-Jährige, die hierher kommen, nicht mehr zu integrieren seien, dass sie zu alt seien. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
(Beifall der Abg. Heike Dederer GRÜNE – Abg. Pfister FDP/DVP: Von sechs Jahren hat kein Mensch gesprochen!)
Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass in Baden-Württemberg schon seit langem über dieses Thema nachgedacht wird und schon sehr kluge Köpfe Empfehlungen abgegeben haben, die noch nicht umgesetzt worden sind. Die Zukunftskommission hat 1998 ein neues Leitbild für Baden-Württemberg vorgeschlagen und geschrieben:
Der Rückgang der Geburtenrate führt zur Überalterung der Bevölkerung, dem durch Zuwanderung begegnet werden kann. Damit Baden-Württemberg seine Leistungsfähigkeit erhalten kann, muss jedes Jahr ein Einwanderungsüberschuss von 25 000 qualifizierten Personen erzielt werden. Baden-Württemberg sollte ein Vorbild für kulturelle Integration von Ausländern sein.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Spannende an dem Süssmuth-Bericht sind nicht die Details, in die ihn zu zerlegen man eigentlich gerade wieder dabei ist. Das Spannende an dem Bericht ist der Paradigmenwechsel. Herr Heinz hat darauf hingewiesen; aber ich möchte das noch etwas deutlicher ausdrücken.
Hat man die Ausländerpolitik und die Zuwanderung bisher unter dem Gesichtspunkt polizeilicher Gefahrenabwehr gesehen, so sieht man heute, dass eine Gefahr für die Gesellschaft und für die Wirtschaft besteht, wenn eine gesteuerte Zuwanderung unterbleibt. Der Innovationsbeirat hat darauf schon 1998 hingewiesen.
Dabei muss man sehen, dass der Sinneswandel sehr eigennützig erfolgt. Eine Zuwanderung aus Nützlichkeit für die Gesellschaft, für die Wirtschaft und für den Staat wird auch von SPD und Grünen nicht mehr als verwerflich angesehen.
Ich möchte den Arbeitsmarkt beleuchten. Derzeit liegt für viele Betriebe die größte Wachstumsbremse darin, dass sie keine Fachkräfte bekommen. Wir erleben teilweise in unseren Wahlkreisen selbst, dass Firmen nicht mehr erweitern, ja zum Teil bereits abwandern, weil sie die Fachkräfte, die sie dringend brauchen, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr holen können.
Es sind nicht nur 40 000 Fachkräfte, die im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie fehlen; Fachkräfte fehlen auch im Bereich des Maschinenbaus, in der Elektrobranche und eigentlich in allen Branchen. Fachleute haben errechnet – ich hoffe, die Zahl stimmt; aber sie ist sehr griffig –, dass das Bruttoinlandsprodukt bei uns um 10 Milliarden DM höher sein könnte, wenn das Fachkräftereservoir zur Verfügung stünde, das wir brauchen.
Wir brauchen deshalb einen modernen und flexiblen Rechtsrahmen für eine qualifizierte Zuwanderung. Nur mit flexiblen Zahlen und Quoten, die sich jährlich nach dem Bedarf errechnen, kann man den knallharten internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe, um die wichtigste Ressource, nämlich die der Fachkräfte, bestehen.
Ich denke, allen ist klar geworden: Sterile Frontstellungen sind out. Wir brauchen pragmatische und vernünftige Ansätze. Dazu muss man einfach auch sagen, dass die Arbeitslosigkeit kein Argument gegen die Zuwanderung ist. Ganz klar ist, meine Damen und Herren: Die Ausschöpfung des Arbeitsmarkts, die Anstrengungen, Arbeitslose in Lohn und Brot zu bringen, und die Qualifizierung von jungen Leuten, Frauen und älteren Arbeitnehmern sind Bedingung für Zuwanderung; aber das genügt nicht.
Genauso wenig kann die Zuwanderung alle demographischen Probleme und alle Probleme des Arbeitsmarkts lösen. Ich denke, darüber sind wir im Grundsatz einig.
Nicht einig sind wir uns vielleicht darin – jedenfalls wird das selten erwähnt –: Wenn wir Nützlichkeitsaspekte heranziehen, meine Damen und Herren, können wir nicht einfach die Augen davor verschließen, dass zum Beispiel im Hotel- und Gaststättengewerbe neben 7 500 Fachkräften auch 7 500 Aushilfskräfte fehlen. Zählen diese nicht? Da war das Argument von Kollegen Pfister schon richtig: Man sollte wenigstens die hier lassen, die für eine gewisse Ausgewogenheit sorgen.
Ich möchte noch zwei, drei Bemerkungen machen. Eine erste Bemerkung zu den 50 000 Zuwanderern, die der Bericht gewissermaßen attestiert. Alle Fachleute sind sich darüber einig: Das ist zu wenig. Wenn man die demographische Entwicklung betrachtet, muss man sagen, sie sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein; auch darüber ist man
sich einig. Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch sagen, dass die Zahl 50 000, wie wir alle wissen, politisch gegriffen ist.
Angesichts der Konjunkturflaute und wieder steigender Arbeitslosenzahlen nimmt man auch auf die Ängste der Bevölkerung Rücksicht und nimmt einmal als Test die Zahl 50 000. Dafür habe ich auch Verständnis.
Ich möchte noch einige Sätze zum Asylrecht sagen. Natürlich muss das Asylverfahren beschleunigt werden. Der, der illegal zugezogen ist, meine Damen, meine Herren, muss auch prompt wieder abgeschoben werden. Das geht gar nicht anders. Aber richtig ist auch – und das wurde vorhin von verschiedenen Seiten gesagt –, dass geplante Zuwanderung von Arbeitskräften nicht in einer Art Gesamtbilanz gegen Einwanderer, die aus humanitären Gründen zu uns kommen, aufgerechnet werden kann, und zwar nicht nur, weil ja dann die Quote nicht mehr stimmen kann – das wäre schon rechnerisch ein Fehler –, sondern – ich möchte es einmal so formulieren – auch aus folgendem Grund: Wer aus Eigennutz und berechtigter Nützlichkeit nur junge und qualifizierte – beinahe hätte ich noch gesagt: schöne – Zuwanderer haben will, der tut gut daran, wenn er dieses nicht mit humanitären Gesichtspunkten verbindet. Diese Dinge muss man trennen.