Protocol of the Session on November 11, 2004

Ich meine, bei uns wäre das eigentlich ganz normal; wenn man 75 % bekommt, ist man eigentlich vergnügt und froh. Aber bei der CDU beginnt damit offensichtlich eine Treibjagd.

Im Kern ist es so: Ministerpräsident Teufel ist freiwillig zurückgetreten.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Er ist doch noch gar nicht zurückgetreten!)

Wenn man von einem so wichtigen Amt freiwillig zurücktritt, muss man den richtigen Zeitpunkt wählen. Ein halbes Jahr lang gab es Spekulationen darüber: Äußert er sich jetzt, ob er weitermacht oder nicht? Jetzt hat er seinen Rücktritt erklärt, aber jetzt geht es noch einmal ein halbes Jahr weiter mit einem designierten Ministerpräsidenten und einem, der noch im Amt ist. Das bedeutet für das Land ein Jahr lang eine Hängepartie, bis die Führungsfrage dieses Landes entschieden ist. Ich finde, das ist nicht irgendeine Petitesse.

Wir stehen vor schwierigen Haushaltsberatungen. Jetzt habe ich das Zitat vom Finanzminister leider auf meinem

Platz liegen lassen. Es lautet sinngemäß: Wir hatten in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg noch niemals eine so schwierige Haushaltssituation wie jetzt. Das steht uns also bevor. Ich habe schon heute früh gesagt: Nur noch mit Tricks, mit Verkäufen zukünftiger Zinserwartungen kann ein verfassungsgemäßer Haushalt erstellt werden. Es geht aber auch strategisch um die Frage – das hat die vorherige Debatte gezeigt –: Wie sanieren wir den Haushalt und bleiben trotzdem in den wichtigen Kernkompetenzbereichen des Landes handlungsfähig? Wir müssen also sanieren und trotzdem handlungsfähig bleiben, etwa im Bereich der Bildung.

Jetzt fragt doch jeder zu Recht: Welche neuen Akzente setzen da seine Nachfolger? Wenn sie keine neuen Akzente setzen, dann fragt man sich: Warum ist dann der Ministerpräsident zurückgetreten?

(Heiterkeit bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Verfahren des Rücktritts macht doch nur einen Sinn,

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

wenn die Nachfolger etwas anders machen, neue Akzente setzen, sagen, wie die Zukunft dieses Landes gestaltet wird. Dafür ist die Haushaltspolitik ja wohl die tragende Grundlage.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und was macht das Parlament?)

Was machen zum Beispiel die Ressortchefs in einer solchen Situation? Wie agieren sie da? Wir erinnern uns, dass einige – wie Frau Ministerin Gönner – vor kurzem noch Ergebenheitsadressen vor dem Herrn von Reitzenstein abgegeben haben. Schließlich haben sie von ihm ja das Lehen bekommen.

(Heiterkeit bei den Grünen und der SPD)

Was machen die jetzt? Wie verhalten sie sich in dieser Situation? Werden sie kraftvoll neue Vorschläge machen?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Die kraftvollen Vor- schläge müssen aus unserer Mitte kommen, wenn es um den Haushalt geht! – Lachen bei der SPD – Gegenrufe von der SPD)

Oder werden sie abwarten, was da geschieht?

In einer solchen Situation – in der in den Ressorts alles ungeklärt ist, in der man nicht weiß, wer in den Ressorts bleibt und wer aus den Ressorts entfernt wird – kann man doch nicht erwarten, dass sich diese Ressortchefs jetzt mit kraftvollen neuen Vorschlägen äußern, wie man die Zukunft dieses Landes gestalten kann. Das kann von ihnen in einer so ungeklärten Situation niemand erwarten.

Wir kennen das ja aus der katholischen Kirche, Herr Ministerpräsident: Wenn der neue Bischof designiert ist, dann gibt es nur noch einen Diözesanadministrator.

(Heiterkeit bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das sind Sie ab dem Zeitpunkt, zu dem Ihr Nachfolger benannt ist. Ab diesem Moment sind Sie nur noch ein Diözesanadministrator und kein Ministerpräsident mehr. Jeder wird sich vernünftigerweise fragen: Was macht der Neue? Welche Akzente setzt er? Man wird nicht fragen: Wie wird der Rest noch administriert? Das kann niemanden interessieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Jetzt haben Sie, Herr Kollege Noll, in der erhabenen parlamentarischen Auslegung, die uns allen zu Eigen sein sollte, noch einmal gesagt, in Wirklichkeit bestimme ja das Parlament den Haushalt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es!)

Sehr richtig. Aber nur in der Theorie.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wenn das bei Ihnen so ist!)

Da hat der Mut der Koalitionsfraktionsvorsitzenden gefehlt, wirklich einmal Akzente gegen die Regierung zu setzen.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das habe ich jedenfalls bei Teufel, als er Fraktionschef war, gegenüber Späth noch mehr erlebt als vom Kollegen Oettinger als Fraktionschef gegenüber Teufel.

(Zurufe von der SPD)

Soll er diese Akzente nun ausgerechnet in einer Situation setzen, in der er unter Umständen schon nominiert ist? Was macht er dann als Fraktionsvorsitzender bei den Haushaltsberatungen, wenn die Kollegin Schavan Ministerpräsidentin wird? Da wird er wohl schwerlich Akzente setzen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ändert doch nichts an der Rolle des Parlaments! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Jetzt hören Sie doch auf!)

Dann würde er erst recht keine Akzente setzen, denn das würde ihm ja als Nachkarten gegenüber dem quasi schon entlassenen Ministerpräsidenten ausgelegt.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Wer will zum Schluss so einen bösen Buben machen?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Drex- ler SPD: Niemand! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Der Mann hat Sorgen! – Abg. Oettinger CDU: Liebe- voll! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Fürsorglich!)

Herr Ministerpräsident, der richtige Zeitpunkt, Ihr Amt niederzulegen, ist der Dezember, nachdem Ihre Partei entschieden hat, wer Ihr Nachfolger wird. Wenn Sie das dann tun, werden Sie dem Spruch „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“ wieder gerecht. Wenn Sie das nicht tun, dreht sich das Verhältnis um – das hat Herr Kollege Drexler schon gesagt –, denn Sie haben der Öffentlichkeit ja noch nicht erklärt, warum Sie das eigentlich nicht so machen, wie wir es vorschlagen, sondern bis zum 19. April 2005 im Amt bleiben. Dafür haben Sie der Öffentlichkeit

keine Erklärung gegeben; wir kennen jedenfalls keine. Das erscheint uns nicht sinnvoll, weil Sie das Land damit weiter in einem Schwebezustand halten. Daran kann niemand – nicht wir als Opposition, auch nicht Sie als Regierungsfraktionen – interessiert sein.

Deswegen schlage ich Ihnen vor, dem Antrag zu folgen. Wenn Sie das nicht tun, hat der Ministerpräsident noch immer die Möglichkeit, spontan zurückzutreten,

(Heiterkeit bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

wenn sein Nachfolger bestimmt ist.

(Abg. Drexler SPD: Spontan zurücktreten? Das macht er aber nicht! Diese Spontaneität bringt er nicht auf!)

Ich möchte Sie dazu ermutigen, sich das doch noch einmal zu überlegen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Drex- ler SPD: Uns kann es ja egal sein!)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Jetzt wird er es erklä- ren!)

Wenn man selbst keinen politischen Erfolg hat, sind es Kleinigkeiten, die eine Fraktion zur Freude bringen. Dies gilt besonders, wenn man in der Opposition ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Drexler, ich meine, Sie haben heute eine Chance vertan.

(Abg. Knapp SPD: Welche?)

Sozialdemokratische Oberbürgermeister haben mir in den letzten Tagen in großer Zahl geschrieben. Sozialdemokraten, die in unserem Land Gewerkschaftssekretäre sind, haben mir geschrieben.