Protocol of the Session on November 11, 2004

(Zuruf der Abg. Dr. Carmina Brenner CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe vor allem die große Sorge, dass wegen der schlampigen Vorarbeit der Bundesregierung einige Leistungsempfänger ihr Geld nicht rechtzeitig erhalten. Weitere Demonstrationen zum Jahresende sind dadurch eventuell vorprogrammiert, und ein an sich gutes und sinnvolles Gesetz wird leider nicht die Akzeptanz erhalten, die es eigentlich verdient.

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

Schon jetzt planen die Landratsämter Notfalllösungen, wie sie Abschlagszahlungen auszahlen können. Das ist die Realität. Landkreise und Kommunen müssen wieder ausbaden, was Clement und Konsorten verursacht haben. Trotzdem haben die Kommunen bis heute vom Bund keine verlässlichen Zusagen über die Finanzen und eine Revision. Die Aufgaben hat der Bund den Kommunen bereits präzise vorgeschrieben, bezüglich Ausführung und Finanzierung lässt er sie aber noch weiter im Nebel stehen.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Rüeck – –

Nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen, Herr Präsident.

Man lässt Kreise und Kommunen zurzeit noch nicht einmal auf Sicht fahren, sondern manövriert sie in einen Blindflug hinein – mit möglicherweise unabsehbaren Folgen. Ich habe trotzdem großes Vertrauen in unsere Gemeinden und Kommunen, dass sie diese Scharten auswetzen.

Ich möchte nicht enden, ohne davor zu warnen, dass der Fall eintreten könnte, dass man zuerst die Kommunen und Landkreise zu Befehlsempfängern macht, aber danach, wenn es um die Kostenübernahme geht, zu Bittstellern.

Ich danke für Ihre zeitweise ungeteilte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Dr. Carmina Brenner CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Hausmann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fange einfach mit dem Kollegen Rüeck an.

(Abg. Rüeck CDU: Das ist immer gut!)

An dem letzten Gedanken, den er geäußert hat, kann man vielleicht den Unterschied zwischen der Politik des Bundes und der des Landes deutlich machen. Sie sprachen davon,

die Revisionsklausel sei nicht geregelt. Ausgerechnet dies ist im Gesetz zu Hartz aber geregelt: Nach drei Monaten tritt eine Revisionsklausel in Kraft, wonach rückwirkend erstattet wird, wenn die Gelder, die an die Länder und die Kommunen gehen, nicht stimmen. Das erfolgt im Übrigen im Unterschied zu der Verwaltungsreform in Baden-Württemberg, bei der sämtliche Risiken ohne Revisionsklausel und ohne Möglichkeit der Rücknahme irgendwelcher Veränderungen zulasten der Kommunen übertragen werden. Dort wird das in keiner Weise korrigiert. Das ist ein deutlicher Unterschied.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Herr Rüeck, Sie sagen, die CDU stehe voll und ganz hinter Hartz. Ich höre dies gerne aus Ihrem Munde. Gestatten Sie mir trotzdem, zu sagen, dass mir – nicht gegenüber Ihnen persönlich – etwas der Glaube fehlt. Mir fehlt nämlich deswegen der Glaube, weil die ganze zeitliche Enge bei der Umsetzung von Hartz natürlich damit zu tun hatte, dass wir erst ganz spät zu einem Kompromiss gekommen sind, weil es auf Bundesebene eine starke Blockadehaltung auch von Ihrer Fraktion gab und weil anschließend viele Berufene aus CDU, CSU und FDP öffentlich das infrage gestellt haben, welche Kröte sie uns als Kompromiss zu schlucken gegeben haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich dabei unglaubwürdig und nicht verbindlich im Sinne eines Kompromisses verhalten. Das führt natürlich zu Verunsicherung, und die besteht teilweise. Wenn sich etwas dramatisch verändert – und Hartz IV ist eine dramatische Veränderung –, führt das bei den Menschen zu Ängsten. Wenn Sie zustimmen, muss das auch bedeuten, dass Sie dies konstruktiv und solidarisch begleiten und das notwendige Zusammenwachsen zwischen den verschiedenen Kulturen – also Kommunen auf der einen Seite und Arbeitsagentur auf der anderen Seite – sorgsam begleiten, weil das nie reibungslos funktionieren kann.

Frau Ministerin, wir werden dem Ausführungsgesetz zustimmen. In dem Gesetz steht im Prinzip nichts Neues, sondern darin werden lediglich die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Landkreise Aufgaben von Hartz IV an die kreisangehörigen Kommunen delegieren können. Dazu wird es Zustimmung von uns geben.

Keine Zustimmung gibt es von uns – das ist nicht Gegenstand der Gesetzesvorlage, aber es war Gegenstand Ihrer Rede – zu dem ganzen Teil, der die Finanzierung anbelangt. Ich erinnere mich an die vielen Debatten in den Kreistagen, in den Kommunalparlamenten, in denen gefordert wurde, dass entsprechend dem Konnexitätsprinzip derjenige, der bestellt, auch bezahlen muss und dass derjenige, der neue Aufgaben delegiert, das Geld dafür zur Verfügung stellen muss. Der Bund hat Verantwortung übernommen. Er hat in mühsamen Verhandlungen mit der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion, mit den Verantwortlichen der Kommunen, mit den kommunalen Verbänden einen Kompromiss zum Ausgleich der zusätzlichen Belastung ausgehandelt und stellt 3,5 Milliarden € zur Verfügung, sodass kein Land in irgendeiner Form durch die Umsetzung von Hartz IV benachteiligt sein kann.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und was ist mit den Kompensationen?)

Jetzt haben wir folgendes Problem: Jetzt gucken wir in die Haushaltsvorlage, die Sie uns vorgelegt haben, und stellen fest, dass Sie den übergroßen Anteil dessen, was als Entlastung für die Kommunen gedacht war, zur Sanierung des Landeshaushalts einbehalten und nicht an die Kommunen weitergeben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ungeheuerlich!)

Wir sagen: Das ist nicht korrekt.

Herr Rüeck, wenn Sie die starke Verantwortung der Kommunen und die Basisnähe ansprechen, will ich Ihnen sagen: Basisnah findet Arbeit statt, findet soziales, demokratisches Lernen in der Kommune statt. Aber die Kommune braucht dafür auch Verfügungsmasse,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Die ihr zusteht!)

damit sie überhaupt handlungsfähig sein kann. Dieses Geld, das zur Entlastung gedacht war, wegzunehmen ist nicht richtig, ist eine falsche Politik, die alles konterkariert, was Sie in Sonntagsreden von sich geben.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Edith Sitz- mann GRÜNE)

Lassen Sie mich zum Schluss noch folgenden Gedanken ausführen: Wir haben uns in Baden-Württemberg wirklich dramatische Zukunftsaufgaben vorzunehmen. Wir haben uns Aufgaben in der Sprachförderung vorzunehmen; in dieser Aussage sind wir uns alle einig. Wir haben dramatische Aufgaben beim Ausbau der Kinderbetreuung und beim Ausbau der Ganztagsschulen vor uns; das alles wissen Sie. Wir haben in Baden-Württemberg die Situation, dass die Arbeitslosigkeit der Älteren dramatisch steigt – übrigens schon sehr lange; der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um 15 % angestiegen.

Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Land in diesem Jahr den Kommunen Hunderte von Millionen kürzt, und wir erleben gerade in den Kreistagen die Debatte über die Kreisumlage, die ja nichts anderes ist als der Ausgleich für die Mittel, die Sie den Kommunen vorenthalten bzw. wegnehmen.

(Abg. Rückert CDU: A wa! – Zuruf des Abg. Rüeck CDU)

Gleichzeitig erleben wir, dass Sie die Kommunen strangulieren, sodass diese nicht in der Lage sind, ihre Zukunftsaufgaben ordentlich umzusetzen. Sie haben dazu keine Chance, weil sie die notwendige Verfügungsmasse nicht zur Verfügung haben. Da kann ich natürlich in Sonntagsreden laut das Loblied auf die Kommune singen und vom Konnexitätsprinzip reden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Wenn ich aber in der Praxis den Kommunen nicht die notwendige Verfügungsmasse zur Verfügung stelle – und Sie machen das gerade konsequent nicht; Sie machen konsequent das Gegenteil –, dann ist dafür von uns überhaupt

keine Zustimmung zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Wir fordern Sie auf, Ihre Position beim Thema „Weitergabe der Gelder“ zurückzunehmen und den Kommunen das zu geben, was ihnen auch zusteht.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Es geht hier nicht darum, alte Schlachten aus Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuss zu schlagen, sondern es geht zunächst einmal darum, die Voraussetzung – jedenfalls auf der Landesseite – dafür zu schaffen, dass, wo immer es sonst auch klemmen mag, zumindest bei uns in Baden-Württemberg die Leute, die bezugsberechtigt sind, am 1. Januar ihr Geld bekommen können. Deswegen als Allererstes: Wir stimmen diesem Ausführungsgesetz zu.

Zu den handwerklichen Fehlern, die an anderer Stelle gemacht worden sind, darf ich nur sagen: Wir haben gerade auf kommunaler Ebene eine so tolle Verwaltung,

(Abg. Rüeck CDU: Natürlich! Wir haben Vertrau- en zu den Kommunen!)

dass wir davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich für den Fall, dass die Datenbasis nicht ausreichend ist, schon den Plan B in der Tasche hat, um unbürokratisch dafür zu sorgen, dass die Leute über Abschlagszahlungen zu ihrem Geld kommen. Das ist einmal das Grundsätzliche.

Wir hatten gestern die Föderalismusdebatte. Wir waren uns alle einig, dass Hartz IV genau ein exemplarisches Beispiel dafür ist, dass wir in Zukunft Zuständigkeiten klarer definieren müssen und dass ebendieser Zwang zu Kompromissen, die letztlich niemanden wirklich zufrieden stellen, zu solchen handwerklichen Fehlern führt. Das müssen wir für die Zukunft weitgehend ausschließen.

Lassen Sie mich noch einmal sagen: Die FDP hat Hartz IV nicht deswegen nicht zugestimmt, weil sie nicht vom Sinn der Reform, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe künftig zusammenzuführen, überzeugt gewesen wäre, sondern weil sie gesagt hat: Das muss originär in die Hand der Kommunen. Dabei kam jetzt noch eine wachsweiche Optionslösung heraus, die von der finanziellen Seite her so unattraktiv und unsicher ist, dass sich nur ganz wenige dafür entschieden haben. Jedenfalls sieht man auch daran: Kompromisse sind meistens nicht ganz das Gelbe vom Ei.

Zum Thema Kostenerstattung: Bei der Delegation, die ja analog zur bisherigen Sozialhilfe auf Wunsch der beteiligten kommunalen Verbände – das ist überhaupt keine Frage – jetzt einfach für diesen Bereich fortgeschrieben wird, wird zu vereinbaren sein, wie die Verwaltungskosten verteilt werden. Das Gesetz enthält auch eine Auffanglinie, was mindestens gemacht werden muss. Im Übrigen ist das Vereinbarungssache.

Letzte Bemerkung: Sie versuchen ja – das haben Sie auch heute Morgen getan –, alles gleich in einen Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen zu bringen. Aber, Herr Haus

mann, es gebietet schon die Ehrlichkeit, zu sagen: Wenn man um 3,1 Milliarden € entlastet, aber sich andererseits die Zustimmung der östlichen Bundesländer erkauft, indem man die westlichen Bundesländer zwingt, 1 Milliarde € rüberzugeben, dann ist es eben am Ende so, dass die Koalitionsfraktionen und die Regierung – dazu stehen sie – die Nettoentlastung an die Kommunen weitergeben. Das sind insgesamt 1 Milliarde €; auf Baden-Württemberg dürften etwa 100 Millionen € zukommen. Die können wir, weil wir sie schlicht nicht haben, sondern sie aufgrund des Kompromisses an die östlichen Bundesländer abgeben müssen, eben den Kommunen auch nicht geben.

Fazit: Wir sorgen mit diesem Gesetz dafür – wir stimmen ihm auch zu –, dass das Ganze so wie bisher bei der Sozialhilfe reibungslos läuft, auch wenn es nach Plan B passieren müsste, und dass die Leute am 1. Januar dann zu ihrem Geld kommen. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen.