Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich mich bei der Kollegin Berroth herzlich dafür bedanken,
dass sie einen Wirtschaftszweig, der üblicherweise nicht in der Betrachtung der Öffentlichkeit steht, einmal etwas über das Wasser herausgehoben hat.
(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zuruf des Abg. Wieser CDU – Abg. Regina Schmidt- Kühner SPD: Das Thema Binnenschifffahrt haben wir wiederholt im Ausschuss behandelt! – Abg. Wieser CDU: Herr Kollege Kurz, sind Sie nicht ei- gentlich für den Luftverkehr zuständig? – Heiter- keit)
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU, der FDP/DVP und der Grünen – Abg. Kiefl CDU: Für den Fall, dass er abstürzt!)
Die aktuelle Lage der deutschen Binnenschifffahrt lässt sich etwa wie folgt analysieren: Sie lebt von der Substanz.
Die Partikuliere halten sich durch Selbstausbeutung über Wasser. Viele fallen ins Wasser. Die deutsche Flotte schrumpft seit Jahren. Die Mannschaften überaltern.
Das liegt vor. Es kommt zu einem erschreckenden Ergebnis über den Istzustand der Binnenschifffahrt und stellt auf Seite 30 eine für mich sehr beunruhigende Wirkungskette dar: Rentabilitätsschwäche, gesunkene Frachtdaten, unwirtschaftliche Schiffe, Eigenkapitalschwäche, Innovationsschwäche, weitere Verstärkung der Rentabilitätsschwäche, Nachwuchsmangel, Überalterung und Innovationsmangel.
Deutschland verfügt im Vergleich zu anderen Ländern in Europa über das am weitesten ausgebaute Binnenstraßennetz. Der volkswirtschaftliche Nutzen einer so wichtigen Verkehrskomponente wird meines Erachtens allgemein etwas zu gering eingeschätzt. Obwohl wir dieses ausgebaute Netz haben, verlieren die deutschen Binnenschifffahrtsunternehmen mehr und mehr Marktanteile. Die Binnenschifffahrt hat während der vergangenen zehn Jahre die Fähigkeit und die Bereitschaft gezeigt, dem gestiegenen Wettbewerbsdruck durch deutliche Produktivitätssteigerungen zu antworten. Dementsprechend kommt dieses Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Ursachen für den massiven Verlust von Marktanteilen nicht in einer grundsätzlich schlechteren Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen liegen, sondern in gravierend ungleichen Wettbewerbsbedingungen zu den Nachbarstaaten, etwa den Niederlanden und Belgien.
Einer der gravierenden Nachteile ergab sich aus der Tatsache, dass in Deutschland die Möglichkeit der steuerbegünstigten Reinvestition gemäß § 6 b des Einkommensteuerge
setzes abgeschafft wurde. Bis dahin konnten zumindest 50 % des Buchwertes bei einer Schiffsveräußerung steuerbegünstigt reinvestiert werden. Diese Möglichkeit wurde nun im Steuerentlastungsgesetz gestrichen, während beispielsweise die Binnenschifffahrt in den Niederlanden die sich ergebenden Veräußerungsgewinne aus Schiffsverkäufen zu 100 % steuerunschädlich reinvestieren kann.
In Belgien kommt die Zulässigkeit der Pauschalbesteuerung der steuerlichen Regelung in den Niederlanden in etwa gleich. In beiden Nachbarländern können dadurch die Binnenschifffahrtsunternehmen bei Investitionen auf Eigenkapital zurückgreifen, während dieses dem deutschen Schiffseigner durch die steuerliche Belastung abgenommen wird.
Die Folge: Im Jahr 2003 wurden in Holland 40 Schiffsneubauten für die Binnenschifffahrt in Dienst gestellt, in Deutschland nur ein einziger Neubau. Diese Zahl belegt eindrucksvoll, dass sich die Niederländer Marktanteile holen und die Deutschen Marktanteile verlieren. Daher enthält das PLANCO-Gutachten die als dringlich formulierte Empfehlung, diese Veräußerungsgewinne mit 100 % Reinvestitionsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen.
Gleichzeitig ist es erforderlich, die Gründerförderung der KfW und der Förderbanken der Länder mit präferenzierten Krediten fortzuentwickeln und zusätzlich auf bestehende Unternehmen der Binnenschifffahrt auszudehnen. Nur durch die Kombination dieser beiden Maßnahmen, nämlich Stärkung der Eigenkapitalbasis und spezielle Förderung von Investitionen, wird die Binnenschifffahrt in die Lage versetzt, wieder verstärkt zu investieren.
Der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags hat die Bundesregierung aufgefordert, bis zum Jahresende einen Bericht über die Umsetzung des PLANCO-Gutachtens vorzulegen. Das von Verkehrsminister Stolpe einberufene Gremium „Binnenschifffahrt und Logistik“, dem die Verbände der Binnenschifffahrt und auch der BDI angehören, befasst sich mit diesem Thema und will entsprechende Vorschläge aufarbeiten.
Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, nämlich auf den Aspekt des Bundesverkehrswegeplans. Dort ist bezüglich des Zustands von Wasserstraßen von Risiken für die Betriebssicherheit und Standsicherheit die Rede. Das PLANCO-Gutachten spricht von der Gefahr des Systemversagens.
Um nur das Notwendigste in Gang zu halten, werden rund 90 % der für die Wasserstraßen vorgesehenen Investitionsmittel durch reine Erhaltungsmaßnahmen aufgebraucht. Wer die für unsere Volkswirtschaft lebenswichtigen Wasserstraßen trotz der Bewertung im PLANCO-Gutachten über die brachliegenden Potenziale in dieser Weise vernachlässigt, handelt politisch unklug und verspielt leichtfertig eine umweltfreundliche Alternative zur Schiene und zur Straße.
Das verkehrspolitische Ziel muss darin liegen, der Binnenschifffahrt neue Perspektiven zu vermitteln und sie vor allen Dingen in die Lage zu versetzen, sich an dem künftigen Zuwachs der Güterverkehrsmengen zu beteiligen.
Wir brauchen eine Rückbesinnung. Baden-Württemberg wird von einem dynamischen und innovativen Gewerbe getragen. Ein solches Gewerbe kann sich nur im Rahmen einer wirklich leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur entwickeln. Daher müssen wir darauf achten – dabei komme ich auf Sie, Frau Kollegin Berroth, zurück –, dass die Neckarstraße wirklich leistungsfähig ausgebaut wird.
Wasserstraße Neckar! – Denn so, wie sich diese Wasserstraße Neckar im Augenblick präsentiert, ähnelt sie eher einem Wasserstraßenmuseum als einem wirklich modernen und vor allem leistungsfähigen Verkehrsweg, der durch seine Funktion zur Standortsicherung der Industrie in BadenWürttemberg beiträgt.
Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass das Thema „Binnenschifffahrt als Verkehrsträger“ ein ganz wichtiges Thema nicht nur für Baden-Württemberg, sondern auch insgesamt ist. Wir müssen nämlich erreichen, dass wir das, was in den nächsten Jahren an Zunahme beim Güterverkehr erfolgen wird, ökologischer als in der Vergangenheit abwickeln. Dazu gehört die Stärkung der Binnenschifffahrt genauso wie die des Güterverkehrsträgers Bahn. Das sind die zwei Träger, auf die es ankommen wird. Es kann nicht sein, dass die hohen Zuwachsraten ausschließlich auf der Straße abgewickelt werden. Darüber sind wir uns in diesem Haus einig.
Wir brauchen uns auch nicht darüber zu unterhalten, welche Bedeutung die Binnenschifffahrt hat. Die Frage ist natürlich: Wie können wir die Binnenschifffahrt stärken, und an welcher Stelle ist einzugreifen?
Wir haben das Thema Neckarausbau auf Antrag der SPD behandelt. Dort ist genau diskutiert worden, wie es denn auf dem Neckar ausschaut, was diese Sache betrifft. Auch in der Stellungnahme der Landesregierung wurde festgestellt, dass es im Istzustand des Neckars noch erhebliche Kapazitätsreserven gibt. Wenn dies in der Stellungnahme der Landesregierung formuliert wird, darf man sich auch nicht darüber wundern, wenn hinterher bei einer Bewertung im Bundesverkehrswegeplan eine Kosten-Nutzen-Rechnung
von 0,44 herauskommt. Dieses Ergebnis liegt deutlich unter dem Wert 1 und rechtfertigt es deswegen nicht, in den Bundesverkehrswegeplan einen Schleusenausbau aufzunehmen.
Das ist genau das Problem. Wir haben die Kapazitätsreserven. Es ist nicht darstellbar, dass dieser Schleusenausbau so viel wirtschaftlichen Nutzen bringen würde, dass tatsächlich die damit verbundenen riesigen Investitionen gerechtfertigt wären. Das ist das Problem bei allen Bewertungen, die wir im Grundsatz im Bundesverkehrswegeplan haben. Wenn wir bei der Kosten-Nutzen-Rechnung knapp unter 1 gewesen wären, hätte sicherlich jeder gesagt: Wir müssen das noch einmal politisch diskutieren und achten vielleicht nicht so sehr auf den Wert. Aber ein Unterschied von mehr als 0,5 zum Kosten-Nutzen-Faktor 1, der hätte gegeben sein müssen, ist einfach zu viel. Das zeigt auf, dass es im Moment nicht richtig wäre, den Ausbau zu betreiben.
Wir können das Geld für unsere Verkehrsinfrastruktur eben nur einmal ausgeben. Es ist richtig, es für die Schiene auszugeben und dort Effizienz beim Güterverkehr zu erreichen.
Nein, beim Güterverkehr müssen wir Potenziale im Bereich der Schiene ausbauen, damit er überhaupt schnell und zügig abgewickelt werden kann, Frau Fauser.
Wir haben doch das Problem, dass im Güterverkehr die ökologischen Verkehrsträger in einer strukturellen Benachteiligung sind, weil sie nämlich, was die Geschwindigkeit der Gütertransporte betrifft, so langsam sind, dass die meisten Spediteure, die meisten Verschicker von Gütern sagen: Wir müssen das auf der Straße transportieren, weil es dann eben schneller bei unseren Kunden ist. Deshalb müssen wir gerade im Schienenverkehr Erhebliches leisten, damit eine Beschleunigung der Güterverkehrsströme erfolgt. Genau das ist unsere Aufgabe. Die Bahn AG muss in die Lage versetzt werden, genau dies zu leisten. Das wird man mit Investitionen für den Güterverkehr machen müssen, und zwar Investitionen in neue Verteilanlagen und zum Teil auch in neue Verkehrswege.
Ich denke, wir sollten das Thema weiter diskutieren. Wir werden hier heute auch nicht zu einem abschließenden Ergebnis kommen. Es wird nämlich außerordentlich spannend sein, was das Ergebnis des Forums „Binnenschifffahrt und Logistik“, das die Bundesregierung im Mai dieses Jahres aus der Taufe gehoben hat, sein wird. Die PLANCO-Studie ist die Grundlage für die Arbeit dieses Forums; Herr Kurz, Sie haben es ja freundlicherweise gesagt. Nach der Information, die wir erhalten haben, ist eine Vorlage der Studie für Ende des Jahres beabsichtigt. Daher denke ich, wir werden das Thema erneut aufgreifen, wenn wir genau wissen, welche Wege bei der Binnenschifffahrt eingeschlagen werden.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass die Binnenschifffahrt wichtig ist. Wenn sie es nicht erkannt hätte, hätte sie das genannte Forum nicht einrichten müssen. Die Bundesregierung will an dem Thema arbeiten, und zwar in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und auch mit den Umwelt
verbänden, sodass auch der ökologische Ausbau und die ökologische Gestaltung der Binnenschifffahrtswege im weiteren Ablauf thematisiert werden. Ich denke, wir sollten uns die Gelassenheit nehmen und nicht einfach nur sagen: Wir müssen jetzt mit aller Gewalt ganz schnell an einer Stelle große Schleusen ausbauen, deren Ausbau zum Teil auch ökologisch schwierig ist. Wir bauen da vielleicht Wege aus, die dann gar nicht effizient sind, und könnten das Geld, das wir für die Binnenschifffahrt und deren Strukturverbesserung ausgeben wollen, sehr viel effizienter an anderer Stelle einsetzen. Ich glaube, das muss Sinn der Sache sein, gerade angesichts der schwierigen Situation unserer Finanzen.