Protocol of the Session on July 14, 2004

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Ja, das ist dumm gelaufen, Herr Kollege. Sie sehen auch gerade so aus – also vom Gesicht her.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Sie merken, was dahinter steckt. Das heißt, schon jetzt – unabhängig davon, dass es da einen Zeugen gibt, der ständig die Presse über dieses Telefongespräch informiert – kann die Frau Justizministerin unserer Meinung nach nicht im Amt bleiben. Das hat übrigens nicht mit einem strafrechtlichen Tatbestand zu tun. Da wäre es ja noch schlimmer. Wenn der Vorwurf stimmt, dass sie auch noch gesagt habe, was in den Ermittlungsakten darüber steht, was bei Frau Haussmann beschlagnahmt wurde, dann wäre es ja ganz schlimm. Dann wäre es sowieso gleich aus.

Aber schon das andere reicht eigentlich, weil sich die Justiz jetzt in einer ganz schwierigen Situation befindet. Denn sie legt zweierlei Maß an. Sie berichtet vorweg. Bevor die Staatsanwaltschaft einen Beschuldigten hat, telefoniert die Frau Justizministerin. Das kann kein Staat, in dem es eine unabhängige Justiz gibt, zulassen. Das geht nicht. Das ist weder mit ihrem Amtseid vereinbar noch sonst möglich. Da geht es nicht um Strafrecht; das kann ja noch kommen.

Ich bitte Sie einfach, jetzt nicht immer mit dieser Solidarisierungsorgie zu kommen, sondern einmal darüber nachzudenken, dass das, was sie jetzt schon getan hat, für eine Ministerin, die die Hüterin der Gesetze und der Unabhängigkeit der Justiz bei uns in Baden-Württemberg ist, nicht akzeptabel ist. Mehr nicht.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Unabhängig davon, ob die Frau Justizministerin möglicherweise für innerparteiliche Auseinandersetzungen in der FDP/DVP büßen muss oder was auch immer – das kann ja alles sein –, ist die Frage: Wer informiert denn da? Darüber muss man sicher einmal nachdenken. Das ist aber nicht mein Thema. Es tut mir ausgesprochen Leid: Sie kann diese Unabhängigkeit nicht mehr garantieren. Das geht nicht mehr.

Insofern bitten wir Sie, Herr Ministerpräsident, die Frau Justizministerin zu entlassen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- geordneten der Grünen)

Nach § 82 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung erhält der Vorsitzende der Fraktion GRÜNE das Wort. Herr Kretschmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was wäre nach der heutigen Kabinettsumbildung eigentlich angesagt gewesen? Nach einer Kabinettsumbildung, die im Land Diskussionen hervorgerufen hat wie noch nie, die in den regierungstragenden Fraktionen Debatten hervorgerufen hat wie noch nie – was wäre da eigentlich zu tun gewesen, Herr Ministerpräsident?

Da wäre eine Regierungserklärung von Ihnen angebracht gewesen, in der Sie begründen, warum Sie die Kabinettsumbildung vorgenommen haben, warum Sie bestimmte Minister entlassen haben und warum Sie andere berufen haben, und in der sie erklären, welche Perspektiven es gibt und welche neuen Akzente für dieses Land gesetzt werden. Das hätten wir erwarten können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Aber Sie unterlassen das nicht nur und überlassen es den Fraktionen, in einer solchen Situation die Initiative zu ergreifen, diese Debatte hier zu erzwingen, damit zu den Perspektiven des Landes überhaupt etwas gesagt wird – obwohl es bei einer Regierungsumbildung logischerweise die Aufgabe der Exekutive ist, dies zu thematisieren, aber nicht Aufgabe des Parlaments; das Parlament kontrolliert die Regierung, die Sie jetzt neu installiert haben –, sondern unternehmen stattdessen einen Schritt, den es hier noch nie gegeben hat: Die Fraktionen beantragen eine Debatte, und Sie gehen als erster Redner in diese Debatte.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Unglaublich!)

Dann landen Sie aber nicht einmal einen Überraschungscoup, indem Sie zum Beispiel sagen würden: „Jawohl, ich habe es eingesehen. Das Land braucht neue Personen, neue Akzente. Die Regierungsumbildung muss von oben anfangen. Ich werde mein Amt zum Ende des Jahres niederlegen und die Regelung der Nachfolgefrage in Gang setzen.“ Das wäre eine echte Überraschung gewesen, die die gesamte Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt hätte.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Birgit Kipfer SPD – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Stattdessen halten Sie hier eine Rede, die wir schon 17-mal gehört haben –

(Abg. Schmid SPD: Mindestens! – Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

ohne irgendeine neue Perspektive, ohne neue Akzente und ohne zu sagen, wie das Land auf die neuen Herausforderungen reagieren muss.

So, wie Sie reagiert und diese Debatte im Grunde genommen schon heruntergeritten haben, die heute gebraucht worden wäre, fordern Sie eine Kritik des ganzen Vorgangs heraus, den wir heute zu kommentieren haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen einen Neuanfang. Dieser Neuanfang, Herr Ministerpräsident, ist in erster Linie nicht eine Frage der Verjüngung, sondern er ist in erster Linie eine Frage der Perspektiven, die man aufzeigt: Was will man selbst, und was möchte man mit den neuen Ministern bewegen?

Das sind die Perspektiven, die wir heute brauchen: Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges und intelligentes Wachstum in diesem Land, damit die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt, Initiativen und Akzente für eine ökologische Modernisierung Baden-Württembergs, die unsere Lebensgrundlagen sichert, die aber auch Motor für ein nachhaltiges Wachstum in diesem Land sein kann, das alle Ressourcen und Möglichkeiten hat, das umzusetzen. Wir brauchen eine Perspektive, die Bildung und Wissenschaft als Kernaufgabe der Landespolitik begreift und diese auch in den Mittelpunkt stellt und die neue Akzente bei der Verein

barkeit von Familie und Beruf setzt und so aus diesem Land ein familien- und kinderfreundliches Land macht. Dies alles muss mit der Perspektive einer Haushaltssanierung fundiert sein, die das Verhältnis von Staat, Markt und Bürgergesellschaft neu justiert und neu ordnet.

Ich sage Ihnen: Seit 30 Jahren lebt das Land über seine Verhältnisse – Sie stellen seit fast 50 Jahren den Finanzminister –, und wir sind auf diese Herausforderungen schlecht vorbereitet, weil es Ihnen in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist, hier einen ausgeglichenen Haushalt auf die Beine zu stellen, um in diesen Umbruchzeiten die Möglichkeit zu haben, auf die Herausforderungen richtig zu reagieren. Dies ist nicht der Fall. Aufgrund dessen, was Inhalt Ihrer Rede war, kann ich mich allerdings darüber auch gar nicht wundern. Wenn man, so wie Sie, was den Bund betrifft, immer nur die alten Wohltaten weiter verteilen will – Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, also die größten Subventionsposten –, gleichzeitig aber heute Vormittag beklagt, dass die Bundesregierung den Stabilitätspakt verletzt, dann frage ich Sie: Woher nehmen Sie eigentlich Ihr Weltbild?

(Abg. Haller SPD: Aus Spaichingen!)

Für das Land wollen Sie uns hier eine Sparorgie verordnen. Da müssen ja auch alle mitmachen; denn uns bleibt nach der Schuldenpolitik, die Sie bisher betrieben haben, gar nichts anderes übrig. Auf der anderen Seite hindern Sie den Bund mit Ihrer Weigerung im Bundesrat, endlich aus diesen Subventionen auszusteigen, daran, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Was passt denn da zusammen? Gar nichts.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Rust SPD: Nichts!)

Ihre Kritik ist einfach nicht glaubwürdig. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir die Eigenheimzulage weiterhin brauchen, müssen Sie einmal sagen, wie das gegenfinanziert werden soll, ohne dass der Bund immer weiter in die Schuldenfalle läuft. Herr Ministerpräsident, ich frage Sie, was aus bundesstaatlicher Sicht der Sinn der Eigenheimzulage sein soll, wenn man im Osten Deutschlands Wohnungen abreißt, weil die Menschen dort keine Perspektiven sehen und alle hierher kommen, sodass wir also hier die Wohnungen bräuchten. Welcher verantwortungsbewusste Bundeskanzler kann denn so etwas in Zukunft noch machen? Keiner, auch nicht ein Bundeskanzler, der von Ihnen gestellt wird. Sie sind also nicht mehr auf dem Stand der Debatte; das muss man einfach einmal feststellen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Nun zu dem, was Sie zur Rentenbesteuerung gesagt haben: Hier gilt haargenau dasselbe. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung auf Landesebene noch die Abschaffung der Ökosteuer gefordert. Wissen Sie, was das bedeutet?

(Abg. Drexler SPD: 27 Milliarden €!)

Entweder steigen die Lohnnebenkosten nochmals um 2,5 Prozentpunkte, oder Sie müssen die Renten noch weiter kürzen. Das wäre die Folge, wenn Sie die Ökosteuer streichen würden. Das passt doch überhaupt nicht zusammen.

Dann sprechen Sie – sehr berechtigt – von der drohenden sozialen Spaltung. Passt das denn damit zusammen, dass Sie ein Gesundheitsmodell schaffen wollen, das vorsieht, dass der Chauffeur genauso viel zahlt wie sein Chef? Und wenn Sie dies sozial ausgleichen wollen, müssen Sie dann nicht sagen, woher Sie dafür die Steuermittel nehmen?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Passt denn das zusammen? Sie sind nicht auf dem Stand der Debatte; das muss man ganz klipp und klar sagen.

Sie sagen, die Familienförderung müsse Priorität haben, und stellen gleichzeitig die Lernmittelfreiheit infrage. Hierfür einen sozialen Ausgleich zu schaffen würde wiederum

(Abg. Drexler SPD: Bürokratie!)

einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeuten. Das passt doch sowieso überhaupt nicht zusammen, da der Großteil der Lernmittel, mit Ausnahme der Bücher, sowieso schon von den Eltern bezahlt werden muss. So funktioniert das, was Sie da fordern, einfach nicht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie auf die erfolgreichen Bankenfusionen hinweisen – richtig, in Ordnung – und sagen: „Das größte Problem unserer mittelständischen Betriebe besteht darin, wie sie trotz der verschärften Bedingungen von Basel II Kredite bekommen“, dann frage ich Sie einmal, Herr Ministerpräsident: Ist es in einer solchen Situation, in der der Mittelstand ohnehin schon Schwierigkeiten hat, an Kredite zu kommen, richtig, dass Sie der L-Bank, die als Mittelstandsförderbank die Aufgabe hat, unseren Mittelstand zu fördern und voranzubringen, über Ihre Sonderprogramme zum Landesstraßenbau jedes Jahr 100 Millionen € aufs Auge drücken, sodass sie jetzt schon 500 Millionen € für den Landesstraßenbau kreditieren muss und damit ihre Kernaufgabe, nämlich den Mittelstand zu fördern, nicht mehr in dem Maße wahrnehmen kann, wie sie es könnte, wenn sie die Gelder hätte? Passt das zusammen, Herr Ministerpräsident? Ich sage: Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Drexler SPD)

Herr Ministerpräsident, die Kabinettsumbildung ist eigentlich das Thema, um das es heute geht. Aber wir haben den Eindruck, bei Ihrer Kabinettsumbildung geht es an erster Stelle nicht um das Land, sondern um die Frage Ihrer Nachfolge. An erster Stelle steht nicht das Land, sondern stehen parteitaktische Fragen.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Diese Kabinettsumbildung beendet diese Debatte natürlich nicht, sondern sie vertieft sie nur. Denn Sie weisen durch diese Kabinettsumbildung nicht Qualität, Kompetenz und Ideenreichtum vor,

(Zuruf des Abg. Röhm CDU)

sondern Sie treten allein eine Flucht in die Verjüngung an. Denn das kommt natürlich immer gut an, das ist klar. Aber wenn es nur um Verjüngung geht und wenn Verjüngung die Perspektive ist, dann muss sich doch jeder fragen: Warum nicht beim Chef?

(Heiterkeit bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)