Protocol of the Session on May 6, 2004

In den Kindergärten und an unseren Schulen sind die Fachfrauen für Kinderernährung aktiv tätig und unterstützen Erzieherinnen und Lehrkräfte, die in dieser Thematik aktiv sind. Es hängt aber immer von den handelnden Personen ab, ob etwas stattfindet oder nicht. Wir müssen alle, die sich da aktiv engagieren, wirklich massiv unterstützen und sagen, dass Gutes getan wird.

In den Grundschulen und in den Realschulen wird auch erfreulich viel praktisch getan. Warum aber, frage ich mich, gehört auch heute noch eine Schulküche nicht zum Bauprogramm eines Gymnasiums? Die Zeiten sind doch vorbei, in denen höhere Töchter das nicht lernen mussten, weil sie Angestellte dafür hatten. Außerdem ist es so, dass inzwischen auch Jungs eine solche Ausbildung brauchen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich meine, gerade auch an unseren Gymnasien muss eine vernünftige Ernährungserziehung dazugehören.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es eine große Zahl von Miterziehern gibt: das Angebot in den Restaurants, die Medien, die Werbung und vor allem die Lebensmittelindustrie. Ich möchte ein Lob dafür aussprechen, dass die rot-grüne Bundesregierung heute im Bundestag eine Alcopop-Initiative behandelt. Ob nun allerdings eine Sondersteuer das Richtige ist, ist die Frage. Aber das ist ein Thema, das dringend angegangen werden muss.

(Abg. Walter GRÜNE: Was ist Ihr Vorschlag? Be- wusstseinsbildung! – Abg. Zeller SPD: Was schla- gen Sie vor?)

Unsere Gesellschaft hat insgesamt Nachholbedarf. Zum Beispiel ist die jetzige Debatte in der Vorankündigung der dpa heute nicht einmal erwähnt, obwohl sie auf Tagesordnungspunkt 2 steht und die Grünen sie damit bewusst hervorheben wollten.

Aber Wissen allein genügt in Ernährungsfragen überhaupt nicht. Es gibt eine Menge anderer Einflussgrößen auf das Essverhalten. Frau Kollegin Brunnemer hat die Bewegung

angesprochen. Was überhaupt nicht genannt wurde, ist das Thema Allergien. Wer von Ihnen weiß zum Beispiel, dass Hyperaktivität in sehr, sehr vielen Fällen auf den Konsum von Süßstoff zurückzuführen ist?

(Abg. Zeller SPD: Jetzt ist mir klar, warum so viele Landtagskollegen so hyperaktiv sind!)

Für mich bedeutet nun Übergewicht beileibe nicht das einzige Problem. Ein Riesenproblem ist das Thema Essstörungen, das in der Stellungnahme der Landesregierung nur ganz kurz gestreift wird. Hier hat auch die Landespolitik noch sehr viel zu tun.

Ich komme zum Schluss: Das Thema darf auch nicht mit Frust belastet werden. Heute, so habe ich gehört, soll der „Anti-Diät-Tag“ sein. Das ist auch richtig, weil Diäten, wie sie häufig durchgeführt werden, in der Regel zu nichts führen. Es hilft nur, das Essverhalten dauerhaft umzustellen.

Essen und Trinken dienen aber nicht nur der Substanzerhaltung. Es gehört Genuss dazu; gleichzeitig gehört dazu aber auch die Einübung in die Einsicht, dass ein Konsumverhalten nur dann wirklichen Genuss bringt, wenn dieser Genuss selten und bewusst erfolgt.

Wir haben – das wurde angesprochen – eine Chance in der Situation, dass die Zahl der Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten an den Schulen wächst. Die Landfrauen haben angeboten, dabei auch aktiv tätig zu sein. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht nur um Ernährung, sondern auch um hauswirtschaftliche Grundbegriffe geht. Ich sage nur: Auch Jungen sollten wenigstens wissen, wie man einen Knopf annäht.

(Abg. Pfisterer CDU: Wissen wir auch! – Abg. Drautz FDP/DVP: Mit Brille!)

Und sie müssen es auch können. Es muss nicht explizit im Lehrplan stehen. – Auch im Fremdsprachenunterricht ist eine Behandlung der Ernährungsthematik möglich; oder im Mathematikunterricht kann man zum Beispiel das Prozentrechnen üben, damit man dann die Angaben auf der Packung einer Fertignahrung auch wirklich lesen und beurteilen kann.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfisterer CDU: Da muss man bei der Bundeswehr gewesen sein, dann kann man das!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kollegin Berroth hat selbst mit den Alcopops ein gutes Beispiel dafür gegeben, dass man, wie Sie es vielleicht gerne hätten, nicht alles dem freien Markt überlassen kann.

(Abg. Zeller SPD: So ist es! Genau!)

Denn an diesem Problem sieht man, was dabei herauskommt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Zeller SPD: Das ist falsch verstandener Liberalismus! – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Ich glaube, beim Thema „autonome Schule“ brauchen wir uns von Ihnen gar nichts sagen zu lassen. Da sind wir Ihnen schon Lichtjahre voraus. – Aber sei es drum.

Meine Damen und Herren, ich habe es bereits vorhin gesagt: Ein Hauptmanko, das wir in diesem Land haben, besteht nicht darin, dass wir nicht viele Einzelmaßnahmen hätten, sondern darin, dass diese Einzelmaßnahmen nicht entsprechend vernetzt sind und dass es keine abgestimmte Kampagne gibt. Bei unserer Veranstaltung „Kinder-Leicht“ vor zwei Wochen wurde von vielen Beteiligten die Anregung gegeben, dass das Landesgesundheitsamt unter Regie des Ministeriums sagen soll: „So, jetzt bringen wir alles zusammen, was wir an Forschung haben und was wir an sonstigem Wissen zusammengetragen haben, und machen daraus eine Kampagne.“

Wir sind in Baden-Württemberg doch führend bei der Erforschung von Adipositas. Wo schlägt sich das denn entsprechend nieder? In meiner Anfrage und in unserem Antrag ist das angesprochen worden. Da gibt es aber nur ausweichende Antworten der Landesregierung.

Wir meinen, alle wichtigen Akteure gehören an einen Tisch: die Schulen, die Eltern, die Schüler, die Kinderärzte, die Gesundheitsämter, die Universitäten und auch die Ernährungszentren. Lassen Sie uns dann daraus eine Kampagne machen. Sie alle kennen doch die „Pfundskur“, die alle zwei Jahre durch die Medien initiiert wird. So etwas Ähnliches, das stelle ich mir vor, müsste es auch an den Schulen geben. Sie alle wissen, dass die Medien in unserer Gesellschaft einen riesigen Einfluss haben. Was von den Medien kommt, wird leichter aufgenommen als das Wissen aus Ringbüchern; darüber müssen wir uns doch einfach im Klaren sein. Deswegen brauchen wir eine solche Kampagne. Sie sind ja nicht einmal bereit, auf einen solchen Vorschlag eine Antwort zu geben, sondern gehen einfach darüber hinweg.

Die Prävention, meine Damen und Herren, muss zukünftig wieder mehr im Vordergrund stehen.

(Beifall bei den Grünen)

Wir müssen in den Kindergärten anfangen. Je früher wir anfangen, desto größer sind die Erfolge. Es nützt nichts mehr, wenn wir erst in der Pubertät der Jugendlichen anfangen, darauf hinzuwirken.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich noch einmal: Es geht nicht um einen Streit darüber, ob und wie wir die Eltern in die Pflicht nehmen müssen. Wenn die Eltern in die Pflicht genommen werden sollen, dann heißt das übrigens für mich auch, dass beispielsweise auch im Rahmen von Elternabenden ein entsprechendes Bewusstsein bei den Eltern geschaffen werden muss.

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Das wird doch ge- macht!)

Das wird doch nur in Ausnahmefällen gemacht.

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Das stimmt doch gar nicht! Waren Sie schon mal in der Schule?)

Was Sie mir da erzählen, geht doch an der Realität vorbei.

(Widerspruch bei der CDU)

Doch, liebe Kolleginnen, so ist das letztendlich. Wenn ich in Schulen komme, frage ich immer nach dem BeKi. Dann heißt es: „Ja, das haben wir irgendwo im Regal stehen.“ An ganz wenigen Schulen höre ich ab und zu: „Da haben wir schon etwas draus gemacht.“ Die meisten haben dann zwar ein schlechtes Gewissen, aber das ist die Realität. Der müssen Sie sich einfach stellen.

(Abg. Elke Brunnemer CDU: Das haben wir doch schon jahrelang gemacht, schon lange vor BeKi! – Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Ja, das machen Sie jahrelang, und die Entwicklung geht immer so weiter. Was ist denn passiert? All das, was ich eingangs in der ersten Runde gesagt habe.

Neben der falschen Ernährung haben wir einen Bewegungsmangel, meine Damen und Herren. Da müssen viele Faktoren zusammen greifen. In Ballungsräumen sind die Bewegungsräume für Kinder massiv eingeschränkt. Oft sind die Schulhöfe noch das letzte Refugium. Deswegen rennen die Kinder dort auch nachmittags, wenn der Unterricht längst vorbei ist, noch in den Schulhöfen herum.

Wenn wir jetzt mehr Ganztagsschulen haben, gibt es ein gutes Modellprojekt, das ausgeweitet werden muss, nämlich die Kooperation zwischen den Schulen und den Sportvereinen. Das ist ein guter Ansatz. Da müssen wir weitermachen.

Wir brauchen aber auch in Sportvereinen ein spezielles Angebot für Übergewichtige. Weil sie dort oft nicht eintreten, weil sie sich nicht diesem Wettbewerb stellen wollen, weil sie denken, da seien sie eh nur die Verlierer, brauchen wir ein ergänzendes Angebot auch in den Sportvereinen.

Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider zu Ende. Deswegen nur noch eine letzte Anmerkung. Wir haben hier ja viel über die USA geredet. Kollege Wieser kann gern fragen – darauf will ich auch eine Antwort geben –, warum in den USA mit Ganztagsschulen so viele Kinder übergewichtig sind. Dazu sage ich Ihnen nur: Die Firma Heinz Ketchup hat jetzt durchgesetzt, dass Ketchup in Schulen als Lebensmittel anerkannt wird. Da müssen Sie sich doch nicht wundern, dass bei einer solchen Ernährung eben nichts passiert.

(Zurufe der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP und Sieber CDU)

Das ist ja gerade das, was wir von der Landesregierung fordern: Wir fordern, dass die vermehrte Einführung von Ganztagsschulen dazu genutzt wird, dass an den Schulen ein gesundes Angebot gemacht wird. Da dürfen wir die USA nicht zum Vorbild haben.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Sieber CDU: Essen Sie keinen Ketchup?)

Nein, ich esse in der Regel keinen Ketchup. Das passiert vielleicht zweimal im Jahr. Gerade Sie sind ja für Kultur zuständig. Da sollten Sie auch für Esskultur zuständig sein, Kollege Sieber.

Was für eine Entwicklung haben wir in den USA, Kollege Sieber? Das müssen Sie einmal beobachten: Die Kinositze werden breiter gemacht, die Flugzeugsitze werden breiter gemacht, die Särge werden breiter gemacht. Ist das das, was wir in Deutschland wollen? Dazu sage ich nein.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Klein- mann FDP/DVP)

Um das zu verhindern, meine Damen und Herren, müssen wir handeln, bevor die übergewichtigen Kinder von heute die übergewichtigen Eltern von morgen sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Da kann man direkt ein- mal zustimmen!)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Jugend, Sport und Kultur, Frau Dr. Schavan.

(Heiterkeit bei der SPD – Abg. Walter GRÜNE: Haben Sie nicht etwas vergessen?)