„Immer mehr Kinder verfetten“, „Kinder und Jugendliche entwickeln sich zu moppeligen Müßiggängern“ oder „Deutschland steht vor dem Fettdesaster“ – solche und ähnliche Schlagzeilen können wir regelmäßig lesen. Uns drohen amerikanische Verhältnisse.
Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass es in den Schulen nicht nur zu viele übergewichtige Kinder gibt, sondern auch Kinder, die viel zu dünn sind.
Vor allem Mädchen fühlen sich oft gezwungen, ganz im Sinne des Jugendlichkeitswahns unserer Gesellschaft einem durch die Medien geprägten Ideal und Schönheitsbild zu entsprechen.
Alle Maßnahmen, die dieser Entwicklung entgegenwirken, die aufklären und letztlich zu Verhaltensänderungen bei den Betroffenen führen, sind zu begrüßen. Die von der rot-grünen Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Lebensmittelwirtschaft und den Sportverbänden errichtete Plattform „Ernährung und Bewegung“ muss alle Initiativen und Projekte miteinander verzahnen, die Ernährungsaufklärung, vermehrte Bewegung und sportliche Aktivitäten zum Ziel haben.
Bedenklich stimmt mich, dass besonders Kinder aus sozial schwächeren Schichten betroffen sind. In sozialen Brennpunkten liegt der Anteil übergewichtiger Kinder bei über 40 %. Da wir wissen, dass daraus langfristig enorme Gesundheitskosten entstehen, die die Volkswirtschaft belasten, sollten gerade dort die Anstrengungen verstärkt werden, Kinder, Jugendliche und deren Eltern zu bewussterem Umgang mit ihren Körpern anzuleiten.
„Die Verantwortung für eine angemessene Ernährung ihrer Kinder ist Aufgabe der Eltern“, heißt es in der Antwort der Landesregierung auf die Frage, ob nicht Schulen zunehmend Verantwortung für ein vollwertiges Verpflegungsangebot übernehmen müssten. Mit dieser Einstellung macht es sich das Land zu leicht und hält die bedauerliche Entwicklung nicht auf.
Ich möchte die Eltern nicht aus der Verantwortung entlassen. Oft genug sind sie sich dieser auch bewusst. Aber es häufen sich Fälle, bei denen Lehrerinnen und Lehrer, die sich im Elterngespräch vorsichtig der Problematik des immer dicker werdenden Kindes nähern, zur Antwort erhalten: Das ist unsere Privatangelegenheit, und das geht Sie gar nichts an.
Wir können natürlich weiter zusehen, wie Kinder als Frühstücksersatz schon morgens um 7 Uhr an der Flasche Cola hängen, den Hunger in der großen Pause mit fetten Pizzaschnitten stillen und sich in der Mittagspause mit Süßigkeiten vollstopfen. Oder aber wir fördern Schulen, deren pädagogische Konzepte Ernährungserziehung und Bewegung als zentrale Elemente enthalten. Die Ganztagsschule bietet dazu gute Möglichkeiten. Nicht umsonst werden Einrichtungen gefördert, die diesen Zielen dienen.
(Beifall bei der SPD – Abg. Zeller SPD: Richtig! – Abg. Wieser CDU: Aber in Amerika sind doch die Kinder noch dicker, und da haben sie Ganztags- schulen!)
Herr Wieser, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, dann stellen Sie sich doch bitte ans Mikrofon.
(Heiterkeit – Abg. Wieser CDU: Der Herr Präsi- dent muss mir das Wort erteilen! – Anhaltende Un- ruhe – Glocke des Präsidenten)
Herr Abg. Käppeler hat die Zwischenfrage des Herrn Abg. Wieser genehmigt. – Bitte schön, Herr Wieser.
Nachdem Sie, Herr Kollege, einen kausalen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Ganztagsschule hergestellt haben, bitte ich Sie, zu beantworten, warum es in Amerika so viele übergewichtige Kinder gibt, obwohl dort die Ganztagsschule üblich ist.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Zeller SPD: Das liegt an der Regierung! Bush ist schuld! McDonald’s hat alles versaut! – Unruhe – Weitere Zurufe von der SPD)
Herr Wieser, ich habe gesagt, dass die Ganztagsschule gute Möglichkeiten bietet, dem entgegenzuwirken,
(Abg. Hauk CDU: Aha! – Gegenruf des Abg. Wal- ter GRÜNE: Das hat er aber auch vorhin schon ge- sagt! Da habt ihr nicht zugehört!)
wenn zum Beispiel eine Kücheneinrichtung oder Sportgeräte bezahlt werden. Dass die Genehmigung einer Ganztagsschule am Angebot eines Mittagstisches hängt, ist in diesem Zusammenhang nur folgerichtig und ist eine Antwort auf den Wandel in Familienstrukturen und auf veränderte Haushaltsformen.
Wenn der größte Caterer in den USA mit dem Namen Subway innerhalb eines Jahres einen Zuwachs von 82 % bei Sandwiches und Snacks verzeichnet, dann wird uns aufgezeigt, wohin auch bei uns die Ernährungsreise verstärkt geht: Fast Food statt geschmackvolle Zubereitung von Lebensmitteln.
Ernährungs- und Bewegungserziehung sollte aber nicht erst in der Schule beginnen, sondern schon im Kindergarten. Erzieherinnen bemühen sich beispielsweise, ihren Kindern Inhalt und Bedeutung eines gesunden Vespers zu vermitteln. Spätestens bei dem Versuch, ein ausreichendes Bewegungsangebot zu gewährleisten, stoßen sie an ihre Grenzen. Wenn bei einem Teil der 28 Kinder noch Schuhe gebunden oder Windeln gewechselt werden müssen, kann man sich leicht ausmalen, wie viel Zeit für sportliche Anleitung übrig bleibt.
Ich wollte noch etwas zur Landesinitiative BeKi sagen; Frau Brunnemer hat das bereits getan. Ich möchte das unterstützen, aber meine Redezeit geht zu Ende.
Zum Schluss noch Folgendes: Langfristige Verhaltensveränderungen werden entweder durch das Vorbild der Eltern oder – wo dies nicht vorhanden ist – durch praktischen Unterricht erzielt. Wenn nun in den Lehrerkollegien die praktische Ausrichtung entweder mangels einer Küche – zum Beispiel in den Gymnasien – oder deshalb, weil es immer weniger ausgebildete HTW-Lehrerinnen und -Lehrer gibt, nur noch bedingt durchgeführt werden kann, braucht man nicht zu erwarten, dass die nächste Generation von Müttern und Vätern weiß, dass „normale“ Lebensmittel nicht nur besser, sondern auch wesentlich preiswerter sind als die so genannten Convenience-Produkte, also Fast Food und Fertiggerichte.
Es nützt auch nichts, wenn die Bildungsstandards in wohlfeilen Worten und mit dem Verweis auf Querverbindungen die Möglichkeiten eröffnen, tolle, fächerübergreifende Einheiten und Projekte im Zusammenhang mit Ernährung durchzuführen, die Kontingentstundentafel aber zu wenig Stunden für ergänzende Angebote bereitstellt und der schwarze Peter dann in der Lehrerkonferenz hin- und hergeschoben werden muss nach dem Motto: Was ist uns wichtiger: bewegungsfreundliche Schule, Tastaturschulung, „guter Start in die Hauptschule“, Klassenlehrerstunde, Moderation usw. usw.?
Fazit: Das Land hat sich bemüht, die Problematik im Zusammenhang mit Ernährung und Bewegung aufzugreifen. Aber wir alle wissen, was „hat sich bemüht“ in einer Personalbeurteilung bedeutet: Es reicht nicht aus; die Anstrengungen müssen verstärkt werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir stimmen mit der Fraktion der Grünen und der Stellungnahme des Ministeriums überein: Ernährungserziehung ist ein wichtiges Thema. Das Land als Bildungsträger steht durchaus auch in der Verantwortung.
Deshalb habe ich schon 1999 einen Antrag zur Gesundheitsbildung an allgemein bildenden Schulen gestellt. Ich habe einmal im Bericht über die damalige Ausschussberatung nachgeschaut: Den Grünen war das Thema damals nicht einmal eine Stellungnahme wert. Das aber nur als Anmerkung.
Es wird aber an unseren Schulen auch einiges in diesem Bereich getan. Das sieht man aus der Stellungnahme der Regierung zu dem Antrag und zum Beispiel auch aus dem in der Stellungnahme zitierten Ringbuch, das beim Kollegen Kretschmann auf dem Tisch liegt, und dem anderen, das bei mir auf dem Tisch liegt und schon 1996 vom Ministerium für Ländlichen Raum herausgegeben wurde.
Die Frage bleibt jedoch – sie wurde zu Recht gestellt –, ob die Ansätze wirklich erfolgversprechend sind. Ich möchte das auch an den Kollegen Walter weitergeben: Die Grünen möchten wieder möglichst viel vorschreiben und regeln und glauben,
dann komme die Welt in Ordnung. Das ist bei ihnen ein durchgängiges Thema, aber in diesem Fall, glaube ich, noch weniger umsetzbar. Wie wollen Sie das denn in einer Schule machen? Wollen Sie einzelne Produkte vorgeben, vorher ihre Bestandteile feststellen und sagen: „Das darf verkauft werden und das nicht“? Diese Liste müssten Sie wöchentlich überarbeiten,
weil laufend neue Angebote kommen. Außerdem halte ich das auch – und das ist viel wichtiger – für pädagogisch überhaupt nicht sinnvoll. Wenn mir etwas vorgeschrieben wird, lerne ich nie, eigenverantwortlich damit umzugehen.
(Abg. Pfister FDP/DVP: So ist es! Da hat sie Recht! – Abg. Walter GRÜNE: Sie sollen auf Re- den antworten, nicht vorgeschriebene Reden vorle- sen!)
Meine „vorgeschriebene“ Rede habe ich gerade eben selbst verfasst. Ich kann es Ihnen nachher zeigen. Die habe ich hier handschriftlich in der Hand.
Die Stellungnahme der Landesregierung zeigt zwar vielfältigst verankerte Fächerverbünde, Bildungsplanbestandteile und Bildungsstandards sowie Projektanregungen auf; was aber passiert wirklich an den Schulen, und wie kann Ernährungsverhalten tatsächlich beeinflusst werden? Es wird zu Recht gesagt, die Familie sei prägend. Jetzt müssen wir uns aber einmal überlegen, wie die Familie da prägt. Denken Sie einmal ein bisschen nach und gucken Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis um. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn eine Mutter gut kochen kann, kann es die Tochter oder auch der Sohn meistens nicht. Gutes Haushalten vererbt sich Generationen überspringend. Gut kochen können die Mädchen und Jungen, deren Großmütter gut gekocht haben. Da haben wir wirklich ein Problem, weil wir heute keine drei Generationen mehr in einer gemeinsamen Wohnstätte haben. Also ist es unter anderem auch deshalb bedeutend schwieriger geworden, in der Familie eine solche Erziehung zu machen.
Das Nächste ist, dass die Jugendlichen in der Altersstufe, in der wirklich noch einmal prägend etwas stattfindet, nämlich in der Pubertät, in der Regel am wenigsten auf die eigenen Eltern hören. Eine Frage ist auch, Herr Walter: Sie haben
gesagt, die Eltern müssten in die Pflicht genommen werden. Wie machen Sie das denn? Verfassen Sie ein neues Gesetz, oder wie stellen Sie sich das vor? Das wird immer so locker gesagt, aber wie man es tatsächlich machen soll, hat mir noch keiner erläutert.
(Abg. Walter GRÜNE: Ich habe es im Zusammen- hang mit Bewusstseinsbildung gesagt! – Abg. Zel- ler SPD: Das ist doch Quatsch! Es geht doch um den Erziehungsauftrag, nicht um Gesetze!)
Also müssen die Kindergärten und Schulen – ich stimme da völlig mit Ihnen überein – eine gewisse Aufgabe übernehmen. Aber die Aussage „in die Pflicht nehmen“ – Entschuldigung – ist eine wirkliche Leerformel, wenn sie hier gebracht wird. Das ist nur ein Abwimmeln von Verantwortung.
In den Kindergärten und an unseren Schulen sind die Fachfrauen für Kinderernährung aktiv tätig und unterstützen Erzieherinnen und Lehrkräfte, die in dieser Thematik aktiv sind. Es hängt aber immer von den handelnden Personen ab, ob etwas stattfindet oder nicht. Wir müssen alle, die sich da aktiv engagieren, wirklich massiv unterstützen und sagen, dass Gutes getan wird.