Protocol of the Session on March 31, 2004

Darüber kann man mit Rot-Grün, mit der Bundesregierung gut reden; das sind ja gar keine Objekte des Streits. Die

wirklichen Streitpunkte haben Sie nicht genannt – oder sie waren zwischen den Zeilen versteckt. Auf der Ebene der Verfahren sind alle bereit zu schauen, wie Lücken geschlossen werden können und wie man effizienter arbeitet. Dass es da Verbesserungsmöglichkeiten gibt, ist überhaupt nicht Gegenstand der Diskussion.

Wir sagen auch: Man kann durchaus schauen, wie man in besonders dringlichen Fällen das Verfahren straffen kann. Herr Theurer hat es eben erwähnt. Es ist sicher durchaus denkbar, nur eine Instanz zu schaffen – am besten das Bundesverwaltungsgericht –, um ein Ausweisungsverfahren in besonders dringenden Fällen zu beschleunigen. Das ist keine Frage. Aber das, was Sie im Bund tatsächlich verlangen, ist doch etwas anderes. Lassen Sie uns einmal darüber reden, was Sie eigentlich wollen.

Sie wollen das Ausweisungsrecht verschärfen. Aber da besteht überhaupt kein Handlungsbedarf; wir sind da hervorragend aufgestellt. Im Jahr 2001 wurde ein umfassendes Antiterrorpaket verabschiedet, welches neue rechtliche Möglichkeiten geschaffen hat. Das ist eine Grundlage, auf der wir angemessen agieren können. Auch heute ist es schon so, dass Menschen, die nachweislich aktiv in terroristische Aktivitäten oder in deren Vorbereitung verstrickt sind, unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung abgeschoben werden können. Das ist die gültige Rechtslage. Sie wollen an dieser Rechtslage etwas verändern, indem Sie zusätzlich bereits lediglich bei Verdacht abschieben wollen.

(Abg. Pauli CDU: Bei konkreter Gefährdung!)

Da geht es tatsächlich an die Substanz: Was gelten Menschenrechte in diesem Land? Was gilt die Europäische Menschenrechtskonvention in diesem Land? Und gelten solche Grundsätze auch für unser Ausländerrecht? Daran zu rütteln, dabei machen wir nicht mit. Über alles andere können Sie mit uns reden.

Auf Bundesebene wird ein zweiter Vorschlag der Union diskutiert, den Sie heute gar nicht erwähnt haben. Das ist der Einsatz der Bundeswehr im Innern. Mir ist einfach nicht nachvollziehbar, wie Sie die Sicherheit im Land erhöhen wollen,

(Abg. Wieser CDU: Was hat das jetzt mit dem Thema zu tun?)

wenn Sie jetzt Panzer vor die Bahnhöfe stellen oder die Wehrpflichtigen durch die Züge patrouillieren lassen. Aber das sind doch die Dinge, die Sie auf Bundesebene durchsetzen wollen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wir haben noch andere Soldaten als Wehrpflichtige!)

Das macht emotional für die Diskussion vielleicht Sinn, aber sachlich für die effektive Erhöhung der Sicherheitslage überhaupt nicht.

(Beifall bei den Grünen)

Sie arbeiten auf Bundesebene tatsächlich daran, so etwas wie eine Ausnahmeklausel zu schaffen, die es Ihnen ermöglicht, im Bereich der Abschiebung und der Ausweisung Ab

striche von der Europäischen Menschenrechtskonvention zu machen. Dabei werden wir nicht mitmachen. Wir verteidigen die Freiheit, nicht ihren Abbau. Wir kommen nicht darum herum, die unabweisbaren Belange der inneren Sicherheit und die Bürgerrechte miteinander in Einklang zu bringen und sie nicht gegeneinander auszuspielen.

Die Grünen werden bis zum Ende dieser Verhandlungen dafür kämpfen, dass eine Prophezeiung, die Heribert Prantl vor kurzem in der „Süddeutschen Zeitung“ gemacht hat, nicht eintritt.

(Abg. Wieser CDU: Wie beim Emissionsschutz werden Sie kämpfen!)

Er hat vor kurzem gesagt, dem Zuwanderungsgesetz werde es so ergehen wie dem Hans im Glück im Märchen von Hans im Glück.

(Abg. Wieser CDU: Und dann sind Sie wie Hans im Glück abgezogen!)

Der hat mit einem Goldklumpen in der Hand angefangen. Dann hat er ihn eingetauscht gegen ein Pferd, gegen eine Kuh, gegen ein Schwein, gegen eine Gans, und am Ende hatte er einen Wetzstein in der Hand. Wir werden dafür sorgen, dass das Zuwanderungsgesetz nicht zum Wetzstein für eine Verschärfung des Ausländerrechts wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Wieser CDU: Jetzt hat sie mit den Bremer Stadtmusikanten aufgehört!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Wahl der Mitglieder zur 12. Bundesversammlung

Meine Damen und Herren, nach der Bekanntgabe der Bundesregierung vom 16. Januar 2004 über die Zahl der von den Volksvertretungen der Länder zu wählenden Mitglieder der Bundesversammlung hat der Landtag von Baden-Württemberg 75 Mitglieder zu wählen.

Für die Wahl gelten die §§ 3 und 4 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung. Zur Bundesversammlung ist wählbar, wer zum Bundestag wählbar ist.

Der Landtag wählt die auf das Land entfallenden Mitglieder nach den Vorschlägen der Fraktionen, die zu einer gemeinsamen Liste (Anlage 3) verbunden sind. Dabei hat jeder Abgeordnete eine Stimme. Ihnen liegt die gemeinsame Vorschlagsliste aller vier Fraktionen vor.

Dazu meldet sich Herr Abg. Kretschmann. – Bitte schön.

Herr Präsident, auf Platz 16 der Liste der CDU wird vorgeschlagen: S. K. H. Carl Herzog von Württemberg. Er ist ein verdienter Bürger dieses Landes, der sich in verschiedener Hinsicht in den zivilgesellschaftlichen Institutionen Baden-Württembergs engagiert, den wir gerne mitwählen.

Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es in Baden-Württemberg königliche Hoheiten nicht gibt. Ausweislich Artikel 23 der Landesverfassung ist Baden-Württemberg eine Republik. In dieser Republik kann es keine Herzöge, Fürsten oder Könige geben, sondern der Herzog von Württemberg heißt nur so.

Die Grünen wählen diese verdiente Person gern mit, aber wir wollen nicht über den Umweg der Wahl der Bundesversammlung die Monarchie in Baden-Württemberg wieder einführen.

(Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Abg. Wieser CDU: Sehr gut! Das war jetzt was! Gott sei Dank haben wir jetzt die Klarstellung, dass wir bei der Republik bleiben! – Unruhe)

Darf ich dann mit dieser Klarstellung davon ausgehen, dass die Wahl offen durchgeführt und dass deshalb durch Handzeichen abgestimmt werden kann? Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.

Wer die in der Vorschlagsliste der Fraktionen aufgeführten Damen und Herren zu ordentlichen bzw. Ersatzmitgliedern der 12. Bundesversammlung wählen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit sind die in der Vorschlagsliste genannten Damen und Herren einstimmig zu ordentlichen Mitgliedern bzw. Ersatzmitgliedern gewählt.

Punkt 3 der Tagesordnung ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP/DVP und der Fraktion GRÜNE – Einsetzung einer Enquetekommission „Demografischer Wandel – Herausforderung an die Landespolitik“ – Drucksache 13/3049

b) Wahl der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder der Enquetekommission

Das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Reichardt.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Demografischer Wandel – Herausforderung an die Landespolitik“, so ist der jetzt zu behandelnde Antrag aller vier Fraktionen hier im Landtag von BadenWürttemberg überschrieben. Es ist ein Antrag und zugleich ein Auftrag. Denn wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen uns gemeinsam daran, dem Thema auf den Zahn zu fühlen: Wie wird unsere Gesellschaft in 10, 20, 30, 40 Jahren aussehen? Wie wird unser Land Baden-Württemberg dann aussehen? Was ist abzusehen? Was ist zu tun, um eine gerechte Balance zwischen der notwendigen wirtschaftlichen Freiheit und sozialer Sicherheit dauerhaft und über die Generationen hinweg zu gewährleisten? Wohin geht gesellschaftspolitisch die Reise in Deutschland und im deutschen Süden?

Meine Damen und Herren, „Enquete“ meint im Französischen das Erfragen, Erforschen und Herausfinden. Die Aufgabe der Kommission ist damit definiert: nicht Ideologie, sondern Fundierung konkreter Sachaussagen und Definition sachpolitischer Zukunftsaufgaben. Hier freue ich mich auf enge interfraktionelle Zusammenarbeit.

(Abg. Drexler SPD: Auf „enge“ freut er sich!)

Die FDP/DVP-Fraktion, meine Damen und Herren, hat die Einsetzung der Enquetekommission quasi federführend beantragt, und alle vier Fraktionen dieses hohen Hauses waren daran beteiligt, die Antragstellung zu erarbeiten.

Meine Fraktion, meine Damen und Herren, hat am 30. Januar 2003 hier im Landtag eine erste Anhörung „Demografischer Wandel – Herausforderung für die Politik“ veranstaltet. In Zukunftsverantwortung hat der Fraktionsvorsitzende Günther Oettinger damals ausgedrückt, worum es geht. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: „Durch rechtzeitiges Umsteuern Havarie des Tankers Deutschland verhindern“. Das klingt dramatisch, das wird aber zwischenzeitlich, mehr als ein Jahr später, von mehr und mehr Menschen im politischen Bereich und von ganz einfachen Bürgerinnen und Bürgern, die mit den Themen mehr aus dem Bauch heraus umgehen, genauso gesehen und sehr, sehr ernst genommen. Es ist gut und richtig, dass der Landtag von Baden-Württemberg jetzt darangeht, zu diesem Themenkreis fundiert Antworten zu suchen.

„Mit dem Anstieg des durchschnittlichen Wähleralters werden Reformen immer schwieriger“, prognostizierte bei der damaligen Anhörung der CDU-Fraktion Professor Dr. Axel Börsch-Supan von der Universität Mannheim, in Deutschland einer der führenden Fachleute für das Thema „Bevölkerungsaufbau und Zukunftsgestaltung“.

Meine Damen und Herren, ich meine in der Tat, ohne den Inhalten der Arbeit vorgreifen zu wollen: Wir brauchen einen umgekehrten Generationenvertrag, und die älteren Menschen sind eingeladen, den Reformweg offensiv und mit Zukunftsoptimismus mit zu begleiten, damit die jungen Menschen, die in Zukunft insbesondere in Italien, in Deutschland und in den Beneluxstaaten relativ wenige sein werden im Vergleich zur Zahl der älteren Menschen, eine faire Zukunftschance haben.

„Kein Wirtschaftsleben, keine Familie, kein häusliches Leben wird künftig so funktionieren, wie es derzeit funktioniert.“ Diese Zukunftsprognose gab der amerikanische Wissenschaftler Ken Dychtwald 1999 in seinem Bestseller „Age Power“. Und in einem Sammelband „Schrumpfende Bevölkerung – wachsende Probleme“, der bereits 1978 in München erschien – damals weitgehend unbeachtet –, wird in einem zentralen Beitrag klar die Frage gestellt: Generationenkonflikt – neue Dimension gesellschaftlicher Auseinandersetzungen?

Diese Frage haben wir, gemessen am Erscheinen des Buches vor mehr als 25 Jahren, gewissermaßen um ein Vierteljahrhundert vertagt und greifen sie jetzt hier im Landtag von Baden-Württemberg für unser Bundesland auf. Der Autor dieses Beitrags „Generationenkonflikt – neue Dimension gesellschaftlicher Auseinandersetzungen?“ regte schon damals mit vielen seiner Aussagen zum Nachdenken und

zum Handeln an. Es war übrigens Heiner Geißler, gerade in den Siebzigerjahren ein sozialpolitischer Pionier in Deutschland.

Meine Damen und Herren, die Aufgabe an die Kommission ist gestellt. Sie sehen anhand der Ihnen vorliegenden Drucksache die Namen der Damen und Herren, die seitens der CDU-Fraktion die Arbeit der Kommission als Mitglieder und als stellvertretende Mitglieder begleiten werden. Es ist eine Arbeit, die sehr in den Konsens der gemeinsamen Analyse dieses hohen Hauses hineinragt bei der Fragestellung: Worum geht es in der Zukunft? Wie werden wir unserem Auftrag gerecht, als Land Baden-Württemberg stark und zukunftsfähig zu bleiben und für die künftigen Generationen zu handeln, ohne die Interessen derjenigen, die heute noch im Arbeitsprozess oder ältere Menschen sind, zu vernachlässigen?