Protocol of the Session on March 10, 2004

Das sind Dinge, die ein Abteilungsleiter natürlich nicht in seine Rechnung einbeziehen kann, aber wir als Politiker müssen sie einbeziehen. Ich bin der festen Überzeugung, es ist ein Unterschied, ob einer in Deutschland demnächst 42 % – bisher waren es 48,5 % – bezahlen muss oder ob er 25 % bezahlen muss. Ich bin überzeugt, es käme Kapital zurück. Deswegen sollte man sehen, dass das System zumindest auf mittlere Sicht aufkommensneutral sein kann.

Übergangsprobleme: Zugegeben, die sind so, wie es gerechnet worden ist, am größten bei Professor Kirchhof: Im ersten Jahr 42 Milliarden €, und dann geht es langsam zurück, und zwar irgendwann bis auf 11 Milliarden €. Ich kann Ihnen mit wenigen Sätzen sagen, dass dies wohl heilbar ist. Es ist auch so mit ihm besprochen, dass es heilbar ist. Woher kommen diese großen Ausfälle? Für die gibt es zwei Hauptgründe.

Der erste ist der, dass ja vierteljährliche Vorauszahlungen geleistet werden müssen. Wenn diese Vorauszahlungen aufgrund der alten, schmalen Basis mit dem niedrigen Steuersatz geleistet werden, werden die Vorauszahlungen natürlich dramatisch zurückgehen. Allerdings werden sie nach eineinhalb oder zwei Jahren, wenn dann die Steuerveranlagung kommt, wieder entsprechend steigen. Das ist das Erste.

Zweitens machen die Arbeitnehmer – und um die geht es – jedes Jahr im Frühjahr einen Lohnsteuerjahresausgleich und bekommen da sehr viel Geld zurückgezahlt. Das gäbe es

(Minister Stratthaus)

bei Kirchhof nicht mehr, weil durch seinen Tarif von 25 % die Arbeitnehmer in den allermeisten Fällen gleich gar nicht mehr zu viel zahlen würden. Bisher geben also die Arbeitnehmer dem Staat für wenige Monate einen zinslosen Kredit. Daher stammt das Zweite. Aber es ist keine Frage: Wir hätten diesen Liquiditätsentzug, wenn da nichts gemacht würde. Es wird an Möglichkeiten zu arbeiten sein, diese Übergangsprobleme zu bereinigen.

Ein Letztes noch, die Verteilungsgerechtigkeit. Diesen Punkt müssen wir natürlich auch sehen. Dabei gehen wir einmal davon aus, dass gerecht ist, was der gegenwärtige Zustand ist. Man kann sich immer darüber streiten, was gerecht ist.

Zunächst einmal beinhaltet gerade das System Kirchhof – das gilt aber auch für die anderen Systeme – eine sehr, sehr starke Familienkomponente. Das heißt, dass sich Geringverdiener mit Familie besser stellen als bisher. Für jedes Familienmitglied gibt es ja zunächst einmal einen Steuerfreibetrag von 10 000 €, und außerdem gibt es ein höheres Kindergeld für die einzelnen Kinder. Das ist die Familienkomponente.

Jetzt muss ich etwas sagen, was bisher relativ wenig bekannt ist: Das System Kirchhof beinhaltet ja nicht nur einen neuen Steuertarif, sondern auch ein neues Bilanzsteuerrecht. Kirchhof will die Bemessungsgrundlage nicht nur bei den Arbeitnehmern, bei denen es darum geht, dass zum Beispiel die Entfernungspauschale abgeschafft wird, sondern auch bei den Unternehmen beträchtlich erweitern. Er will nämlich die Abschreibungsbedingungen aus der Sicht der Unternehmen verschlechtern, will ich einmal sagen, und er will eine Reihe von anderen Steuermaßnahmen so treffen – zum Beispiel bei der Ansetzung des Umlaufvermögens in der Jahresbilanz –, dass mehr Steuern zu zahlen sind. Bei Kirchhof wird es auch zu einer Versteuerung der stillen Reserven kommen. Von dieser Seite her werden auch die Unternehmen belastet.

Das Bilanzsteuerrecht ist natürlich schwierig. Das ist die alte Diskussion mit dem Bierdeckel: Wenn ich einmal weiß, wie hoch mein zu versteuerndes Einkommen ist, kann ich das Ganze auf einem Bierdeckel ausrechnen. Aber die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens erfordert natürlich mehrere Bierdeckel.

(Abg. Drexler SPD: Das kann man aber heute schon! – Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Ich glaube, da sind wir uns einig.

Deswegen noch einmal zur Verteilungsgerechtigkeit: Sie müssen wissen: Kirchhof verbreitert die Bemessungsgrundlage ganz beträchtlich auch bei den Unternehmern. Deswegen wird die Verteilungsgerechtigkeit auch von dieser Seite her zumindest nicht so aussehen, wie sie hier geschildert worden ist.

Alles in allem, meine Damen und Herren: Helfen Sie uns, zu einem neuen Steuerrecht zu kommen! Wir brauchen mehr Wachstum. Die SPD befindet sich zurzeit in einem Stimmungstief. Das ist aber deshalb der Fall, weil wir so wenig Wachstum und eine so hohe Arbeitslosigkeit haben. Helfen Sie uns, ein neues Steuerrecht zu schaffen! Dann

werden wir eine wesentlich niedrigere Arbeitslosigkeit haben.

(Zuruf von der SPD)

Vielleicht wird sich sogar die Stimmung für die SPD etwas verbessern.

(Abg. Drexler SPD: Aber nicht beim Kirchhof-Mo- dell!)

Wenn wir weniger Arbeitslose haben, bin ich sogar bereit, eine leichte Besserung bei der Stimmung für die SPD hinzunehmen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Drexler.

(Abg. Alfred Haas CDU: Was will der jetzt noch sagen?)

Da werdet ihr euch wundern. – Herr Finanzminister, vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Dieser Beitrag unterscheidet sich völlig von dem, worüber wir in diesem Haus im letzten halben Jahr diskutiert haben. Sie haben völlig anders argumentiert. Ihre jetzige Argumentation war, das sei nur ein Vorschlag, über Verteilungsgerechtigkeit und die Abschaffung von Subventionen müsse man noch diskutieren. Dazu muss ich immer wieder sagen: Das ist deswegen unglaubwürdig, weil wir im Dezember letzten Jahres eine Diskussion über den Abbau von Subventionen hatten und FDP und CDU im Bundesrat einen solchen Schritt gänzlich abgelehnt haben.

(Zurufe der Abg. Dr. Noll FDP/DVP und Alfred Haas CDU)

Jetzt sage ich noch etwas zu Ihrer Rede. In NordrheinWestfalen läuft ein Steuervereinfachungsverfahren. Man wird sehen, wie es ausgeht.

Zweitens: Wir haben die Steuersätze drastisch gesenkt. Ich weiß gar nicht, in welchem Land Sie leben, Herr Kollege von der FDP/DVP oder Herr Scheffold. Wo leben Sie denn eigentlich? Wir hatten 1998 einen Spitzensteuersatz von 53 %. Den führen wir jetzt auf 42 % zurück.

(Abg. Schmiedel SPD: So ist es!)

Sie sind jahrelang bei 53 % geblieben. Das war nicht die von der SPD und den Grünen geführte Bundesregierung. Nummer 1.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Nummer 2: Den Eingangssteuersatz führen wir von 25,9 % auf 15 % zurück. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Wo leben Sie denn?

(Abg. Capezzuto SPD: Wo denn?)

Ein um über zehn Prozentpunkte niedrigerer Eingangssteuersatz!

Eine Familie mit zwei Kindern muss unter Einrechnung des Kindergelds zukünftig bis zu einem Einkommen von 37 650 € keine müde Mark mehr an Einkommensteuer zahlen. 37 000 €! Wo leben Sie eigentlich?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wir haben die Körperschaftsteuer von über 45 % auf 25 % gesenkt. Mit diesem Körperschaftsteuersatz befinden wir uns mit an der Spitze in ganz Europa und vor den USA. Wenn Sie hier erzählen, es habe keine Steuerentlastung gegeben, muss ich Sie fragen: Wo leben Sie eigentlich?

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Die Bundesregierung hat die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1998 um 60 Milliarden € entlastet, und zwar gleichberechtigt den Mittelstand, die großen, aber auch die kleinen Einkommen, Herr Finanzminister. Auf das Argument der Belastung der kleinen Einkommen komme ich noch zu sprechen.

Wenn Sie ein einfaches Steuerrecht wollen,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Da sind wir uns ei- nig!)

bei dem keine dramatischen Steuerausfälle entstehen und die kleinen Einkommen nicht zur Subventionierung der Reduzierung des Spitzensteuersatzes herangezogen werden – bei allen zurzeit diskutierten Modellen werden sie dazu herangezogen; darauf komme ich noch zurück –, bei dem die kleinen Einkommen also am Ende nicht mehr Steuern zahlen müssen, dann kann man mit uns darüber reden. Nur: Ein solches Modell gibt es derzeit nicht, Herr Finanzminister, auch nicht von Ihnen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Drexler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Scheffold?

Bitte, Herr Scheffold.

Herr Scheffold.

Herr Kollege Drexler, darf ich die Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben, dahin gehend verstehen, dass Sie der Auffassung sind, dass alles so bleiben soll, wie es ist?

(Zuruf von der SPD: Nicht zugehört! – Abg. Teß- mer SPD: Er ist taub!)

Nein. Ich habe doch gerade gesagt, man könne mit uns darüber reden. Wir können uns sogar darauf einigen, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und durch diese Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Steuersätze zu reduzieren; dieser Meinung sind wir. Nur: Dann müssen Sie einmal auf den Tisch legen, was Sie bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage machen wollen, welche Subventionen Sie abschaffen wollen. Sagen Sie es vorher, dann können wir darüber diskutieren. Aber nach den Erfahrungen im vergangenen Dezember können Sie nicht mehr einfach sagen: „Wir haben mit dem Kirch

hof-Modell ein tolles und einfaches Modell. Jetzt lege mal wieder etwas vor, Bundesregierung!“ Jetzt sind Sie in Vorleistung getreten.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellt sich schon die Frage, was wir jetzt – –

(Der Redner setzt versehentlich die auf dem Red- nerpult zurückgelassene Brille von Finanzminister Stratthaus auf.)