Ich kann nicht beschwören, dass das Steuerkonzept von Kirchhof tatsächlich so unsozial wäre. Welche Verteilungswirkung die Abschaffung der Ausnahmetatbestände tatsächlich hat, wissen weder Kirchhof noch Herr Teufel, noch die Finanzministerien, die das Gutachten erstellt haben. Das ist also gar nicht klar, und das ist ein Grund dafür, dass es ein hohes Risiko wäre, solche Steuersätze sofort einzuführen. Deswegen kann man das nicht tun.
Zweitens ist dargelegt worden, dass das größte Problem beim Kirchhof-Konzept anderswo liegt. Das hat Kollege Drexler schon ausführlich dargestellt. Der Vorschlag soll aufkommensneutral sein, ist es aber nach den Berechnungen der Länderfinanzminister offenkundig nicht. Ich nehme nicht an, dass sie sich alle kollektiv geirrt haben und dass der Beamtenschaft nur Leute angehören, die überhaupt nicht rechnen können. Das halte ich für ausgeschlossen.
Es bleibt eine dauerhafte Deckungslücke von 11 Milliarden €. Die Steuerausfälle im Übergang sind gewaltig – bis zu 40 Milliarden €. Beides ist entschieden zu viel. Sowohl die Übergangsausfälle als auch die strukturellen Ausfälle sind nicht finanzierbar. Daher macht auch Kirchhof mit seinem Steuersatz von 25 % ein Versprechen, das er nicht halten kann. Und solche Versprechen lehnen wir ab.
Wir brauchen also ein einfacheres Steuersystem, aber eines mit Steuersätzen, die uns auch die nötigen Einnahmen bringen, weil wir diese Einnahmen nicht nur zum Abbau der Schulden brauchen, sondern vor allem auch – das hat die vorherige Debatte gezeigt –, um in Forschung, Entwicklung und Bildung zu investieren. Dafür brauchen wir mehr Ressourcen und nicht weniger. Deswegen muss eine Steuerreform weitgehend aufkommensneutral sein. Jetzt kommt es nicht darauf an, den Leuten weitere Versprechungen auf Steuersenkungen zu machen, sondern darauf, unser Steuersystem grundlegend zu vereinfachen. Das ist das Gebot der Stunde
und nicht, wie Sie es tun, unaufgestellt Versprechungen zu machen und Erwartungen zu wecken, die hinterher nicht einzuhalten sind.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, mit dem wir es heute zu tun haben, ist ein sehr ernstes Thema. Ich glaube, der Ton, der von Teilen der Opposition angeschlagen worden ist, entspricht nicht dem Ernst des Themas.
Ich will deswegen versuchen, ganz sachlich zu sein, und bestimmte Dinge einmal klarstellen. Denn es ist vieles gesagt worden, was einfach nicht richtig ist. Ich will einmal versuchen, das wirklich ganz objektiv darzustellen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Capezzuto SPD: Na ja! – Abg. Walter GRÜNE: Es wird bei dem Versuch blei- ben!)
Zunächst einmal: Warum brauchen wir ein neues Steuerrecht? Wir alle wissen, dass es für die deutsche Wirtschaft schlecht aussieht.
Wir stehen in der Zwischenzeit, was das Wachstum betrifft, seit Jahren an der letzten Stelle. Was die Arbeitslosigkeit betrifft, stehen wir an zweit- oder drittletzter Stelle. Es muss etwas geschehen. Wir brauchen Reformen. Darüber sind sich alle einig. Wir brauchen Reformen im Arbeitsrecht, Reformen im Tarifrecht, Reformen im Sozialrecht. Sie haben das ja mit Ihrer Agenda 2010 auch anerkannt. Wir brauchen auch Reformen im Steuerrecht.
Ich sage nun auch als Finanzminister: Die notwendige Reform des Steuerrechts ist nicht einmal das Allerwichtigste. Ich behaupte, dass die Arbeitsmarktreformen und die Tarifreformen viel wichtiger sind.
Wir brauchen ein neues Steuerrecht. Ich sage einmal ganz bewusst: Wir brauchen kein neues Steuertarifrecht, sondern ein neues Steuerstrukturrecht. Wir brauchen wirklich neue Steuerstrukturen. Das ist in der Rede von Herrn Kretsch
mann einige Male angeklungen. Wichtig ist zunächst einmal, sich über die Strukturen zu unterhalten. Anschließend kann man über die Tarife sprechen.
Wir brauchen ein Recht, das einfach ist. Wir brauchen ein Recht, das gerecht ist. Darüber wird man politisch streiten müssen. Wir brauchen vor allem ein Recht, das investitionsfördernd wirkt.
Wir brauchen ein Steuerrecht, das sich darauf beschränkt, dem Staat die notwendigen Finanzmittel zu beschaffen,
wie es in den letzten 30 Jahren – ich sage das ganz bewusst – leider immer stärker der Fall geworden ist. Es ist keine Frage: Wir brauchen grundsätzlich ein neues Steuerstrukturrecht.
Wie sieht es zurzeit mit den Reformvorschlägen in Deutschland aus? Der Bundeskanzler hat, offensichtlich in einer gewissen Hochstimmung, nach dem Vermittlungsverfahren deutlich gemacht, dass er auch bereit ist, ein grundsätzlich neues Steuerrecht zu schaffen, und zwar auch im Konsens mit anderen politischen Kräften. Leider hört man davon nichts mehr, wie man überhaupt nicht mehr arg viel vom Bundeskanzler hört.
Von Herrn Müntefering ist nicht zu erwarten, dass er hier große Fortschritte und Vorschläge machen wird.
Nun hat die CDU in Leipzig in der Tat einen Vorschlag gemacht, dem wir zugestimmt haben. Diesen Vorschlag hielten wir für sehr gut, für noch verbesserungsfähig, aber bereits für sehr gut. Ich sage das auch als Mitglied der CDU: Das, was am letzten Sonntag in Berlin beschlossen worden ist, ist nicht genügend.
Wenn wir jetzt eine Steuerstrukturreform vornehmen wollen, dann ist das keine Reform für das nächste und das übernächste Jahr, sondern eine Reform, die in ihren Strukturelementen 20, 30 Jahre halten soll. Es ist keine Reform, die jedes Jahr angepasst wird. Deswegen, meine Damen und Herren, können wir auch nicht sämtliche Berechnungen auf die schlechte Finanzlage der Haushalte 2002 oder 2003 beziehen. Wir müssen natürlich darauf achten, dass der Staat genug Geld hat. Aber die zufällige Basis extrem schlechter Haushaltsjahre können wir nicht heranziehen, wenn wir für die nächsten 20 oder 30 Jahre ein neues Steuerrecht schaffen wollen.
Ich wollte nicht polemisch werden, aber wenn man so provoziert wird, dann bin ich auch kein Heiliger.
Es gibt bereits viele gute Ansätze – sie sind vorhin genannt worden –, die im Grunde genommen auch viele Gemeinsamkeiten haben: nämlich erstens weg mit den Subventionen,
zweitens weg mit den Ausnahmen und drittens herunter mit den Steuersätzen. So stimmt natürlich noch jeder zu.