Protocol of the Session on January 29, 2004

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Nun zum Stichwort „Restrukturierung der Hauptschulen“. Damit gehe ich auch auf einen Antrag ein, der in diesem Fall wiederum von den Grünen eingebracht wurde.

Zunächst einmal fällt es schwer, den Begriff Restrukturierung nachzuvollziehen. Deswegen würde ich fast vorschlagen, diesen Begriff in die Auswahl zum „Unwort des Jahres“ aufzunehmen.

(Zuruf des Abg. Stickelberger SPD)

Ich glaube, liebe Frau Kollegin Rastätter, meine Damen und Herren, man muss das Kind beim Namen nennen. Was bedeutet eine Restrukturierung? Sie wollen eine Schließung von kleineren Hauptschulstandorten. Nennen Sie das Kind doch beim Namen.

(Zuruf des Abg. Schmid SPD)

Wir verstehen Bildungspolitik als eine Politik auch für den ländlichen Raum.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Pfister FDP/DVP)

Wir wollen keine Schließung von kleineren Hauptschulen. Vielmehr muss man berücksichtigen, dass wir von insgesamt 1 200 Hauptschulen in der gesamten Fläche in BadenWürttemberg etwa 400 kleinere Hauptschulen haben, auch an isolierten Standorten. Vor diesem Hintergrund wäre es verheerend, wenn wir dort jetzt eine Schließungsdiskussion oder eine Zusammenlegungsdiskussion in die Wege leiten würden. Mit uns ist dieser Prozess nicht zu machen.

Wir dürfen auch einmal gespannt sein, die Auswertung der IGLU-Studie zu verfolgen. Darüber lässt sich heute noch nicht allzu viel sagen. Aber der Verdacht liegt natürlich nahe, dass Baden-Württemberg auch aus dem Grund gut abgeschnitten hat, weil eine besondere Stärke in der Dezentra

lität unserer Schulstruktur liegt und auch kleinere Schuleinheiten eine besondere Leistungsstärke aufweisen.

(Abg. Seimetz CDU: Richtig!)

Diese Leistungsstärke, verbunden mit einer hohen Qualität, wollen wir nicht einem Kürzungsvorschlag opfern.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Mit uns wird es diese Standortdiskussion hier im Landtag von Baden-Württemberg nicht geben.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben, meine Damen und Herren, im Haushalt weitere Schwerpunkte gesetzt. Das ist zum einen ein Schwerpunkt in der Jugendpolitik und zum anderen ein Schwerpunkt in der Sportpolitik. Zum sportpolitischen Bereich wird Kollegin Brunnemer in der zweiten Runde Ausführungen machen.

In der Jugendpolitik lassen sich in einzelnen Bereichen Kürzungen nicht gänzlich vermeiden. Ich darf aber darauf hinweisen, dass bei der kürzlich abgehaltenen Anhörung im Schulausschuss die Vertreter des Landesjugendrings gesagt haben, sie seien im Großen und Ganzen bereit, zunächst einmal einen Sparbeitrag zu erbringen. Sie haben sich dafür bedankt, dass man sie mit Sparmaßnahmen weitgehend verschont hat.

Wir werden die Stellen der Bildungsreferenten, lieber Kollege Kleinmann, für die wir uns gemeinsam engagiert haben, im Zuge der Umsetzung der Handlungsempfehlungen der Jugendenquetekommission bedarfsgerecht ausbauen. Wir sind froh, dass wir es gemeinsam geschafft haben, hier keine Kürzungen vorzunehmen. Das ist ein besonderer Schwerpunkt der außerschulischen Jugendarbeit. Deswegen konnten wir die zentralen Punkte der außerschulischen Jugendarbeit in diesem Haushaltsplanentwurf berücksichtigen.

Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Seimetz CDU: Sehr gute Rede!)

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Wir sind froh und stolz, dass unsere Grundschüler bei der IGLU-Studie so hervorragend abgeschnitten haben,

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

obwohl, meine Damen und Herren,

(Abg. Hauk CDU: „Obwohl“! Das war doch klar! – Abg. Seimetz CDU: Jetzt kommt schon „aber“!)

Professor Bos darauf hingewiesen hat – Herr Seimetz, wenn Sie lesen können, kann ich Sie darauf hinweisen: in der „Stuttgarter Zeitung“ ist ein Interview zu lesen –,

(Abg. Seimetz CDU: Ich würde den PISA-Test be- stehen!)

dass die Unterschiede zwischen den meisten Bundesländern relativ gering sind; aber wir sind Spitzenreiter, und darüber sind wir froh.

(Beifall bei der SPD)

Wir bedanken uns, meine Damen und Herren, ausdrücklich für die gute Arbeit der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer.

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Wir bedanken uns dafür, dass diese Lehrkräfte es offensichtlich verstehen, mit einer heterogenen Schülerschaft umzugehen. Die entscheidende Frage ist doch: Weshalb endet die Erfolgsstory Grundschule nach der vierten Klasse? Bei PISA liegt Baden-Württemberg international im Mittelfeld. Das ist erschreckend, wie Professor Bos gestern deutlich gemacht hat. Aber dazu nachher mehr.

Der vorliegende Haushaltsentwurf und die Beratungen darüber zeigen, dass weder die CDU noch die FDP/DVP die Notwendigkeit bildungspolitischer Weiterentwicklung unseres Schulwesens wirklich erkannt haben.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Blech!)

Bildung ist die Grundvoraussetzung für unser gesellschaftliches und persönliches Wohlergehen. Bildung ist die Voraussetzung für Innovation und wirtschaftliche Entwicklung. Nach wie vor werden aber Erkenntnisse und Erfahrungen anderer Länder ignoriert und Mängel in unserem Bildungssystem nach dem Motto verdrängt: Nichts hören, nichts sehen. Ich sage nur: Schavanismus in Reinkultur.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oh-Rufe von der CDU – Abg. Seimetz CDU: Dieser arrogante Mensch!)

In der Anhörung des Schulausschusses haben wir von ausgewiesenen Experten gehört, wie Bildung schon in den frühen Jahren gestaltet werden muss, um später erfolgreich zu sein, um vor allem die Ungleichheit der sozialen Herkunft abzufedern; denn leider entscheidet auch in Baden-Württemberg die soziale Herkunft über die weiteren Bildungschancen und nicht die Leistungen. IGLU hat dies erneut bestätigt. Aus dem international bestenfalls mittelmäßigen Abschneiden bei der PISA-Studie wollten Sie nicht die richtigen Konsequenzen ziehen. Umso größer ist jetzt unsere Hoffnung, dass Sie vielleicht aus den guten Ergebnissen der IGLU-Studie lernen. Wenn nämlich die Grundschüler im Lesen deutlich besser abschneiden als die 15-Jährigen bei PISA, so spricht das für die Grundschularbeit und die Lernkultur der Grundschule.

Um es deutlich zu sagen: Die guten Ergebnisse werden gerade deshalb erreicht, weil die Kinder in einer heterogenen Lerngruppe erfolgreicher arbeiten. Dieses Lernprinzip haben offensichtlich sehr viele Fachleute begriffen, auch alle erfolgreichen PISA- und IGLU-Länder, nur nicht Sie in der Koalition. Sie scheinen ohnehin, wenn man so manche Äußerung hört, erkenntnisresistent zu sein. Wenn Sie schon mir nicht glauben, sollten Sie doch Frau Professor Rita Süssmuth glauben. Ich glaube, Sie haben irgendwo einmal Beziehungen zu Ihrer damaligen Frau Ministerin gehabt.

(Heiterkeit)

Sie hat als Mitglied des Kuratoriums der Bertelsmann-Stiftung deutlich gesagt und gefordert: Wir brauchen neue heterogene Lerngruppen.

Im Übrigen gibt es auch eine interessante Presseerklärung des Grundschulverbands, bezogen auf IGLU – ich zitiere –:

Der Ländervergleich darf nicht das deutsche Bildungsdilemma überdecken: Die deutschen Grundschüler stehen in ihren Leistungen insgesamt deutlich besser da als die 15-Jährigen. Das ist auch in Baden-Württemberg und Bayern so.

Die zentrale Frage muss deshalb lauten: Was läuft in den weiterführenden Schulen so falsch, dass das Leistungsniveau in den fünf Jahren der Sekundarschulen so deutlich absinkt? Die Antwort geben die erfolgreicheren Länder – sie trennen die Kinder nicht nach vier Jahren in unterschiedliche Schulen, sondern haben eine gemeinsame Schulzeit von mindestens acht Jahren.

(Abg. Kübler CDU: Jetzt kommt die Leier! – Abg. Wacker CDU: Haben Sie gestern nicht zugehört?)

Sie investieren mehr in die Förderung, zum Beispiel durch zusätzliche Förderlehrer. Sie geben Kindern in der Ganztagsschule viel mehr Zeit zum Lernen.

Das alles ist bekannt. Doch die deutsche Schulpolitik

damit sind Sie von der Koalition gemeint –

verschließt davor die Augen. Lieber feiert sie kleine Erfolge, wie jetzt die südlichen Länder beim Ländervergleich. Doch damit wird sich auf Dauer an der Bildungsmisere in Deutschland nichts ändern.

(Glocke des Präsidenten)