Herr Präsident, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion wird erst in zwei Wochen einen ganzen Nachmittag damit verbringen, sich mit Fachleuten mit diesem Thema auseinander zu setzen. Deshalb werde ich in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit – sie ist wahrlich zu kurz, um das Thema umfassend zu behandeln – eher persönliche Anmerkungen machen.
Ich empfehle dabei uns allen, eine Distanz zwischen unseren persönlichen, ethisch-moralisch oder religiös begründeten Urteilen und dem aufzubauen, was wir hier diskutieren, um offen zu bleiben für die Argumente anderer. Das enthebt uns freilich nicht der Notwendigkeit, Herr Kollege Reinhart, uns mit der Problematik intensiv und differenziert auseinander zu setzen.
Die Stammzellen, die jetzt importiert werden, sind keine so genannten totipotenten Stammzellen, aus denen neue Individuen entstehen können, sondern pluripotente Stammzellen. Deshalb ist das mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar. Das muss man wissen, um die Situation, vor der wir heute stehen, richtig beurteilen zu können.
Wir beobachten, dass die Frage in benachbarten europäischen Ländern anders geregelt ist als bei uns. Da wird dann häufig gesagt, wir Deutschen hätten aufgrund unserer katastrophalen historischen Erfahrung beim Umgang mit diesem Thema eine größere Verantwortung; wir hätten sensi
bler zu sein. Aber heißt das nicht im Umkehrschluss, dass ein Volk erst eine solche katastrophale Erfahrung machen muss, bevor es sozusagen zu „höherer“ Einsicht und Moral gelangt? Ich denke, das kann nicht sein.
Uns Deutschen wurde in die Verfassung geschrieben, dass der Schutz der Menschenwürde unantastbar ist. Aber daraus dürfen wir noch lange nicht schließen, dass den benachbarten Völkern in Europa, die schließlich auf der gleichen christlich-abendländischen Kultur basieren, der Schutz der Menschenwürde nicht gleich wichtig sei wie uns.
Deshalb empfehle ich uns allen, in der Debatte – dazu reicht heute die Zeit nicht – auch mit den Argumenten der benachbarten Staaten umzugehen, um zu verstehen, warum sie zu ihren Schlüssen gekommen sind, und um in Europa insgesamt eine Diskussion herbeizuführen und möglicherweise einmal auch zu einer einheitlichen Beurteilung der Lage zu kommen.
Darauf haben Sie, Herr Kollege Reinhart, auch hingewiesen. Allerdings stelle ich fest, dass Sie in Teilen durchaus Meinungen haben, die von denen abweichen, die von der Landesregierung bereits geäußert worden sind.
Wenn wir miteinander der Auffassung sind, dass der Schutz der Würde menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt und deshalb eine genetische Untersuchung, eine Auswahl oder gar eine wissenschaftliche Manipulation auf keinen Fall erlaubt ist, frage ich: Wie steht es dann mit dem Schutz der befruchteten Eizelle, die in vitro erzeugt, aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht in den mütterlichen Organismus eingepflanzt wird?
Dies ist ein logisches Problem, das zurzeit nicht zu lösen ist. Ich frage – etwas spitzfindig, aber immerhin logisch –: Muss man für jede befruchtete Eizelle, die nicht implantiert wird, einen mütterlichen Organismus suchen, damit sich das menschliche Leben zu einem Menschen entwickeln kann? Aber das ist auch nicht geschehen. Da ist die Debatte noch völlig ohne Antwort.
Wäre es dann nicht auch konsequent, die In-vitro-Fertilisation überhaupt zu verbieten oder auch die Einnistung eines befruchteten Eis zu verhindern, was als Schwangerschaftsverhütungsmethode heute völlig akzeptiert ist?
Wie steht es überhaupt – so muss man sich fragen – mit der Pränataldiagnostik, die heute eine gesellschaftliche Akzeptanz hat, die aber zu vergleichbar schwierigen Konflikten für die Mutter und die Eltern führen kann?
Ich rate Ihnen, sich einmal mit der Pränataldiagnostik auseinander zu setzen. Dabei müssen wir uns fragen, wie wir in den Beratungen Frauen bei der schwierigen Entscheidung auch schon vor der Schwangerschaft unterstützen können.
Und als Wichtigstes: Die Rolle der Frau spielt in dieser Diskussion eigentlich überhaupt keine Rolle. Dabei ist es
die Frau, ohne deren erklärten Willen befruchtete Eizellen überhaupt nicht zu einem Menschen heranreifen können. Das heißt, Voraussetzung ist, dass man überhaupt erst eine Frau hat, bevor ein Mensch entstehen kann. Welche Banalität eigentlich! Ich wünsche mir, dass dies in der Diskussion eine tiefer greifende Berücksichtigung findet.
Es wird argumentiert, bei einem Schwangerschaftsabbruch gebe es den unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer Mutter und dem werdenden Leben. Aber wenn es so ist, dass auch eine in vitro befruchtete Eizelle werdendes Leben ist und es sich nicht ohne die Mutter entwickeln kann, dann besteht aus meiner Sicht eine genauso innige Verbindung zwischen diesem befruchteten Ei und dem mütterlichen Organismus.
Der Deutsche Ärztetag favorisiert, wie wir wissen, eine Regelung der Präimplantationsdiagnostik mit ganz strengen Auflagen und nur in eng begrenzten Fällen. Dagegen wird nun argumentiert, damit sei dann der Damm gebrochen. Ich denke, es wäre letzten Endes ein Offenbarungseid der Politik, wenn wir meinten, mit solchen Regelungen nicht umgehen zu können.
Ist es die Angst vor Missbrauch? Missbrauch lässt sich nie ausschließen, erst recht dann nicht, wenn dem die Freiheit der Forschung gegenüberstünde.
Ist es die Angst vor der Unfähigkeit, klare Grenzen definieren zu können? Ich denke, dass es unsere politische Handlungsoption ist, hier die Grenzen einzuführen und deren Einhaltung auch zu kontrollieren.
Oder ist es die Angst vor einem Verlust an Akzeptanz von Behinderten in unserer Gesellschaft? Das ist eine wichtige Diskussion. Aber gegenwärtig gibt es überhaupt keine Anzeichen dafür, dass sich eine Gesellschaft in diese Richtung bewegt, auch nicht dort, wo die PID erlaubt ist und wo man mit diesen Dingen anders umgeht als bei uns. Im Gegenteil, ich stelle fest, dass in benachbarten europäischen Ländern die Akzeptanz und die Hineinnahme von Behinderten in die Gesellschaft häufig weiter fortgeschritten ist als gegenwärtig bei uns.
Ich persönlich halte es für denkbar, dass wir am Ende einer langen Debatte – und wir sind erst am Anfang – in Deutschland Zentren zur Präimplantationsdiagnostik einrichten können, damit die Betroffenen, die dann meistens aus sehr nachvollziehbaren Gründen entschlossen sind, diese Diagnostik durchführen zu lassen, nicht jenseits der Grenzen gehen müssen, sondern hier bei uns bleiben können und in die deutsche Rechtsordnung eingebettet sind. Ich halte dies für ein Ziel, das wir anstreben sollten.
Ich habe jetzt nicht über die wissenschaftliche Forschung geredet. Vielleicht gibt es dazu in der zweiten Runde noch Gelegenheit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen es sehr, dass diese Debatte jetzt auch im politischen Raum des Landtags von Baden-Württemberg aufgegriffen wird. Wir sind uns alle darüber einig – und ich glaube, dass dies das Erfreuliche ist –, dass dieses Thema nicht ausschließlich in Zirkeln, in Ethikräten diskutiert werden darf, sondern ganz breit diskutiert werden muss. Es handelt sich um Fragen, die im Zusammenhang mit neuen Möglichkeiten der Biound Gentechnologie schon lange andeutungsweise bekannt sind, aber mit beschleunigtem wissenschaftlichen Fortschritt immer drängender auch die Politik beschäftigen müssen.
Das kann nicht allein von der Politik, das kann nicht allein vom Wissenschaftler, das kann nicht allein von Ethikräten, sondern das muss in einem breiten gesamtgesellschaftlichen Diskurs geklärt werden. Das zum einen.
Zweite Bemerkung: Zum Thema dieser Aktuellen Debatte gehört ja auch „in Baden-Württemberg“, und wir sollten diesen Diskurs auch hier führen. Ich bin übrigens sehr dankbar, dass sowohl von Regierungsseite als auch von den Fraktionen – auch unsere Fraktion hat sich das vorgenommen – Expertinnen und Experten angehört werden sollen; wir haben davon in Baden-Württemberg eine ganze Menge. Denn wer sich mit dem Thema beschäftigt, merkt, dass davon die verschiedensten Ebenen betroffen sind.
Herr Kretschmann hat sehr stark den ethisch-moralischen Aspekt beleuchtet, und Ihrer Position, Frau Kipfer, bin ich sehr nahe, weil Sie das Ganze ein Stück weit auf die biologisch-medizinische Ebene heruntergebrochen haben. Das ist die Ebene, die die Menschen – die Frau und übrigens auch den Mann, der beteiligt ist – im Wesentlichen im Gespräch und bei der Beratung mit dem Arzt, der das alles zu entscheiden hat, ganz massiv persönlich betrifft.
Mir geht es wie Ihnen, Frau Kipfer: Man tut so, als wäre dieser extrakorporal befruchtete Embryo völlig unabhängig – a) vom Vater, b) von der Mutter. Aber nur dann, wenn sich die Mutter entschließt – und ich glaube, wir sind uns einig, dass man eine Frau nicht zwingen kann, sich gegen ihren Willen ein befruchtetes Ei implantieren zu lassen –, kann aus diesem befruchteten Ei ein Embryo und damit ein Mensch entstehen.
Das ist übrigens auch – um es noch einmal auf die ethische Ebene zu bringen, weil wir tatsächlich über unseren deutschen Tellerrand hinausblicken müssen – in der jüdischen Weltanschauung sehr stark ausgeprägt, die erst mit der Einnistung des Eis im Körper der Frau die Menschwerdung beginnen lässt. Also auch aus ethischer Sicht haben wir da unsere Vorstellungen, es gibt aber durchaus noch andere.
Ich denke, wir sollten bei dieser ganzen Debatte versuchen, nicht Sieger und Besiegte zu sehen: hier die moralisch Guten, dort die moralisch Verwerflichen. Da werden halt leider immer auch Zwischentöne eingebracht wie: Das sind
Forscher mit irgendwelchen Allmachtsfantasien und, und, und. Ich behaupte, die Mehrzahl der Forscherinnen und Forscher, die an diesem Thema arbeiten, arbeiten verantwortlich, weil sie in erster Linie Menschen helfen wollen. Dieses Element ist, glaube ich, ethisch mindestens genauso hoch anzusetzen.
In dieser ganzen Debatte wird sehr vieles – übrigens auch bei der Beantragung der Debatte – ein Stück weit durcheinander geworfen. Die PID hat mit der Stammzellenforschung relativ wenig zu tun. Deswegen will ich im ersten Teil versuchen, noch das eine oder andere zur PID zu sagen.
Auch da habe ich Gott sei Dank gehört, dass wir sehr nahe beieinander sind. Herr Kollege Reinhart, Sie haben gesagt, in streng definierten Ausnahmefällen müsse man darüber nachdenken. Ich bin auch der Meinung, dass wir keine Schnellschüsse brauchen können.
Wir müssen tatsächlich erst einmal breit diskutieren. Als Politiker werden wir aber nicht darum herumkommen, bei allen ethisch möglicherweise unterschiedlichen Betrachtungen eine Entscheidung zu treffen. So war es übrigens auch bei der Abtreibungsdebatte. Ich bin überzeugt, dass es nach wie vor viele gibt, die die Regelung, die wir jetzt haben, ethisch für falsch halten. Trotzdem sind wir politisch zu einer Mehrheitsmeinung gekommen, die dann auch in Recht umgesetzt worden ist, und genau auf diesem Weg befinden wir uns derzeit.
Dazu einfach einmal ganz praktisch etwas zum Nachdenken: Ich nehme das Thema „drohende Selektion“ sehr ernst. Sie wissen, dass mir die Behindertenpolitik sehr nahe liegt. Ich nehme also dieses Argument sehr ernst. Aber ich frage mich manchmal auch: Wenn wir da eine Grauzone schaffen bzw. möglicherweise einen Tourismus auslösen, indem wir Selektion bei uns von vornherein völlig ausschließen, dann wird möglicherweise an anderer Stelle in einer Grauzone mehr gemacht, als wir das vielleicht für ganz wenige Fälle, die klar definiert sein müssen, die überprüft werden müssen, zulassen würden. Die Politik muss auch ein Stück weit darüber entscheiden, wie die Ethikräte zusammengesetzt werden. Natürlich muss die medizinische Seite daran auch beteiligt sein. Die Frage ist, ob wir es hinbekommen, dass sich das auf wirklich extrem wenige Fälle reduziert.
Abschließend zur PID. Wenn man von „Dammbruch“ redet, so darf ich darauf hinweisen, dass es eine Zahl gibt, nach der in Deutschland jährlich etwa 30 000 Schwangerschaften abgebrochen werden, und zwar nicht nach der embryopathischen Indikation – sie gibt es nicht mehr –, aber abgeleitet durch Pränataldiagnostik – damit sind wir bei einem anderen Thema –, weil zu erkennen ist, dass das Kind voraussichtlich behindert zur Welt kommen wird, und zwar genau auf der Basis: Hält die betroffene Familie, die betroffene Frau diesen Konflikt aus? Etwa 30 000-mal sagen die betroffenen Frauen in Deutschland Nein. Wir reden bei der Präimplantationsdiagnostik von einem – auch in quantitativer Hinsicht – ganz eng begrenzten Bereich.
Ich glaube, im Bereich Präimplantationsdiagnostik werden wir – übrigens auch auf der Basis dessen, was die Bundesärztekammer vorgelegt hat – möglicherweise, wenn ich es richtig gehört habe, bald zu einem Konsens kommen können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Es geht um eine Frage, wie sie grundlegender kaum sein kann. Denn es geht um die Frage der Möglichkeiten der Eingriffe in unser Menschsein und Menschwerden an sich. Deshalb ist eine gründliche, ohne Zeitdruck geführte Debatte von größter Wichtigkeit.
Als Wissenschaftsminister bin ich einerseits für die Freiheit von Forschung und Wissenschaft verantwortlich. Andererseits sollte uns aber allen klar sein, dass diese Freiheit von Wissenschaft und Forschung nachrangig ist gegenüber höheren Grundwerten wie dem menschlichen Leben und der menschlichen Würde.
Zunächst einmal zur Präimplantationsdiagnostik. Diese ist derzeit nicht gestattet. Derzeit kommt aber nur etwa 1 % der Embryonen durch In-vitro-Fertilisation zustande. Da diese und ihre Nachkommen steril sind, wird sich diese Frage danach mit wesentlich größerer Schärfe stellen.