Protocol of the Session on November 27, 2003

Ein weiterer Punkt, den ich benennen möchte: Eine Motivation für die Justizreform waren letztendlich auch das Einsparen von Kosten und Effizienzsteigerung. Wenn man nun das Ergebnis vom gestrigen Tag anschaut und es an den von uns formulierten Ansprüchen misst, dann muss man sagen: Der Berg kreißte und gebar nicht einmal ein Mäuschen.

Ich darf das kurz darlegen. Die Justizreform der Landesregierung, getragen von der Justizministerin, sah am 30. April 2003 eine so genannte große Privatisierungsoffensive vor: Privatisierung von Notariaten, Privatisierung der Bewährungshilfe, Privatisierung von Handelsregistern usw. Was ist nun aus dieser Privatisierungsoffensive geworden? Die Aufgaben der Notariate bleiben im Kern staatlich wie bisher, ganz einfach. Dem stimmen wir als grüne Fraktion bei den derzeitigen Verhältnissen des Landesetats zu, da wir uns diese Privatisierungen im ganzen Umfang aufgrund der dann eintretenden Einnahmeausfälle im Moment gar nicht leisten können. Man muss es sich finanziell auch leisten können, wenn man privatisieren will.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Pfister FDP/DVP: Ja!)

Es war aber ein anderer Anspruch, lieber Kollege Pfister, mit dem die FDP/DVP ins Rennen gegangen ist. Sie wollten innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre alles privatisiert haben. Hier zeigt sich das große Defizit Ihrer Reformvorschläge. Nichts, aber auch gar nichts haben Sie auf den Pfennig genau gerechnet. Sie haben keine präzisen Zahlen dargelegt.

(Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP)

Bei den Notariaten wurde zuerst von 50 Millionen € Einnahmeausfall gesprochen, jetzt sollen es noch 30 Millionen € sein. Wie haben Sie denn die Zahlen berechnet?

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ja, kein Problem!)

Es gibt keine Zahlen zur Frage der Reduzierung der Gerichtsstandorte etc. Das heißt, eigentlich fehlt die entscheidende Grundlage für diese Justizreform. Die haben wir jetzt mit dem weiteren, ergänzenden Antrag eingefordert: Effizienzsteigerungen in der Justiz. Durch welche Maßnahmen werden sich welche Kosteneinsparungen ergeben?

So bleibt mir zum Schluss der ersten Runde festzustellen, wie heute in den „Stuttgarter Nachrichten“ zu lesen: CDU und FDP/DVP haben sich bei der Justizreform aufeinander zu bewegt. Meines Erachtens haben sie sich so weit aufeinander zu bewegt, dass da gar nichts mehr durchpasst, schon gar keine Justizreform.

(Abg. Stickelberger SPD: Da hat der eine den an- deren reingelegt!)

Die Reform, die dabei herausgekommen ist, ist eine Minimalreform oder auch eine Bonsaireform, wie sie in einem Zeitungskommentar überschrieben worden ist. Insofern sind Sie dem Anspruch, den Sie als Landesregierung

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Schritt für Schritt!)

an sich selbst gestellt haben, die Justiz in Baden-Württemberg zu reformieren, nicht gerecht geworden. Sie haben den von Ihnen formulierten Anspruch nach Effizienzsteigerung in der Justiz nicht umgesetzt. Alle Maßnahmen, die wesentlich sind, hängen von bundesgesetzlichen Regelungen ab. Das ist ein Armutszeugnis für die Landesregierung! Wir wollen eine Justizreform zur Erhaltung einer leistungsfähigen und bürgernahen Justiz in Baden-Württemberg.

So viel zunächst in der ersten Runde. Wir dürfen gespannt sein, wie die Ministerin die mit Ihnen verhandelte Justizreform begründen wird und wo dabei für die Zukunft die Effizienzsteigerung und die Erhaltung und Förderung der Justiz in Baden-Württemberg durchgesetzt werden sollen. In diesem Sinne alles Weitere in der zweiten Runde.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Kollege Oelmayer, in der Tat hängt ein größerer Teil der Realisierung unserer Vorschläge von einer Änderung des Bundesrechts ab.

(Abg. Pfister FDP/DVP: So ist es!)

Es bedarf einer Öffnungsklausel und der Mehrheit im Deutschen Bundestag. Deswegen können wir gerne über die einzelnen Punkte und über die Frage beraten, was Sinn macht.

Aber ich finde es schon eigenartig, dass die Fraktion GRÜNE vorschlägt, Sozialgerichte und Verwaltungsgerichte zusammenzulegen, und dann sagt: „Ätsch, ätsch, ihr kriegt es nicht hin, weil der Bundestag nicht springt!“ Wer hat denn im Bundestag die Mehrheit – ihr oder wir? Rot-Grün lehnt ab, was die Grünen hier im Landtag beantragt haben. Und in der Tat – deswegen ist das scheinheilig –: Wir glauben, dass ein Großteil der Vorschläge sinnvoll ist, und werben dafür, dass eine Öffnungsklausel und die Veränderung des Bundesrechts zur Prozessordnung der Fachgerichte in Berlin mehrheitsfähig werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Nehmen wir das Thema Handelsregister. Ich halte es für nahe liegend, dass die Registerführung zur Aktiengesellschaft, zur GmbH dort erfolgt, wo der Sachverstand ist: bei den öffentlich-rechtlichen Kammern des Landes, bei der IHK. Es wäre nahe liegend und würde uns im Grunde genommen entlasten, wenn dort die Aufgaben gebündelt würden. Aber auch hier gilt: Ohne Änderung des Bundesrechts geht es nicht. Der Bundesrat war dafür und ist dafür,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Mit den Stimmen der SPD!)

der Deutsche Bundestag lehnt es ab. Sozialdemokratisch regierte Länder waren und sind dafür – Rot-Grün in der Bundesregierung lehnt es ab.

Vielleicht haben wir etwas vorschnell darauf gehofft, dass Rot-Grün im Bundestag Sachverstand akzeptiert.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das ist doch schon seit zehn Jahren Thema, Kollege Oettinger!)

Vielleicht haben wir geglaubt, dass dort Argumente zählen. Ein Teil unserer Reform wird nur dann möglich sein, wenn die Bundesregierung und die Mehrheit im Bundestag sie mittragen.

(Zurufe der Abg. Dr. Reinhart CDU und Drexler SPD)

Deswegen, Herr Kollege Oelmayer, sollte man nicht hier die Klappe groß aufreißen, sondern dafür werben, dass Schlauch & Co. bereit sind, das zu tun, was sinnvoll ist, und dass die Öffnungsklausel im Bundesrecht auch endlich kommt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Theurer FDP/ DVP)

Zweitens: Ihr Antrag ist ganz stark von Ihrem ersten Wohnsitz geprägt. Die Postleitzahl kommt in den Antrag hinein. Der Kollege Kretschmann macht dazu gute Miene zu einem falschen Spiel.

Ich glaube, dass das Verwaltungsgericht in Sigmaringen seit Jahrzehnten gute Arbeit leistet. Inmitten des Regierungsbezirks Tübingen liegt der Standort Sigmaringen, der immer auch ein guter Behördenstandort war, wo die Arbeitskräfte erreichbar sind. Wenn Sie jetzt überlegen – unser Vorschlag; Sie machen vielleicht mit –, Sozialgerichte, Arbeitsgerichte und Verwaltungsgerichte vielleicht in Bündelung – – Wenn dann aber aus Ihrem Antrag durchleuchtet: „aber alles nicht in Sigmaringen, sondern bitte in Ulm“, glaube ich, dass Oelmayer sein Mandat hier missbraucht und Kretschmann seine Kontrollfunktion nicht erfüllt.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist die verkürzte Sicht des Kollegen Oel- mayer!)

Zum Dritten: Vielleicht haben wir mit 108 Amtsgerichten eher zu viele. Aber mir leuchtet überhaupt nicht ein, was Landkreise mit Amtsgerichten zu tun haben: ein Landkreis – ein Amtsgericht.

(Abg. Drexler SPD: Landrat! – Zurufe der Abg. Stickelberger SPD und Brigitte Lösch GRÜNE)

Das Ganze ist ja keine Verwaltungseinheit, sondern es geht um die Frage der Fallzahlen und der Bürgernähe. Deswegen: Nehmen Sie einmal große Flächenlandkreise wie den Ortenaukreis, den Main-Tauber-Kreis oder die Landkreise in Ostwürttemberg. Ich glaube, dass zum Beispiel in diesen Landkreisen das Amtsgericht zu Recht dort ist, wo es ist, und nicht in die Kreisstadt gezogen werden muss.

Wir sollten alles beraten unter den Gesichtspunkten, ob es etwas für den Haushalt bringt – es bringt wenig oder nichts – und was im Interesse des Bürgers liegt. Der Bürger sollte erwarten können, dass die Dienstleistung der Richter, die Entscheidung über einen Antrag nicht in der entfernten Kreisstadt, sondern weiterhin dort getroffen wird, wo das Amtsgericht sitzt. Deswegen halten wir an der Zahl und den Standorten unserer Amtsgerichte in Baden-Württemberg ganz bewusst fest.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Theurer FDP/ DVP – Abg. Rech CDU: Da könnt ihr alle klat- schen! – Abg. Stickelberger SPD: Nur der Minis- terpräsident nicht! Der will es anders!)

Vielleicht haben wir – ich sage das selbstkritisch – auch einen Fehler gemacht. „Große Justizreform“ war ja die Überschrift. Nach meiner gründlichen Prüfung behaupte ich: Die

Justiz in Baden-Württemberg erfüllt ihre Aufgabe in der bestehenden Struktur gar nicht schlecht.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Sie arbeitet relativ zeitnah. Sie arbeitet sachkundig. Deswegen sprechen wir der Justiz in Baden-Württemberg ausdrücklich unseren Respekt und Dank aus.

Wir haben die Frage des Stellenabbaus mit der Ministerin gründlich geprüft. 5 % wären zu viel. Die Arbeitszeit der Beamten und der Richter wird in Baden-Württemberg um eine Stunde erhöht: ein Vierzigstel, 2,5 %. Deswegen werden wir mit dem Haushalt des nächsten Jahres anfangen, die Stellenzahl in fünf Schritten um 2,5 % – und nicht um 5 % – zu reduzieren und damit einen Beitrag dazu leisten, dass die Arbeit, der Vollzug unserer Gesetze in Baden-Württemberg auch in Zukunft auf gutem Niveau – mit einigen maßvollen Veränderungen – erbracht werden kann.

Ich glaube, das Ganze ist eine Reform, die sich sehen lassen kann, zwar keine herausragende, große Reform, aber sie genügt dem, was die Aufgabe unserer Richter und Staatsanwälte ist. Genau damit wird die Koalition dieser Aufgabe und einer Veränderung maßvoll gerecht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Stickelberger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nicht so optimistisch wie Sie, Herr Oettinger. Gestern Nachmittag um 17 Uhr wurde nach etwa sechsmonatigem Leiden und fünfstündigem Todeskampf die große Justizreform in Baden-Württemberg zu Grabe getragen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Frau Justizministerin, ich darf Ihnen im Namen der SPDFraktion hier im Hause unser Beileid aussprechen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Reinhart CDU: Es leben doch alle! Die sind alle le- bendig! – Abg. Pfister FDP/DVP: Jetzt wird es aber unanständig, fast makaber! Pietätlos! Es geht um Pietät!)