Protocol of the Session on November 27, 2003

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Das habe ich doch gesagt! Was haben Sie denn? – Abg. Edith Sitz- mann GRÜNE: Das war auch bitter nötig!)

Wir haben den beruflichen Schulen dafür mehrere Hundert zusätzliche Lehrerstellen zur Verfügung gestellt, und zwar über die 240 Lehrerstellen hinaus, die sowieso geplant waren. Das heißt, wir haben wieder erreicht, was in allen vergangenen Jahren erreicht wurde: Wir lassen keinen Jugendlichen auf der Straße stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Schmiedel SPD: Das wäre ja noch schöner! – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Wir haben doch Schul- pflicht!)

Ja, ja. Aber Frau Weckenmann, Sie wissen, dass wir, wenn wir von Jugendarbeitslosigkeit reden, nicht nur über 18-Jährige reden. Wir sprechen dann über die Gruppe der bis 25-Jährigen. Die spannende Frage ist doch: Welche Angebote haben wir für jene, die zwar am Ende der Berufsschulpflicht sind, aber dennoch nicht versorgt sind? Jene, die wir da alle aufnehmen, sind doch über 18 und nicht unter 18.

Das ist auch der Grund dafür, dass wir in Baden-Württemberg die europaweit niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Im Unterschied zu allen SPD-regierten Ländern in Deutschland, in denen die Jugendarbeitslosigkeit in der Regel zwischen 9 und 11 % beträgt, liegt sie bei uns zwischen 4 und 5 %. Deshalb finde ich, dass man einfach hin und wieder einmal die Fakten bedenken muss.

Die Hauptschule in Baden-Württemberg, die Lernortkooperation und das Zusammenspiel zwischen allgemein bildendem und beruflichem Bildungswesen sind unter anderem vom Arbeitgeberverband und von einer Reihe von Branchen ausgezeichnet worden, weil dies Pilotfunktion für Deutschland haben kann, und zwar im Hinblick auf Integration, im Hinblick auf Qualifikation, im Hinblick auf die Gestaltung der Nahtstelle zwischen Schule und Beschäftigung, zwischen Bildung und Beschäftigung.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Sagen Sie mal et- was zu dem Vorwurf des Ministerpräsidenten Ihnen gegenüber!)

Deshalb hat Professor Baumert gesagt: Baden-Württemberg ist das modernste Bildungsland, weil es die modernste Hauptschule hat, weil unentwegt an einem Profil gearbeitet worden ist, das jungen Leuten eine Chance gibt.

Jetzt komme ich zu den Schwächeren, zu den 10 bis 15 % in jedem Jahrgang, die nicht auf Anhieb einen Abschluss schaffen oder einen so schwachen Abschluss machen, dass sie sich damit nicht erfolgreich um eine Lehrstelle bemühen können. Dieser Anteil ist übrigens seit 40 Jahren unverändert. Der Unterschied zu heute besteht nur darin, dass es damals noch genügend einfache Arbeitsplätze, Anlernarbeitsplätze gab; diese gibt es heute nicht mehr in ausreichender Zahl.

Also müssen wir verstärkt in Wege investieren, mit denen man im zweiten oder dritten Anlauf zu einem Abschluss kommen kann, der dann einen Einstieg in die berufliche

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Ausbildung ermöglicht. Aber genau dies tun wir seit Jahren. Seit Jahren befindet sich das BVJ in einem ständigen Veränderungsprozess. Zuletzt gab es die Veränderung für Jugendliche mit Migrationshintergrund in Form von 21 Stunden Deutschunterricht.

Im letzten Schritt erfolgte jetzt eine Öffnung hin zu dualen Elementen, um die Möglichkeit zu schaffen, schon während des BVJ Ausbildungsbetriebe anzusprechen, die einen Vorvertrag machen und sagen: Sobald dieses Jahr zu Ende ist, werden Sie übernommen.

Die ganze Diskussion über die berufliche Bildung ist in den letzten Jahren mit einem hohen Maß an Ausdifferenzierung verbunden gewesen. Auf der einen Seite gibt es zusätzliche Angebote für Abiturienten, auf der anderen Seite zusätzliche Bildungsgänge für die Schwächeren. Wir werden auch in Zukunft keinen Jahrgang erleben, bei dem nicht 10 bis 15 % nicht in der Lage sind, nach einem regulären Schulabschluss tatsächlich einen Ausbildungsplatz zu finden. Das ist so.

(Abg. Schmiedel SPD: Das wäre aber schlimm! Sie wollen sich doch nicht damit abfinden!)

Nein, damit finden wir uns nicht ab. Deswegen schaffen wir eine zweite und eine dritte Chance.

Das ist der Weg, den wir bislang gegangen sind und der erfolgreich war. Wer immer sagt, man müsse erst einmal das ganze Bildungswesen auf den Kopf stellen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen, kommt möglicherweise dann dorthin, wo Finnland heute ist: Das gelobte Land in Sachen Bildung ist bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 19,8 % angelangt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: 20 %!)

60 % machen Abitur, 30 % bekommen überhaupt nur einen Studienplatz. Ich kann Ihnen sagen: Das ist kein Weg für Baden-Württemberg, ganz eindeutig nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten fünf Jahren weitere Schritte machen werden. Für mich heißt dies vor allem: Brückenschlag zwischen beruflicher Vollzeitschule und Teilzeitschule. Für mich heißt dies vor allem Modularisierung, sodass, je nachdem, wo ich ein Modul mache, ich dies bei einem anderen Ausbildungsgang anerkannt bekomme. Denn es ist ein Unding, dass junge Leute selbst mit Realschulabschluss und einem guten Notendurchschnitt zunächst ein kaufmännisches Berufskolleg absolvieren oder ihnen geraten wird, dies zu tun, bevor sie in eine kaufmännische Lehre gehen. Wir kommen auf diese Art und Weise auf 13, 14, 15 Schuljahre. Das ist nicht sinnvoll. Das ist Verschwendung von Geld und Lebenszeit.

Deshalb heißt der nächste Schritt in der Entwicklung der beruflichen Bildung, die unterschiedlichen Teilsysteme stärker zusammenzubringen und damit auch zu stringenten Ausbildungsgängen zu kommen.

Letzter Satz: Ich finde, angesichts der dramatischen Lage in der Wirtschaft haben die Unternehmen in Baden-Württemberg und haben die Schulen in Baden-Württemberg zum Schuljahresbeginn enorme Anstrengungen unternommen. Wir sollten in diesem hohen Hause auch einmal würdigen, dass da etwas geschehen ist – wiederum trotz schwierigster Verhältnisse –, was die Zukunftschancen der jungen Generation in Baden-Württemberg sichert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Debatte beendet und Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Justizministeriums – Justizreform in Baden-Württemberg – Drucksache 13/2177

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

(Abg. Oettinger CDU: Oeli, Vorsicht! Gefährliches Terrain!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte „Justizreform in Baden-Württemberg“ könnte angesichts der Beschlüsse, die gestern der Koalitionsausschuss – interessanterweise während einer Plenarsitzung – getroffen hat, nicht aktueller gewählt sein.

Ich will zunächst darstellen, wie wir, die Fraktion der Grünen, uns eine Justizreform in Baden-Württemberg vorstellen.

(Abg. Oettinger CDU: Ulm! Ulm gegen Sigmarin- gen!)

Wir haben in unserem Antrag vom 20. Juni 2003 versucht, Kollege Oettinger, das präzise darzustellen.

Ich darf zunächst einmal drei grundsätzliche Ziele benennen.

Erstens: Wir wollen in Baden-Württemberg eine leistungsfähige und bürgernahe Justiz erhalten und fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Zweitens: Um die Justiz erhalten und fördern zu können, sind Reformen notwendig, weil sich auch in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahrzehnten gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen ereignet haben, die auch an der Justiz nicht ohne Veränderung vorbeigehen können.

Ein dritter Punkt: der Anspruch an eine solche Reform. Wir sind der Auffassung, dass die Justiz sowohl in ihrem Kernbereich – dazu zählen wir die Gerichte, die Staatsanwaltschaften und den Justizvollzug – als auch in den so genann

ten „Randbereichen“ reformbedürftig ist und auch reformiert werden kann.

Wir haben das in dem Antrag eingehend dargestellt. Ich darf ein paar wenige Punkte benennen.

Erstens: ordentliche Gerichtsbarkeit. Seit vielen Jahrzehnten haben wir in Baden-Württemberg mit 108 Amtsgerichtsstandorten mit die höchste Dichte an Amtsgerichten in der Bundesrepublik überhaupt. Es gibt eine Untersuchung des Rechnungshofs aus dem Jahre 1998, die dem Parlament quasi die Handlungsanleitung liefert, dass nach diesen Vorgaben von den 108 Standorten 31 allein aus Effizienzgründen geschlossen werden sollten. Von jedweder Handlung der Landesregierung herrscht hier bislang Fehlanzeige.

Ein zweiter Punkt: die Landgerichte. Auch hier sind wir der Auffassung, dass aufgrund des Zuschnitts der Gerichtsbezirke Reformbedarf besteht. Die CDU hat es im Übrigen genauso kundgetan. Kein Geringerer als der Ministerpräsident persönlich hat sogar Gerichtsstandorte genannt: das Landgericht Mosbach, das Landgericht Hechingen, das Landgericht Waldshut – um nur einmal diese drei zu benennen. Er hat diese Standorte zu Recht benannt, weil diese Einheiten den modernen Anforderungen einer leistungsfähigen Justiz mit ihren Spezialisierungen, wie sie zum Beispiel in Anwaltskanzleien vorhanden sind, in der bestehenden Form nicht mehr gerecht werden können. Deswegen ist diese Vorgabe des Ministerpräsidenten zu Recht erfolgt.

So viel zum Kernbereich der Justiz, zu dem natürlich auch die Fachgerichtsbarkeit zählt. Herr Kollege Oettinger hat es gerade schon genannt.

(Abg. Oettinger CDU: Ulm!)

Dazu zählen natürlich auch die Arbeitsgerichtsbarkeit und die Fachgerichtsbarkeit der Sozialgerichte. Hier sind wir der Auffassung, dass man eine Zusammenführung sehr wohl andenken kann, dass dies aber derzeit aufgrund der fehlenden bundesgesetzlichen Regelungen und Harmonisierungen gar nicht realisierbar ist. Deswegen sollten die Gerichtsstandorte zunächst einmal dort bleiben, wo sie sind.

Ein weiterer Punkt, der beabsichtigt war – –

(Zuruf des Abg. Oettinger CDU)

Ja, davon sind wir ausgegangen, Kollege Oettinger, wenn ich das kurz sagen darf. Die Justizministerin hat schon mehrfach bekannt gegeben, es sei eigentlich schon in trockenen Tüchern, dass die Sozialgerichte zu den Standorten der Verwaltungsgerichte verlegt werden. Insofern war das im Prinzip die adäquate parlamentarische Antwort auf dieses unsinnige Vorhaben von Ihnen.

(Abg. Oettinger CDU: Wer regiert in Berlin? Ihr oder wir?)