Protocol of the Session on November 27, 2003

Herr Pfister, das ist deshalb nicht makaber – –

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das Beileid auszudrü- cken, das ist doch wirklich pietätlos! Wählen Sie andere Worte, dann wird es besser! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Beileid ist doch Beileid! – Gro- ße Unruhe)

Ich gehe davon aus, dass das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Herr Pfister, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ich rege mich überhaupt nicht auf! – Abg. Theurer FDP/DVP: Jetzt sind Sie sprachlos, Herr Kollege Stickelberger!)

zumal sich Ihr Wirtschaftsminister ja mit als oberster Leichenbestatter betätigt hat.

Wenn ich mich richtig erinnere, wollte der Wirtschaftsminister Anfang der Woche – so in der Presse zu lesen – noch erhobenen Hauptes am Mittwoch aus dem Raum treten. Er tut das zwar schon erhobenen Hauptes, aber er trägt es vor sich her, weil er gestern in den Koalitionsverhandlungen mindestens einen Kopf kürzer gemacht wurde.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Zur Sache! Sie sollen nicht über Beerdigungen sprechen, sondern zur Justizreform! Das Einzige ist, dass ihr das „Projekt 18“ wahrscheinlich vor uns erreicht! – Unruhe)

Herr Präsident, ich weiß nicht: Hat jetzt der Kollege Pfister das Wort, oder habe ich es?

(Anhaltende Unruhe und Zurufe)

Sie müssen nach diesem Kompromiss gestern alle schlecht geschlafen haben, wenn Sie so aufgeregt sind.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Ich habe hervorragend geschlafen! Das werden Sie nachher sehen und hö- ren! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Der schläft dauernd! – Heiterkeit – Abg. Pfister FDP/DVP: Al- so jetzt weiter!)

Wir bedauern umso mehr, dass Sie, Frau Justizministerin, im Regen stehen gelassen wurden. Wir bedauern das deshalb, weil Sie sich – das muss ich Ihnen zugute halten – in den letzten Monaten ernsthaft bemüht haben, für Ihre Vorschläge zu werben. Ich kann mich an viele Veranstaltungen bei Verbänden, Gerichtsvollziehern oder Notaren erinnern, wo Sie für Ihr Konzept geworben haben. Wir haben uns ja auch schon einige Gefechte geliefert. Ich möchte Ihnen und Ihren Mitarbeitern dafür danken. Umso mehr enttäuscht es mich, dass Sie in Ihrer eigenen Fraktion und insbesondere in der anderen Koalitionsfraktion keinen Rückhalt bekommen haben.

Wie war denn der Anspruch an diese Reform? Damit sind wir, Herr Oettinger, bei der Frage „Große Reform, ja oder nein?“ Natürlich darf man die Dinge im Hinblick darauf, dass bundesrechtliche Regelungen erforderlich sind, nicht zu hoch hängen.

(Abg. Drexler SPD: Gott sei Dank!)

Aber der Herr Ministerpräsident hat ja einmal gesagt, die Justizreform müsse sich quantitativ und qualitativ am Gehalt der Verwaltungsreform messen lassen. Wenn ich dann lese, dass die Außenstelle Neuenbürg des Amtsgerichts Pforzheim und die Außenstelle Laupheim des Amtsgerichts Biberach geschlossen werden, frage ich mich, ob Sie mit diesem Kompromiss dem hohen Anspruch, den der Herr Ministerpräsident erhoben hat, gerecht werden.

(Abg. Alfred Haas CDU: Was wollen Sie schlie- ßen? Verkünden Sie das jetzt einmal!)

Frau Justizministerin, in der Sache selber können wir über vieles reden. Was die Privatisierung der Register angeht, können wir uns verständigen; das glaube ich schon.

Einige Punkte werden von uns inhaltlich natürlich nicht mitgetragen. Was die Privatisierung des Gerichtsvollzieherdienstes angeht,

(Abg. Drexler SPD: Ein absoluter Unsinn!)

kann ich Ihnen versichern: Die SPD wird es nicht zulassen, dass ein Kernbereich staatlicher Verwaltung, ein Kernbereich der Justiz in Bezug auf hoheitliche Aufgaben der Justiz entzogen und dass er privatisiert wird.

(Beifall bei der SPD)

Dies wird mit uns nicht zu machen sein. Gerichtsvollzieher entziehen Kinder, durchsuchen Wohnungen, pfänden Eigentum, nehmen grundrechtsrelevante Eingriffe vor. Dies ist ein Kernbereich der Justiz, der beim Staat verbleiben muss.

(Abg. Drexler SPD: Das kann man doch nicht pri- vatisieren! Wo leben wir denn?)

Was die Privatisierung der Notariate angeht, wissen Sie natürlich: Die badischen Notare sind einmütig dafür, die Württemberger eher dagegen oder zumindest skeptisch. Eines war aber von allen angestrebt, nämlich eine einheitliche Privatisierung. Wenn schon Privatisierung, dann einheitlich. Dieses Problem ist nun überhaupt nicht gelöst. Mit diesen wenigen privatisierten Stellen, die Sie beschlossen haben, bekommen wir eine weitere Veruneinheitlichung des Rechtszustandes,

(Abg. Herrmann CDU: Warum ist das ein Pro- blem?)

und ich sehe schon jetzt einen gewissen Beurkundungstourismus, wenn man das so angeht.

Allerdings, Herr Oelmayer, darf man sich natürlich auch nicht um das Problem – die Justizministerin hat das ja immer thematisiert –, wie es um die europäische Rechtsprechung steht, herumdrücken. Diesem Problem muss man sich stellen, was das Gebührenrecht angeht.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Das muss man tun. Aber jetzt steht die Privatisierung der Notariate unter einem generellen finanziellen Vorbehalt. So steht es in der gestrigen Vereinbarung. Das heißt, die Privatisierung ist wohl auf lange Zeit hinausgeschoben.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Was wollen Sie?)

Im Übrigen brauchen wir sowohl für eine Privatisierung des Gerichtsvollzieherdienstes als auch für eine Vereinheitlichung der Gerichtsbarkeiten den Bund und eine Änderung bundesrechtlicher Regelungen. Herr Oettinger, da stimme ich Ihnen zu. Aber Sie machen ja eine baden-württembergische Justizreform. Dann dürfen Sie sich nicht hinter dem Bund verstecken, sondern müssen ein eigenes tragfähiges Konzept vorlegen. Das fehlt bisher.

Wenn es in die Einzelheiten geht, arbeiten wir konstruktiv mit, aber Einschränkungen im Grundrechtsbereich, im

Kernbereich der staatlichen Verwaltung, werden wir nicht mitmachen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Drexler SPD und Dr. Reinhart CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Stickelberger, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass der Ministerpräsident bei der Verwaltungs- und Justizreform die Vorgabe gemacht hat, in Baden-Württemberg die Verwaltung zu modernisieren. Er hat damit in der Tat auch die Hoffnung verknüpft, dass im Bereich der Justiz eine entsprechende Effizienzrendite zu erzielen ist. Erfüllt die Justizreform diese Vorgabe? Muss sie das? Ist das das einzige Kriterium, an dem wir eine Reform ausrichten können und wollen?

Ich denke, man hätte unseren Ministerpräsidenten falsch verstanden, wenn man meinen würde, die Verwaltungsreform müsse lediglich unter Effizienzgesichtspunkten und nicht auch unter Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit, der Qualität und der Bürgernähe beurteilt werden.

Genau so, meine Damen und Herren, muss man auch die Justizreform beurteilen. Eine gut funktionierende Justiz ist das Rückgrat des liberalen Rechtsstaats, und die FDP/DVPFraktion will, dass der Bürger schnell und auf kurzen Wegen zu seinem Recht kommt. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren unseres Rechtsstaats.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Funktionsfähigkeit unserer Justiz lässt sich nachweisen. Die Justiz in Baden-Württemberg muss überhaupt keinen Ländervergleich scheuen. Herr Kollege Oelmayer, Sie haben hier den Eindruck erweckt, wir hätten uns verzettelt und würden uns mit 108 Amtsgerichten in der Fläche praktisch eine überbordende, eine zu große Justiz leisten. Nehmen wir doch einmal die wirklich entscheidenden Zahlen, beispielsweise die Richterdichte oder die Ausstattung mit Staatsanwaltschaften. Dann stellen wir fest, meine Damen und Herren: Baden-Württemberg hat im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die geringste Richterdichte pro Einwohner und trotzdem die kürzesten Verfahrensdauern.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zurufe der Abg. Drexler SPD und Oel- mayer GRÜNE)

Das zeigt doch, dass Baden-Württemberg schon heute in der Justiz Spitze ist – nicht nur dort, aber auch dort. Das kann man auch mit Zahlen belegen. Die Tatsache, dass es viele Standorte gibt, ist nicht zwangsläufig nachteilig für die Effizienz.

(Abg. Herrmann CDU: Bürgernähe!)

Wir haben in Baden-Württemberg statistisch 7,24 Richterstellen pro 100 000 Einwohner. Im Bundesdurchschnitt sind

es, wenn man die Zahlen von 2002 zugrunde legt, 9,92. Damit liegt Baden-Württemberg bei der Richterdichte auf Platz 1 vor Bayern.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger?

Bitte schön, Herr Abg. Stickelberger.

Herr Kollege Theurer, ist Ihnen bekannt, dass einerseits die Justizministerin für den Erhalt auch der kleinen Amtsgerichte gekämpft hat, andererseits der Herr Ministerpräsident vor einiger Zeit die These verkündet hat, ein Amtsgericht pro Landkreis reiche aus?