Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist deutlich geworden, dass das Thema Maut eine verzwickte, eine komplizierte Angelegenheit ist.
Es hat eine juristische, eine technische und eine politische Dimension und beinhaltet viele Sachzwänge. Herr Palmer, Sie haben dankenswerterweise deutlich gemacht, dass bei der Verabschiedung ein Sachzwang bestand.
Herr Minister Müller, wir schätzen Sie als akribischen Arbeiter. Aber Ihre Akribie geht immer besonders gern in Richtung Berlin. Dort stellen Sie alle Fehler fest.
In Ihrem Hause vernachlässigen Sie manches, wie man auch heute Nachmittag vielleicht noch einmal erfahren darf.
Natürlich gibt es bei einem Vertragswerk mit 100, 200 Seiten und 17 000 Seiten technischem Anhang sicherlich das eine oder andere zu bemängeln. Darüber kann man im Einzelfall reden.
Zurück zum Verursacherprinzip. Es sollte doch klar sein: Wir wollen hier eine neue Technologie, und das funktioniert nicht. Das ist doch die Kernfrage. Da wollen wir die Betriebe nicht aus der Verantwortung entlassen und fragen natürlich nach Schadenersatz. Genau das steht im Raum. Das Ministerium hat ja ein Rechtsanwaltsbüro beauftragt, diese Frage zu klären, und hat eindeutig erklärt, nicht auf Schadenersatzforderungen verzichten zu wollen.
Noch einmal: Der Minister war nicht gutgläubig, sondern, was Herr Palmer zu Beginn sagte, er hat im Mai die Betriebsbereitschaft angemahnt, er hat im Juli Toll Collect vorgeschlagen, die Inbetriebnahme zu verschieben. Er war sehr vorsichtig.
Reden Sie doch nicht so daher, Frau Berroth. Gerade Toll Collect hat sich mit Vehemenz dagegen gewehrt. Frau Berroth, hätten Sie den Eingang zur letzten Sitzung des Umwelt- und Verkehrsausschusses gelesen,
(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Habe ich gele- sen! „Die Vorbereitungen schreiten voran“ im Sep- tember, statt dass man im August anfängt!)
hätten Sie die Prognosen von Toll Collect gesehen. Die schreiben noch im September, dass das System schon im August in Betrieb gegangen sei. Lesen Sie es in Ihren Unterlagen! Dort steht alles drin.
Toll Collect hat sich unter dem Stichwort Rufschädigung entschieden gegen die Aussage verwahrt, dass die Mauteinführung zu verschieben sei. Das ist ein Faktum, das Sie beachten sollten, wenn Sie den Minister kritisieren, den ich hier im Landtag nicht uneingeschränkt verteidigen muss.
Die Frage des Schadenersatzes wird geprüft. Sie wollen hier und heute eine Aussage, was das bedeutet. Bedauerlicherweise ist alles im Fluss. Wir müssten ständig, jede Woche, ein neues Tableau errichten. Wir sind nun einmal in der Situation, dass wir abwarten müssen, was rauskommt. Erst dann kann entschieden werden. Im Übrigen – das sage ich nicht mit letzter Gewissheit, aber zumindest habe ich es in Zeitungen gelesen, denen man manchmal, aber nicht immer, etwas glauben kann – gebe es eine Vereinbarung, wonach das Finanzministerium bis zum Jahr 2006 Gelder vorschießen werde. Insoweit scheint – ich sage bewusst „scheint“ – das Geld zumindest zur Verfügung zu stehen. Ich bin durchaus optimistisch, dass wir für dieses Land die beschlossenen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, zu denen wir stehen, durchsetzen können.
Die Betriebe sind in der Verantwortung; das sei ganz deutlich gesagt. Sie haben es im Landtag selbst erlebt: Das neu eingeführte Codekartensystem hatte auch seine Kinderkrankheiten. Niemand hatte die Idee, Herrn Präsident Straub dafür verantwortlich zu machen, auch wir von der Opposition nicht.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Berroth hat gerügt, dass ich nichts zu Baden-Württemberg gesagt habe. Damit hat sie Recht. Das war beim gegenwärtigen Stand der Debatte nicht möglich, denn es gibt dazu nichts zu sagen. Deswegen war die heutige Debatte von vornherein verfehlt.
Aber wenn Sie schon die Frage stellen, dann darf ich Ihnen jetzt das vortragen, was offensichtlich niemand von Ihnen in den Verträgen nachgelesen hat. Wie sieht es denn finanziell aus? Zunächst einmal: Welche Verluste erleidet der Bund? 60 Millionen € fallen monatlich weg, weil die Eurovignette nicht mehr gilt. Das entlastet übrigens die Spediteure mehr als alles, was jemals diskutiert wurde. Es gibt für die Spediteure im Moment keinen Grund, sich zu ärgern.
156 Millionen € Einnahmeausfall netto hat der Bund monatlich, weil die Maut nicht läuft. Das macht bis zum Jahresende rund 800 Millionen € aus.
Wie sieht es aber auf der anderen Seite aus? Welche Kosten muss Toll Collect tragen? Da wird immer nur von den Vertragsstrafen gesprochen. Die belaufen sich auf 7,5 Millionen € ab Dezember und 15 Millionen € ab März nächsten Jahres.
Das ist aber nicht der Punkt. Der Vertrag nimmt Toll Collect in vielfältiger Weise in die Pflicht. Alle Urteile, die vor Veröffentlichung des Vertrags gefällt wurden, waren schlicht und ergreifend voreilig.
Erstens bekommt Toll Collect keine Betreibervergütung. Das macht bis zum Jahresende 360 Millionen € aus.
Zweitens wird Toll Collect keine Erstattung der Investitionskosten für den Zeitraum bekommen, in dem das System nicht funktioniert. Das war auf zwölf Monate angesetzt und wird bis zum Jahresende 230 Millionen € ausmachen.
In der Summe muss Toll Collect bis Ende dieses Jahres auf 600 Millionen € verzichten. Zusätzlich gibt es eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Call-Option, das heißt, der Bund kann das gesamte Know-how aufkaufen und braucht das Eigenkapital nicht zu berücksichtigen. Er muss auch den Unternehmenswert nicht bezahlen. Ein Experte für Vergaberecht hat im „Handelsblatt“ diese Regelung als „ziemlich hart“ bezeichnet.
Damit nicht genug: Wenn dem Unternehmen Verschulden nachgewiesen werden kann – dafür spricht im Moment einiges –, dann greift eine unbegrenzte Haftung für sämtliche Einnahmeausfälle des Bundes. Das heißt, dieser Vertrag ist – anders, als in der Öffentlichkeit zunächst dargestellt – gegenüber dem Unternehmen ausgesprochen hart. Deswegen sind die finanziellen Folgen, die Sie als Anlass für diese Debatte gesehen haben, und der Umstand, dass in BadenWürttemberg keine Straßen gebaut werden können, im Moment nicht quantifizierbar
und mit Sicherheit wesentlich geringer, als Sie offenbar vermutet haben, weil Sie die Verträge nicht angeschaut haben.
Meine These ist: Toll Collect wusste sehr genau, warum sie mit der Veröffentlichung der Verträge so lange gezögert haben – die sind nämlich ziemlich nachteilig für das Unternehmen.
Hinsichtlich der Auswirkungen auf Baden-Württemberg ist noch einmal festzuhalten: Niemand von uns weiß, wann die Maut wirklich kommt, und niemand von uns weiß, wie hoch die Einnahmeausfälle sind. Deswegen ist es völlig spekulativ, Listen in die Welt zu setzen, Herr Minister oder Frau Berroth, nach denen als Konsequenz aus dem „Mautdesas
Zweitens darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie eine vollkommen inkonsistente Argumentation führen, wenn Sie auf der einen Seite sagen: „Da werden ja Haushaltsmittel gestrichen; es gibt aus der Maut also kein zusätzliches Geld für den Straßenbau“, auf der anderen Seite aber, wenn die Maut ausfällt, sagen: „Jetzt fehlt das Geld beim Straßenbau!“ Beides zugleich kann ja wohl nicht der Fall sein. Beides zugleich geht nun einmal wirklich nicht.
Die Einnahmen aus der Maut – das sollten Sie wissen – stopfen keine Haushaltslöcher. Es gab ein Sonderprogramm für drei Jahre, für Straße und Schiene, finanziert aus den UMTS-Zinserlösen, und es war beim Start dieses Programms klar,
dass es 2003 endet. Haushaltsmittel sind nicht abgesenkt worden. Das sollten Sie einfach auch einmal zur Kenntnis nehmen, anstatt immer die Unwahrheit zu behaupten.
Drittens, meine Damen und Herren: Wenn es nach all diesen Regelungen, die ich geschildert habe, jetzt trotzdem für den Bund zu finanziellen Einbußen kommt, dann – so hat der Bund bereits angekündigt, als es noch um zwei Monate ging – werden diese Ausfälle auf drei Jahre gestreckt. Deswegen wird die Reduktion der Mittel für Baden-Württemberg im ersten Jahr relativ gering ausfallen. Wir gehen davon aus, dass diese Regelung mit dem Finanzminister auch bei längeren Ausfallzeiten greift.
Es macht überhaupt keinen Sinn, die Regelung mit dem Finanzminister bis ins letzte Detail auszubaldowern, bevor man nicht den Betrag kennt, über den man verhandeln muss. Wenn es sich aber um eine solche Lösung handelt – Investitionen über mehrere Jahre hinweg zu strecken –, dann bedeutet dieses ganze „Mautdesaster“ schlimmstenfalls, dass mit dem Bau einiger Autobahnprojekte erst drei oder vier Monate später begonnen werden kann als ursprünglich vorgesehen. Meine Damen und Herren, bei den üblichen Verzögerungen im Straßenbau ist das nun wirklich kein Grund für lautes Gejammer.