Protocol of the Session on July 16, 2003

Eine letzte Bemerkung: Ich glaube, uns sollte auch mit Genugtuung erfüllen, dass wir hier in diesen Fragen eine so große Übereinstimmung über die Parteigrenzen hinweg haben. Das zeigt, dass alle demokratischen Parteien in Deutschland europäische Parteien sind, und das ist wirklich gut so. Deswegen zum Schluss noch einmal mein Appell: Da diese Übereinstimmung herrscht, möchte ich an die Unionsfraktionen den Appell richten, aus dem Europawahlkampf keinen Anti-Türkei-Wahlkampf zu machen, sondern dieser Verführung zu widerstehen. Selbstverständlich sind wir uns einig, dass die Latte für einen Beitritt der Türkei sehr, sehr hoch liegt. Sie muss letztlich alle demokratischen Rechte und Traditionen mit aufnehmen und erfüllen

(Abg. Hauk CDU: Menschenrechte! Menschen- rechte!)

und sich in die europäische Freiheitsgeschichte einfügen.

(Zuruf der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Aber nur das kann die Hürde sein und nicht irgendwelche verquasten abendländisch-christlichen Bedenken, also religiöse Bedenken, die man dagegen formuliert, weil es ein mehrheitlich muslimischer Staat ist.

(Zuruf der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Das ist einfach mein Appell: Die Messlatte, um nach Europa zu kommen, ist Demokratie.

(Abg. Hauk CDU: Auch Freiheit!)

Die Messlatten sind nicht Kultur und Religion.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Aber das gehört mit da- zu!)

Alle Staaten, deren Territorium mit in Europa liegt, sind hier in dieser Europäischen Union willkommen, wenn sie die Standards von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfüllen. Das ist die Botschaft, die wir draußen vermitteln sollten. Dann brauchen wir auch keine Angst zu haben, ein solches europäisches Vertragswerk vom Volk abstimmen zu lassen. Auch da liegt eine Differenz zur Union vor. Das sollten wir mutig machen. Dann haben wir eine Gelegenheit, die wir sonst nie haben: für dieses großartige europäische Projekt zu werben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Reinhart.

(Zurufe von der SPD)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zwei Vorbemerkungen zu den Kollegen Maurer und Kretschmann. Herr Maurer, Lord Byron hat gesagt: „Freude, die man teilt, kann man doppelt genießen.“

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Das, was Sie hier eingangs an Kritik am Ministerpräsidenten eingebracht haben, hat Ihre Rede weit unter Ihre Fähigkeiten gestellt.

(Abg. Teßmer SPD: Aber Herr Oberlehrer!)

Es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie – wie Ihre Kollegen im Bundestag und wie der Kollege Kretschmann – die wirklich historische Leistung des Ministerpräsidenten bei seiner Arbeit im Konvent gewürdigt hätten und sich darüber gefreut hätten.

(Beifall bei der CDU – Abg. Teßmer SPD: Oh, oh! – Abg. Capezzuto SPD: Sollen wir ihn jetzt selig sprechen?)

Lieber Kollege Kretschmann, wir wollen keinen Anti-Türkei-Wahlkampf führen.

(Abg. Teßmer SPD: Na, das glaube ich nicht!)

Aber wir sind klar der Auffassung, dass es nicht um eine Vollmitgliedschaft der Türkei gehen kann und dass es auch nicht nur um Demokratie geht, sondern auch um die Grenzen: Wo beginnt Europa, und wo endet Europa? Deshalb haben wir dazu eine klare Position. Das hat nichts mit „Anti-Türkei-Wahlkampf“ zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen, meine Herren, ein großer Europäer hat gesagt:

Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist... eine Notwendigkeit für... alle.

Dieser Satz stammt von dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer. Dieses Ziel, das damals als Vision postuliert wurde, ist durch die Arbeit des Konvents heute einen großen Schritt näher gerückt. Wir sind auf dem Weg zu einem Jahrhundertprojekt einer europäischen Verfassung.

Der Konvent setzt sich zusammen aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments, der Nationalparlamente, der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission. Das hat es noch nie gegeben. Ich denke, allein diese Zusammensetzung spricht dafür, dass ein solch hervorragendes Ergebnis zustande kam. Es war „ein Sieg der Demokratie über die Diplomatie“, hat der Kollege Hintze im Bundestag gesagt. Ich glaube, das trifft den Punkt.

Meine Damen, meine Herren, es geht hierbei um zwei zentrale Aspekte. Zum einen geht es um ein Mehr an Transparenz, an Bürgernähe und an Demokratie. Das hat Frau Kollegin Gräßle vorhin zu Recht ausgeführt. Es geht darüber hinaus auch um eine klare Kompetenzordnung. Gerade durch die erreichte Subsidiaritätsklausel wird erstmals ein Verfahren definiert, in dem die Kontrollfunktionen der nationalen Parlamente im europäischen Gesetzgebungsverfahren festgeschrieben sind. Das heißt, es liegt jetzt in der Hand der nationalen Parlamente, mit dem Subsidiaritätsgebot im Gesetzgebungsverfahren tatsächlich Ernst zu machen.

Neben dieser klaren Kompetenzordnung geht es um bürgernahe Entscheidungen und um die Verbesserung der Handlungsfähigkeit in Europa; denn wir haben nach dem Beginn mit dem Europa der Sechs und jetzt mit dem Europa der 15 im nächsten Jahr ein Europa der 25, das sich ganz anderen Herausforderungen gegenübersieht als beim Abschluss der Römischen Verträge.

Vor diesem Hintergrund, meine ich – da möchte ich Ihnen, Herr Kollege Kretschmann, ausdrücklich zustimmen –, ist der Erfolg auch aus der Sicht der Länderparlamente nicht hoch genug einzuschätzen. Es war eben nicht nur eine lose Zielbeschreibung, sondern es wurde sehr wohl jetzt auch im Teil III des Verfassungsentwurfs eine klare und näher definierte Kompetenzabgrenzung gefunden.

Wer die deutschen Zeitungen der letzten Wochen liest, stellt fest, dass das erreichte Ziel der klaren Kompetenzabgrenzungen und auch der Subsidiarität einen Namen trägt.

Das sagte übrigens allenthalben über alle Parteigrenzen hinweg auch jeder Redner im Deutschen Bundestag. Dieser Name lautet Erwin Teufel.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das sollten Sie anerkennen. In diesem Punkt sind wir wirklich dankbar; denn als wir noch vor wenigen Monaten in diesem Plenarsaal die Anhörung über Europa durchführten, als nämlich zum Beispiel Frau Stuart aus England hier gesprochen hat, als die Kollegen von der SPD, die am Konvent teilgenommen haben, hier gesprochen haben, als auch Erwin Teufel seine Sorgen vorgetragen hat, hatten wir ganz andere Sorgen.

Deshalb ist die Bewertung richtig, dass es sich bei dem jetzigen Verfassungsentwurf zwar um einen Kompromiss handelt, aber um einen guten Kompromiss.

Wir haben natürlich die Hoffnung – denn die Durchsetzbarkeit, gerade Stichwort Klagerechte, ist ein wichtiges Moment –, nachdem nunmehr der Bundestag und der Bundesrat das Klagerecht haben, dass es gelingt, was Erwin Teufel angesprochen hat, nämlich eine Vereinbarung der 16 Länder zustande zu bringen, damit kraft dieser Vereinbarung jedes der 16 Länder im Nationalstaat, wenn es seine Rechte verletzt sieht, auf diesem Wege doch noch das Klagerecht bekommt. Das wäre ein großer Erfolg, und es wäre vor allen Dingen auch ein Weg zur Durchsetzung unserer föderalen Interessen.

Hierbei ist besonders zu betonen, dass auch der Ausschuss der Regionen Berücksichtigung gefunden hat und dass es vor allen Dingen darum geht, ein Europa der Bürger zu gestalten, gerade auch mit den geteilten Zuständigkeiten, mit ausschließlicher, geteilter und ergänzender Zuständigkeit.

Es ist außerdem gut, dass die drei Prinzipien beachtet werden müssen, nämlich erstens das Prinzip der begrenzten Einzelfallermächtigung – das ist das Gegenmodell zu den allgemeinen Zuständigkeiten –, zweitens der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und drittens das eben erwähnte Subsidiaritätsprinzip.

Meine Damen, meine Herren, auch dem Präsidenten dieses Parlaments gilt Lob, denn auch er hat sich mit den anderen Länderparlamentspräsidenten dafür eingesetzt, dass die Rechte der Regionen berücksichtigt werden. Wesentliche Anliegen der deutschen Länder sind durch die Verbesserung bei der Kompetenzabgrenzung berücksichtigt und erreicht worden. Manche Forderungen sind nicht berücksichtigt worden, aber ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg.

Neben dieser klaren Kompetenzabgrenzung haben wir vor allen Dingen auch die Festlegung der Kontrolle durch die nationalen Parlamente. Alle Teile des Verfassungsvertrags haben die gleiche Rechtsqualität. Durch den Verfassungsvertrag wird die EU stärker als bisher auch eine Wertegemeinschaft.

Das, Herr Kollege Kretschmann, ist auch ein wesentlicher Teil, bei dem die Türkei Nachholbedarf hat. Das ist ein Grund, warum wir gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei sind; denn Europa ist nicht nur eine Wirtschaftsgemein

schaft, sondern es ist gerade unter dem Aspekt dieser neuen Verfassung auch eine Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der CDU – Abg. Fischer SPD: Hör doch auf!)

Meine Damen, meine Herren, Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Zwei Erzengel standen am Tor von Europa, der Erzengel des Friedens „Nie wieder Krieg!“ und der Erzengel der Freiheit „Nie wieder Knechtschaft!“.

(Abg. Drexler SPD: Wir haben doch vorher keine Knechtschaft gehabt!)

Mit diesem Konventsentwurf sind wir diesem Ziel, Frieden und Freiheit zu sichern, erheblich näher gekommen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil ich das, was in der Debatte gesagt worden ist, ernst nehme, möchte ich zu dem einen oder anderen Punkt noch etwas sagen.