Protocol of the Session on May 7, 2003

Der weitaus größte bürokratische Aufwand ist allerdings nach wie vor durch Vorschriften der EU und des Bundes verursacht.

(Beifall des Abg. Hofer FDP/DVP)

Nach einer Erhebung, die ich in den letzten Tagen habe machen lassen, weil im Land furchtbar viel über zu viele und unsinnige Statistiken gesprochen wird, haben bereits 60 % der Statistiken, die wir heute durchführen, ihre Ursache im EU-Recht, und der Rest ist weitestgehend durch Bundesrecht verursacht.

Deshalb werden derzeit innerhalb der Landesregierung Schritte zur Einbringung von Bundesratsinitiativen zur Reduzierung der Bürokratie auf Bundesebene geprüft. Wo immer sinnvoll und richtig, werden wir diese Initiativen starten.

Auf meinen Aufruf vom November des vergangenen Jahres hin, konkrete Vorschläge zum Abbau belastender Standards mitzuteilen, sind bis heute 200 Schreiben eingegangen. Rund zwei Drittel davon konnten bisher in den Ressorts geprüft werden. Etwa 80 der bisher geprüften Vorschläge werden wir aufgreifen und mit Initiativen und Maßnahmen seitens des Landes weiterverfolgen.

Oft sind es nur kleine Dinge, die geändert und verbessert werden können. Wer sich aber für die kleinen Dinge zu schade ist, der bringt auch die großen nicht voran.

Meine Damen und Herren, wir in Baden-Württemberg bringen die kleinen Dinge voran, und wir bringen die großen Dinge voran, die für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von Bedeutung sind.

Baden-Württemberg steht vor, ja eigentlich schon mitten in einer Verwaltungsreform, die der Gemeinde- und Kreisreform der Siebzigerjahre ebenbürtig ist. Diese Reform wird die Verwaltung unseres Landes in ihrem Aufbau grundlegend verändern. Sie wird unsere Verwaltung schlagkräftiger machen. Sie wird das Land Baden-Württemberg moderner machen. Sie wird das Verhältnis von Bürgern und Staat nachhaltig verbessern. Sie wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ämtern, Behörden und Ministerien die Bereitschaft abverlangen, sich einem weit reichenden Veränderungsprozess zu stellen und daran mitzuarbeiten. Dieser Prozess der Veränderung wird letztlich auch ihnen zugute kommen.

Unsere Verwaltung ist schon heute gut. Die Beschäftigten sind motiviert, leistungsbereit und fachlich kompetent. Deshalb geht es nicht darum, aus etwas vermeintlich Schlechtem etwas Gutes machen zu wollen. Nein, wir gehen diese Verwaltungsreform an, damit aus etwas Gutem etwas noch Besseres werden kann: die moderne Verwaltung für das 21. Jahrhundert, die unser Land braucht. In zwei Jahren wird Baden-Württemberg einen Verwaltungsaufbau und eine Verwaltungsstruktur haben, die im Vergleich der großen Länder in Deutschland neue, zukunftweisende Maßstäbe setzt.

Staat kann man nur machen, wenn man ihn vom Bürger her denkt. Deshalb werden wir mit der großen Verwaltungsreform den Staat wieder näher zu den Bürgern bringen. Wir werden ihn für die Bürger transparenter, durchschaubarer machen. Starke Reduzierung der Ämter, Vereinfachung, mehr Bürgernähe, schnellere Dienstleistungen, größere Effizienz und verständlichere, abgestimmte Entscheidungen ohne Widersprüche zwischen einzelnen Behörden und Ämtern – mit alldem können wir unser erstes großes Ziel erreichen: Die Bürger unseres Landes sollen und müssen von dieser Reform profitieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Unser zweites großes Ziel ist: Der Staat selbst, unser Land Baden-Württemberg muss von dieser Reform profitieren. Wir setzen auf schlankere, besser vernetzte Strukturen. Wir setzen auf integrierte Entscheidungen. Wir setzen auf schnellere Entscheidungswege und -verfahren. Wir setzen darauf, dass wir mit insgesamt weniger Personal die Schlagkraft der Verwaltung nicht nur halten, sondern ausbauen können.

Wir werden mit der großen Verwaltungsreform den Landeshaushalt strukturell in der Größenordnung von jährlich und dauerhaft gut 100 Millionen € entlasten. Konsolidierung und Modernisierung gehen in Baden-Württemberg Hand in Hand.

In einem großen Flächenland wie Baden-Württemberg mit über 10,5 Millionen Einwohnern wird der dreistufige Verwaltungsaufbau zu dem prägenden Strukturelement der Landesverwaltung der Zukunft. Aufbau und Organisation der Landesverwaltung werden so klar und durchschaubar sein, dass sie jeder Bürger versteht.

Alle Ministerien werden mindestens eine Abteilung und mehrere Referate einsparen. Das Staatsministerium geht mit gutem Beispiel voran. Wir bauen in diesen Tagen eine Abteilung ab und reduzieren die Zahl der Referate. Unser Staatsministerium wird dann halb so viele Abteilungen haben wie die entsprechenden Ministerien in Ländern vergleichbarer Größe. Die Ministerien werden weiterhin in ein allgemeines Stelleneinsparprogramm einbezogen.

Die Bündelungsfunktion der Regierungspräsidien, der Landratsämter und der Stadtkreise zur Erfüllung staatlicher Aufgaben wird wesentlich erweitert und gestärkt. Landesoberbehörden und höhere Sonderbehörden werden in die Regierungspräsidien eingegliedert, gegebenenfalls durch Vor-Ort-Zuständigkeiten.

(Ministerpräsident Teufel)

Die unteren Sonderbehörden werden in die Landratsämter und die Stadtkreise eingegliedert. Wir knüpfen damit an die schon erfolgten und erfolgreichen Eingliederungen an.

Die auf örtlicher Ebene seit Jahrzehnten bewährte Einheit der Verwaltung wird auch auf Kreisebene und auf Bezirksebene eingeführt.

Die Stadt- und Landkreise erhalten für die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben einen vollen Kostenersatz. Als Ziel der Eingliederung streben wir allerdings eine Effizienzrendite von 20 % innerhalb von fünf bis sieben Jahren an. Ein Einstellungskorridor wird gewährleistet. Beim reinen Polizeivollzugsdienst findet kein Stellenabbau statt.

Die Beamten des höheren Dienstes und die vergleichbaren Angestellten sowie alle Beamten des Vollzugsdienstes der Polizei bleiben Landesbedienstete. Die Wahrnehmung der Landesaufgaben nach Weisung und die Fachaufsicht der mittleren und obersten Landesbehörden bleiben erhalten. Die Dienstbesprechungen zwischen Landesregierung und den neuen Aufgabenträgern finden regelmäßig statt.

Zudem werden wir eine Aufgabenkritik durchführen. Dabei werden wir Aufgaben abbauen, und wir werden prüfen, welche Zuständigkeiten und Aufgaben von den unteren Verwaltungsbehörden auf die Städte und Gemeinden übertragen werden können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut!)

Mit diesen Maßnahmen setzen wir die Maßstäbe für die Landesverwaltung der Zukunft.

Meine Damen und Herren – auch das ist für die Entscheidungsträger hier im Parlament ja nicht unwichtig –, nahezu alle einschlägigen Werke und Studien zur Verwaltung und zur Verwaltungsreform sprechen sich für die Einräumigkeit der Verwaltung und die Integration von Sonderbehörden in die klassische Verwaltung aus. Mit unserer großen Verwaltungsreform setzen wir Forderungen der Wissenschaft in die Realität um.

Einige Beispiele – ich könnte sie fortsetzen –: Werner Thieme, langjähriger Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Hamburg, schreibt in seinem Standardwerk „Einführung in die Verwaltungslehre“, bei der Organisation der Verwaltungsgliederung müsse „die Bündelungsfunktion im Vordergrund stehen“. Wichtig sei es, dass auf der unteren Ebene „die Einheit der Verwaltung möglichst umfassend verwirklicht wird, wobei es ein Vorteil ist, dass dies unter dem Dach mit der Kommunalverwaltung des Landkreises geschieht. Denn viele Angelegenheiten haben zugleich einen staatlichen und einen kommunalen Aspekt.“

Das von Peter Eichhorn, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, herausgegebene „Verwaltungslexikon“ spricht sich ebenfalls für die Zusammenfassung von Kompetenzen in einer Behörde aus. Zitat: „Für eine horizontale Konzentration spricht die für den Bürger überschaubare Einheit der Verwaltung.“ Die Einheit der Verwaltung diene dazu, „unnötige Reibungsverluste, Zeitund Geldaufwand durch das Zusammenwirken räumlich oder organisatorisch getrennter Behörden zu vermeiden“.

Professor Werner Jann, Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam, schreibt im „Handbuch Verwaltungsreform“, die Optimierung von Leistungsprozessen als Ziel einer Verwaltungsreform sei zu erreichen, indem „die Integration von Aufgaben in größeren, mit umfassenden Aufgaben ausgestatteten Einheiten erlaubt, organisatorische Schnittstellen zu reduzieren und damit die Geschwindigkeit und Qualität der Aufgabenwahrnehmung zu verbessern“.

Klaus König und Heinrich Siedentopf, beide Professoren der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, plädieren in ihrem Buch „Die öffentliche Verwaltung in Deutschland“ wie folgt: „Der traditionelle Brückenschlag auf der Kreisstufe zwischen Kommunen und Staat erleichtert es, hier die Einheit der Verwaltung zu realisieren.“

Das Gutachten der Vetter-Kommission des Landes ist vor Jahren, nämlich 1994, zu einem ähnlichen Ergebnis pro Eingliederung gekommen.

Auch das Hesse-Gutachten im Auftrag des Bundes der Steuerzahler – auch die FDP/DVP-Fraktion hat sich besonders intensiv damit beschäftigt – unterstützt diese Linie praktisch uneingeschränkt.

(Zuruf von der SPD: Ohne Polizei!)

Nein. Ausdrücklich mit Polizei. Sie lesen offenbar nicht die „Stuttgarter Zeitung“. Professor Hesse hat dort ausdrücklich in einem Interview vor wenigen Wochen zum Ausdruck gebracht, man dürfe die Polizei auf keinen Fall ausnehmen. Das Gegenteil von dem, was Sie sagen, ist also richtig.

Noch ein Zitat – für Sie vielleicht nicht ganz unwichtig. Ich sage Ihnen gleich im Voraus, von wem es stammt: vom damaligen Innenminister Birzele. Ich zitiere ihn wörtlich.

(Oh-Rufe von der CDU)

Auch wenn er dafür ist, bleibt es trotzdem richtig, was wir machen, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und Abgeord- neten der FDP/DVP)

Ich darf seine Ausführungen hier im Landtag zitieren:

Es soll auf die Einheit der staatlichen Verwaltung auf der unteren Verwaltungsebene hingearbeitet werden, die Einräumigkeit der staatlichen Verwaltung auf der Kreisebene verbessert, die Schlagkraft der unteren Verwaltungsbehörden erhöht, die Kräfte sollen gebündelt, und nicht zuletzt das Verwaltungshandeln soll beschleunigt werden.... Es wird außerdem nicht ausreichend bewertet, dass die Verwaltungskraft der Landratsämter und der Bürgermeisterämter ungleich höher ist als die der unteren Sonderbehörden.

Originalton des damaligen SPD-Innenministers Frieder Birzele,

(Abg. Drexler SPD: Ja! Das ist doch okay!)

(Ministerpräsident Teufel)

gesprochen im Landtag zur ersten Lesung des Sonderbehörden-Eingliederungsgesetzes am 9. November 1994.

(Abg. Drexler SPD: Das widerspricht nicht!)

Meine Damen und Herren, damit dürfte, meine ich, insgesamt feststehen, dass erwartet werden kann, dass die Reformmaßnahmen der Landesregierung breiteste Unterstützung in diesem Hause erfahren werden;

(Beifall bei der CDU)

denn die CDU und die FDP/DVP stehen ohnehin voll hinter dem Gedanken der Einräumigkeit und der Dreistufigkeit der Landesverwaltung und tragen ihn durch das Gesetzgebungsverfahren.

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang nicht vorenthalten, was mir der Verfasser des letzten umfassenden Gutachtens zur „Regierungs- und Verwaltungsreform in Baden-Württemberg“, Professor Dr. Joachim Hesse, Anfang April in einem Brief geschrieben hat. Ich zitiere ihn wörtlich:

Inzwischen habe ich mich hinsichtlich der von Ihnen eingeleiteten Verwaltungsreform näher informiert und möchte Sie zu diesem umfassenden Reformansatz beglückwünschen. Hier wird ein „politischer Wille“ erkennbar, den ich in meinen inzwischen langjährigen Arbeiten zum Themenbereich häufig als Voraussetzung benannte. Ich wünsche Ihnen beim Vollzug dieser ambitionierten Reform jeden Erfolg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, ich danke den Abgeordneten der beiden Regierungsfraktionen von CDU und FDP/DVP für ihre Unterstützung der Reform. Sie haben damit den Weg für ein zentrales Projekt dieser Legislaturperiode, für eine Reform zum gegenseitigen Vorteil des Landes, der Kommunen und der Bürger frei gemacht.