Protocol of the Session on February 19, 2003

Viertens: Die Gemeinden hängen am Tropf von Bund und Ländern.

Es heißt dann weiter – ich darf noch einmal zitieren –:

Wir sind der Meinung, dass gerade heute die Politik in hohem Maße Handlungsfähigkeit beweisen muss.... Die Zukunftschancen Deutschlands müssen durch einschneidende Reformen gesichert werden. Diese Reformen dürfen sich nicht nur auf das Kurieren von Symptomen erstrecken. Sie müssen vor allem die strukturel

len Ursachen erfassen. Daher müssen sie den rechtlichen und institutionellen Rahmen einbeziehen, innerhalb dessen die politischen Entscheidungen getroffen werden. Eine Erneuerung des Föderalismus, die den Gebietskörperschaften mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung zuerkennt, ist damit ein wesentlicher Bestandteil der erforderlichen Reformen und eine entscheidende Zukunftsfrage für die Bundesrepublik.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie des Abg. Flei- scher CDU)

Meine Damen und Herren, diese Zeilen wurden 1998 formuliert. Heute, im Jahre 2003, gelten diese Zeilen mehr denn je. Damals, 1998, dominierten die SPD-geführten Länder den Bundesrat, im Bundestag hatten CDU/CSU und FDP die Mehrheit. Heute ist die Situation genau umgekehrt: Die von CDU, CSU und FDP regierten Bundesländer dominieren den Bundesrat, Rot-Grün hat eine Mehrheit im Bundestag. Die Formen haben sich geändert, die Konstellationen haben sich geändert, aber das grundsätzliche Problem bleibt selbstverständlich auf der Tagesordnung.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Ich habe von „Verflechtungsföderalismus“ als einer Fehlentwicklung gesprochen. Ich bin davon überzeugt, dass gerade die ausufernden Verflechtungen von Bundeszuständigkeit und Länderzuständigkeit ein wesentlicher Hauptgrund für die aktuellen Steuerungsprobleme der Politik und für die Handlungsunfähigkeit der Politik sind. Deshalb muss an dieser Stelle, muss an der Entflechtung der Zuständigkeiten in besonderer Weise begonnen werden.

Es fehlt an klaren Kompetenzabgrenzungen. Es fehlt deshalb an einer eindeutigen Verantwortlichkeit, an einer Verantwortlichkeit, die die Bürgerinnen und Bürger so auch wahrnehmen können. Letztlich bleibt nämlich die Transparenz politischer Entscheidungen auf der Strecke.

Die Länder üben in diesem Prozess zwar einen ganz erheblichen Einfluss aus – das ist schon richtig; eine Vielzahl der wichtigsten Entscheidungen werden faktisch in Verhandlungsrunden zwischen Bund und Ländern getroffen –, aber die Parlamente, meine Damen und Herren, sowohl Bundestag als auch die Landtage, spielen eben mehr und mehr eine untergeordnete Rolle.

Deshalb ist es richtig, was hier gesagt worden ist: Bei den hier aufgezeigten Fehlentwicklungen sind die Parlamente, und zwar nicht nur die Landtage, sondern letzten Endes auch der Bundestag, die Verlierer.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Dies alles zeigt ja, dass nicht nur die Länder, sondern auch der Bund eigentlich ein hohes Interesse daran haben müssten, diesen notwendigen Prozess der Erneuerung voranzutreiben.

Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund noch einmal Robert Leicht zitieren. Robert Leicht hat von dieser Stelle aus – Sie erinnern sich – am 6. März des vergangenen Jahres eine, wie ich denke, bemerkenswerte Rede gehalten, die nachzulesen sich auch heute noch lohnt, weil er im Grunde

die Richtung vorgegeben hat, in die eine Reform des Föderalismus marschieren muss. Robert Leicht sagt:

Der Föderalismus dient... nicht nur der Bändigung und Kontrolle der Macht, sondern zugleich auch... der Stimulierung... von Politik, und zwar durch den Wettbewerb um die jeweils bessere Lösung. Der Föderalismus ist... in genau dem Maße gerechtfertigt, wie er diesen Wettbewerb freisetzt, statt ihn zu behindern. Ein wettbewerbshemmender Föderalismus bringt sich selber und das ganze Land nach und nach um Lebenskraft und politische Kreativität.

Wenn man sich, Kollege Maurer, diesen Wettbewerbsföderalismus zu Eigen macht, dann stellt sich natürlich die wichtige Frage: Wie ist es mit der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse? Wie kann die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die ja im Grundgesetz auch eine Rolle spielt – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Aber nicht mehr so im Grundgesetz steht, Herr Kollege!)

Doch, der Hinweis auf Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist an verschiedenen Stellen – ich habe die Artikel jetzt nicht im Kopf –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das ist 1994 geän- dert worden!)

jedenfalls vom Thema her nach wie vor im Grundgesetz verankert. Aber die entscheidende Frage ist doch – Kollege Maurer hat sie gestellt –: Wie kann man bei diesem Wettbewerbsföderalismus die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse tatsächlich erreichen? Die Antwort ist interessant. Ich zitiere noch einmal Leicht:

Wenn der Wettbewerb wirklich funktioniert, stellt sich die Einheitlichkeit nach und nach und vielleicht sogar schneller als anders schon von selber ein, nämlich durch die Überzeugungskraft der besseren Lösung – von der Bildungspolitik bis zur Wirtschaftspolitik.

Und er sagt weiter:

Wenn der Wettbewerb funktioniert, dann kann es sich der zunächst Unterlegene nämlich gar nicht leisten, an der Ursache seiner Unterlegenheit bockig festzuhalten. Das kann er nämlich nur, wenn er andere zum Zahlmeister seiner verfehlten Lösungsansätze machen kann.

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, ist im Protokoll vermerkt: „Lebhafter Beifall des ganzen Hauses“.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Drexler SPD: Dann klatschen wir halt auch noch einmal!)

Wenn dies so ist – und ich glaube, es ist der richtige Weg, den Leicht hier aufgezeigt hat –, dann werden alle staatlichen Ebenen von einem Prozess der Erneuerung des Föderalismus profitieren und ganz besonders auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

Übrigens ist noch etwas wichtig: Wenn wir zu einem solchen Wettbewerbsföderalismus im besten Sinne des Wortes Ja sagen, dann stellt sich zum Beispiel die Frage der Not

wendigkeit von Staatsverträgen ganz anders. Dann ist die Bedeutung von Staatsverträgen, übrigens auch von Ministerkonferenzen, wesentlich geringer, als es heute der Fall ist. Meine Damen und Herren, ich hätte nichts dagegen, wenn wir in der Zukunft eine Situation erreichen würden, in der die Bedeutung von Staatsverträgen und auch die Bedeutung von Ministerkonferenzen eher zurückgehen, als dass sie noch zunehmen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Herrmann CDU)

Wir müssen also – das ist die Aufgabe – die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugunsten der Länder reduzieren, und zwar sowohl im Bereich der konkurrierenden wie auch der Rahmengesetzgebung.

Ich will einige Beispiele nennen. Brauchen wir wirklich, meine Damen und Herren, ein Hochschulrahmengesetz?

(Abg. Drexler SPD: Nein, brauchen wir nicht!)

Kollege Oettinger hat es angesprochen. Ich denke, wir brauchen es nicht, jedenfalls nicht ein solches, wie es im Augenblick auf dem Tisch liegt. Man kann über Studiengebühren verschiedener Meinung sein; das steht jetzt nicht zur Debatte. Aber dass in einem Hochschulrahmengesetz der Bund den Ländern darüber Vorschriften machen will, ob Hochschulgebühren eingeführt werden sollen oder nicht, das ist ein eklatanter Verstoß gegen diesen Wettbewerbsföderalismus, und damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich nenne ein weiteres Beispiel der Vermischung. Wir hatten 1949 bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland genau 13 % Gesetze, die zustimmungspflichtig waren. Wenige Jahre später waren 40 % der Gesetze zustimmungspflichtig. Heute sind 70 % aller Gesetze zustimmungspflichtig. Meine Damen und Herren, ich würde es als einen Fortschritt, als einen Segen empfinden, wenn mit einer Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen zugleich die Zahl und der Umfang der Zustimmungsvorbehalte des Bundesrats endlich deutlich verringert werden könnten.

(Beifall der Abg. Kleinmann FDP/DVP und Flei- scher CDU)

Nur so werden wir Blockadepolitik abbauen, nur so werden wir die Handlungsfähigkeit der Politik herstellen, nur so werden wir es erreichen, dass die Länderparlamente wiederum eine eigenständige Politik machen können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Ich nenne ein weiteres Beispiel: Brauchen wir die Mischfinanzierung nach den Artikeln 91 a und 91 b des Grundgesetzes? Brauchen wir die Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a des Grundgesetzes? Wir brauchen sie nach meiner Überzeugung nicht, weil die Länder, wenn sie mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet sind, die notwendigen Prioritäten in Eigenverantwortung sehr viel besser setzen können und weil sie für die eigenverantwortlich getroffenen Entscheidungen auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ihres Landes rechenschaftspflichtig sind.

Meine Damen und Herren, es gibt einen Grundsatz, der lautet: Wer bestellt, der bezahlt. Dieser Grundsatz muss in der deutschen Politik endlich wieder Anerkennung finden und zur Grundlage werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich will ausdrücklich unterstreichen, was meine beiden Vorredner zur Steuerfrage gesagt haben. Auch ich halte die Forderung für richtig, dass jede Ebene des Staatsaufbaus – Bund, Länder und Gemeinden – eine eigene Steuerhoheit erhalten muss. Es muss möglich sein, auch hier zu einem Wettbewerbsverhältnis zu kommen, bei dem jede Ebene selbst die Verantwortung für die von ihr erhobenen Steuern hat.

Meine Damen und Herren, das sind die Themen, die dringlich sind und die wir in Lübeck anpacken müssen. Ich denke, dass Deutschland seine kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen nicht einer bürokratischen oder zentralistischen Einförmigkeit, sondern eher einer Tradition staatlicher und kultureller Vielfalt verdankt.

Die FDP/DVP will jedenfalls erreichen – gemeinsam mit Ihnen –, dass Politik in Deutschland wieder stärker auf dieser Anerkennung von Vielfalt, Eigenständigkeit, Eigenverantwortung und Wettbewerb beruht. Wir wollen echte Subsidiarität, denn Subsidiarität bedeutet letztlich Bürgerorientierung. Wir wollen deshalb nicht bei einer Erneuerung des Verhältnisses von Bund und Ländern stehen bleiben. Vielmehr müssen wir hier ausdrücklich auch die Gemeinden einbeziehen. Das, was wir im Verhältnis zwischen Bund und Ländern an Neuordnung fordern, muss auch im Verhältnis zu den Gemeinden nachvollzogen werden.

Vor diesem Hintergrund hoffe ich sehr, dass der Lübecker Föderalismuskongress keine Eintagsfliege bleibt. Er muss eine Nachfolgekonferenz haben, bei der insbesondere auch Vertreter des Bundes mit am Tisch sitzen. Die eigentlich große Frage für mich ist – das will ich noch einmal bekennen –: Wie werden sich die Bundespolitiker in dieser Frage entscheiden, wie werden sich die Bundespolitiker verhalten? Ich habe ja Verständnis dafür, dass zumindest die heute aktiven MdBs, die heute aktiven Bundespolitiker – es geht ja um eine Grundgesetzänderung, es geht um eine Rückübertragung von Kompetenzen an die Länder – ob einer solchen Alternative, ob einer solchen Fragestellung nicht gerade Hurra schreien. Aber wir müssen diesen Weg gehen.

Ich rege deshalb an, parallel zu dem Lübecker Konvent und zu der Folgeveranstaltung, die zusammen mit dem Bund durchgeführt werden muss – das ist auch eine deutliche Forderung unseres Antrags –, auch ehemalige Politiker in diesen Prozess einzubinden. Wenn ich „ehemalige Politiker“ sage, dann meine ich solche Politiker, die heute zwar nicht mehr in der aktiven Verantwortung stehen, also nicht mehr aktive MdBs sind, aber als Elder Statesmen ein unglaublich hohes Ansehen genießen.

(Abg. Drexler SPD: Vorschlag!)

Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel Hans-Jochen Vogel, Roman Herzog, Hans-Dietrich Genscher oder ande

re in einem solchen Verfassungskonvent mitarbeiten, und zwar mit dem Ziel, darauf hinzuwirken, dass die dringend notwendige Föderalismusreform an Fahrt gewinnt, immer auch mit Blick auf den Bund. Die Länder brauchen nicht reformiert zu werden, aber der Bund muss reformiert werden.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)