Aber Sie, Herr Drexler, sind sicherlich mit mir einig, dass es insbesondere darum geht, den Bund davon zu überzeugen, dass ein solcher Konvent mit aktiven, hoch angesehenen Politikern einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, die Föderalismusreform auf den Weg zu bringen.
Ziel der ganzen Veranstaltung – das will ich auch noch sagen – muss sein, dass noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestags Ergebnisse erzielt und entsprechende Beschlüsse nicht nur beraten, sondern auch gefasst werden. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Erneuerung der bundesstaatlichen Ordnung. Ich denke, dies ist ein wichtiges Stück Reformpolitik, um den Karren Bundesrepublik Deutschland insgesamt wieder zum Laufen zu bringen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute hier einen gemeinsamen Antrag zur Föderalismusreform vorgestellt, der sehr wichtig werden kann, wenn wir uns dann in der Nachfolge des heutigen Tages auch als Motoren in diesem Reformprozess verstehen. Die Bedingungen sind günstig, da es wenige Landtage sind, die einen so weit gehenden Entwurf unter allen Fraktionen zustande gebracht haben. Aber wenn Sie mit den Vertretern der Stadtstaaten oder gar mit Vertretern Ihrer Parteien im Bund reden, werden Sie sofort merken, dass es sehr viel schwieriger ist, in den Ländern einen Konsens zu finden als in einem Land zwischen den Fraktionen, und beim Bund ist es, glaube ich, noch härter.
Deswegen wird es wichtig sein, auch gegenüber der Öffentlichkeit zu begründen, warum denn eine föderale Ordnung für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land das Richtige ist. Denn nur wenn wir eine öffentliche Debatte in diesem Prozess bekommen, entsteht auch wirklich der Druck, nachher praktisch tatsächlich etwas zu erreichen.
Lassen Sie mich deswegen ein paar grundsätzliche Bemerkungen dazu machen. Während die Französische Revolution die universalen Menschen- und Freiheitsrechte als
Grundlage einer nationalstaatlichen Ordnung freier und gleicher Bürgerinnen und Bürger festgeschrieben hat und damit die Grundlage für eine republikanische repräsentative Ordnung gleicher und freier Bürger in einem gewaltenteiligen Staat und damit für alle Demokratien auf der Welt gelegt hat, hat etwa die Bildung der Schweizer Eidgenossenschaft – das ist ja ein ideengeschichtlich wenig beachteter Vorgang – den Gedanken der Freiheit eher aus dem Kantonsprinzip in Verbindung mit direkter Demokratie entfaltet.
Die amerikanische Revolution hat beide Prinzipien zusammengefasst. Wir haben ja dort eine der ältesten und angesehensten Demokratien auf der Welt, die eben das republikanische mit dem föderalen Element in einer klaren Kompetenzordnung durchgesetzt hat, und das ist eine föderale Ordnung, die sehr viel weiter geht als unsere eigene in der Bundesrepublik Deutschland und deswegen genauso gut, ja, ich möchte sagen, noch besser funktioniert.
Die Deutschen haben nach den schlechten Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur, die ja alle Freiheitsrechte aufgehoben, aber auch die Länder sofort gleichgeschaltet und alle föderalen Strukturen zerschlagen hat, eine demokratische Ordnung errichtet, in der die Grundrechte einklagbares Recht sind, in der aber auch eine föderale Struktur, vor allem aber auch die kommunale Selbstverwaltung ein Gemeinwesen geschaffen haben, angesichts dessen wir nach 50 Jahren sagen können: Wir sind eine gefestigte Demokratie.
Allerdings muss man sagen, dass in der Konstruktion der zweiten Kammer als eines reinen Exekutivparlaments schon eine tief sitzende Staatsgläubigkeit zum Ausdruck kam, und die negativen Folgen spüren wir heute. Es ist also wichtig, dass wir in der öffentlichen Debatte noch einmal klar machen, dass es beim föderalen Prinzip insbesondere um Selbstverwaltung geht, ja letztlich um Selbstregierung und um das Subsidiaritätsprinzip. Das heißt, dass sowohl zivilgesellschaftliche Elemente, die in Deutschland, wo es sehr viele Aktivitäten außerhalb des Staates gibt, bei denen Verantwortung übernommen wird, sehr stark sind, als auch die dezentralen Komponenten gestärkt werden. Ich glaube, dass in einer Massengesellschaft und in einer zusammenwachsenden Welt Demokratie für die Menschen anders gar nicht wirklich erlebbar wäre, weil dann für sie alles zu weit weg entschieden würde.
Schauen wir uns einmal Frankreich und Großbritannien an. Das sind klassische zentralistische Staaten, in denen wir heute einen Aufbruch hin zu Dezentralität und Regionalisierung haben – in Großbritannien geschieht dies zum ersten Mal nach 700 Jahren und trifft dort auf große Bedenken.
In Frankreich wird sich – neben den klassisch aufmüpfigen Elsässern oder Korsen – zum ersten Mal klar zu mehr Regionalismus bekannt.
die zeigen, dass der Föderalismus in einer immer komplexer werdenden Welt eigentlich der Königsweg ist. Das sollten wir den Menschen in unserem Lande immer wieder klar machen. Das können wir aber nur, wenn wir den Zustand des deutschen Föderalismus ändern. Ministerpräsident Teufel merkt ja im Europäischen Konvent, wie schwer es dort ist, den Gedanken von Subsidiarität und föderalen Strukturen durchzusetzen, da der Föderalismus so, wie er sich zurzeit in Deutschland gestaltet, nun wahrlich nicht als besonders attraktiv angesehen wird, sondern eher als eine Problemorganisation, bei der eine Ebene die andere blockiert. Natürlich kann so etwas nicht Modell für andere sein. Darum ist es, glaube ich, in Europa auch von unserer Seite aus so schwierig und mühsam, die Richtigkeit dieser Grundgedanken in den Europäischen Konvent einzubringen und dort auch durchzusetzen.
Ich glaube, die Entwicklung zum Beteiligungsföderalismus in Deutschland ist eine Fehlentwicklung. Das ist ja schon von meinen Vorrednern ausführlich dargelegt worden. Wir haben inzwischen eine völlige Intransparenz. Man muss sich einmal vorstellen, dass es auf der Bund-Länder-Ebene tausend Kommissionen gab, die die einzelnen Punkte verhandelten. Ihre Zahl ist jetzt um ein Drittel reduziert worden. Das heißt, es gibt immer noch etwa 700 solcher Kommissionen. Das ist ein Verfahren einer Gesetzgebungskammer, dem jegliche Transparenz fehlt. Es ist klar, dass die Bürgerinnen und Bürger damit eigentlich überhaupt nichts mehr anfangen können.
Die erwähnte Entwicklung, zu der auch solche Einrichtungen wie die Kultusministerkonferenz beigetragen haben, indem sie selbst diesen Gedanken eines unitarischen Bundesstaats befördert haben und zum Schluss eigentlich freiwillig jeden Wettbewerb und jede Vielfalt ausgeschlossen haben, ging natürlich mit der Aushöhlung der Kompetenz der Länderparlamente einher.
Zusammen mit dem nivellierenden Länderfinanzausgleich, der jetzt wenigstens ein bisschen korrigiert wurde, ist natürlich auch in Bezug darauf, was die materielle Grundlage betrifft, alles dahin gelaufen, dass man sich zum Schluss nur noch um Einheitlichkeit bemüht. Auch das war ein verhängnisvoller Grundsatz in Artikel 72 des Grundgesetzes. Immerhin ist diese Formulierung bei der Verfassungsreform 1994 in „gleichwertige Lebensverhältnisse“ geändert worden. Ich glaube, es ist noch nicht überall vollständig durchgedrungen, dass wir Gott sei Dank von der Einheitlichkeit weggekommen sind und mit dieser Gleichwertigkeit doch eine Möglichkeit für mehr Vielfalt und Eigenständigkeit besitzen.
Es ist klar: Wenn nach einem riesigen bürokratischen Aufwand zum Schluss dasselbe wie das herauskommt, was herausgekommen wäre, wenn man einen Zentralstaat hätte, weil nur noch ein Gedanke herrscht: „Wie wird alles gleich?“, dann macht sich der Föderalismus natürlich überflüssig.
Ein zweiter Aspekt ist natürlich die parteipolitische Instrumentalisierung des Föderalismus. Mein Kollege Oettinger
sagt ja immer sehr gern, die Ministerpräsidenten, die sich zu Hause langweilten, spielten sich im Bundesrat als „Nebenkanzler“ auf. Wir haben das auch im Bundestag erlebt,
(Abg. Herrmann CDU: Schröder, Lafontaine, Eng- holm! Alle! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Teufel!)
Wenn Biedenkopf in die Afghanistan-Debatte eingreift – die Länder sind ja nun wirklich nicht für die Außenpolitik zuständig – und das Einzige, was er ausführen kann, in der Aussage besteht, dass auch sächsische Soldaten nach Afghanistan müssten, dann ist das natürlich auch ein klarer Missbrauch der ganzen Struktur.
Oder wenn Koch die vorletzte Landtagswahl mit einer Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft im Wahlkampf gewinnt, für die das Land Hessen in keiner Weise zuständig ist, sondern ausschließlich der Bund, dann sieht man, dass diese Leute eigentlich selber den Föderalismus beschädigen.
(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist so, wie wenn die Grünen bei den Landtagswahlen das Irak-Thema hochziehen! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)
Nicht vergessen haben wir die Schmierenkomödie, die anlässlich der Behandlung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat aufgeführt wurde, wo ein gestandener Ministerpräsident und ein gestandener Innenminister – der eine von der SPD, der andere von der CDU – noch nicht einmal wussten, dass man im Bundesrat nur einheitlich abstimmen kann,
und da einen vorher abgesprochenen Zauber veranstalteten, der ein solches Gremium öffentlich beschädigen muss.
(Abg. Drexler SPD: Glänzender Zauber! – Abg. Hauk CDU: Ahnungsloser Bundesratspräsident! – Gegenruf des Abg. Birzele SPD: Die zwei Bundes- verfassungsrichterinnen sind nicht ahnungslos! Sind Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts ahnungs- los? Das haben Sie gerade unterstellt!)
Wir werden bei der Föderalismusreform nur vorankommen, wenn wir solche parteitaktischen Instrumentalisierungen absolut hintanstellen und nur an der Sache entlang argumen
tieren. Ansonsten wird das Ganze überhaupt keinen Erfolg haben. Darum habe ich das relativ ausführlich ausgeführt. Es wird darauf ankommen, wieder eine klare föderale Struktur zu wollen – das ist jetzt ausführlich begründet worden –, aber auch Abstand davon zu nehmen, das parteipolitisch zu instrumentalisieren. Ansonsten wird in Lübeck und bei Folgeveranstaltungen überhaupt nichts herauskommen. Das muss, glaube ich, allen sehr klar sein.
Heute erscheint der Föderalismus vielen als Reformbremse. Die Reformrichtung muss deswegen heißen: Hin zu Gestaltungsföderalismus, zu Vielfalt und Wettbewerb, natürlich auch zu Solidarität; das ist klar. Wenn wir das Gebot der Solidarität nicht beachten, werden wir etwa mit den finanzschwachen Ländern überhaupt keine Einigung über diese Fragen erzielen, denn sie sind teilweise die Profiteure dieser ganzen Konstruktion; das darf man nicht vergessen. Auch da ist Sensibilität gefragt.
Es geht um mehr Dezentralisierung von Kompetenzen, aber auch von Steuern; das ist auch schon ausgeführt worden. Es geht um klare Zuständigkeiten, um die Rückführung der Mischfinanzierung. An ihr erkennt man eigentlich am deutlichsten, wie unsinnig die ganze Entwicklung ist. Finanzschwache Länder wie etwa Schleswig-Holstein können die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gar nicht mehr abrufen, weil sie die Komplementärmittel nicht zur Verfügung stellen können. Umso mehr können die, die diese Mittel noch haben, wie etwa wir, sie abrufen. Das kehrt den Sinn dieser Gemeinschaftsaufgabe um und ist völlig unsinnig.