Protocol of the Session on January 22, 2003

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

(Abg. Zimmermann CDU: Jetzt kommen die Wirt- schaftsexperten!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein paar kurze Bemerkungen.

Erstens: Herr Kollege Hofer, bei der Scheinselbstständigkeit und den Minijobs haben nicht wir Fehler gemacht, sondern die Bundesregierung, und wir konnten uns da nicht durchsetzen. Das Problem dürfte Ihnen nicht ganz unbekannt sein.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber ihr habt anders ar- gumentiert! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Zweitens: Der halbe Mehrwertsteuersatz, Herr Kollege Döring, ist meines Wissens eine Experimentierklausel der EU, die in einigen Berufen ausprobiert wird. Man muss abwarten, was das da bringt, und dann kann man weitersehen. Ich weise aber auch nochmals darauf hin, dass wir bei den Mehrwertsteuersätzen in Europa im mittleren Feld liegen und dass das Problem in anderen Ländern nicht so groß ist, weil diese an sich höhere Mehrwertsteuersätze haben.

Drittens: Das Ladenschlussgesetz ist die Deregulierung, von der ich am allerwenigsten halte,

(Abg. Hofer FDP/DVP: Aber Sie machen mit!)

weil ich nicht glaube, dass die Leute, nur weil die Läden länger geöffnet sind, mehr kaufen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Warum machen Sie dann mit?)

Aber das ist gar nicht mein Hauptargument. Das zeigt immer, wie eindimensional Sie denken. Man muss doch auch fragen: Ist das für die dort Beschäftigten eine familienfreundliche Regelung? Wir bemühen uns um die verlässliche Halbtagsschule, damit sie für die Familien verlässlich ist.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Das Ladensterben findet jetzt statt!)

Wenn Sie jetzt die Arbeitszeit rund um die Uhr ermöglichen, ist das dann familienfreundlich? Ich will Ihnen damit nur sagen: Man darf bei solchen Vorschlägen nicht nur so eindimensional denken wie Sie. Es gibt immer mehrere Interessen zu berücksichtigen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Jetzt komme ich zu meinem Hauptpunkt. Jetzt möchte ich Ihnen nachweisen, dass meine These, dass das, was Sie machen, unseriös ist, weil Sie die Finanzierung nicht diskutieren, stimmt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Noll?

Nicht gern, aber nur aus Zeitgründen, Herr Kollege.

Herr Dr. Noll.

Herr Kollege Kretschmann, zur Familienfreundlichkeit: Nehmen Sie wahr, dass Familienfreundlichkeit für die Kunden auch ein Thema der Ladenöffnungs- und der Ladenschlusszeiten ist und dass dies in der Regel mehr Familien betrifft als Familien jener, die dort beschäftigt sind?

(Zuruf von der SPD: Daran hat keiner gedacht!)

Sie können mir glauben, dass die Frauen, die Kinder haben und einkaufen, es in der Regel bei den bestehenden Ladenöffnungszeiten auf die Reihe bekommen, rechtzeitig einzukaufen, weil sie gewohnt sind, ihre Familie zu organisieren.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber wie! – Abg. Hoff- mann CDU: Die berufstätig sind!)

Das, was Sie wollen, nützt irgendwelchen durchgeknallten Singles, denen nachts um eins einfällt, was sie noch brauchen, aber vergessen haben einzukaufen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Birk CDU: Das sind doch eure Wähler! – Unruhe)

Mit solchem Zeug will ich jetzt meine Zeit nicht verschwenden.

Ich will Ihnen jetzt zentral nachweisen, dass meine These stimmt, dass das, was Sie tun, nicht seriös ist. Sie machen nämlich Versprechungen, die nicht finanzierbar sind. Was wäre das Wichtigste, was die Landesregierung für den Mittelstand zu tun hätte? Unsere jungen Menschen gut auszubilden,

(Minister Dr. Christoph Palmer: Das machen wir! – Abg. Dr. Birk CDU: Wir haben die niedrigste Ju- gendarbeitslosigkeit!)

damit sie gut ausgebildet in die Berufe gehen können. Was ist aber Tatsache? Seit Jahren sind Sie nicht in der Lage, 1 000 Deputate im Pflichtbereich bei den Berufsschulen zu besetzen. Warum? Weil Sie nicht in der Lage sind, in Ihrem Haushalt das Geld für diese 1 000 Deputate zusammenzubekommen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Minister Dr. Christoph Palmer: 23 % Bildungsanteil! – Zu- ruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Was will ich damit sagen? Dort, wo Sie selber die Verantwortung haben, scheitern Sie an der Aufgabe einer richtigen Berufsschulausbildung, weil Sie nicht in der Lage sind, die Mittel zusammenzubringen. Ich gebe zu: Das ist auch außerordentlich schwierig.

(Abg. Dr. Birk CDU: Dann sind wir auf Ihre Vor- schläge gespannt!)

Gehen Sie dann aber auch mit anderen Gremien wie zum Beispiel dem Bundestag so um, dass Sie seriös argumentieren. Das Einmaleins der Seriosität heißt: Man stellt keine Forderungen, die nicht bezahlbar sind.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Birk CDU: Wir messen Sie an Ihren Taten!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Notwendigkeit einer durchgreifenden Verwaltungsreform – beantragt von der Fraktion der SPD

Das Präsidium hat eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion, gestaffelt, festgelegt, wobei die Redezeit in zwei Runden verbraucht werden soll.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben seit 50 Jahren eine Verwaltungsstruktur, die in den Siebzigerjahren einmal verändert wurde. Nach all dem, was wir diskutiert haben, auch in diesem Hause, sind wir der Auffassung – da kann man dann im eigenen Haus seine Reformbereitschaft wirklich bezeugen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU –, dass wir die Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger wieder durchschaubarer machen müssen. Deswegen gehört sie auf den Prüfstand. Wir brauchen eine Verwaltungsreform, um die Verwaltung erstens wieder bürgernah, transparenter, schlank und leistungsfähiger zu machen; das heißt, insbesondere Planung und Um

setzung müssen in Baden-Württemberg in eine Hand kommen. Zweitens müssen wir für die Kunden die Entscheidungswege verkürzen. Drittens wollen wir als weiteres wichtiges Ziel damit auch wieder die Kommunen stärken.

Nur mit einer durchgreifenden Verwaltungsreform wird die Verwaltung auf Dauer wieder bezahlbarer werden. Ich will einmal am Beispiel der Pensionslasten begründen, warum wir das machen müssen. Die Pensionskosten für unsere Landesbeamten betragen jetzt im Jahre 2002 2,3 Milliarden €. Im Jahre 2013 steigen sie auf 4,7 Milliarden € und liegen im Jahre 2020 bei 7,3 Milliarden €. Das sind nur die Pensionslasten, ohne Bezahlung des öffentlichen Dienstes. Jedem Abgeordneten, der darüber nachdenkt, muss doch klar sein, dass wir die Verwaltung im Grunde genommen vereinfachen und verschlanken müssen, weil wir sie in Zukunft sonst nicht mehr bezahlen können, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich schaue vor allem die CDU an.

Nun jammert die Landesregierung dauernd über Finanzierungskosten. Warum sagt die Landesregierung aber nicht: „Wir gehen einmal daran, die einzelnen Verwaltungsbereiche zu vereinfachen“? Von der Landesregierung werden laufend Forderungen aufgestellt, 7 000 oder 5 000 Stellen müssten wegfallen. Die Landesregierung lässt aber die Hierarchien, die Strukturen und die Aufgaben gleich. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, hält keine Landesverwaltung in Zukunft aus.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind auch gespannt, wie weit die FDP/DVP mitmacht – nicht im Detail; darüber kann man ja lange diskutieren –, ob das, worüber wir seit über einem Jahr in diesem Hause diskutieren, endlich umgesetzt wird, dass wir einmal ernsthaft miteinander eine Debatte über eine Verwaltungsreform führen.

Nachdem ja der Ministerpräsident immer wieder aus Zeitungen zitiert – meistens aus nördlich der Mainlinie erscheinenden Zeitungen –, will ich einmal drei Zeitungen – südlich der Mainlinie – zitieren, die sich mit diesem Thema befassen.

„Badische Zeitung“, 14. Januar 2003, Leitartikel:

Baden-Württemberg erstarrt – Schuld hat eine Regierung, die verwaltet, statt zu gestalten.

Es mangelt an Ideen, an Konzepten und dem Mut, sie umzusetzen. SPD und Grüne versuchten es jüngst mit Vorstößen zur Verwaltungsreform. Die ersten Reaktionen stimmen jedoch nicht hoffnungsvoll. Dabei war bereits das vergangene Jahr für die Landespolitik ein verlorenes.

„Stuttgarter Zeitung“ vom 9. Januar 2003: