Protocol of the Session on December 11, 2002

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Ganze nennt sich Bürgergeld. Wir sind uns also im Ziel einig, eine Grundsicherung für unsere Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich sage, ich wolle Leistung nicht mehr belohnen, sondern das hat bei aller Orientierung auf die Leistungsfähigkeit damit zu tun, dass diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht leistungsfähig genug waren, sich eine Grundsicherung für das Alter selbst aufzubauen, nach liberaler Ansicht ein Anrecht auf eine Grundsicherung haben, mit der sie von denen, die leistungsfähig sind, nämlich von allen Steuerzahlern und nicht von einzelnen Bereichen, aufgefangen werden.

(Beifall des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Wir wollen also diese Grundsicherung haben. Wir hätten uns einen anderen Weg vorstellen können.

(Abg. Pfister FDP/DVP: So ist es!)

Ich weiß aber, dass es furchtbar schwierig ist, einen anderen Weg zu gehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Jetzt standen wir vor der Frage: Wenn das Ziel an sich erreicht werden kann, auch wenn der Weg nicht genau der ist, den wir wollen, wollen wir dann die Menschen, die auf diese Grundsicherung warten, als Geiseln nehmen und sagen: „Weil Rot-Grün einen falschen Weg geht, stimmen wir der Grundsicherung nicht zu“? Ich freue mich, dass wir das nicht tun werden. Die Mehrheiten im Ausschuss haben das ja gezeigt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Ich sage also ganz klar: Der Weg ist nicht richtig. Das Ziel ist richtig, auch wenn es der falsche Weg ist. Wir werden diesem Ziel – ich nehme das vorweg – mehrheitlich oder einstimmig zustimmen.

Jetzt kommen die Kritikpunkte. Die Kritikpunkte sind natürlich – da muss man allerdings noch ein bisschen Aufklärung betreiben –, dass man schon Sorge haben muss, ob die versprochene Kompensation der zusätzlichen Kosten vom Bund tatsächlich in voller Höhe gewährleistet wird. Ich habe schon bei der Ersten Beratung gesagt: „Schätze koa fehle“, sagt man im Schwäbischen. Es sind geschätzte Zahlen. Aber im Gesetzestext ist festgelegt, dass dann, wenn die Schätzungen nachweislich nicht stimmen, die zusätzlichen Kosten nachträglich erstattet werden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Das heißt aber natürlich trotzdem, dass die Kreise und Kommunen zunächst einmal in Vorleistung treten.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Aber sie bekommen es er- setzt!)

Kritikwürdig ist auch, dass sie bei den Sach-, Personal- und Verwaltungskosten mit Sicherheit nicht mit einer Erstattung rechnen können. Nun weiß ich auch, dass die einen sagen: „Das geht dann bei der Sozialhilfe weg. Das ist gar nicht so viel.“

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wobei die Stellen auch differieren!)

Man kann es nicht wegdiskutieren, Kollegin Haußmann: Auf die Kommunen wird eine zusätzliche Belastung zukommen, die möglicherweise in der Mitte zwischen dem liegt, was die Kommunen befürchten, und dem, was Sie versprechen. Das ist bei allem Festhalten am Ziel kritikwürdig.

Lassen Sie mich ganz zum Schluss – ich bin stellvertretender Landesvorsitzender eines großen Selbsthilfeverbands für Mehrfachbehinderte – einfach einmal auf eines hinweisen: Das trifft ja nicht nur auf die Menschen zu, die von verschämter Altersarmut betroffen sind, die übrigens nicht dadurch herbeigeführt werden kann, dass man rechtzeitig sein Vermögen vererbt. Da gibt es im Gesetz – noch einmal hineinschauen – ganz klare Regelungen für den Fall, dass jemand durch Vererben usw. mutwillig diese Armut herbeiführt. Ich unterstelle zudem den Menschen üblicherweise nicht immer nur das Böse. Selbst bei einer Grundsicherung nehme ich einmal an, dass man in der Regel sein Vermögen nicht verschleudert und sagt: Ich bekomme ja nachher Geld vom Staat. So sind die Menschen, jedenfalls in BadenWürttemberg, in der Regel nicht, und ein Liberaler geht von einem anderen Menschenbild aus.

(Abg. Seimetz CDU: Immer diese bösen Bemer- kungen! Ganz böse Bemerkungen! Eine Ober- schwester sollte das nicht machen!)

Ich möchte jetzt auf die zweite Gruppe eingehen, die im Wesentlichen von dieser Grundsicherung profitieren wird. Das sind die Menschen ab 18 Jahren, die dauerhaft behindert sein werden. Jetzt will ich einfach einmal sagen: Auch da gilt, dass dann, wenn die Eltern Millionäre sind, das behinderte Kind oder das dann erwachsene behinderte Kind natürlich keine Grundsicherung erhalten wird. Wir haben also diesen Rückgriff nicht total abgeschafft, aber wir werden ihn auf wesentlich höherem Niveau festschreiben.

Jetzt will ich Sie einfach einmal etwas fragen. Wenn Sie Kinder haben – ich habe zwei Kinder –, wissen Sie, dass die, wenn sie einmal erwachsen sind, auf eigenen Füßen stehen. Dann kann ich zumindest finanziell für meine Lebensplanung sicher sein, dass die es in aller Regel schaffen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, dass Sie ein behindertes Kind haben. Wenn es 18 ist und wenn es 21 ist und wenn es 28 ist, ist mir das egal, wenn ich Millionär bin, aber wenn ich Durchschnittsverdiener bin, hoffe ich, dass es meine finanzielle Situation lebenslang genehmigt, dass ich dem Kind die notwendigen Hilfen geben kann. Können Sie nicht nachvollziehen, dass das vielleicht tatsächlich ein großer Fortschritt ist, wenn man genau dieser breiten Masse von Menschen, um die es da geht, die Sicherheit gibt, dass ein liberaler Staat – trotz allem Berufen auf einen schlanken Staat, auf einen Staat, der die Leistungsfähigen stärkt – die Nichtleistungsfähigen, die Leistungsgeminderten ein Stück weit auffängt? Deswegen mein Appell – wir werden das Gesetz eh jetzt einstimmig beschließen –: Lasst uns jetzt nicht weiter herummäkeln, sondern lasst uns als Anwälte der Kommunen peinlich genau darauf achten, dass die Versprechungen, die die rot-grüne Bundesregierung den Kommunen gemacht hat, auch eingehalten werden, notfalls

durch eine Bundesratsinitiative. Mit diesem Versprechen können wir, glaube ich, jetzt alle guten Gewissens diesem Grundsicherungssystem zustimmen.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und den Grü- nen sowie Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Frau Abg. Lösch.

(Große Unruhe)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Grundsicherungsgesetz – der Kollege Noll hat es gerade gesagt – soll vor allem Altersarmut verhindert werden und behinderten Menschen eine von Unterhaltsansprüchen den Eltern gegenüber unabhängige Leistung gewährt werden.

Lassen Sie mich jetzt noch kurz zu den zwei Knackpunkten etwas sagen.

Zum einen: Grundsicherung ist bedarfsorientiert. Das heißt, das eigene Einkommen und Vermögen wird berücksichtigt, und die Leistung wird weitestgehend der Sozialhilfe angepasst. Der Unterschied liegt darin, dass Angehörige mit einem Jahreseinkommen unter 100 000 € nicht zum Unterhalt herangezogen werden. Das ist auch unter dem Gesichtspunkt vernünftig, den die zwei letzten Altenberichte der Bundesregierung herausgestellt haben. Man kann es gar nicht oft genug sagen, dass das Gefühl der Einkommenssicherheit bei alten Menschen erheblich auch zu einem subjektiven Wohlbefinden beiträgt. Dieses Gefühl der Einkommenssicherheit, diese finanzielle Unabhängigkeit war und ist nach wie vor das Hauptanliegen, das wir bei der bedarfsorientierten Grundsicherung haben. Die bedarfsorientierte Grundsicherung verfolgt das Ziel, dass all denjenigen, die einen grundsätzlichen Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, ein Existenzminimum garantiert wird, und zwar in Unabhängigkeit von den Kindern, aber auch in Unabhängigkeit vom Sozialamt. Ich glaube nicht, dass man hier davon sprechen kann, dass der Sozialstaat missbraucht wird oder dass irgendwelche Kosten sozialisiert werden.

Der zweite Kritikpunkt, der sowohl im Sozialausschuss als auch im Finanzausschuss, wie ich dem Protokoll entnehmen konnte, als auch bei der ersten Lesung schon vorgebracht worden ist, ist das Argument der zusätzlichen Belastung der Kommunen. In der Diskussion ist mehrfach gesagt worden, dass der Bund für die Mehrkosten einen Erstattungsbetrag in Höhe von 409 Millionen € zur Verfügung stellt und die Höhe dieses Erstattungsbetrags alle zwei Jahre überprüft wird. Nach wie vor wird behauptet – im Finanzausschuss; das habe ich nachgelesen –, dass massive Belastungen in Höhe von 2,4 Milliarden € auf die Kommunen zukämen. Ich habe recherchiert, ich habe nachgefragt, und ich habe auch mit dem Gemeindetag und dem Städtetag gesprochen. Diese Summen, die hier genannt werden, sind wirklich rein spekulativ. Eines kann man aber einmal ganz klar feststellen: Der Betrag, den der Bund erstattet, soll Mehraufwendungen der Kommunen und Landkreise ersetzen für Sozialhilfekosten, für Kosten, die dadurch entstehen, dass der Unterhaltsrückgriff für bestimmte Personen wegfällt, zum Zweiten für die Kosten des Gutachtens bei Erwerbsminde

rung und zum Dritten in den Fällen, in denen die Pauschalen den tatsächlichen Bedarf nicht abdecken.

Nicht erstattet werden in der Tat – da gebe ich Ihnen Recht – zusätzliche Verwaltungskosten. Sie müssen aber auch sehen, dass Verwaltungsabläufe mit der Grundsicherung vereinfacht werden. Ich denke, das ist ein Argument, das auch nicht von der Hand zu weisen ist.

Summa summarum würde ich sagen: In der Debatte um die Grundsicherung wird viel spekuliert und sehr wenig differenziert diskutiert. Ich finde das sehr schade im Interesse des Projekts der Grundsicherung und hoffe, dass Sie sich davon überzeugen können, dass das Gesetz zur bedarfsorientierten Grundsicherung ein gutes Gesetz ist, und freue mich heute trotz alledem über Ihre Zustimmung.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Gustav- Adolf Haas SPD)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Repnik.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat die Einführung einer Grundsicherung immer nachdrücklich abgelehnt. Wir haben ihr nie zugestimmt – sie war im Rentenreformgesetz mit vorgesehen –, wir haben sie immer abgelehnt.

(Abg. Alfred Haas CDU: Frau Haußmann, haben Sie es gehört?)

Deswegen haben wir auch im Bundesrat gegen das Grundsicherungsgesetz gestimmt.

Wir sind der Auffassung – Kollege Schuhmacher hat es schon angesprochen –, dass ein genereller Verzicht auf die bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverpflichtung die Solidarität zwischen den Generationen schwächt und er außerdem im Widerspruch zu dem Ziel einer aktiveren Sozialpolitik steht.

Man muss sich einmal Folgendes überlegen – das passt doch überhaupt nicht mehr in die heutige Zeit –: Jemand bekommt eine Mindestrente – Grundsicherung ist nichts anderes als eine Mindestrente – von bis zu 750 €.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: 640 €!)

Das entspricht 29 Arbeitsjahren eines Eckrentners – 29 Arbeitsjahre als Eckrentner, dann bekommt er diese Rente. Da stimmt es doch einfach nicht mehr.

Wenn Sie auf die Situation bei den Behinderten hinweisen, dann kann ich nur sagen: Es wäre viel einfacher gewesen, wenn man im BSHG diese Regelung getroffen hätte und ein Leistungsgesetz auf den Weg gebracht hätte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition behauptet heute, der Bund leiste den Kommunen einen vollen Kostenausgleich für die Mehraufwendungen der Grundsicherung. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Wie Sie auch den Berechnungen in der Gesetzesbegründung unschwer entnehmen können, gleicht der Bund lediglich einen Teil aus, nämlich die Mehrkosten, diese 15 %, die aufgrund

(Minister Dr. Repnik)

des Wegfalls der Unterhaltsleistungen und der Leistungsausweitungen gegenüber der Sozialhilfe entstehen. Aber die sicher höheren Fallzahlen, die entstehen, weil Kinder ihren Eltern sagen: „Jetzt bin ich nicht mehr unterhaltspflichtig, jetzt gehst du bitte hin und holst es dir also auch“, sind überhaupt nicht berücksichtigt.

Im Übrigen entstehen zusätzliche Mehrkosten in der Verwaltung. Die CDU-Fraktion hat Anfang Oktober einen Antrag auf den Weg gebracht, durch den diese Zahlen einmal bei allen Stadt- und Landkreisen abgefragt werden sollten. Die Stadt- und Landkreise haben nachgerechnet. Wir haben seit gestern die Zahlen. Ich möchte sie jetzt nicht vorweg veröffentlichen. Ich möchte keine Einzelzahlen nennen. Wir wissen aber auf jeden Fall – natürlich nach Berechnungen der Stadt- und Landkreise –, dass die Kommunen und Kreise im Land Baden-Württemberg 198,93 zusätzliche Stellen brauchen. Das ergibt zusätzlich Personalausgaben in Höhe von 10,046 Millionen € und Sachausgaben in Höhe von 2,13 Millionen €, die von niemandem ersetzt werden. Die Kommunen, die Stadt- und Landkreise rechnen damit, dass sie nach Abzug der eingesparten Sozialhilfe Mehrausgaben in Höhe von ca. 76 Millionen € haben. Vom Bund kommen 31,7 Millionen €. Hier entstehen also Mindereinnahmen in Höhe von 44,4 Millionen €.

So weit die Zahlen.

Ich meine, ein solches Gesetz ist in der heutigen Situation der Kommunen eigentlich unverantwortlich. Deswegen hat auch das Land Bayern – wir haben uns ihm angeschlossen – im Bundesrat die Aufhebung des Gesetzes beantragt. Hilfsweise werden wir fordern, dass der Bund wirklich alle Kosten ersetzt. Damit könnten wir leben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sprechen heute nicht von der Grundsicherung. Wir sprechen heute nur vom Gesetz zur Ausführung des Grundsicherungsgesetzes. Das heißt nicht, dass wir dem Bundesgesetz zustimmen. Aber eines muss klar sein: Wir müssen dafür sorgen, dass die Grundsicherung am 1. Januar 2003 reibungsfrei, verwaltungsökonomisch und bürgerfreundlich durchgeführt werden kann, und wir müssen versuchen, die Kommunen so weit wie möglich von Bürokratie zu entlasten.

Wir schöpfen damit einen Landesrechtsvorbehalt aus, den der Bund – das war Herr Riester – auf meinen Druck und auf den Druck des Sozialministeriums hin nachträglich in das Grundsicherungsgesetz aufgenommen hat. Diesem Punkt haben wir auch zugestimmt, weil wir das so wollten.

Ganz kurz: Was wollen wir? Wir wollen, dass die Landeswohlfahrtsverbände in den Fällen, in denen sie Leistungen der stationären Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bezahlen, zuständige Träger für die Grundsicherung sind. Für diese Bündelung brauchen wir keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bei den Kommunen.