Protocol of the Session on October 17, 2002

Herr Kollege Birzele, Sie wissen, dass wir auch die Kolleginnen und Kollegen der CDU brauchen, um eine verfassungs

ändernde Mehrheit zu erhalten. Ansonsten bliebe Ihnen nur der Weg über eine verfassungsändernde Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nach Artikel 64 Abs. 3 Satz 3 der Landesverfassung. Das heißt, man könnte die Landesverfassung auch über eine Volksinitiative, über ein Volksbegehren ändern.

Ich glaube, dass wir uns nicht an die Bürgerinnen und Bürger wenden müssen. Wir sollten hier im Hause diskutieren, ob wir eine Mehrheit für eine Änderung zustande bekommen. Unsere Nachbarn in der Schweiz zeigen, wie das funktioniert.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Genau!)

Herr Kollege Herrmann, dort ist man der Auffassung, dass diejenigen zur Abstimmung gehen, die sich in einer Frage auskennen oder davon betroffen sind. Allerdings hat die Schweiz natürlich über das Ständemehr Sicherungsmechanismen eingebaut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die FDP/DVPFraktion möchte ich signalisieren: Wir sind bereit, an Gesprächen mitzuwirken, die zu einer Verfassungsänderung führen. Allerdings sind wir mit einzelnen Punkten des SPDGesetzentwurfs nicht einverstanden. Wir sehen auch noch gewissen Aufklärungsbedarf. Ich darf dazu einen Punkt hier ansprechen.

Wir hätten zunächst einmal auch in Zukunft gerne die Möglichkeit einer Verfassungsprüfung durch den Staatsgerichtshof.

Außerdem, Herr Birzele, ist mir nicht klar, was Sie mit Ihrer Formulierung für Artikel 60 Abs. 6 meinen:

Wenn ein Drittel der Mitglieder es beantragt, kann die Regierung eine von ihr eingebrachte, aber vom Landtag abgelehnte Gesetzesvorlage zur Abstimmung bringen.

Mir ist nicht klar, ob sich Ihre Formulierung auf die Mitglieder der Regierung oder auf die Mitglieder des Landtags bezieht. Ich habe den Eindruck, dass man auch noch an Formulierungen des Gesetzentwurfs feilen müsste. Aber die Frage, ob es überhaupt zu einer Änderung kommt, ist natürlich rein politisch zu beantworten.

Deshalb meine ich, wir sollten uns hier nicht mit Schaukämpfen aufhalten. Es geht um die Frage, ob wirklich eine verfassungsändernde Mehrheit, also eine Zweidrittelmehrheit unter Einschluss von Abgeordneten der CDU, bereit ist, diese Stärkung der Bürgermitwirkungsrechte vorzunehmen. Hierfür steht die FDP/DVP-Fraktion bereit. Ja, wir haben keine Angst vor dem Bürger. Wir sind bereit, die Bürgermitwirkungsrechte auch bei dieser Frage zu stärken.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf begehrt eine Änderung der

Landesverfassung zu dem Zweck, in Baden-Württemberg mehr Bürgerpartizipation zu ermöglichen. Gestern hatten wir hier in diesem denkwürdigen Haus, im Kaisersaal – wie Kollege Theurer noch einmal erwähnt hat –, die Debatte zur kommunalen Ebene. Heute geht es um die Verstärkung der Bürgerpartizipation auf Landesebene.

Beide Partizipationsmöglichkeiten, die dankenswerterweise von der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses – ebenfalls hier in diesem denkwürdigen Sitzungssaal in Freiburg – in die Diskussion gebracht worden sind, werden von uns mitgetragen.

Die Verfassungsänderung, die heute vorgeschlagen ist, Herr Kollege Herrmann, bringt natürlich Möglichkeiten und Chancen mit sich, die Sie jedoch mit den vom Kollegen Birzele zitierten Äußerungen abtun. Sie sagen: „Wenn die CDU im Land regiert und es keine Volksinitiativen, Volksbegehren gibt, dann spricht das für die Politik der CDU.“ Das ist Ihre Sicht der Dinge.

Die an dieser Stelle richtige Entscheidung wäre, die Kompetenz und die Verantwortung, die der Souverän für jedes Land hat, auch für das Land Baden-Württemberg, auch den Bürgerinnen und Bürgern des Landes zuzutrauen.

(Abg. Herrmann CDU: Machen wir doch!)

Wir haben seit Jahrzehnten in der Landesverfassung Regelungen für Volksbegehren und Volksabstimmungen.

(Zuruf von der CDU: Eben! – Abg. Herrmann CDU: Eingeführt von der CDU!)

Eingeführt von der CDU; darauf wäre ich jetzt gleich zu sprechen gekommen, Herr Kollege Herrmann.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Das bedurfte einer verfas- sungsändernden Mehrheit! Da waren auch andere dabei!)

Wenn man aber so hohe Hürden aufbaut, dass die Menschen dieses Instrumentarium gar nicht in Anspruch nehmen können, wie die vergangenen Jahrzehnte zeigen, dann wird das zur Alibiveranstaltung. Daran etwas ändern zu wollen, ist, glaube ich, ein legitimes und wichtiges demokratisches Anliegen, das wir in diesem Haus und an diesem Ort diskutieren müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Ich darf in wenigen Punkten kurz erwähnen, warum wir neben der grundlegenden Überzeugung, dass eine demokratische Partizipation der Bevölkerung angebracht ist, zu der Auffassung gekommen sind, dass diese Initiative richtig ist und die Unterstützung des Landtags verdient.

Als ersten Punkt – neben der Partizipation – möchte ich noch nennen: Dies führt nicht zu einer Aushöhlung der repräsentativen Demokratie, wie Sie immer meinen argumentieren zu müssen. In den vergangenen 30 Jahren gab es nicht eine einzige derartige Initiative auf Landesebene, sodass dieses Argument meines Erachtens in Schall und Rauch aufgeht. Es belegt eher, dass Sie in Baden-Württem

berg die Partizipation des Volkes an Entscheidungen auf Landesebene nicht wollen.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Schon deswegen müssen wir die Hürden und die Quoren, die in der Verfassung eingebaut sind, entsprechend den Vorschlägen, die im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion genannt sind, ändern.

Ein weiterer Punkt – ich sehe gerade den Kollegen Schneider und bitte ihn kurz um Aufmerksamkeit,

(Abg. Scheuermann CDU: Der hört immer zu!)

weil er gestern so vehement sachfremd mit den Kosten argumentiert hat –:

(Lachen des Abg. Schneider CDU – Abg. Blenke CDU: Er redet nachher noch mal! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Bei diesem Themenbereich, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir es weniger damit zu tun haben – was im Übrigen genauso für die kommunale Ebene gilt –, dass die Bevölkerung dieses Landes bei knapper werdenden Ressourcen mehr Geld ausgeben würde. Vielmehr würde sie anders sparen, als Sie das tun.

(Abg. Schneider CDU: Mehr als Sie!)

Insofern kann das Kostenargument, Herr Kollege Schneider – dies einfach noch einmal in Erwiderung auf Ihren Beitrag in der gestrigen Debatte; aber das gilt auch für heute, für diese angestrebte Verfassungsänderung –, kein Argument gegen diese Initiative sein.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Ein weiterer Punkt, den ich noch erwähnen möchte, ein dritter Punkt: Wenn man einmal über die Grenzen unseres Landes hinausschaut – das tut manchmal ja ganz gut –, muss man nicht nur nach Bayern schauen. Aber insbesondere wenn man nach Bayern schaut, stellt man fest, dass dort die Instrumentarien der Bürgerpartizipation sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene viel eher greifen. Was können wir feststellen? Es ist genau das Ziel dieser Initiative, dass die verstärkte Partizipation zu anderen Wahlbeteiligungen führt, zu interessanteren politischen Auseinandersetzungen und insgesamt zu einer Belebung des demokratischen Gemeinwesens.

(Abg. Zimmermann CDU: Dann hätte man doch Sie gewählt! – Zurufe der Abg. Rückert und Dr. Schef- fold CDU)

Das ist die Initiative, Herr Kollege Zimmermann, die auch Sie unterstützen sollten, weil ich auch Sie in die Reihen der Demokraten einordne.

Deswegen werden wir als Fraktion GRÜNE auch in den Ausschussberatungen diese Initiative der sozialdemokratischen Fraktion sehr wohlwollend begleiten. Wir sind der Auffassung, dass ein Stück mehr direkte Demokratie nicht die repräsentative Demokratie gefährdet, sondern Belebung in das demokratische Gemeinwesen in diesem Land bringt. Deswegen sind wir dabei.

Wir fordern Sie, meine Damen und Herren von der „Opposition“ auf, auch hier Farbe zu bekennen und mitzumachen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Dr. Schäuble.

(Abg. Schmiedel SPD: Jetzt kommt der „Oppositi- onsminister“! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Das ist kei- ne Frage der Exekutive!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist wohl wahr, Herr Kollege Oelmayer, aber ich darf mich ganz kurz dazu äußern. Ich kann mich auch knapp fassen, weil ich alles hundertprozentig unterstreichen kann, was Herr Kollege Herrmann vorhin gesagt hat.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Jetzt habe ich gedacht, Sie könnten unterstreichen, was ich gesagt habe! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das haben wir natür- lich erwartet!)