Protocol of the Session on July 17, 2002

Es ist doch kein Grund zum Feiern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn 48,5 % der Schulleitungen in Baden-Württemberg angeben, dass die 15-Jährigen an ihren Schulen beim Lernen beeinträchtigt seien, weil Lehrer fachfremd unterrichteten oder Lehrer fehlten. Da sind wir an der Spitze, aber nur, wenn Sie die Leistungsskala umdrehen. Wir sind da an der Spitze der Bundesrepublik Deutschland; viele Schulleitungen geben das an.

Es ist kein Grund zum Feiern, dass die individuelle Förderung von Beginn an ein durchgängiges Prinzip aller Länder ist, die bei der PISA-Studie einen Rang unter den ersten acht oder neun belegen und die alle, Herr Kollege Oettinger, Ganztagsschulen haben.

(Zurufe von der SPD: Alle!)

Ich will Ihnen jetzt einfach einmal aus PISA

(Zuruf von der CDU: Nicht Dichtung, sondern Wahrheit ist gefragt!)

Ja, genau. Ich hatte erst neulich eine Debatte mit einer Kollegin von Ihnen. Die hatte das auch nicht gewusst.

Also, schauen Sie es sich doch einmal an. Finnland: bis zur neunten Klasse gemeinsame Schulzeit, Ganztagsunterricht.

(Zurufe von der CDU)

Ja, gucken Sie sich doch die Ergebnisse der PISA-Studie an. Es ist ja wirklich lächerlich, was Sie da erzählen. Gucken Sie sich die Ergebnisse an. Ich lese Ihnen doch aus den Listen mit den PISA-Ergebnissen vor.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Kanada: achtjährige Grundschule und Ganztagsbetreuung. Da gibt es auch noch Förderkurse für besonders begabte Schüler.

(Zuruf des Abg. Herrmann CDU)

Neuseeland: achtjährige Primarstufe, Ganztagsbetreuung. Japan: sechsjährige

(Unruhe)

Sehen Sie, das ist das gleiche Problem. Sie haben einfach Schwierigkeiten. Bei der Ganztagsbetreuung jaulen Sie immer auf.

(Zurufe der Abg. Alfred Haas und Herrmann CDU)

Am 19. Dezember, liebe Kolleginnen und Kollegen ich will es ja eigentlich nicht scharf ausdrücken, weil dieses Kloster einfach einen friedlichen Eindruck erweckt, aber jetzt muss ich es schon hervorholen

(Abg. Dr. Birk CDU: Bei Drexler jaulen wir auf, nicht bei dem Thema!)

Ruhe, EnBW; wir sind jetzt nicht bei der Energie, Herr Kollege ,

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sagte ich bei den Haushaltsberatungen im Landtag: Lassen Sie uns doch einmal überlegen, ob wir die Angebote im Bereich der Ganztagsschulen nicht verbessern könnten. Was war laut Protokoll der Zwischenruf des Abg. Rau? „Das ist Freiheitsberaubung!“

(Zurufe von der SPD: Oi! Zurufe von der CDU)

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Vielleicht können wir uns einmal darüber unterhalten, was besser ist. Einer gratuliert ihm jetzt sogar für diesen schwachsinnigen Zwischenruf. Also, ich muss sagen: Das ist ja verheerend in diesem Raum.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir wieder zurück. England: Ganztagsbetreuung. Schweden: Grundschule bis zur neunten Klasse, Ganztagsschule.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle diese Listen liegen vor. Schauen Sie sich diese bitte einfach einmal an. Dann können wir anschließend auch darüber diskutieren.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen ich habe das vorhin erwähnt : Die beruflichen Gymnasien sind in BadenWürttemberg diejenigen Einrichtungen, die unseren Jugendlichen mit mittlerer Reife noch die Hochschulreife er

möglichen und somit das gegliederte Schulsystem durchlässig werden lassen. Und was machen Sie? Sie deckeln im Bereich der beruflichen Gymnasien seit Jahren. Wir haben schon x-mal die Forderung gestellt, diese Schulart zu fördern. Wir haben ein Programm vorgelegt, um die beruflichen Gymnasien zu fördern. Sie werden gedeckelt. Wir kriegen Briefe aus dem ganzen Land, in denen gefordert wird, dass in den beruflichen Gymnasien weitere Schulklassen eingerichtet werden sollen. Es werden keine Lehrer zur Verfügung gestellt. Die beruflichen Gymnasien der Vorteil unseres Schulsystems in Baden-Württemberg werden seit vielen Jahren nicht gefördert, sondern gedeckelt. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur noch ein Beispiel: Der Kollege Oettinger er ist gerade hinausgegangen

(Abg. Oettinger CDU: Hier!)

hat vorhin behauptet, dass wir mehr Geld als jedes andere Bundesland für die Schulen ausgeben. Ich will Ihnen nur sagen: Das Ranking nach PISA E für das Jahr 1999 zeigt, dass Hamburg 5 800 € ausgibt, Bremen 5 100 €, Berlin 4 600 €, Bayern 4 500 € und Baden-Württemberg 4 400 €. Also auch diese Aussage stimmt nicht. Ich wollte das bloß richtig stellen.

(Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt geht es ja eigentlich darum, was wir machen sollen. Ich glaube, wir brauchen unabhängig von dieser parteipolitischen Geschichte „Wir sind besser, die sind schlechter“ eine gemeinsame Kraftanstrengung. Deswegen schlagen wir Ihnen vor, das Kindertagesstättengesetz zu verändern. Wir haben einen Vorschlag eingebracht, nach dem wir ab dem dritten Kindergartenjahr den Bildungsauftrag und auch die Sprachkompetenz sehr stark fördern wollen. Wir werden sehen, was Sie zu diesem Vorschlag zu sagen haben.

Wir wollen dann auch verpflichtend für alle Kinder im fünften Lebensjahr einen Test des Sprachstands durchführen, nicht nur für die Kinder, die im Kindergarten sind, sondern auch für die Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, um festzustellen, wer Förderungsbedarf hat und wer keinen Förderungsbedarf hat. Kinder im fünften Lebensjahr sollen dann gefördert werden, und zwar verpflichtend Kinder, die im Kindergarten sind, und Kinder, die nicht im Kindergarten sind. Das muss mit der Grundschule verzahnt werden, damit wir nach einem Grundschuljahr sagen können: Jeder, der in Baden-Württemberg in die Schule geht, kann so gut Deutsch, dass er auch weiterhin in seiner schulischen Praxis alles lernen, lesen und verstehen kann.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wir warten einmal ab, was die CDU dazu sagt.

Ganztagsschulen, Herr Kollege Oettinger: Wir haben Ihre Äußerungen nach PISA mit Interesse zur Kenntnis genommen. Da geht es eigentlich um eine SPD-Forderung. Am 29. Juni wurde in den „Stuttgarter Nachrichten“ Folgendes

ausgeführt: „Oettinger hält eine flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung“ Ganztagsangebote „mittelfristig für ‚notwendig und sachgerecht‘.“

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU Zurufe bei der SPD: Aha!)

Wir haben immer vorgeschlagen, solche Angebote mittelfristig flächendeckend einzuführen. Wir haben ja nachher noch einen Tagesordnungspunkt zum Thema Ganztagsschulen. Wir gehen davon aus, dass wir nachher unseren Antrag auch gemeinsam beschließen können. Wir wollen pro Jahr weitere hundert Schulen in Baden-Württemberg in Ganztagsschulen umwandeln, sodass wir in diesem Land mittelfristig auf ein Angebot von 20 % kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch etwas zur Enquetekommission sagen. Wir bekommen aus dem ganzen Land Schreiben, die sich für eine Enquetekommission einsetzen. Die Grünen hatten als erste einmal den Antrag auf Einrichtung einer Enquetekommission eingebracht. Wir haben gesagt, wir könnten uns das vorstellen. Herr Kollege Oettinger, es wäre vernünftig, wenn sich alle vier Fraktionen neben den kurzfristigen Maßnahmen, die ich und Sie gerade genannt haben und die wir dann auch beschließen können, einmal Gedanken darüber machten, ob es nicht sinnvoll wäre, in Baden-Württemberg eine Enquetekommission über das Schulwesen nach PISA einzurichten, und zwar mit ein paar bestimmten Inhalten.

Der eine Inhalt wäre, wie Sie vorhin gesagt haben, möglicherweise eine Verfassungsänderung zustande zu bringen. Dies kann man in einer Enquetekommission vorbereiten.

Zweitens: Wir könnten einmal darüber nachdenken, warum alle Länder, die ihre Kinder nicht nur vier Jahre zusammenlassen und dann separieren, sondern ihre Kinder sechs bis acht Jahre zusammenlassen

(Zuruf von der CDU)

ich habe Ihnen doch vorhin die Liste vorgelegt , in der Spitze, in der Breite bessere Erfolge erzielen und weniger Schwächen aufweisen. Darüber muss man ja einmal nachdenken. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen, mit den Elternverbänden und vor allem mit den Kommunen, die nach unserer Meinung gerade im Hinblick auf Schulen sehr gute Vorschläge machen, eine Enquetekommission einrichten. Sie wissen, die SPD-Fraktion könnte sie aufgrund ihrer Mandatszahl alleine einsetzen. Das hätte aber vielleicht nicht ganz so viel Sinn, wie wenn Sie bereit wären, in einer Enquetekommission gemeinschaftlich mit uns über eine mögliche Verfassungsänderung zu diskutieren. Wir bieten Ihnen das an.

Ich glaube, wir kämen am besten voran, wenn wir so vorgehen könnten: die kurzfristigen Maßnahmen für unsere Schülerinnen und Schüler möglichst bald beschließen, die mittel- und längerfristige Debatte mit all dem, was Sie vorhin auch angedeutet haben, Herr Oettinger, in der Enquetekommission führen. Das wäre die Chance. Das würde unseren Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass wir in BadenWürttemberg die Kraft haben, nicht zu sagen: „Die CDU macht das“, „Die SPD macht das“, „Ihr seid da und da besser“, sondern eine gemeinsame Anstrengung zu unterneh

men, um für unsere Schülerinnen und Schüler in BadenWürttemberg etwas zu erreichen. Unser Angebot dafür steht. Ich hoffe, Sie nehmen es an.

Vielen Dank.