Protocol of the Session on July 17, 2002

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe)

Bebenhausen ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass es in den schwierigen Zeiten nach dem Krieg darum gegangen ist, den Wiederaufbau auch in den Vorparlamenten zu organisieren, dass es darum gegangen ist, ein modernes Grundgesetz auf den Weg zu bringen, dass es vor allem auch darum gegangen ist, den föderalen Aufbau dieses Staates auf den Weg zu bringen. Professor Carlo Schmid, Gebhard Müller, Theodor Heuss und andere sind bereits erwähnt worden. Sie haben die Aufgabe gesehen, gerade auch diesen föderalen Aufbau des Staates auf den Weg zu bringen, weil sie sich dafür eingesetzt und weil sie erwartet haben, dass auf diese Art und Weise ein modernes, ein leistungsfähiges Staatswesen entstehen kann.

Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt 50 und mehr Jahre zurückblicke, dann befürchte ich, dass sich die genannten Damen und Herren, diese Väter und Mütter der ersten Stunde, eigentlich im Grab umdrehen müssten, wenn sie sähen, was heute aus diesem Föderalismus geworden ist.

(Abg. Drexler SPD: Ah jetzt! So schlimm ist es auch nicht!)

Ich glaube, dass bei allen Vorschlägen, die im Zusammenhang mit PISA gemacht werden, ein Vorschlag nicht gemacht werden sollte, nämlich der, in Sachen Bildungspolitik in Zukunft die Bundeskompetenz zu stärken.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich will vielmehr umgekehrt, dass der Wettbewerbsföderalismus wieder eine größere Chance hat. Ich will, dass der Wettbewerbsföderalismus eine Renaissance erlebt. Deshalb ist die Debatte, die wir heute führen, keine Zuständigkeitsdebatte. Es ist auch keine Debatte, in der es darum geht, die Kompetenzen des Bundes zu stärken. Nein, diese Debatte muss eine Bildungsdebatte und vor allem eine Qualitätsdebatte sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wenn ich also mehr Bundeskompetenz eine klare Absage erteile, wenn ich ein klares Plädoyer abgebe für mehr Wettbewerbsföderalismus in der Zukunft, dann bedeutet dies nicht, dass wir auf bundesweite Qualitätsstandards, denen wir uns alle verpflichtet fühlen, verzichten müssten. Es bedeutet auch nicht, dass wir diese bundesweiten Qualitätsstandards und die Schulleistungen nicht überprüfen müssten.

Nur, meine Damen und Herren: Wenn wir Ja sagen zu bundesweiten Qualitätsstandards, dann muss natürlich auch die Möglichkeit gegeben werden, diese Standards überzuerfüllen. Das heißt, ich bin dazu bereit, qualitative Ziele festzulegen, die von jeder Schule in Deutschland erreicht werden müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Aber der Wettbewerb und der Wettbewerbsföderalismus fangen an der Stelle an, wo es darum geht, dass die Mittel und Wege, die zur Erfüllung dieser Ziele führen, im organisatorischen und im pädagogisch-didaktischen Bereich Ländersache sein und bleiben müssen und weiterhin im Wettbewerb mit den anderen Ländern stehen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Welche Rolle in der Zukunft die Kultusministerkonferenz in diesem Zusammenhang spielen wird, ist aus meiner Sicht noch offen. Wenn ich an die Kultusministerkonferenzen der letzten Jahre und Jahrzehnte denke, dann denke ich jedenfalls nicht an ein schnelles Rennpferd, sondern eher Sie verzeihen mir diese Formulierung an einen lahmen Gaul. Das ist aber kein Vorwurf, sondern das hängt mit der Konstruktion der Kultusministerkonferenz zusammen, die ja von Anfang an darauf ausgerichtet war, nach dem Einstimmigkeitsprinzip zu handeln. Wer aber nach dem Einstimmigkeitsprinzip handelt, der steht in der Gefahr, dass der Langsamste das Tempo bestimmt.

Meine Damen und Herren, solange dies nicht geregelt wird, solange hier keine Neuerung kommt, solange sich die Kultusministerkonferenz nicht darauf besinnt, dass in Zukunft eben nicht der Langsamste das Tempo bestimmen darf, so lange wird sich die Kultusministerkonferenz schwer tun, ein wirksames Gremium für die Fortentwicklung unseres Bildungswesens zu sein, und so lange wird die Kultusministerkonferenz auch in der Gefahr stehen, sich eines Tages auch das sage ich ganz offen überflüssig zu machen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Hauk CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich PISA und insbesondere die nationale Ergänzungsstudie ansehen, dann stellen Sie fest darauf wurde schon hingewiesen : Wir als Baden-Württemberger haben hier einen nationalen Spitzenplatz, aber wir würden uns mit diesem nationalen Spitzenplatz in der Champions League schwer tun. Das heißt, wir sollten uns gemeinsam über diesen Spitzenplatz freuen. Dazu haben wir allen Anlass, denn wir sind besser als die meisten anderen Länder in Deutschland. Aber natürlich ist das noch kein Grund, sich zurückzulehnen.

(Unruhe)

Nur, eines muss auch klar sein, Kollege Drexler Sie haben das angesprochen : Es geht auch darum, das Bildungsniveau in Deutschland insgesamt zu heben. Wir wollen ja, dass Deutschland insgesamt von diesem schlechten Platz wegkommt. Und da will ich schon einmal sagen: Um dies zu erreichen, sind in Baden-Württemberg in der Vergangenheit bessere Vorbedingungen geschaffen worden,

als dies in anderen Bundesländern auch in NordrheinWestfalen, Niedersachsen und Bremen gemacht worden ist. Wir können auf die Leistungen, die das Land BadenWürttemberg im Bildungsbereich bisher erbracht hat, durchaus stolz sein. Dies sollte auch die Opposition so sehen.

(Beifall bei allen Fraktionen Unruhe Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf bitten, die Gespräche im Saal einzustellen, weil der Redner sonst kaum zu verstehen ist.

(Vereinzelt Beifall)

Ich sage also auch für die Zukunft ein klares Ja zum Wettbewerb im Bildungswesen, zum Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern, aber auch zum Wettbewerb zwischen den einzelnen Bildungseinrichtungen, also den einzelnen Schulen. Wer dieses Ja zum Wettbewerb sagt, der tut gut daran, auch Ja zu sagen zu vermehrten und verbesserten Entscheidungsmöglichkeiten der Schulen selbst.

Meine Damen und Herren, wenn wir mehr Qualität an unseren Schulen erreichen wollen, dann werden wir das am besten dadurch tun, dass wir die einzelnen Schulen stärken, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, eine eigene Identität und ein eigenes Profil zu erreichen. Wenn wir dies tun, haben wir die besten Chancen, auch die Qualität unserer Schulen zu verbessern.

Baden-Württemberg hat genau damit begonnen. BadenWürttemberg ist das Land, das bereits heute darauf verzichtet, Lehrpläne zu 100 % staatlich vorzugeben. BadenWürttemberg hat bereits damit begonnen, Kerncurricula auf 60 % der Lehrpläne zu begrenzen. Baden-Württemberg ist das Land, das damit begonnen hat, den Schulen in erhöhtem Umfang zu gestatten, ihr eigenes pädagogisches Personal auszusuchen. Damit wollen wir auch zum Ausdruck bringen: Nicht jeder Lehrer passt an jede Schule; auch Schule und Lehrer müssen zusammenpassen. Deshalb gibt es bei uns mehr Auswahlmöglichkeiten für die einzelnen Schulen.

Wir wollen ja erreichen, dass nicht alle Schulen einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Wir wollen die Identität der Schulen stärken. Dies können wir am besten dadurch tun, dass wir die Mitgestaltung aller einfordern. Wir werden diese Mitgestaltung am besten dadurch erreichen, dass wir den Schulen auch ein höheres Maß an finanzieller Autonomie geben, dass wir den Schulen, den Eltern und den übrigen Beteiligten das Gefühl geben, dass es sich um ihre Schule handelt, dass diese Schule eine besondere Identität hat. Das sind die Maßnahmen, die notwendig sind, um in Zukunft Qualitätsverbesserungen an den Schulen zu erreichen.

Wenn ich von mehr Autonomie für die einzelnen Schulen spreche, dann nenne ich hierfür auch folgende Voraussetzung: Ich glaube, meine Damen und Herren, wir brauchen an den Schulen des Landes eine neue Erziehungspartnerschaft zwischen Schulen und Eltern. PISA bestätigt, dass wir an unseren Schulen ein gutes Klima haben. 57 % der

Eltern in Baden-Württemberg sagen, dass sie mit dem Schulklima, mit den Lernleistungen und den Leistungen insgesamt zufrieden sind. Das ist ein gutes Ergebnis, aber dies kann natürlich noch verbessert werden. Erfolgreiches Lernen kann immer verbessert werden.

Ich denke aber, dass die Schulen allein dies nicht schaffen werden. Gerade hierfür ist nach meiner Meinung eine neue Erziehungspartnerschaft notwendig. Wir werden beispielsweise die Beteiligung von Eltern nicht mit Sanktionen erreichen können, auch nicht mit Bußgeldern,

(Abg. Drexler SPD: So ist es! Richtig!)

sondern ich sage es noch einmal wir können sie dann erreichen, wenn wir es schaffen, dass sich Eltern und andere mit ihren Schulen identifizieren. Dann werden wir das schaffen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU Abg. Drexler SPD: Einbringen!)

Deshalb ist es ein zweiseitiger Prozess, den ich mit der Schulpartnerschaft anspreche. Die Schule muss durch ein solches höheres Maß an Autonomie ihren Beitrag leisten, aber natürlich müssen auch die Eltern gefordert werden.

Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl um den gesellschaftlichen Wandel in Familien, bei Alleinerziehenden, bei der Rolle der Frau. Dies weiß ich sehr wohl, aber wenn ich von Erziehungspartnerschaft spreche, dann sage ich ganz bewusst und auch ganz betont: Zur Erziehungspartnerschaft gehört, dass wir nicht nur die Rechte der Eltern einfordern, sondern auch deren Pflichten als Eltern immer wieder betonen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Ganztagsschulen sind angesprochen worden. Ich will nur einmal darauf hinweisen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland 44 000 Schulen haben. Von diesen 44 000 Schulen in Deutschland sind derzeit 2 500 als Ganztagsschulen eingerichtet. Allein an dieser Zahl wird deutlich, dass Deutschland bei Ganztagsschulen im Grunde keine Tradition hat, keine Geschichte hat, eigentlich auch keine Kultur. Deshalb ist dies ein Thema, das neu angepackt werden muss, bei dem wir praktisch bei null beginnen nicht nur in Baden-Württemberg, sondern insgesamt in Deutschland, eben aufgrund der Tatsache, dass wir keine solche Kultur haben. Ich halte dies aber für eine wichtige Aufgabe übrigens nicht nur deshalb, weil durch Ganztagseinrichtungen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht werden kann, sondern auch deshalb, weil Ganztagseinrichtungen neue pädagogische Chancen eröffnen können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rate immer dazu, bei der Einrichtung von Ganztagsschulen das zu tun, was der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck dieser Tage geäußert hat und was ich hochinteressant fand. Herr Beck sagt, dass wir Ganztagsschulen bedarfsgerecht und wohnortnah ausbauen sollten. Insoweit bin ich einverstanden. Herr Beck sagt, dass wir solche

Ganztagsschulen nicht an den Wünschen der Eltern und der Familien vorbei ausbauen dürften.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Herr Beck sagt, dass vor allem nicht der Fehler gemacht werden dürfe, irgendwo am grünen Tisch in Stuttgart oder, noch schlimmer, in Berlin oder wo auch immer gewissermaßen ein allein selig machendes Modell von Ganztagsschulen auszuhecken und dann allen Schulen überzustülpen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD)

Das kann nicht infrage kommen. Ich bin dankbar für Ihren Beifall. Wir sehen das auch so.

Wenn wir Ganztagsschulen einführen, dann ist es wichtig, nach dem Prinzip zu handeln: Lasst tausend Blumen blühen! Es gibt viele Modelle von Ganztagsbetreuung. Wichtig ist aber, dass Ganztagsschulen nicht nur Vormittagsunterricht plus Suppenküche sind, sondern dass qualitative Standards beachtet werden müssen. Dazu gehören ausdrücklich auch die Möglichkeiten, die Sportvereine, Kulturvereine und Musikvereine qualitativ in eine solche Ganztagsbetreuung einbringen können. Dazu stehen wir auch.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Das Engagement unserer Lehrerinnen und Lehrer ist eine weitere wichtige Voraussetzung für den Schulerfolg. Auch hier gilt: Wenn wir von unseren Lehrern verlangen, besonderes Engagement an den Tag zu legen, dann werden wir dem am besten dadurch gerecht, dass wir ihnen so viel eigenverantwortliches Handeln wie nur irgend möglich zugestehen. In dem Augenblick, in dem wir eigenverantwortliches Handeln zulassen und auch fördern, haben wir eine große Chance, dass das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer hoch bleibt oder gesteigert werden kann.